Erster Konzertstimmer – Tarifliche Vergütung
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 16.11.1995, 6 AZR 229/95
Leitsätze des Gerichts:
- Bühnenmitglieder i.S. des § 1 Abs. 2 Normalvertrag Solo wirken durch künstlerische Tätigkeit unmittelbar an der Erarbeitung und konzeptionellen Umsetzung eines Werkes mit.
- Ein Erster Konzertstimmer erfüllt diese Voraussetzung nicht.
Tenor
- Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin vom 15. Februar 1995 – 17 Sa 92/94 – wird zurückgewiesen.
- Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob der Kläger nach dem „Tarifvertrag vom 18. Juni 1991 zur Anhebung der Gagen für die Bühnenmitglieder und bühnentechnischen Angestellten im Beitrittsgebiet“ (TV-Gagen) eine höhere Vergütung verlangen kann.
Der Kläger ist beim beklagten Land als Erster Konzertstimmer/Klavierbaumeister am Schauspielhaus Berlin beschäftigt. Er ist verantwortlich, daß die Instrumente für die jeweilige künstlerische Produktion in den Spielstätten des Schauspielhauses fachgerecht und qualitätsgerecht gestimmt sind. Hierbei hat er sich nach den Vorstellungen der Künstler zu richten, die ihm detaillierte Vorgaben machen. Während der Konzertaufführungen ist er anwesend, um die Instrumente bei etwa auftretenden Problemen nachzustimmen und gerissene Saiten zu ersetzen. Darüber hinaus gehört zu den Pflichten des Klägers die Obhut über die Instrumente, die Teilnahme an Wochenplankoordinierungen, die Durchführung von Wartungs- und Reparaturarbeiten sowie Verhandlungen über Reparaturmaßnahmen und Neuanschaffungen.
Mit Schreiben vom 17. November 1992 teilte das beklagte Land dem Kläger mit, er sei ab dem 1. Juli 1991 in die Lohngruppe 6 Fallgruppe 1 BMT-G-O eingruppiert worden.
Der Kläger ist der Ansicht, daß der TV-Gagen anzuwenden sei, weil er wie Bühnenmitglieder i.S. des § 1 Abs. 2 Normalvertrag Solo künstlerisch tätig sei. Das Stimmen und Intonieren der Instrumente nach den genauen Anweisungen der Künstler sei Voraussetzung für jede Konzertaufführung. Mit seiner Tätigkeit bilde er das notwendige Verbindungsglied zwischen Instrument und Künstler. Zu den Künstlern habe er engen Kontakt. Während der Aufführungen müsse er anwesend sein. Seine Tätigkeit sei mit der eines Dramaturgen, eines Inspizienten oder eines Souffleurs vergleichbar. Der Kläger meint weiter, das beklagte Land habe den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungssatz verletzt, weil ein Erster Konzertstimmer in Hamburg und am Friedrichsstadtpalast in Berlin unter Zugrundelegung des Normalvertrags Solo nach dem TV-Gagen vergütet werden.
Der Kläger hat für den Zeitraum vom 1. Juli 1991 bis zum 30. Juni 1992 eine Gage in rechnerisch unstreitiger Höhe von insgesamt 17.280,– DM brutto geltend gemacht und beantragt,
das beklagte Land zu verurteilen, an ihn 17.280,– DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem Nettobetrag seit dem 1. August 1992 zu zahlen.
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Der Beklagte hat die Auffassung vertreten, der Kläger unterfalle nicht dem persönlichen Geltungsbereich des TV-Gagen. Die Tätigkeit des Klägers stelle keine künstlerische Leistung i.S. des § 1 Abs. 2 Normalvertrag Solo dar.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger seinen Klageantrag weiter. Das beklagte Land bittet um Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision blieb erfolglos.
I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Kläger werde nicht vom persönlichen Geltungsbereich des § 1 Buchst. a TV-Gagen erfaßt, weil er nicht Bühnenmitglied im Sinne des § 1 Abs. 2 Normalvertrag Solo sei. Der Erste Konzertstimmer falle weder unter die in § 1 Abs. 2 Normalvertrag Solo aufgezählten Personen noch sei er eine Person in ähnlicher Stellung. Die in § 1 Abs. 2 Normalvertrag Solo aufgeführten Personen müßten eine Tätigkeit ausüben, die zum einen mit der Aufführung von Bühnenwerken eng verbunden sei und zum anderen überwiegend künstlerischen Bezug aufweise. Der Kläger habe jedoch nicht dargelegt, daß er überwiegend künstlerisch tätig sei. Neben dem Stimmen der Instrumente habe er keine künstlerischen Aufgaben zu erfüllen.
Diese Ausführungen des Landesarbeitsgericht sind im Ergebnis revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
II. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die begehrte Gage gemäß § 2 Abs. 1 TV-Gagen, weil dieser Tarifvertrag auf sein Arbeitsverhältnis keine Anwendung findet.
1. Nach § 1 Buchst. a TV-Gagen gilt dieser Tarifvertrag für die Bühnenmitglieder im Sinne des Normalvertrages Solo. Nach § 1 Abs. 2 Normalvertrag Solo sind unter Bühnenmitgliedern Einzeldarsteller, Kapellmeister, Spielleiter, Dramaturgen, Singchordirektoren, Tanzmeister, Repetitoren, Inspizienten und Souffleure sowie Personen in ähnlicher Stellung zu verstehen. Nach einer Protokollnotiz zu Abs. 2 gelten Kabarettisten und Puppentheaterspieler als Personen in ähnlicher Stellung. Die Auslegung dieser Tarifnorm ergibt, daß der Kläger, der nicht zu den ausdrücklich genannten Bühnenmitgliedern gehört, auch nicht als Person in ähnlicher Stellung anzusehen ist.
a) Den genannten Personen ist gemeinsam, daß sie durch ihre Tätigkeit an Erarbeitung und Umsetzung der künstlerischen Konzeption eines Werkes unmittelbar mitarbeiten. Sie üben dadurch eine künstlerische Tätigkeit aus. Sie wirken entweder direkt an der Aufführung eines Stückes mit, wie Einzeldarsteller, Kapellmeister oder Souffleure, oder sie gestalten das aufzuführende Stück bereits im Vorfeld der Vorstellung und überwachen die konzeptionsgemäße Umsetzung. Spielleiter und Singchordirektor gestalten und verantworten das künstlerische Konzept einer Inszenierung. Der Dramaturg erarbeitet den Spielplan und die Spielvorlagen durch Bearbeitung der ausgewählten Stücke. Tanzmeister und Repetitoren studieren mit den Darstellern die Rollen nach den Rollenvorstellungen des Spielleiters ein. Der Inspizient ist Hilfskraft des Regisseurs, unter Umständen sein Vertreter, und überwacht die Einhaltung der szenischen Regieanweisungen bei Proben und Vorstellungen. Auch für die in der Protokollnotiz aufgeführten Personen in ähnlicher Stellung, die Kabarettisten und Puppentheaterspieler, gilt, daß sie an der Erarbeitung und Umsetzung der künstlerischen Konzeption eines Werkes mitarbeiten. Beide setzen als Darsteller ein Werk um, der eine ein Kabarettstück, der andere ein Puppenspiel.
b) Der Kläger wirkt nicht an der Erarbeitung oder Umsetzung der künstlerischen Konzeption eines Werkes unmittelbar mit. Der Kläger stimmt nach seinem eigenen Sachvortrag die Instrumente nach den detallierten Anweisungen der Musiker. Er schafft damit die Rahmenbedingungen, die für den Künstler zur Umsetzung der künstlerischen Konzeption unerläßlich sind. Einen eigenen Beitrag zur Gestaltung der künstlerischen Konzeption leistet er damit aber nicht. Auch an der Umsetzung der Konzeption, dem Einstudieren oder der Darbietung des Stückes, wirkt er nicht mit. Zwar muß sich der Kläger während der Aufführung bereit halten, um im Fall etwaiger Zwischenfälle, wie z.B. einem Saitenriß, das Problem schnellstmöglich zu beheben, doch überwacht oder begleitet er in keiner Weise die Darbietung des Künstlers, sondern lediglich die Funktionsfähigkeit des den Wünschen des Künstlers angepaßten Instruments. Er übt deshalb keine künstlerische Tätigkeit im Sinne des Normalvertrags Solo aus.
Dieser grundsätzliche Unterschied zwischen der Tätigkeit des Klägers und den Tätigkeiten der in § 1 Abs. 2 Normalvertrag Solo angeführten Berufsgruppen gilt auch in Hinblick auf Inspizienten, Souffleure und Repetitoren, die der Kläger für mit seiner Tätigkeit besonders vergleichbar hält. Auch die Mitglieder dieser Berufsgruppen arbeiten vor und während der Vorstellung mit den Künstlern unmittelbar an der Umsetzung der künstlerischen Konzeption des Werkes, indem sie die eigentliche Darbietung der Künstler vorbereiten, begleiten, überwachen und unterstützen. Sie schaffen jedoch nicht die für die Umsetzung notwendigen Rahmenbedingungen und überwachen nicht die Funktionsfähigkeit der technischen Hilfsmittel. Die Tatsache, daß die Mitglieder dieser Berufsgruppen auch weisungsgebunden sind, führt entgegen der Ansicht des Klägers nicht zu einer Vergleichbarkeit mit seiner Tätigkeit. Zur Umsetzung einer einheitlichen künstlerischen Konzeption müssen alle in § 1 Abs. 2 Normalvertrag Solo genannten Bühnenmitglieder gegenüber dem für die künstlerische Konzeption verantwortlichen Regisseur weisungsgebunden sein. Die Weisungsbindung kann hier deshalb kein maßgebliches Unterscheidungskriterium sein.
2. Da es entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts nicht auf eine überwiegende künstlerische Tätigkeit des Klägers ankommt, waren die dagegen gerichteten Rügen der Revision nicht entscheidungserheblich. Die insoweit erhobenen sonstigen Verfahrensrügen sind unbegründet (§ 565a ZPO).
III. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Zahlung der höheren Gage wegen Verletzung des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes.
1. Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz verbietet sowohl die sachfremde Schlechterstellung einzelner Arbeitnehmer gegenüber anderen Arbeitnehmern in vergleichbarer Lage als auch die sachfremde Differenzierung zwischen Arbeitnehmern in einer bestimmten Ordnung. Sachfremd ist eine Differenzierung, wenn es für die unterschiedliche Behandlung keine billigenswerten Gründe gibt, wenn also für eine am Gleichheitsgedanken orientierte Betrachtungsweise die Regelung als willkürlich anzusehen ist (vgl. BVerfGE 71, 39, 58) [BVerfG 15.10.1985 – 2 BvL 4/83]. Im Bereich der Arbeitsbedingungen gilt der Gleichbehandlungsgrundsatz jedoch nur eingeschränkt, weil der Grundsatz der Vertragsfreiheit Vorrang hat.
2. Soweit ein Erster Konzertstimmer in Hamburg nach dem TV-Gagen entlohnt wird und das beklagte Land einen Ersten Konzertstimmer am Friedrichsstadtpalast nach dem TV-Gagen entlohnt, handelt es sich um individuell bedingte Abweichungen übertariflicher Vergütung. Der Kläger hat nichts dafür vorgetragen, daß er aus einer begünstigenden generellen Regelung des beklagten Landes ausgeschlossen wird.
IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1.
Dr. Jobs Dr. Armbrüster Bott
Kapitza D. Knauß
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Fundstellen:
NZA 1996, 720
BB 1996, 596
ZTR 1996, 271
> BAG, 02.08.2017 – 7 AZR 601/15
> BAG, 25.02.2009 – 7 AZR 942/07
> BAG, 28.01.2009 – 4 AZR 987/07