Besetzung der Einigungsstelle – sofortige Beschwerde
Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 11.08.2017, 1 AZB 24/21
Leitsätze des Gerichts
Gegen einen landesarbeitsgerichtlichen Beschluss, durch den über die Besetzung der Einigungsstelle iSv. § 100 ArbGG entschieden wurde, ist keine sofortige Beschwerde nach § 92b ArbGG gegeben.
Tenor
Die sofortige Beschwerde des Betriebsrats gegen den Beschluss des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 9. Februar 2021 – 4 TaBV 1/21 – wird zurückgewiesen.
1 AZB 24/21 > Rn 1
Die gegen den Beschluss des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 9. Februar 2021 gerichtete sofortige Beschwerde ist unzulässig. Sie ist nach § 100 Abs. 2 Satz 4 ArbGG unstatthaft (im Ergebnis ebenfalls: GK-ArbGG/Mikosch Stand Juni 2021 § 92b Rn. 4; GMP/Schlewing 9. Aufl. § 92b Rn. 2; ErfK/Koch 21. Aufl. ArbGG § 92b Rn. 1). Ob es sich bei der sofortigen Beschwerde iSv. § 92b ArbGG lediglich um einen Rechtsbehelf (für § 72b ArbGG GMP/Müller-Glöge 9. Aufl. § 72b Rn. 5) oder um ein Rechtsmittel handelt (so GK-ArbGG/Mikosch Stand Juni 2021 § 92b Rn. 3; GWBG/Greiner ArbGG 8. Aufl. § 92b Rn. 1; Schwab/Weth/Busemann/Tiedemann 5. Aufl. ArbGG § 92b Rn. 5; für § 72b ArbGG Düwell/Lipke/Düwell 5. Aufl. § 72b Rn. 4), kann dahinstehen. Auch im ersteren Fall ist eine sofortige Beschwerde iSv. § 92b ArbGG gegen einen im Verfahren nach § 100 ArbGG ergangenen Beschluss des Landesarbeitsgerichts nicht zulässig. Der in § 100 Abs. 2 Satz 4 ArbGG angeordnete Ausschluss eines weiteren „Rechtsmittels“ erfasst auch diese.
1 AZB 24/21 > Rn 2
1. Der lediglich an den Begriff des Rechtsmittels anknüpfende Wortlaut von § 100 Abs. 2 Satz 4 ArbGG verschließt sich einem solchen Verständnis nicht. Es ist nicht ersichtlich, dass damit ausdrücklich nur mit Suspensiv- und Devolutiveffekt verbundene Rechtsmittel, nicht aber Rechtsbehelfe erfasst sein können, die – wie die Nichtzulassungsbeschwerde iSv. § 92a ArbGG (vgl. zu ihrer Qualifizierung als Rechtsbehelf BAG 13. Oktober 2015 – 3 AZN 915/15 (F) – Rn. 11 mwN) – erst die Durchführung eines Rechtsmittels ermöglichen sollen oder denen – wie der sofortigen Beschwerde iSd. § 92b ArbGG – zumindest ein mit einem Rechtsmittel verbundener kassatorischer Effekt zukommt. Deren jeweilige Einlegung wäre auf ein Ziel gerichtet, dass durch § 100 Abs. 2 Satz 4 ArbGG gerade ausgeschlossen werden soll.
1 AZB 24/21 > Rn 3
2. Der rechtssystematische Gesamtzusammenhang zeigt, dass sich § 100 Abs. 2 Satz 4 ArbGG auch auf sofortige Beschwerden iSv. § 92b ArbGG – ungeachtet der Frage ihrer Einordnung als Rechtsmittel – erstreckt. Mit dem besonderen Beschlussverfahren in § 100 ArbGG soll sichergestellt werden, dass die Betriebsparteien schnellstmöglich die Gelegenheit erhalten, in den Fällen, in denen sie zu keiner Einigung gelangen, eine solche mit Hilfe der Einigungsstelle zu erzielen. Diese Zielsetzung spiegelt sich nicht nur in den besonderen Fristvorgaben nach § 100 Abs. 1 Satz 4 und Satz 6 sowie Abs. 2 Satz 2 ArbGG wider, sondern auch in der auf eine offensichtliche Unzuständigkeit beschränkten Zurückweisungsbefugnis, die im Interesse der zügigen Errichtung einer Einigungsstelle deren umfassende gerichtliche Zuständigkeitsprüfung untersagt. Dieser mit § 100 ArbGG verfolgte Zweck wird jedoch verfehlt, wenn bei einem verspätet abgesetzten, aber bereits verkündeten Beschluss des Landesarbeitsgerichts dennoch eine Beschwerdemöglichkeit eröffnet wäre. Denn im Fall ihrer Begründetheit wegen Versäumung der Fünfmonatsfrist nach § 92b Satz 1 ArbGG müsste die Sache an das Landesarbeitsgericht zur neuen Anhörung und Entscheidung zurückverwiesen werden (§ 92b Satz 2 iVm. § 72b Abs. 5 Satz 1 ArbGG). Demgegenüber führt eine umfassende Unanfechtbarkeit der beschwerdegerichtlichen Entscheidung dazu, dass diese bereits mit ihrer Verkündung rechtskräftig wird.
1 AZB 24/21 > Rn 4
3. Auch der Sinn und Zweck von § 92b ArbGG sprechen für ein solches Verständnis. Die Norm wurde infolge des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 26. März 2001 (- 1 BvR 383/00 -) in das Arbeitsgerichtsgesetz eingefügt (BR-Drs. 663/04 S. 11, 33 f.). Mit diesem hatte das Bundesverfassungsgericht darauf erkannt, dass eine landesarbeitsgerichtliche Entscheidung, in der die Revision nicht zugelassen wurde und deren vollständige Gründe erst mehr als fünf Monate nach Verkündung unterschrieben der Geschäftsstelle übergeben wurden, gegen Art. 2 Abs. 1 GG iVm. dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) verstößt, weil sie keine geeignete Grundlage mehr für das Revisionsgericht sein kann, um das Vorliegen von Revisionszulassungsgründen in rechtsstaatlicher Weise zu überprüfen. Ein Landesarbeitsgericht, das ein Urteil in vollständiger Fassung erst so spät absetzt, erschwert dadurch für die unterlegene Partei den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise (BVerfG 26. März 2001 – 1 BvR 383/00 – zu B I 2 c der Gründe). Dem sollte § 92b ArbGG – bezogen auf das Beschlussverfahren – abhelfen (BR-Drs. 663/04 S. 49, 52 f.). Diese Zielsetzung greift bei landesarbeitsgerichtlichen Entscheidungen über die Besetzung der Einigungsstelle nicht. Denn ein weiterer Instanzenzug ist gegen diese nicht eröffnet.
1 AZB 24/21 > Rn 5
4. Aus der Gesetzeshistorie folgt nichts Gegenteiliges.
1 AZB 24/21 > Rn 6
Bereits das Arbeitsgerichtsgesetz vom 3. September 1953 (BGBl. I S. 1267) sah eine – dem heutigen § 100 ArbGG – entsprechende Regelung für ein „Beschlußverfahren in besonderen Fällen“ vor, mit dem über die Anzahl der Beisitzer und die Person des unparteiischen Vorsitzenden für eine nach dem Betriebsverfassungsgesetz 1952 zwischen den Betriebsparteien zu bildende Einigungsstelle entschieden werden sollte. Hierüber sollte nach § 98 Abs. 1 ArbGG 1953 erstinstanzlich der Vorsitzende der Kammer allein entscheiden. Nach § 98 Abs. 2 Satz 1 ArbGG 1953 fand hiergegen die Beschwerde an den „Vorsitzenden des Landesarbeitsgerichts“ statt, wobei gegen dessen Beschluss nach § 98 Abs. 2 Satz 3 ArbGG 1953 kein Rechtsmittel gegeben war. Das im Rahmen eines Beschlussverfahrens gegen zweitinstanzliche Entscheidungen damals grundsätzlich mögliche „Rechtsmittel“ beschränkte sich allerdings ausschließlich auf die Rechtsbeschwerde. Diese war nach § 92 Abs. 1 ArbGG 1953 nur statthaft, wenn sie in dem Beschluss des Landesarbeitsgerichts zugelassen war – wobei eine Zulassung nach dem im Verfahren nach § 98 ArbGG 1953 nicht geltenden § 91 Abs. 3 ArbGG 1953 nur wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache in Betracht kam (§ 98 Abs. 2 Satz 2 ArbGG 1953) – oder wenn sie in entscheidungserheblicher Weise von einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts abwich. Nachdem § 98 ArbGG 1953 im Rahmen der Neufassung des Betriebsverfassungsgesetzes vom 15. Januar 1972 (BGBl. I S. 13) zunächst nur sprachlich modifiziert und an die Änderungen des Betriebsverfassungsgesetzes angepasst worden war (vgl. BT-Drs. VI/1786 S. 46 f.), wurde die Norm auch im Rahmen der Neugestaltung des Arbeitsgerichtsgesetzes durch das Gesetz zur Beschleunigung und Bereinigung des arbeitsgerichtlichen Verfahrens vom 21. Mai 1979 (BGBl. I S. 545) lediglich um den Satz ergänzt, dass eine Zurückweisung des Antrags wegen fehlender Zuständigkeit der Einigungsstelle ausschließlich im Fall ihrer offensichtlichen Unzuständigkeit erfolgen kann. Trotz der zeitgleich vorgenommenen Einführung der Möglichkeit zur Einlegung einer Nichtzulassungsbeschwerde in § 92a ArbGG wurde der Rechtsmittelausschluss im – damaligen – § 98 Abs. 2 Satz 3 ArbGG sprachlich nicht angepasst. Im Rahmen der durch Art. 7 Nr. 4 des Gesetzes über die Rechtsbehelfe bei Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Anhörungsrügengesetz) vom 9. Dezember 2004 (BGBl. I S. 3220) erfolgten Einfügung ua. von § 72b ArbGG fand ebenfalls keine Änderung der Norm statt. Anhaltspunkte, dass damit zumindest in verfahrensrechtlicher Hinsicht eine weitere Überprüfung landesarbeitsgerichtlicher Entscheidungen durch das Bundesarbeitsgericht im Verfahren über die gerichtliche Bestellung der Einigungsstelle verbunden sein sollte, lassen sich den Gesetzesbegründungen nicht entnehmen. Vielmehr spricht der Umstand, dass der Gesetzgeber durch Art. 3 des Arbeitsrechtlichen EG-Anpassungsgesetzes vom 13. August 1980 (BGBl. I S. 1308) mit Wirkung zum 21. August 1980 zunächst die Rechtsmittelfrist für die Beschwerde auf zwei Wochen verkürzt sowie durch Art. 2 des Gesetzes zur Änderung des BGB und des ArbGG vom 29. Juni 1998 (BGBl. I S. 1694) mit Wirkung zum 3. Juli 1998 die erstinstanzlichen Einlassungs- und Ladungsfristen auf 48 Stunden abgekürzt und die Vorgabe in das Gesetz aufgenommen hat, dass der erstinstanzliche Beschluss den Beteiligten innerhalb von zwei Wochen nach Eingang des Antrags zugestellt werden soll, dafür, dass der „Rechtsmittel“ausschluss in § 100 Abs. 2 Satz 4 ArbGG – im Interesse einer schnellen Durchführung dieses Verfahrens – in einem umfassenden Sinn zu verstehen sein soll und damit – neben der Nichtzulassungsbeschwerde nach § 92a ArbGG – auch die sofortige Beschwerde nach § 92b ArbGG erfasst.
1 AZB 24/21 > Rn 7
5. Verfassungsrechtlich ist vorliegend nichts anderes geboten. Von Verfassungs wegen bedarf eine mit ordentlichen Rechtsmitteln nicht mehr angreifbare letztinstanzliche gerichtliche Entscheidung regelmäßig keiner Begründung (BVerfG 30. Juni 2014 – 2 BvR 792/11 – Rn. 14; 8. Dezember 2010 – 1 BvR 1382/10 – Rn. 12). Aus Art. 6 EMRK folgt nichts Gegenteiliges (vgl. BVerfG 30. Juni 2014 – 2 BvR 792/11 – Rn. 25).
Schmidt K. Schmidt Ahrendt