BAG – 6 AZR 40/17

ECLI:DE:BAG:2019:110719.U.6AZR40.17.0
NZA 2019, 1528    NZA-RR 2019, 590    ZTR 2019, 643

Bindung eines nichtkirchlichen Betriebserwerbers an arbeitsvertragliche dynamische Verweisung auf kirchliche Arbeitsrechtsregelungen – keine Abänderung durch Betriebsvereinbarung

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 11.07.2019, 6 AZR 40/17

Tenor

  1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 15. Dezember 2016 – 5 Sa 167/15 – wird zurückgewiesen.
  2. Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.

 

Tatbestand

6 AZR 40/17 > Rn 1

Die Parteien streiten über Vergütungsansprüche der Klägerin nach einem Betriebsübergang.

6 AZR 40/17 > Rn 2

Die Klägerin ist seit dem 1. September 1986 im Krankenhaus An als Krankenschwester beschäftigt. Am 20. April 1993 schloss sie mit der L-Hospital gGmbH als ihrer damaligen Arbeitgeberin einen Änderungsvertrag. Die L-Hospital gGmbH war Mitglied des Diakonischen Werkes der Evangelischen Kirche. Der Änderungsvertrag lautet auszugsweise wie folgt:

„Diakonie ist Wesens- und Lebensäußerung der Evangelischen Kirche. Die Evangelische Kirche nimmt ihre diakonischen Aufgaben durch das Diakonische Werk wahr. Die oben genannte Einrichtung ist dem Diakonischen Werk angeschlossen. Sie dient der Verwirklichung des gemeinsamen Werkes christlicher Nächstenliebe. Alle Mitarbeiter dieser Einrichtung leisten deshalb ihren Dienst in Anerkennung dieser Zielsetzung und bilden ohne Rücksicht auf ihre Tätigkeit und Stellung eine Dienstgemeinschaft.

Auf dieser Grundlage wird der nachstehende Vertrag geschlossen:

§ 2

Für das Dienstverhältnis gelten die Arbeitsvertragsrichtlinien des Diakonischen Werkes der Evangelischen Kirche in Deutschland (AVR) in der jeweils gültigen Fassung. Sie sind als Anlage beigefügt.

…“

6 AZR 40/17 > Rn 3

Die L-Hospital gGmbH gründete später mit der C Diakoniewerk gGmbH, die ein Krankenhaus in U betrieb, die beklagte Gesellschaft. Diese firmierte damals als „Kliniken An-U g.GmbH“ und trat dem Diakonischen Werk in der Pommerschen Evangelischen Kirche bei. Sie übernahm zum 1. April 2003 die beiden Krankenhäuser im Wege eines Betriebsübergangs. In einem mit den übertragenden Gesellschaften und den dort gebildeten Mitarbeitervertretungen geschlossenen Personalüberleitungsvertrag heißt es ua.:

„Personalüberleitungsvertrag

§ 2

Eintritt in die Dienst- und Arbeitsverträge sowie sonstige Regelungen

1. Die Gesellschaft tritt anstelle der C Diakoniewerk U g.GmbH und der L Hospital An g.GmbH in alle Dienstverträge mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ein, die am Stichtag in der C Diakoniewerk U g.GmbH und in der L Hospital An g.GmbH beschäftigt sind. …

7. Die Gesellschaft ist kein Tendenzbetrieb im Sinne des § 118 BetrVG. Ab dem Stichtag findet in der Gesellschaft das BetrVG in der jeweils gültigen Fassung Anwendung.

8. Die bestehende Mitarbeitervertretung übt das Übergangsmandat nach § 7 MVG – EKD aus, längstens jedoch bis 6 Monate nach dem Stichtag. Innerhalb dieser Zeit sind in der Gesellschaft Betriebsratswahlen nach dem BetrVG vorzubereiten und durchzuführen. Dazu wird die Mitarbeitervertretung der C Diakoniewerk g.GmbH einen Wahlvorstand berufen, der die Wahl vorbereitet und durchführt.

§ 4

Stichtag

Stichtag im Sinne dieses Vertrages ist der 01.04.2003.

…“

6 AZR 40/17 > Rn 4

Ab dem Zeitpunkt des Betriebsübergangs wandte die Beklagte die Arbeitsvertragsrichtlinien des Diakonischen Werkes der Evangelischen Kirche in Deutschland (AVR-DW EKD) in der seit dem 1. Januar 2002 geltenden Fassung nur noch statisch an.

6 AZR 40/17 > Rn 5

Am 15. Oktober 2006 schloss die Beklagte mit dem zwischenzeitlich gebildeten Betriebsrat die folgende Vereinbarung (Vereinbarung I):

„Betriebsvereinbarung zur Regelung der Vergütungsstruktur im A Diakonie-Klinikum

§ 1

AUSGANGSSITUATION

Das A Diakonie-Klinikum ist nicht tarifgebunden. Mit den Mitarbeitenden bestehen Dienstverträge, die überwiegend auf die Allgemeinen Vertragsrichtlinien (AVR) des Diakonischen Werkes verweisen. Auf die AVR verweisen im Wesentlichen die Dienstverträge, die vor dem 01.04.2003 abgeschlossen wurden. Seit dem 01.04.2003 gelten die AVR statisch, d.h. in der Fassung vom 01.01.2002. Anstellungen ab 01.04.2003 enthalten im Regelfall keinen Verweis auf die AVR.

§ 2

GELTUNGSBEREICH

Diese Betriebsvereinbarung gilt für alle Mitarbeitenden des A Diakonie-Klinikum. Den Betriebsparteien ist bewusst, dass es zur Umsetzung dieser Betriebsvereinbarung der Mitwirkung der Mitarbeitenden bedarf.

§ 4

GEGENSTAND DER BETRIEBSVEREINBARUNG

Die Betriebsparteien kommen überein, dass die bisherige monatliche Vergütung unverändert für alle Mitarbeitenden bestehen bleibt. Für keinen der Mitarbeitenden verringert sich die monatliche Vergütung aufgrund dieser Betriebsvereinbarung.

Jährliche Einmalzahlungen werden dahingehend angepasst, dass an alle Mitarbeitenden mit AVR-Verträgen im Dezember 2006 einmalig 400,- Euro brutto zu leisten ist.

… Vereinbarungen hinsichtlich der Gewährung einer Zuwendung nach Anlage 14 AVR und der Zahlung von Urlaubsgeld werden durch Nebenabrede mit den Mitarbeitenden für die Laufzeit dieser Betriebsvereinbarung ausgesetzt.

Mitarbeiter mit AVR-Verträgen, die diese Nebenabrede unterschreiben, erhalten ab 01.01.2007 zusätzlich zur monatlichen Vergütung 75,- Euro brutto pro Monat. …

Mitarbeitende mit AVR-Verträgen erhalten ab 01.01.2008 eine 1 % Erhöhung und ab 01.01.2009 eine weitere 1 % Erhöhung der monatlichen Grundvergütung und des OZ-Grundbetrages. …

§ 5

GELTUNGSDAUER

Diese Betriebsvereinbarung tritt in Kraft, wenn 85 % der Mitarbeitenden mit AVR-Verträgen eine entsprechende Nebenabrede (dieser Betriebsvereinbarung als Anlage 1 beigefügt – Muster) bis zum 17.11.2006 unterschrieben haben, dann allerdings mit Wirkung zum 01.11.2006 ggf. rückwirkend auf diesen Zeitpunkt. Die Betriebsvereinbarung ist gültig bis zum 31.12.2009 und entfaltet keine Nachwirkung.

…“

6 AZR 40/17 > Rn 6

Unter Bezugnahme auf diese Regelung vereinbarten die Parteien am 27. Oktober/15. November 2006 wie mehr als 85 % der „Mitarbeitenden mit AVR-Verträgen“ eine entsprechende Nebenabrede (Nebenabrede I). Deren Geltung war bis zum 31. Dezember 2009 befristet.

6 AZR 40/17 > Rn 7

Am 4. Dezember 2009 schloss die Beklagte mit dem Betriebsrat folgende Vereinbarung (Vereinbarung II):

„Vereinbarung zur Regelung der Vergütung

der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der

Kliniken An-U g.GmbH

§ 1

AUSGANGSSITUATION

Die Kliniken An-U g.GmbH ist nicht tarifgebunden. Mit Betriebsvereinbarung vom 15.10.2006 wurden u.a. Vergütungsfragen geregelt.

§ 2

GELTUNGSBEREICH

Der Inhalt dieser Vereinbarung wird von der Geschäftsführung durch eine Nebenabrede zu den bestehenden Dienstverträgen mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern umgesetzt. Die Regelung gilt ausdrücklich für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Kliniken An-U g.GmbH, die die bisherige Regelung gemäß der Betriebsvereinbarung vom 15.10.2006 akzeptiert haben (ausdrücklich oder stillschweigend). Der Betriebsrat wird die Geschäftsführung bei der Umsetzung unterstützen. Diese Regelungsabrede soll ab dem 01.01.2010 gelten.

§ 3

GEGENSTAND DER VEREINBARUNG

Um den Bestand der Einrichtung und der Arbeitsplätze zu sichern, sollen die nachfolgenden zukünftigen Arbeitsbedingungen gelten.

Im Zusammenhang mit der Vereinbarung wird die Geschäftsführung den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eine Nebenabrede (Anlage 1) zum bestehenden Dienstvertrag anbieten, um die Umsetzung dieser Vereinbarung zu gewährleisten.

Mit In-Kraft-Treten dieser Regelungsabrede wird für den Zeitraum bis zum 31.12.2012 den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mit AVR-Verträgen zugesichert, dass deren Arbeitsverhältnisse nicht durch betriebsbedingte Beendigungskündigungen vor dem 31.12.2012 gekündigt werden.

Die Betriebsparteien kommen überein, dass hinsichtlich der Vergütung die Regelungsabrede vom 15.10.2006 auch weiterhin gelten soll, d.h., die monatliche Vergütung – Stand Dezember 2009 – soll fortgelten und ist Ausgangsbasis für die nachfolgenden Erhöhungen. Zuwendung nach Anlage 14 AVR und Urlaubsgeld sind für die Geltungsdauer dieser Vereinbarung, einschließlich einer eventuellen Nachwirkung, aufgehoben.

Die Betriebsparteien haben sich auf folgende Steigerungsraten für alle Mitarbeiter auf die derzeitige monatliche Grundvergütung, den Ortszuschlag und die Allgemeine Zulage sowie die vereinbarten, bisherigen Steigerungsraten gemäß der Betriebsvereinbarung vom 15.10.2006 bzw. den Festbetrag (jeweils Stand Dezember 2009) verständigt:

○ ab 01.01.2010 um EURO 50,– monatlich sowie ab 01.07.2010 um weitere EURO 50,– …

○ zusätzlich zum 01.01.2011 und zum 01.01.2012 um jeweils 1 %

§ 4

GELTUNGSDAUER

Diese Vereinbarung tritt in Kraft, wenn mindestens 80 % der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit ‚AVR-Verträgen‘ der Kliniken An-U g.GmbH diese Vereinbarung akzeptieren. Mit Erreichen dieser Quote gilt diese Vereinbarung dann allerdings für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gemäß Geltungsbereich und ist dann gültig bis zum 31.12.2012 und entfaltet danach Nachwirkung, ausgenommen von der Nachwirkung ist die Regelung zum Kündigungsschutz.

…“

6 AZR 40/17 > Rn 8

Vor diesem Hintergrund trafen die Parteien unter dem 4./16. Dezember 2009 folgende Nebenabrede (Nebenabrede II):

„NEBENABREDE

ZUM BESTEHENDEN DIENSTVERTRAG

Der mit dem Mitarbeiter abgeschlossene Dienstvertrag wird wie folgt mit Wirkung vom 01.01.2010 bis zum 31.12.2012 ergänzt:

○ Die dem Mitarbeiter gemäß der Regelungsabrede vom 15.10.2006 zustehende monatliche fixe Vergütung (Grundvergütung, Ortszuschlag und allgemeine Zulagen sowie die bisherigen Steigerungen gemäß der Betriebsvereinbarung vom 15.10.2006) – Stand Dezember 2009 – wird dauerhaft statisch vereinbart. Zuwendung nach Anlage 14 AVR und Urlaubsgeld sind für die Geltungsdauer dieser Nebenabrede aufgehoben.

○ Zusätzlich werden folgende Steigerungsraten vereinbart:

▪ ab 01.01.2010 um Euro 50,– monatlich sowie ab 01.07.2010 um Euro 50,– monatlich (bei unter 35 Stunden jeweils zeitanteilig, bei 35 Stunden ist von 100 % auszugehen)

▪ zusätzlich zum 01.01.2011 und zum 01.01.2012 wird die erreichte Vergütung (Grundvergütung, Ortszuschlag und Allgemeine Zulage sowie die vereinbarten Steigerungsraten) um jeweils 1 % erhöht.

○ Die derzeitige vereinbarte Stundenzahl bleibt hiervon unberührt.

○ Des Weiteren werden folgende Ansprüche der Mitarbeiter in einer Betriebsvereinbarung geregelt:

▪ jährlich einen zusätzlichen Urlaubstag, wenn die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter pro Kalenderjahr weniger als 5 Tage krankheitsbedingt abwesend sind;

▪ sofern Sie Ihre Kinder in der A Kindertagesstätte ‚M‘ betreuen lassen, erhalten Sie auf den Elternbeitrag eine Ermäßigung von 20 %;

▪ im Falle einer stationären Behandlung im A Diakonie-Klinikum erstattet der Arbeitgeber die gesetzliche Zuzahlung des Mitarbeiters und dessen Familienangehörigen bei Krankenhausaufenthalt in voller Höhe.

○ Diese Nebenabrede ist bis zum 31.12.2012 gültig. Im Falle der Nachwirkung verlängert sich diese Nebenabrede um die Nachwirkungszeit der zwischen den Betriebsparteien vereinbarten Regelung zur Vergütung vom 04.12.2009.

Diese Vereinbarung wird wirksam, wenn mindestens 80 % der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit ‚AVR-Verträgen‘ der Kliniken An-U g.GmbH diese Vereinbarung akzeptieren.

…“

6 AZR 40/17 > Rn 9

Insgesamt nahmen mehr als 80 % der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter „mit AVR-Verträgen“ das Angebot der Beklagten an.

6 AZR 40/17 > Rn 10

Im Jahr 2010 trat die Beklagte aus dem Diakonischen Werk aus.

6 AZR 40/17 > Rn 11

Für die Zeit ab dem 1. Januar 2013 vereinbarten die Parteien keine weitere Vertragsänderung. Die Klägerin lehnte diesbezügliche Angebote der Beklagten ab. Zwischen den Parteien blieb streitig, ob zumindest eines der Angebote auf der Grundlage einer die Vereinbarung II ablösenden Vereinbarung zwischen der Beklagten und dem neu konstituierten Betriebsrat erfolgte.

6 AZR 40/17 > Rn 12

Die Klägerin erhielt für die Zeit ab Januar 2013 eine Vergütung nach Vergütungsgruppe K6 Stufe 9 AVR-DW EKD in der am 31. Dezember 2012 geleisteten Höhe. Die Vergütungsgruppe K6 Stufe 9 existiert in dem seit dem 1. Oktober 2012 geltenden Vergütungssystem der AVR-DW EKD nicht mehr. Die Beklagte bringt diese Vergütungsgruppe jedoch wegen der von ihr angenommenen statischen Geltung der AVR-DW EKD auch weiterhin zur Anwendung.

6 AZR 40/17 > Rn 13

Mit ihrer der Beklagten am 28. März 2013 zugestellten Klage hat die Klägerin für die Zeit ab dem 1. Januar 2013 eine Vergütung nach der nunmehr maßgeblichen Entgeltgruppe der AVR-DW EKD verlangt. Nach dem Auslaufen der Nebenabrede II zum 31. Dezember 2012 seien die AVR-DW EKD, welche am 23. Januar 2014 in Arbeitsvertragsrichtlinien der Diakonie Deutschland (AVR-DD) umbenannt wurden, entsprechend der Vereinbarung in § 2 des Arbeitsvertrags vom 20. April 1993 wieder uneingeschränkt anzuwenden. Wegen der vereinbarten Dynamik habe sie Anspruch auf die aktuelle und künftige Vergütung nach Entgeltgruppe 7 Erfahrungsstufe 2 AVR-DW EKD bzw. AVR-DD. Der zum 1. April 2003 erfolgte Betriebsübergang habe die arbeitsvertragliche Vergütungsvereinbarung nicht abgeändert. Die Nebenabreden I und II seien jeweils befristet gewesen. Die in der Nebenabrede II getroffene Nachwirkungsvereinbarung halte einer Inhaltskontrolle nach dem Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen nicht stand.

6 AZR 40/17 > Rn 14

Die Klägerin hat im Berufungsverfahren zuletzt beantragt

1.
festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin ab dem 1. Januar 2013 Vergütung nach der Entgeltgruppe 7 Erfahrungsstufe 2 der Arbeitsvertragsrichtlinien des Diakonischen Werkes der Evangelischen Kirche in Deutschland in der jeweils gültigen Fassung zu zahlen,

2.
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin rückständige Vergütung für die Monate Januar 2013 bis Januar 2015 einschließlich der Jahressonderzahlungen in Höhe von insgesamt 11.827,33 Euro brutto zuzüglich Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

6 AZR 40/17 > Rn 15

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Die AVR-DW EKD seien nach dem Betriebsübergang im Jahr 2003 nur noch statisch anwendbar. Jedenfalls sei mit der Nebenabrede II ausdrücklich eine dauerhaft statische Geltung der AVR-DW EKD mit Nachwirkung über den 31. Dezember 2012 hinaus vereinbart worden. Selbst wenn die AVR-DW EKD bzw. AVR-DD ab dem 1. Januar 2013 wieder dynamisch gelten sollten, seien Vergütungssteigerungen nur ausgehend von der bis zum 31. Dezember 2012 maßgeblichen Vergütung zu berechnen. Die bis zu diesem Zeitpunkt unstreitig geltenden Nebenabreden hätten einen Verzicht auf weiter gehende Entgeltsteigerungen beinhaltet, welcher nicht rückwirkend entfalle.

6 AZR 40/17 > Rn 16

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat dieses Urteil auf die Berufung der Klägerin abgeändert und der Klage stattgegeben. Mit ihrer vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung. Zur Begründung hat sie sich im Revisionsverfahren ergänzend darauf berufen, die Vereinbarung II sei eine Betriebsvereinbarung, welche die formularmäßige Inbezugnahme der AVR-DW EKD bzw. AVR-DD abgelöst habe. Die vertragliche Vereinbarung sei konkludent betriebsvereinbarungsoffen.

6 AZR 40/17 > Rn 17

In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat die Klägerin mit Zustimmung der Beklagten die Feststellungsklage zurückgenommen, soweit sie sich bezogen auf den Zeitraum vor dem 1. Februar 2015 mit der Leistungsklage überschnitten hat. Zudem haben die Parteien unstreitig gestellt, dass die Klägerin die Voraussetzungen der Erfahrungsstufe 2 ihrer Entgeltgruppe erfüllt.

 

 

Entscheidungsgründe

6 AZR 40/17 > Rn 18

Die Revision ist unbegründet. Die Klage ist in dem noch rechtshängigen Umfang zulässig und begründet. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend erkannt, dass die Klägerin seit dem 1. Januar 2013 eine Vergütung nach Entgeltgruppe 7 Erfahrungsstufe 2 AVR-DW EKD bzw. AVR-DD verlangen kann.

6 AZR 40/17 > Rn 19

1. Die Vergütung der Klägerin bestimmt sich seit dem 1. Januar 2013 gemäß der dynamischen Verweisung in § 2 des Arbeitsvertrags vom 20. April 1993 wieder nach den AVR-DW EKD bzw. AVR-DD in der jeweils gültigen Fassung. Eine dynamische Verweisung auf kirchliche Arbeitsrechtsregelungen gilt auch nach einem Betriebsübergang auf einen weltlichen Erwerber gemäß § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB weiter. Die nach der Nebenabrede II zum 31. Dezember 2012 maßgebliche Vergütungshöhe ist nicht Ausgangsbasis für die seit dem 1. Januar 2013 vorzunehmende Dynamisierung des Entgelts. Die Geltung der Nebenabrede II hat mit Ablauf des 31. Dezember 2012 ohne Nachwirkung geendet. Dies hat der Senat mit seinem Urteil vom 21. Juni 2018 – 6 AZR 38/17 – bereits entschieden (zustimmend Bachmann Anm. PflR 2019, 98; Rasche Anm. öAT 2018, 235; kritisch Haußmann Anm. ArbRAktuell 2018, 554; vgl. auch BAG 23. November 2017 – 6 AZR 683/16 – Rn. 27 f., BAGE 161, 111). Auf die Begründung der Entscheidung – 6 AZR 38/17 – (vgl. dort Rn. 27 ff.) wird verwiesen.

6 AZR 40/17 > Rn 20

2. Der Vortrag der Beklagten im vorliegenden Revisionsverfahren veranlasst keine Änderung dieser Rechtsprechung. Die Beklagte hat hiergegen nur eine vermeintliche Betriebsvereinbarungsoffenheit des Formulararbeitsvertrags vom 20. April 1993 einschließlich der Inbezugnahme der AVR-DW EKD bzw. AVR-DD angeführt und die Auffassung vertreten, die Vereinbarung II habe als Betriebsvereinbarung zur Ablösung dieser vertraglichen Regelung geführt. Dies ist unzutreffend. Der Arbeitsvertrag der Klägerin vom 20. April 1993 ist weder ausdrücklich noch konkludent betriebsvereinbarungsoffen. Der Übergang auf die Beklagte hat daran nichts geändert.

6 AZR 40/17 > Rn 21

a) Im Arbeitsverhältnis mit einem weltlichen Arbeitgeber können die Arbeitsvertragsparteien ihre vertraglichen Absprachen dahingehend gestalten, dass sie einer Abänderung durch betriebliche Normen unterliegen. Eine solche Vereinbarung kann ausdrücklich oder bei entsprechenden Begleitumständen konkludent erfolgen und ist namentlich bei betrieblichen Einheitsregelungen und Gesamtzusagen möglich. Hiervon ist regelmäßig auszugehen, wenn der Vertragsgegenstand in Allgemeinen Geschäftsbedingungen enthalten ist und einen kollektiven Bezug hat. Mit deren Verwendung macht der Arbeitgeber für den Arbeitnehmer erkennbar deutlich, dass im Betrieb einheitliche Vertragsbedingungen gelten sollen. Im Anwendungsbereich des Betriebsverfassungsgesetzes stünde dem eine betriebsvereinbarungsfeste Gestaltung der Arbeitsbedingungen entgegen. Da Allgemeine Geschäftsbedingungen ebenso wie Bestimmungen in einer Betriebsvereinbarung auf eine Vereinheitlichung der Regelungsgegenstände gerichtet sind, kann aus Sicht eines verständigen und redlichen Arbeitnehmers nicht zweifelhaft sein, dass es sich bei den vom Arbeitgeber gestellten Arbeitsbedingungen um solche handelt, die einer, möglicherweise auch verschlechternden, Änderung durch Betriebsvereinbarung zugänglich sind. Insoweit ist es eine Besonderheit des weltlichen Arbeitsrechts, dass die Arbeitsbedingungen ua. auch durch normativ wirkende Betriebsvereinbarungen unmittelbar und zwingend dynamisch ausgestaltet werden. Etwas anderes gilt nur dann, wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer ausdrücklich Vertragsbedingungen vereinbaren, die unabhängig von einer für den Betrieb geltenden normativen Regelung Anwendung finden sollen (BAG 30. Januar 2019 – 5 AZR 450/17 – Rn. 60 ff. mwN auch zu abweichenden Ansichten; 24. Oktober 2017 – 1 AZR 846/15 – Rn. 18; 5. März 2013 – 1 AZR 417/12 – Rn. 60; zu Versorgungszusagen vgl.: BAG 11. Dezember 2018 – 3 AZR 380/17 – Rn. 64 ff.; 21. Februar 2017 – 3 AZR 542/15 – Rn. 34; kritisch BAG 11. April 2018 – 4 AZR 119/17 – Rn. 48 ff., BAGE 162, 293).

6 AZR 40/17 > Rn 22

b) Ein mit einem kirchlichen Träger geschlossener Arbeitsvertrag, der formularmäßig kirchliches Arbeitsrecht in Bezug nimmt, ist hingegen grundsätzlich nicht betriebsvereinbarungsoffen, weil das Betriebsverfassungsgesetz gemäß § 118 Abs. 2 BetrVG keine Anwendung auf Religionsgemeinschaften und ihre karitativen und erzieherischen Einrichtungen – unbeschadet deren Rechtsform – findet. Die vertraglich vereinbarten kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen wie die AVR-DW EKD bzw. AVR-DD haben zwar einen kollektiven Bezug, dieser besteht aber nicht hinsichtlich (abändernder) Betriebsvereinbarungen iSd. § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG. Bei den AVR handelt es sich um Kollektivvereinbarungen besonderer Art, in denen allgemeine Bedingungen für die Vertragsverhältnisse der Arbeitnehmer durch eine paritätisch zusammengesetzte Arbeitsrechtliche Kommission festgelegt werden (BAG 19. April 2012 – 6 AZR 677/10 – Rn. 23). Normative Wirkung entfalten sie nicht. In kollektiv-rechtlicher Hinsicht sind typischerweise über die Bezugnahme auf das kirchliche Arbeitsrecht die Regelungen des kirchlichen Mitarbeitervertretungsrechts einschließlich der auf dessen Grundlage geschlossenen Dienstvereinbarungen maßgeblich (vgl. BAG 22. März 2018 – 6 AZR 835/16 – Rn. 47, BAGE 162, 247). Ein kirchlicher Arbeitsvertrag ist daher vorbehaltlich anderer Vereinbarungen nur offen für rechtmäßige Änderungen durch kirchliche Dienstvereinbarungen, nicht aber durch Betriebsvereinbarungen.

6 AZR 40/17 > Rn 23

c) Dies gilt auch für den Arbeitsvertrag der Klägerin vom 20. April 1993. Es handelt sich zwar um einen Formulararbeitsvertrag, der Allgemeine Geschäftsbedingungen enthält. Der Arbeitsvertrag wurde jedoch ursprünglich zwischen der Klägerin und einem kirchlichen Träger geschlossen und nahm deshalb die AVR-DW EKD dynamisch in Bezug. Die Klägerin konnte daher von der Anwendbarkeit kirchlichen Arbeitsrechts ausgehen und musste nicht damit rechnen, dass in der Zukunft trotz bestehender Mitgliedschaft der Arbeitgeberin im Diakonischen Werk ein Betriebsrat etabliert wird und dieser abändernde Betriebsvereinbarungen abschließt. Ein anderes Vertragsverständnis wäre mit dem Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB nicht vereinbar (vgl. hierzu BAG 30. Januar 2019 – 5 AZR 450/17 – Rn. 66 ff.). Der Arbeitsvertrag lässt eine Betriebsvereinbarungsoffenheit nach einem Übergang auf einen weltlichen Erwerber nicht erkennen. Eine kollektiv-rechtliche Überlagerung des privatautonom Vereinbarten durch Betriebsvereinbarungen ist hier auch keine arbeitsrechtliche Besonderheit, die gemäß § 310 Abs. 4 Satz 2 BGB angemessen zu berücksichtigen wäre und dazu führte, dass der Arbeitsvertrag einschließlich einer Betriebsvereinbarungsoffenheit hinreichend klar und verständlich wäre. Im Gegenteil besteht bei kirchlichen Arbeitsverhältnissen – wie dargelegt – die Besonderheit, dass mit kirchlichen Arbeitgebern keine Betriebsvereinbarungen mit normativer Wirkung gemäß § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG abgeschlossen werden können.

6 AZR 40/17 > Rn 24

3. Es kann daher unentschieden bleiben, ob die Vereinbarung II eine gemäß § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG normativ wirkende Betriebsvereinbarung oder eine Regelungsabrede ist, der keine Normwirkung zukommt (vgl. hierzu Fitting 29. Aufl. § 77 Rn. 217 mwN). Für Letzteres spricht, dass die Parteien der Vereinbarung II diese in § 2 und § 3 ausdrücklich als Regelungsabrede bezeichnet haben und von einer Umsetzung der Vereinbarung durch Nebenabreden zu den bestehenden Dienstverträgen ausgingen. Nach § 4 der Vereinbarung II ist ihre Geltung allerdings für „alle“ Beschäftigten bei Erreichen einer Akzeptanzquote von mindestens 80 % vorgesehen. Die Vereinbarung II soll dann mit Nachwirkung gelten. Hieraus könnte geschlossen werden, dass die Parteien der Vereinbarung II deren normative Wirkung unter der aufschiebenden Bedingung des Erreichens der Zustimmungsquote sogar für die Beschäftigten wollten, welche bereits einer der Vereinbarung II entsprechenden vertraglichen Regelung zugestimmt hatten. Es bestehen aber erhebliche Bedenken, ob angesichts dieser Unsicherheit von dem wirksamen Abschluss einer Betriebsvereinbarung ausgegangen werden könnte, denn die Betriebspartner müssen ihren Willen zur Normsetzung hinreichend deutlich zum Ausdruck bringen (BAG 12. April 2017 – 7 AZR 446/15 – Rn. 32 f.; zum Gebot der Rechtsquellenklarheit vgl.: BAG 30. Januar 2019 – 5 AZR 450/17 – Rn. 90; 26. September 2017 – 1 AZR 717/15 – Rn. 40, BAGE 160, 237; zum Gebot der Normenklarheit vgl.: BAG 14. März 2019 – 6 AZR 339/18 – Rn. 34; 25. April 2013 – 6 AZR 800/11 – Rn. 18). Dies muss aus den genannten Gründen jedoch ebenso wenig entschieden werden wie die Fragen, ob bei der Beklagten zum Zeitpunkt des Abschlusses der Vereinbarung II überhaupt wirksam ein Betriebsrat gebildet war (vgl. BAG 21. Juni 2018 – 6 AZR 38/17 – Rn. 40) und ob die Vereinbarung II inhaltlich mit den Vorgaben des Betriebsverfassungsgesetzes vereinbar ist.

6 AZR 40/17 > Rn 25

4. Wegen der dynamischen Geltung der AVR-DW EKD bzw. AVR-DD seit dem 1. Januar 2013 ist sowohl die Feststellungs- als auch die Leistungsklage begründet. Die Klägerin kann als Krankenschwester nach § 12 Abs. 1 Satz 1 iVm. Anlage 1 AVR-DW EKD bzw. AVR-DD sowie der Überleitungsregelung zu § 15 AVR-DW EKD bzw. AVR-DD seit dem 1. Januar 2013 unstreitig eine Vergütung nach Entgeltgruppe 7 Erfahrungsstufe 2 AVR-DW EKD bzw. AVR-DD beanspruchen. Die mit der Leistungsklage geltend gemachten Differenzbeträge stehen ihrer Höhe nach ebenfalls nicht im Streit.

6 AZR 40/17 > Rn 26

5. Die Beklagte hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Revision zu tragen. Die Kostenentscheidung des Landesarbeitsgerichts ist trotz der teilweisen Klagerücknahme im Revisionsverfahren nach § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO im Ergebnis zutreffend (vgl. BGH 19. Oktober 1995 – III ZR 208/94 -).

 

Spelge       Heinkel       Krumbiegel

Wollensak       Steinbrück


Zusammenfassung:

(Orientierungssätze der Richterinnen und Richter des Bundesarbeitsgerichts)

1.
Die mit einem kirchlichen Arbeitgeber vereinbarte Inbezugnahme kirchlicher Arbeitsrechtsregelungen behält im Fall eines Betriebsübergangs als vertragliche Regelung gem. § 613 a I 1 BGB auch gegenüber einem weltlichen Betriebserwerber ihre Wirkung (Rn. 19).

2.
Im Anwendungsbereich des Betriebsverfassungsgesetzes ist regelmäßig davon auszugehen, dass ein Vertragsgegenstand einer möglicherweise auch verschlechternden Abänderung durch Betriebsvereinbarung unterliegt, wenn er in Allgemeinen Geschäftsbedingungen enthalten ist und einen kollektiven Bezug hat (so genannte „Betriebsvereinbarungsoffenheit“) (Rn. 21).

3.
Dies gilt jedoch nicht für Arbeitsverträge, die mit einem kirchlichen Träger geschlossen wurden, weil das Betriebsverfassungsgesetz gem. § 118 II BetrVG keine Anwendung auf Religionsgemeinschaften und ihre karitativen und erzieherischen Einrichtungen findet. Im kirchlichen Arbeitsverhältnis gelten vielmehr typischerweise die Regelungen des kirchlichen Mitarbeitervertretungsrechts einschließlich der auf dessen Grundlage geschlossenen Dienstvereinbarungen. Vorbehaltlich anderer vertraglicher Absprachen kann der Inhalt eines kirchlichen Arbeitsvertrags durch rechtmäßige kirchliche Dienstvereinbarungen geändert werden (Rn. 22).

Papierfundstellen:

NZA 2019, 1528
NZA-RR 2019, 590
ZTR 2019, 643

Die Entscheidung BAG – 6 AZR 40/17 wird zitiert in:

  1. > BAG, 08.09.2021 – 10 AZR 322/19