Krankheitsbedingte Kündigung – Schwerbehinterter – Zustimmung – Anhörung Betriebsrat
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 11.03.1998, 2 AZR 401/97
Leitsätze
- Zu einer ordnungsgemäßen Anhörung des Betriebsrats gehört auch die Unterrichtung über dem Arbeitgeber bekannte und von diesem als bedeutsam erkannte Tatsachen, die den Arbeitnehmer entlasten und gegen den Ausspruch einer Kündigung sprechen.
- Die Anhörung des Betriebsrats kann im Falle der Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Schwerbehinderten auch schon vor der Durchführung des Zustimmungsverfahrens bei der Hauptfürsorgestelle (Integrationsamt) erfolgen.
Tatbestand
Die Beklagte befaßt sich vor allem mit der Herstellung und dem Vertrieb von Spannwerkzeugen. Sie beschäftigt ca. 400 Arbeitnehmer. Der am 22. Juli 1954 geborene, verheiratete Kläger, der drei Kindern zum Unterhalt verpflichtet ist, wurde von ihr seit dem 10. Februar 1986 als Produktionsarbeiter in der Wechselschicht beschäftigt. Er hatte – wie die anderen in der Werkzeugfabrik eingesetzten Arbeitnehmer – wechselnd an vier unterschiedlichen Arbeitsplätzen zu arbeiten. Diese müssen, damit ein ordnungsgemäßer Produktionsablauf gewährleistet ist, ständig besetzt sein.
Seit 1987 kam es beim Kläger krankheitsbedingt zu erheblichen Fehlzeiten. Neben anderen Diagnosen wurde wiederholt Morbus Bechterew diagnostiziert. Es ergaben sich 77 Fehltage bei 9.246,46 DM Lohnfortzahlungskosten im Jahr 1987, 181 Fehltage bei 4.068,21 DM Lohnfortzahlungskosten im Jahr 1988, 126 Fehltage bei 3.657,65 DM Lohnfortzahlungskosten im Jahr 1989, 87 Fehltage bei 3.784,68 DM Lohnfortzahlungskosten im Jahr 1990, 147 Fehltage bei 8.176,99 DM Lohnfortzahlungskosten im Jahr 1991, 233 Fehltage bei 4.127,72 DM Lohnfortzahlungskosten im Jahr 1992, 137 Fehltage bei 4.483,70 DM Lohnfortzahlungskosten im Jahr 1993 und 122 Fehltage bei 9.007,92 DM Lohnfortzahlungskosten im Jahr 1994. Im Jahr 1995 fehlte der Kläger durchgehend aufgrund der Diagnose Spondylitis, Ankylose bis 25. Oktober, wobei kein Lohnfortzahlungsanspruch mehr bestand.
Seit dem 10. November 1988 ist der Kläger als Schwerbehinderter mit einem Grad der Behinderung von 50 anerkannt. Am 21. Mai 1990 stellte die Beklagte den Arbeitnehmer K ein. Herr K wurde, wenn der Kläger krankheitsbedingt fehlte, an dessen Stelle eingesetzt.
Mit Schreiben vom 3. Mai 1995 teilte die Beklagte dem Betriebsrat mit, sie beabsichtige, das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger fristgemäß zum 30. September 1995 zu kündigen. Der Betriebsrat widersprach am 9. Mai 1995 der beabsichtigten Kündigung.
Ebenfalls mit Schreiben vom 3. Mai 1995 bat die Beklagte die Hauptfürsorgestelle um Zustimmung zur beabsichtigten fristgerechten Kündigung zum 30. September 1995. In einer von der Hauptfürsorgestelle am 30. Mai 1995 durchgeführten Verhandlung, bei der der Betriebsratsvorsitzende und ein Betriebsratsmitglied anwesend waren, erklärte der Kläger u.a., er sei über Jahre hinweg aufgrund einer Fehldiagnose behandelt worden. Jetzt werde er anderweitig behandelt, und zwar mit großem Erfolg. Von der Hauptfürsorgestelle wurde die Erstattung eines arbeitsmedizinischen Gutachtens veranlaßt, das durch den Sachverständigen Dr. H am 14.September 1995 erstellt wurde. Das Gutachten wurde von einem Mitarbeiter der Hauptfürsorgestelle in deren Sitzung am 9. Oktober 1995 kurz zusammengefaßt wiedergegeben; als Ergebnis wurde das Bestehen einer negativen Gesundheitsprognose mitgeteilt. An der Sitzung nahmen wiederum der Betriebsratsvorsitzende sowie ein weiteres Mitglied des Betriebsrats teil. Mit Bescheid vom 7. November 1995, welcher der Beklagten am 15. November 1995 zuging, erteilte die Hauptfürsorgestelle die Zustimmung zum Ausspruch einer ordentlichen Kündigung. Die Beklagte kündigte hierauf das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 15. November 1995 zum 31. März 1996.Mit seiner am 24. November 1995 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat der Kläger geltend gemacht, die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt. Zweitinstanzlich hat er behauptet, seit dem Jahr 1984 sei sein Hausarzt davon ausgegangen, es liege Morbus Bechterew vor, weshalb er die Behandlung an dieser Diagnose ausgerichtet habe. Im Jahr 1994 sei dann festgestellt worden, daß er, der Kläger, unter einer Erkrankung rheumatischer Art und Spondylitis leide. Im Jahr 1995 habe er sich einer langfristigen Behandlung aufgrund der neuen Diagnose unterzogen. Etwa jeden zweiten Tag habe er Spritzen erhalten. Zweimal wöchentlich sei er orthopädisch behandelt worden; parallel sei eine Strombehandlung durchgeführt worden. Zusätzlich habe er krankengymnastische Übungen erlernt. Der Behandlungszyklus sei im Oktober 1995 abgeschlossen gewesen. Er erhalte jetzt nur noch vereinzelt Medikamente und führe zu Hause täglich krankengymnastische Übungen durch. Aufgrund des Behandlungserfolgs sei spätestens zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung nicht mehr mit längeren künftigen Arbeitsunfähigkeitszeiten zu rechnen gewesen. Zu dieser Behauptung passe auch das von Dr. H erstellte Gutachten, wonach röntgenologisch nachweisbare und relevante Veränderungen an der Halswirbelsäule nicht zu finden seien. Dagegen stelle die von Dr. H geäußerte Annahme, beim Kläger liege eine hypochondrische Ausgangslage vor, eine Fehleinschätzung dar. Aus den übrigen nicht auf den Stützapparat zurückzuführenden Krankheiten in der Vergangenheit könne nicht geschlossen werden, daß diese künftig in wesentlichem Umfang auftreten würden.
Dementsprechend habe er seit der Wiederaufnahme seiner Tätigkeit am 26. Oktober 1995 bis zur mündlichen Verhandlung beim Landesarbeitsgericht keinerlei Arbeitsunfähigkeitszeiten mehr aufgewiesen.
Entgegen der Ansicht der Beklagten sei auch der Betriebsrat nicht ordnungsgemäß angehört worden. Wegen der von ihm, dem Kläger, am 30. Mai 1995 vor der Hauptfürsorgestelle abgegebenen Erklärungen und auch wegen des von Dr. H erstellten Gutachtens hätte der Betriebsrat erneut gehört werden müssen.
Der Kläger hat, soweit für die Revisionsinstanz noch von Belang, beantragt:
1. Es wird festgestellt, daß das Arbeitsverhält- nis der Parteien durch die Kündigung vom 15. November 1995 nicht beendet wird.
2. Falls der Kläger mit dem Feststellungsantrag obsiegt:
Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger zu unveränderten Bedingungen als Arbeiter weiter- zubeschäftigen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie hat die Auffassung vertreten, bezogen auf den Kündigungszeitpunkt habe eine negative Gesundheitsprognose vorgelegen. Die vom Kläger aufgestellte Behauptung, aufgrund der Berichtigung der früheren Diagnose und der darauf basierenden neuen Behandlung sei ein entscheidender Behandlungserfolg gelungen, werde durch das Ergebnis des Gutachtens vom 14. September 1995 widerlegt. Der Kläger übersehe ferner, daß sich eine negative Gesundheitsprognose auch dann ergebe, wenn man die Arbeitsunfähigkeitszeiten, die auf dem Krankheitsbild des Morbus Bechterew oder der Spondylitis beruhten, nicht berücksichtige. Der Kläger habe die sich aus diesen Erkrankungen ergebende Indizwirkung nicht erschüttert.
Bezogen auf den Zeitraum von 1986 bis 1994 ergebe sich dann ein jahresdurchschnittlicher Wert von 77,2 Arbeitstagen, die der Kläger gefehlt habe. Entgegen der Behauptung des Klägers sei bei ihm von einer hypochondrischen Ausgangslage auszugehen.
Die Erkrankungen des Klägers hätten in der Vergangenheit zu Betriebsablaufstörungen geführt. Herr K sei wegen der Fehlzeiten des Klägers als Springer eingestellt worden.
Soweit er anstelle des Klägers länger als 87 Tage im Jahr eingesetzt worden sei, habe die Herrn K zugewiesene Arbeit durch andere Arbeitnehmer im Wege der Mehrarbeit verrichtet werden müssen oder sie habe erst zu einem späteren Zeitpunkt erledigt werden können.
Der Betriebsrat sei ordnungsgemäß angehört worden. Eine erneute Anhörung des Betriebsrats vor dem Ausspruch der Kündigung sei nicht erforderlich gewesen. Die vom Kläger am 30. Mai 1995 vor der Hauptfürsorgestelle wiedergegebene subjektive Einschätzung habe bei ihr, der Beklagten, im Rahmen der Kündigungsgründe keine Berücksichtigung gefunden.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen.
Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht der Kündigungsschutzklage stattgegeben und die Beklagte zur Weiterbeschäftigung des Klägers verurteilt.
Mit ihrer vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist begründet und führt zur Zurückverweisung der Sache gem. § 565 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die streitige Kündigung sei unwirksam, weil es an einer ordnungsgemäßen Betriebsratsanhörung fehle. Der dem Anhörungsschreiben beigefügte Antrag vom 3. Mai 1995 an die Hauptfürsorgestelle zeige, daß die Beklagte davon ausgegangen sei, der Kläger sei zur Erbringung der vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung nicht mehr in der Lage. Die Beklagte hätte den Betriebsrat wegen der Einlassungen des Klägers vor der Hauptfürsorgestelle am 30. Mai 1995, wonach er in der Vergangenheit aufgrund einer Fehldiagnose nicht sachgerecht behandelt worden sei, während er nun mit großem Erfolg behandelt werde, erneut anhören müssen, zumal der Kläger am 26. Oktober 1995 seine Tätigkeit wieder aufgenommen habe. Wegen der Unwirksamkeit der Kündigung sei die Beklagte auch verpflichtet, den Kläger für die Dauer des Kündigungsschutzprozesses weiterzubeschäftigen.
II. Dem folgt der Senat nicht. Das angegriffene Urteil überspannt die aus § 102 Abs. 1 BetrVG abzuleitenden Anforderungen an die Anhörung des Betriebsrats.
1. Im Ausgangspunkt zutreffend hat das Landesarbeitsgericht angenommen, bei zunächst ordnungsgemäßer Anhörung des Betriebsrats werde eine Wiederholung des Anhörungsverfahrens dann erforderlich, wenn sich inzwischen noch vor Ausspruch der Kündigung der Sachverhalt, auf den die Kündigung gestützt werden soll, wesentlich geändert habe (BAG Urteil vom 26. Mai 1977 – 2 AZR 201/76 – AP Nr. 14 zu § 102 BetrVG 1972; Urteil vom 1.April 1981 – 7 AZR 1003/78 – BAGE 35, 190 = AP Nr. 23 zu § 102 BetrVG 1972; Urteil vom 18. Mai 1994 – 2 AZR 626/93 – AP Nr. 3 zu § 108 BPersVG). Das Landesarbeitsgericht hat jedoch, wie die Revision mit Recht rügt, nicht ausreichend beachtet, daß es insoweit nach dem Grundsatz der subjektiven Determination der Anhörung auf diejenigen Umstände ankommt, die die Kündigung aus der Sicht des Arbeitgebers tragen (st. Rspr.; so im Grunde auch schon BAG Urteil vom 26. Mai 1977, aaO; vgl. ferner BAGE 59, 295 = AP Nr. 49 zu § 102 BetrVG 1972; Senatsurteil vom 11.Juli 1991 – 2 AZR 119/91 – AP Nr. 57 zu § 102 BetrVG 1972). Weder das Vorbringen des Klägers am 30. Mai 1995 vor der Hauptfürsorgestelle noch dessen Arbeitsaufnahme am 26. Oktober 1995 stellten solche Umstände dar. Die Beklagte wollte ihre Kündigung auf die krankheitsbedingten Fehlzeiten des Klägers in der Vergangenheit, ihre daraus abgeleitete negative Prognose und die mit den Krankheitszeiten verbundenen finanziellen Belastungen durch Lohnfortzahlung und Kosten für den den Kläger bei Krankheit vertretenden Arbeitnehmer K stützen. Dies hatte sie dem Betriebsrat bei der Anhörung mitgeteilt. An den von der Beklagten für maßgeblich erachteten Umständen hatte weder das Vorbringen des Klägers vor der Hauptfürsorgestelle noch seine Arbeitsaufnahme kurz vor Ausspruch der streitigen Kündigung etwas geändert.
Allerdings gehört zu einer vollständigen und wahrheitsgemäßen Information des Betriebsrats auch die Unterrichtung über dem Arbeitgeber bekannte und von diesem als für eine Stellungnahme des Betriebsrats möglicherweise bedeutsam erkannte Tatsachen, die den Arbeitnehmer entlasten und gegen den Ausspruch einer Kündigung sprechen (BAG Urteile vom 22. September 1994 – 2 AZR 31/94 – AP Nr.68 zu § 102 BetrVG 1972 und vom 6. Februar 1997 – 2 AZR 265/96 – AP Nr. 85 zu § 102 BetrVG 1972). Zum einen ist aber schon nicht ersichtlich, daß die Beklagte dem Vorbringen des Klägers vor der Hauptfürsorgestelle am 30.Mai 1995 eine solche Bedeutung zumaß. Die Revision weist zutreffend darauf hin, es habe sich lediglich um Behauptungen und Meinungen des Klägers gehandelt, für deren Richtigkeit keine der Beklagten bekannten objektiven Umstände sprachen. Vor dem Hintergrund der langjährigen erheblichen Fehlzeiten des Klägers ist es ohne weiteres nachvollziehbar und glaubhaft, daß die Beklagte die Äußerungen des Klägers für Wunschdenken hielt und ihnen keinen für ihre Kündigungsabsicht, aber auch für die Meinungsbildung des Betriebsrats relevanten tatsächlichen Gehalt beimaß, zumal sie das Gutachten des Dr. H nur in dem für den Kläger negativen Ergebnis, nicht aber dem gesamten Inhalt nach kannte und die Arbeitsaufnahme des Klägers erst nahezu fünf Monate nach den entsprechenden Angaben des Klägers erfolgte. Zum anderen ergibt sich aus dem Betriebsratswiderspruch vom 9. Mai 1995 unstreitig, daß dem Betriebsrat die Aussagen des Klägers bekannt waren, zwischenzeitlich durchgeführte Heilmaßnahmen hätten seine Bewegungsfähigkeit verbessert, ständige Gymnastik führe zu einer Stabilisierung seines Gesundheitszustandes.
Auch aus diesem Grund brauchte die Beklagte die Einlassungen des Klägers vor der Hauptfürsorgestelle nicht als Umstand anzusehen, der die Sachlage wesentlich änderte und zu einer Wiederholung der Betriebsratsanhörung zwang.
Entsprechendes gilt, wie die Revision mit Recht ausführt, für die Wiederaufnahme der Arbeit durch den Kläger am 26.Oktober 1995. Der Kläger war auch in den Jahren zuvor nicht durchgehend krank, sondern zwischendurch immer wieder einmal arbeitsfähig. Aus dem Umstand der Arbeitsaufnahme brauchte die Beklage deshalb nicht zu schließen, an der Krankheitsanfälligkeit des Klägers habe sich etwas geändert, und es besteht auch kein Anhaltspunkt dafür, daß die Beklagte einen solchen Schluß gezogen hätte. Da die Beklagte dem Betriebsrat die früheren Arbeitsunfähigkeitszeiten des Klägers und die Lohnfortzahlungskosten im einzelnen mitgeteilt hatte, läßt allein die Begründung des Antrags an die Hauptfürsorgestelle nicht eindeutig erkennen, die Beklagte sei von dauerhafter Arbeitsunfähigkeit des Klägers ausgegangen. Selbst wenn die Beklagte aber ursprünglich davon ausgegangen wäre, der Kläger werde seine Arbeit wohl überhaupt nicht mehr aufnehmen können, läge keine wesentliche Änderung des Sachverhalts vor. Eine Prognose ist ihrer Natur nach mit Unsicherheit belastet. Die Krankheitszeiten der vergangenen Jahre hatte die Beklagte dem Betriebsrat mitgeteilt. Der Betriebsrat wußte danach, daß schon bisher lange Krankheitszeiten des Klägers immer wieder durch kürzere Zeiten der Arbeitsfähigkeit unterbrochen worden waren. Der Betriebsrat konnte sich somit auch hinsichtlich der anzustellenden Prognose ein Bild machen. Mehr verlangt § 102 Abs. 1 BetrVG nicht, insbesondere war die Beklagte nach dieser Vorschrift nicht gehalten, den dem Betriebsrat mitgeteilten Kündigungssachverhalt eindeutig einem der von der Rechtsprechung entwickelten Typen einer krankheitsbedingten Kündigung zuzuordnen. Die bloße „Reduzierung“ einer Prognose dauerhafter Arbeitsunfähigkeit auf eine solche erheblicher krankheitsbedingter Fehlzeiten auf unabsehbare Zeit stellte – so sie überhaupt erfolgte – keine w e s e n t l i c h e Sachverhaltsänderung dar, die eine wiederholte Betriebsratsanhörung erfordert hätte.
2. Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, es fehle an einer ordnungsgemäßen Betriebsratsanhörung, erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 563 ZPO).
Entgegen der Ansicht des Klägers fehlt es für die streitige Kündigung nicht schon deshalb an einer ordnungsgemäßen Betriebsratsanhörung, weil dem Betriebsrat als Kündigungstermin der 30. September 1995 genannt worden war, die Kündigung tatsächlich aber erst zum 31. März 1996 ausgesprochen wurde.
In welchen Fällen die Angabe des Kündigungstermins zu den notwendigen Mitteilungen i.S. von § 102 Abs. 1 BetrVG gehört, ist nicht abschließend geklärt (vgl. die Rechtsprechungs- und Literaturnachweise im Senatsurteil vom 29. März 1990 – 2 AZR 420/89 – AP Nr. 56 zu § 102 BetrVG 1972, zu II 2 a der Gründe und bei KR-Etzel, 4.Aufl., § 102 BetrVG Rz 59). In dem letztgenannten Urteil hat der Senat maßgeblich auf die Angabe der Kündigungsfrist und letztlich darauf abgestellt, daß der Betriebsrat die Tragweite der geplanten personellen Maßnahme erkennen können muß. Die Angabe der Kündigungsfrist ist allerdings entbehrlich, wenn sie dem Betriebsrat bekannt ist (BAG, aaO, zu 2 b aa der Gründe, m.w.N.), etwa weil der zu einer beabsichtigten ordentlichen Kündigung angehörte Betriebsrat die im Betrieb angewendeten tariflichen Kündigungsfristen kennt (vgl. BAG Urteil vom 15. Dezember 1994 – 2 AZR 327/94 – AP Nr. 67 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung, zu B I 3 b (3) der Gründe; KR-Etzel, aaO). Von einer solchen Kenntnis des Betriebsrats ist vorliegend auszugehen und geht ersichtlich auch der Kläger aus.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (Urteil vom 18. Mai 1994 – 2 AZR 626/93 – AP Nr. 3 zu § 108 BPersVG, zu II 2 a der Gründe, m.w.N.), an der der Senat festhält, kann bei der Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Schwerbehinderten die Anhörung des Betriebsrats auch schon vor der Durchführung des Zustimmungsverfahrens bei der Hauptfürsorgestelle erfolgen. In diesem Fall kann der Arbeitgeber dem Betriebsrat keinen sicheren Kündigungstermin nennen. Es genügt in der Regel, daß er den Betriebsrat auf die einzuholende Zustimmung hinweist. In dem Hinweis liegt die konkludente Erklärung, die Kündigung solle alsbald nach der Erteilung der Zustimmung zum nächstmöglichen Termin erfolgen (vgl. KR-Etzel, aaO, Rz 60).
Vorliegend hatte die Beklagte den Betriebsrat im Zuge der Anhörung von der einzuholenden Zustimmung der Hauptfürsorgestelle in Kenntnis gesetzt. Beim Betriebsrat konnte kein Zweifel darüber bestehen, daß der im Anhörungsschreiben genannte Kündigungstermin lediglich ein prognostizierter, nicht aber ein sicherer Termin war. Die Absicht, alsbald nach Erteilung der Zustimmung der Hauptfürsorgestelle mit der dem Betriebsrat bekannten Kündigungsfrist zu kündigen, hat die Beklagte verwirklicht. Daß sich das Zustimmungsverfahren bei der Hauptfürsorgestelle länger hinzog, als die Beklagte zunächst geschätzt hatte, führte für sich genommen nicht dazu, daß der Betriebsrat erneut beteiligt werden mußte (BAG, aaO; KR-Etzel, aaO). Eine erneute Anhörung des Betriebsrats wäre nur dann erforderlich gewesen, wenn wegen der Dauer des Zustimmungsverfahrens die ursprüngliche Einschätzung der Tragweite der beabsichtigten Kündigung nicht mehr zutreffend gewesen wäre, d.h. wenn sich inzwischen der Sachverhalt im übrigen wesentlich geändert hätte (BAG, aaO). Letzteres war hier jedoch, wie oben zu 1. dargelegt, aus der für die Anhörung des Betriebsrats maßgeblichen Sicht der Beklagten nicht der Fall.
3. Der Senat konnte mangels ausreichender Tatsachenfeststellungen im angegriffenen Urteil nicht in der Sache selbst entscheiden. Der Kläger hat zutreffend darauf hingewiesen, er habe die im Gutachten von Dr. H angenommene hypochondrische Ausgangslage unter Beweisantritt in Abrede gestellt und vorgetragen, der objektive Befund im übrigen habe im Kündigungszeitpunkt keine negative Prognose hinsichtlich künftiger Arbeitsunfähigkeitszeiten erlaubt. Das Landesarbeitsgericht wird deshalb den für die Prognoseerstellung im Kündigungszeitpunkt maßgeblichen Sachverhalt weiter aufzuklären haben. Sollte sich dabei allerdings die Berechtigung einer negativen Zukunftsprognose bestätigen, dürfte die Annahme des Arbeitsgerichts, die streitige Kündigung sei gem. § 1 KSchG sozial gerechtfertigt, nicht zu beanstanden sein.
Etzel Bröhl Etzel
Fischermeier ist wegen Krankheit an der
Unterschrift verhindert.
Röder Beckerle
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Vorinstanzen: LAG Stuttgart, 22.04.1997, 7 Sa 92/96; ArbG Stuttgart 14.05.1996, 20 Ca 2416/95