Verlustbeteiligung des Arbeitnehmers
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 10.10.1990, 5 AZR 404/89
Leitsätze des Gerichts
Eine Verlustbeteiligung des Arbeitnehmers ist jedenfalls dann sittenwidrig und damit nichtig (§ 138 Abs 1 BGB), wenn dafür kein angemessener Ausgleich erfolgt.
Tenor
- Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 1. März 1989 – 14 Sa 588/87 – wird zurückgewiesen.
- Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob der Beklagte Zinsen und Tilgungsraten für einen Kredit zahlen muß, den er für die Klägerin während eines Arbeitsverhältnisses aufgenommen hat.
Die Klägerin ist eine gemeinnützige Forschungs- und Entwicklungsgesellschaft auf dem Gebiet der Sprach- und Informationswissenschaften. Der Beklagte war bei ihr zunächst ab 15. Januar 1981 aufgrund eines auf zwei Jahre befristeten Vertrages als Projektleiter mit einer Vergütung nach VergGr. Ib BAT angestellt. In derselben Zeit hat ihn die Universität E… beurlaubt. Die Parteien gingen davon aus, daß die Forschungsarbeit des Beklagten weitgehend aus Spenden und Drittmitteln finanziert werden sollte.
Als sich gegen Ende des Jahres 1982 abzeichnete, daß eine Verlängerung des Dienstverhältnisses aus finanziellen Gründen immer unwahrscheinlicher wurde, handelten die Parteien auf der Grundlage des vom Beklagten vorgeschlagenen Modells 2 folgendes aus:
Der Beklagte sollte vom 14. Januar 1983 bis zum 14. Januar 1984 befristet weiterbeschäftigt werden. Seine Vergütung sollte sich nach der VergGr. Ia BAT richten. In einem Zusatzvertrag zwischen „dem Direktor des Instituts für Kybernetik, P…, Prof. Dr. … F…, und dem Beklagten als Stellvertreter“ wurde vereinbart, daß der Beklagte „die Verluste, die in den Jahren 1981 und 1982 durch die Aktivitäten im Bereich „Medizinische Informationspsychologie“ eingetreten sind, für das Jahr 1982 voll, für das Jahr 1981 nach Möglichkeit ausgeglichen werden und daß für das Jahr 1983 keine neuen Verluste gemacht werden“. Der Beklagte verpflichtete sich gegenüber der Klägerin ausdrücklich „zur Einhaltung des Zusatzvertrages zum Dienstvertrag“ vom 14. Januar 1983. Gleichzeitig wurde für die vom Beklagten geleitete Abteilung „Medizinische Informationspsychologie“ ein Konto eingerichtet, das im wesentlichen aus erwarteten Spenden gespeist werden sollte.
Da in dieser Abteilung jedoch weitere Verluste entstanden, nahm der Beklagte am 29./30. Januar 1984 namens der Klägerin bei der … bank P… einen Umschuldungskredit in Höhe von 135.000,00 DM mit einem Zinssatz von jährlich 8,5 % auf. Kurz darauf kehrte der Beklagte auf seine Planstelle als akademischer Oberrat an die Universität E… zurück.
Auf Veranlassung der Klägerin übernahm der Beklagte in einer sog. „Vereinbarungsbestätigung“ vom 29. September/3. Oktober 1984 im Hinblick auf das von ihm im Namen der Klägerin aufgenommene Bankdarlehen u.a. folgende Verpflichtung:
„Sollten vor dem 31.12.1985 keine Spenden in ausreichender Höhe eingegangen sein, um zumindest die Schuldzinsen voll zu decken, übernimmt der Linksunterzeichner persönlich die Deckung. Dasselbe gilt für jedes Folgejahr sowie für die von der … bank geforderte Tilgung.“
Die Klägerin verlangt dementsprechend 11.940,23 DM für Tilgungsraten, Zins- und Kontoführungsgebühren für das Jahr 1984 sowie 8.605,95 DM für Tilgungsraten und Schuldzinsen im Jahr 1985.
Die Klägerin hat beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an sie 20.546,18 DM nebst 8,75 % Zinsen seit dem 16. Juli 1986 zu zahlen.
Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt vor allem mit der Begründung, die eingegangene Verpflichtung sei sittenwidrig und damit nichtig.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung des Beklagten die Klage abgewiesen. Die Klägerin will mit der Revision die Wiederherstellung des Urteils des Arbeitsgerichts erreichen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Verpflichtung des Beklagten zum Ausgleich der in seiner Abteilung entstandenen Verluste zu Recht als nichtig angesehen.
I. 1. In formeller Hinsicht beanstandet die Klägerin vor allem, das am 1. März 1989 verkündete Urteil sei ihr erst am 19. Oktober 1989 und damit etwa 7 1/2 Monate nach der Verkündung zugestellt worden. Deswegen habe sie nicht mehr fristgerecht Tatbestandsberichtigung beantragen können. Damit hätte sie sich gegen die Feststellung im angefochtenen Urteil gewandt, der Beklagte sei bis zuletzt weisungsgebunden geblieben. Richtig sei demgegenüber, daß der Beklagte als Abteilungsleiter in seinem Tätigkeitsbereich keinen Weisungen unterlegen habe. Außerdem habe das Landesarbeitsgericht zu Unrecht festgestellt, die Klägerin habe den Beklagten „als einen sozial abhängigen Arbeitnehmer“ angesehen. Zwar sei der Beklagte Arbeitnehmer gewesen, jedoch ohne die für ein Arbeitsverhältnis typische soziale Abhängigkeit.
2. Diese formellen Rügen greifen nicht durch. Zwar ist ein Urteil des Berufungsgerichts vor Ablauf von vier Wochen nach der Verkündung vollständig abgefaßt der Geschäftsstelle zu übergeben (§ 69 Abs. 1 Satz 2 in Verb. mit § 60 Abs. 4 Satz 3, 1. Halbsatz ArbGG). Kann das ausnahmsweise nicht geschehen, so ist innerhalb der genannten Frist das von dem Vorsitzenden unterschriebene Urteil ohne Tatbestand und Entscheidungsgründe der Geschäftsstelle zu übergeben. Dann sind Tatbestand und Entscheidungsgründe alsbald nachträglich anzufertigen, von sämtlichen Mitgliedern der Kammer zu unterschreiben und der Geschäftsstelle zu übergeben (§ 69 Abs. 1 Satz 2 in Verb. mit § 60 Abs. 4 Satz 3, 2. Halbsatz, Satz 4 ArbGG).
Insoweit handelt es sich nur um Sollvorschriften mit bloßer Ordnungsfunktion. Grundsätzlich kann auf ihre Verletzung die Revision nicht gestützt werden (BAGE 44, 323, 328, 329 = AP Nr. 82 zu §§ 22, 23 BAT 1975). Erst wenn ein Berufungsurteil später als 12 Monate nach seiner Verkündung zugestellt wird, liegt ein Verstoß gegen § 551 Nr. 7 ZPO vor (BAGE 38, 55, 58, 59 = AP Nr. 1 zu § 68 ArbGG 1979). Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt.
Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Rechtsmittelkläger durch die verspätete Abfassung und Zustellung des Urteils die Möglichkeit verlieren würde, rechtzeitig eine Tatbestandsberichtigung zu beantragen (BAGE 44, 323, 329 = AP, aaO, m.w.N.) und wenn das angefochtene Urteil auf dem Sachverhalt, dessen Berichtigung beantragt worden wäre, beruht (BAG Urteil vom 11. Juni 1963 – 4 AZR 180/62 – AP Nr. 1 zu § 320 ZPO; BAGE 4, 81, 82 f. = AP Nr. 2 zu § 60 ArbGG 1953, mit Anm. Pohle). Ob die Klägerin mit ihrem Berichtigungsantrag durchgedrungen wäre, hat das Revisionsgericht nicht zu prüfen; das ist die Aufgabe der Tatsacheninstanz. Das Revisionsgericht hat nur zu untersuchen, ob das angefochtene Urteil auf dem beanstandeten Teil des Tatbestands beruht, dessen Berichtigung angestrebt wird (vgl. BAGE 4, 81, 83 = AP, aaO). Das ist nicht der Fall.
Einen solchen Zusammenhang hat die Klägerin selbst nicht dargelegt. Er ist auch aus dem angefochtenen Urteil nicht zu entnehmen. Das Landesarbeitsgericht leitet zu Recht aus dem krassen Mißverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung die Sittenwidrigkeit der Vereinbarung ab. Dafür ist es unerheblich, inwieweit der Kläger bei seinen Forschungsarbeiten selbst weisungsgebunden war. Ebensowenig kommt es auf den Grad der „sozialen Abhängigkeit“ des Beklagten an, denn die Klägerin geht in Übereinstimmung mit dem Vortrag der Parteien davon aus, daß der Beklagte Arbeitnehmer gewesen ist. Insoweit beanstandet die Revision auch nur die rechtliche Würdigung der Vorinstanz, die keine Tatsachenfeststellungen beinhaltet.
II. Dem Berufungsgericht ist darin zuzustimmen, daß die Verpflichtung des Beklagten zum Ausgleich der Verluste der Verluste der Klägerin rechtsunwirksam ist.
1. Eine arbeitsvertragliche Vergütungsregelung verstößt dann gegen die guten Sitten im Sinne des § 138 Abs. 1 BGB, wenn der Arbeitnehmer mit dem Betriebs- oder Wirtschaftsrisiko des Arbeitgebers belastet wird. Dies ist insbesondere dann anzunehmen, wenn eine Vergütungsabrede eine Verlustbeteiligung des Arbeitnehmers vorsieht (unveröffentlichtes Senatsurteil vom 21. März 1984 – 5 AZR 462/82 -, zu II 1 der Gründe).
2. Davon ist hier ebenfalls auszugehen. Der Beklagte hat sich seine Weiterbeschäftigung für ein Jahr dadurch „erkauft“, daß er sich im Gegenzuge verpflichtete, für die während seiner Tätigkeit eintretenden Verluste einzustehen. Damit finanzierte er seine Weiterbeschäftigung selbst, nachdem die erwarteten Spenden ausblieben.
Zwar meint die Revision, der Beklagte hätte es in der Hand gehabt, die Verluste zu vermeiden, weil er die Abteilung selbst leiten und über den Einsatz seiner Mitarbeiter allein entscheiden konnte. Dabei verkennt die Revision jedoch, daß durch die Gehaltsansprüche des Beklagten und der ihm unterstellten Mitarbeiter ebenso wie aus dem Einsatz des wissenschaftlichen Apparates unvermeidbare Kosten entstanden. Ebensowenig ist der Gehaltsanstieg des Beklagten von der VergGr. Ib BAT nach VergGr. Ia BAT eine Gegenleistung der Klägerin, weil der Beklagte dafür im Rahmen seiner Verpflichtung zur Kostenerstattung im Ergebnis selbst aufkommen mußte.
III. Da der Beklagte sich hiernach ohne nennenswerte Gegenleistung der Klägerin zur Deckung der Verluste des Instituts verpflichtet hat, ist diese Vereinbarung nach § 138 Abs. 1 BGB nichtig, weil sie nach ihrem aus der Zusammenfassung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu entnehmenden Gesamtcharakter mit den guten Sitten nicht mehr zu vereinbaren ist (BGHZ 107, 92, 97, m.w.N.). Für die Beurteilung der Sittenwidrigkeit ist allerdings auf den Zeitpunkt der Vornahme des Rechtsgeschäfts abzustellen. Etwas anderes gilt nur dann, wenn das Rechtsgeschäft nachträglich geändert oder durch Zusatzvereinbarungen ergänzt wird (BGHZ 100, 353, 359 [BGH 15.04.1987 – VIII ZR 97/86], m.w.N.). Zwar hat der Beklagte noch nach seinem Ausscheiden mit einer „Vereinbarungsbestätigung“ vom 29. September/3. Oktober 1984 bekräftigt, für die Verluste der von ihm geleiteten Abteilung aufzukommen. Damit ist er aber keine neue Verpflichtung eingegangen, sondern er hat die bereits im Zusatzvertrag vom 14. Januar 1983 im Zusammenhang mit der Begründung des Arbeitsverhältnisses eingegangenen Zusagen bestätigt. Allerdings ging die Anregung zum Abschluß dieses Vertrages von dem Beklagten selbst aus. Dabei mag er unüberlegt und unverständlich gehandelt haben. Das ändert aber letztlich nichts daran, daß die Voraussetzungen des § 138 Abs. 1 BGB erfüllt sind, denn insoweit kommt es allein darauf an, daß die begünstigte Klägerin aus der schwächeren Lage des Beklagten übermäßig Vorteile ziehen will (vgl. BGH Urteil vom 10. Juli 1987 – V ZR 284/85 – NJW 1988, 130, 131, m.w.N.). Das ist jedoch, wie schon dargelegt, der Fall, weil der Beklagte ohne nennenswerte Gegenleistung die Verpflichtung zur Deckung der in seiner Abteilung entstehenden unvermeidbaren Verluste übernommen hatte. In subjektiver Hinsicht ist nur erforderlich, daß die Handelnden diese Umstände kennen, aus denen sich die Sittenwidrigkeit ergibt; es ist demgegenüber nicht maßgebend, daß sie ihr Handeln für sittenwidrig halten. Es kommt insoweit nicht auf die eigene Beurteilung der Vertragspartner an, sondern auf die tatsächlichen Umstände und auf den Zwang der Verhältnisse, unter denen sie handeln.
Thomas Olderog Krems
Schütters Thomas
Gehring ist durch Urlaub an der Unterschrift verhindert
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Fundstellen:
NZA 1991, 264
DB 1991, 659
BB 1991, 413
NJW 1991, 860