Vergütung der Zustellung der „Infopost schwer“ bei der Deutschen Post AG – TV „Stückbezogene Zulagen“ – Verstoß einer Betriebsvereinbarung gegen den Tarifvorrang
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 17.01.2012, 1 AZR 482/10
Tenor
1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 23. Juni 2010 – 15 Sa 2334/09 – aufgehoben.
2. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Cottbus vom 9. September 2009 – 2 Ca 537/09 – abgeändert und die Beklagte verurteilt, auf dem Arbeitszeitkonto des Klägers in der Spalte „Saldo“, Zeile „Gesamtsumme“ eine Zeitgutschrift in Höhe von 11 Stunden und 35 Minuten vorzunehmen.
3. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten über eine Zeitgutschrift auf dem Arbeitszeitkonto des Klägers.
2
Der Kläger ist bei der Beklagten als Briefzusteller in der Niederlassung BRIEF B beschäftigt. Seine durchschnittliche regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit beträgt 38,5 Stunden.
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Nach der Betriebsvereinbarung Nr. 10 „Arbeitszeit in der Zustellung“ (BV-Arbeitszeit) haben die Zustellkräfte die Möglichkeit, zwischen zwei Arbeitszeitmodellen zu wählen. Nach § 5 Abs. 1 BV-Arbeitszeit wird in dem Modell A die Arbeitszeit minutengenau in einem Arbeitszeitkonto erfasst. Der Dienstbeginn ergibt sich dabei aus dem Dienstplan. Abweichungen, bei denen die tägliche dienstplanmäßige Arbeitszeit über- oder unterschritten wird, werden als zuschlagsfreie Mehr- oder Minderleistung festgehalten und im Arbeitszeitkonto des Beschäftigten arbeitstäglich saldiert. Im Modell B findet dagegen keine Zeiterfassung statt. Die dienstplanmäßige Arbeitszeit gilt auch bei Schwankungen des Sendungsaufkommens als erbracht. Der Kläger hat sich für das Modell A entschieden.
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Neben den Postsendungen stellt der Kläger auch sog. „Infopost schwer“, zu der ua. Versandkataloge gehören, zu. Der zwischen den Parteien anwendbare Tarifvertrag „Stückbezogene Zulagen für die Zustellung von ‚Infopost schwer’“ vom 13. Dezember 2000 in der Fassung des Tarifvertrags Nr. 130b vom 20. November 2006 (TV Nr. 88) enthält hierzu folgende Regelung:
„§ 2
Höhe des Stücklohns, Zahlungsweise
(1) Der Stücklohn beträgt 0,08 Euro für die Vorbereitung einer Sendung ’Infopost schwer’ und 0,35 Euro für die Zustellung einer Sendung ’Infopost schwer’. Mit der Zahlung des Stücklohns sind alle Tätigkeiten abgegolten. Eine zeitwirtschaftliche Erfassung erfolgt nicht mehr.
Protokollnotiz zu Absatz 1:
Solange und soweit Sendungen ’Infopost schwer’ noch in die Zeitwirtschaft einbezogen sind und der daraus sich ergebende Personalbedarf realisiert ist, bleibt die Zahlung von Stücklohn ausgeschlossen.
Die durch den Stücklohn abgegoltenen Leistungen sind identisch mit denen des Tarifvertrags Nr. 88 i. d. F. vom 13.12.2000.
(2) Die Auszahlung des Stücklohns nach Abs. 1 richtet sich nach § 29 Abs. 6 ETV-DP AG.“
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Die Sendungen „Infopost schwer“ werden bei der Bemessung der Größe eines Zustellbezirks nicht berücksichtigt.
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Nach § 5 Abs. 2 BV-Arbeitszeit werden im Stücklohn geleistete Tätigkeiten gemäß den jeweiligen zugrunde liegenden Regelungen gegengerechnet. In einer Protokollnotiz hierzu haben die Betriebsparteien am 3. Dezember 2004 Folgendes bestimmt:
„1.
…
1.
…
…
4.
Für die Zahlung des Stücklohns werden in den Arbeitszeitkonten auf Grundlage der BV Nr. 10, § 5, Absatz 2 adäquate Zeitanteile gegengerechnet.
5.
Die Gegenrechnung nach Absatz 4 erfolgt in Höhe von einer Stunde je 42 vorbereiteten und zugestellten Sendungen. Ein Zustellversuch gilt als Zustellung.“
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Der Kläger stellte in den Monaten Dezember 2008 und Januar 2009 insgesamt 535 Sendungen der Art „Infopost schwer“ zu. Hierfür zahlte die Beklagte neben dem Monatsgrundentgelt die tariflich vorgesehenen 0,43 Euro je Sendung. Entsprechend der BV-Arbeitszeit hat sie für jeweils 42 Sendungen eine Stunde Arbeitszeit gegengerechnet und im Arbeitszeitkonto des Klägers Abzüge in Höhe von insgesamt 11 Stunden und 35 Minuten vorgenommen.
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Der Kläger hat gemeint, die in der BV-Arbeitszeit vorgesehene Gegenrechnung verstoße gegen den TV Nr. 88, weil dieser die Zahlung des Stücklohns abschließend regele. Der Stücklohn sei als Zulage zusätzlich zum Monatsgrundentgelt zu zahlen.
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Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, auf dem Arbeitszeitkonto (IZ10) des Klägers in der Spalte „Saldo“, Zeile „Gesamtsumme“ eine Zeitgutschrift in Höhe von 11 Stunden und 35 Minuten vorzunehmen.
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Die Beklagte hat zur Begründung ihres Klageabweisungsantrags geltend gemacht, die Gegenrechnung sei zulässig, weil hierdurch Doppelbezahlungen verhindert würden.
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Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe
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Die Revision ist begründet. Die Vorinstanzen haben die Klage zu Unrecht abgewiesen. Die in der BV-Arbeitszeit vorgesehene Gegenrechnung von pauschalierter Arbeitszeit für die Zustellung der „Infopost schwer“ in den Arbeitszeitkonten der Briefzusteller ist unwirksam.
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I. Die Klage ist zulässig. Der Antrag ist hinreichend bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Der Kläger hat nach rechtlichem Hinweis in der Revision sein Leistungsbegehren auf die Gutschrift von Arbeitszeit in einer bestimmten Spalte des fortgeführten Arbeitszeitkontos konkretisiert (vgl. dazu BAG 10. November 2010 – 5 AZR 766/09 – Rn. 11, EzA BGB 2002 § 611 Arbeitszeitkonto Nr. 3).
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II. Die Klage ist begründet. Der Kläger hat gemäß § 611 Abs. 1 BGB iVm. § 5 BV-Arbeitszeit einen Anspruch auf Gutschrift der von der Beklagten im Wege der Gegenrechnung für Stücklohntätigkeiten abgezogenen Arbeitszeiten. Die in § 5 Abs. 2 BV-Arbeitszeit sowie in Nr. 1.4. und 1.5. der hierzu vereinbarten Protokollnotiz vorgesehene Gegenrechnung verstößt gegen den TV Nr. 88 und ist deshalb nach § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG unwirksam. Der Stücklohn für die Zustellung der „Infopost schwer“ stellt eine Zulage dar, die zusätzlich zum monatlichen Grundentgelt zu zahlen und einer Gegenrechnung durch die Betriebsparteien nach § 87 Abs. 1 BetrVG nicht zugänglich ist. Das ergibt die Auslegung des TV Nr. 88.
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1. Tarifliche Inhaltsnormen sind wie Gesetze auszulegen. Auszugehen ist vom Wortlaut der Bestimmungen und dem durch ihn vermittelten Wortsinn. Insbesondere bei unbestimmtem Wortsinn ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und der von ihnen beabsichtigte Zweck der tariflichen Regelung zu berücksichtigen, sofern und soweit sie im Regelungswerk ihren Niederschlag gefunden haben. Abzustellen ist ferner auf den Gesamtzusammenhang der Regelung, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefern kann. Bleiben im Einzelfall gleichwohl Zweifel, können die Gerichte ohne Bindung an eine bestimmte Reihenfolge auf weitere Kriterien zurückgreifen, wie etwa auf die Entstehungsgeschichte und die bisherige Anwendung der Regelung in der Praxis. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse ist zu berücksichtigen. Im Zweifel gebührt derjenigen Auslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, gesetzeskonformen und praktisch brauchbaren Regelung führt (BAG 16. August 2011 – 1 AZR 314/10 – Rn. 15). Die Auslegung eines Tarifvertrags durch das Berufungsgericht ist in der Revisionsinstanz in vollem Umfang nachzuprüfen (BAG 17. Oktober 2007 – 4 AZR 1005/06 – Rn. 40, BAGE 124, 240).
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2. Nach diesen Grundsätzen handelt es sich bei dem Stücklohn um eine Zulage, die zusätzlich zum Monatsgrundentgelt zu zahlen ist.
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a) Der Wortlaut des TV Nr. 88 ist nicht eindeutig. Die Formulierung „Stücklohn“ könnte zwar darauf hindeuten, dass es sich hierbei um Akkordlohn in der Form eines Geldakkords handelt, weil der Briefzusteller einen bestimmten Geldbetrag (insgesamt 0,43 Euro) pro Leistungseinheit (Sendung „Infopost schwer“) erhält. Andererseits spricht jedoch die Bezeichnung des Tarifvertrags „Stückbezogene Zulagen für die Zustellung von ‚Infopost schwer’“ eher dafür, dass hierin eine Zulage und nicht ein Akkordlohn geregelt ist. Auch in der Überschrift des Ersten Teils des Tarifvertrags wird der Begriff „Zulage“ gebraucht. Die Begriffe „Akkord“ oder „Leistungslohn“ werden dagegen im Tarifvertrag nicht verwendet. Daher könnte es sich beim „Stücklohn“ auch um eine Zulage handeln, die sich nach der Menge der ausgelieferten „Infopost schwer“ richtet und zusätzlich zum Zeitlohn zu zahlen ist.
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b) Der tarifliche Gesamtzusammenhang liefert ebenfalls kein eindeutiges Auslegungsergebnis.
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aa) § 2 Abs. 1 Satz 2 TV Nr. 88, wonach mit der Zahlung des Stücklohns alle Tätigkeiten abgegolten sind, spricht entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts nicht für den Akkordcharakter des Stücklohns. Diese Tarifregelung stellt lediglich klar, dass die in Satz 1 der Tarifnorm bezeichneten Tätigkeiten der „Vorbereitung“ und „Zustellung einer Sendung ‚Infopost schwer’“ mit den dort aufgeführten Beträgen abgegolten sind. Zum Verhältnis des Stücklohns zum Grundentgelt enthält sie keine Aussage. Das gibt der tarifliche Gesamtzusammenhang vor. Nach der Protokollnotiz zu § 2 Abs. 1 TV Nr. 88 sind die „durch den Stücklohn abgegoltenen Leistungen … identisch mit denen des Tarifvertrags Nr. 88 i. d. F. vom 13.12.2000“. Dort war in einer Protokollnotiz zu § 3 Abs. 1 der genaue Umfang der abgegoltenen Tätigkeiten ausdrücklich geregelt (Anschriftenträger bearbeiten, Sendungen zustellen, entfernungsunabhängiger Zeitanteil für Fahrleistungen, Sendungen abliefern bei Zustellbasen und Filialen, Sendungen einladen in Kfz für „Infopost schwer“ während der definierten Hauptversandräume). Hinzu kommt, dass der TV Nr. 88 in der ursprünglichen Fassung vom 13. Dezember 2000 „im Rahmen der Paketzustellung (…) in der Regelzustellung“ eine Gegenrechnung nur für den Zeitraum vom 1. November bis zum 28. Dezember und auch dann höchstens bis zum Ende der jeweiligen dienstplanmäßigen Arbeitszeit vorsah. Trotz „Abgeltungsregelung“ war somit nach der damaligen Fassung eine Gegenrechnung nur ausnahmsweise möglich.
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bb) Die Anrechnungsbestimmungen in § 3 TV Nr. 88 deuten dagegen auf eine Zulage hin. So ist nach § 3 Abs. 2 TV Nr. 88 der Stücklohn nicht versorgungsfähig. Eine derartige Rechtsfolge ist bei Zulagen nicht fernliegend. Dagegen führte die Auffassung der Beklagten dazu, dass ein Teil des monatlichen Entgelts – der nach ihrem Verständnis im Umfang der Gegenrechnung an die Stelle des monatlichen Grundentgelts tretende Stücklohn – nicht versorgungsfähig wäre und sich damit die Stücklohnvergütung für den Arbeitnehmer nachteilig auf die Altersversorgung auswirken würde. Eine solche Rechtsfolge findet im Regelungsplan der Tarifvertragsparteien keine Stütze.
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cc) Unergiebig für die Auslegung ist § 2 Abs. 1 Satz 3 TV Nr. 88. Soweit danach eine zeitwirtschaftliche Erfassung der Zustellung der „Infopost schwer“ nicht erfolgt, hat dies allein zur Folge, dass diese Sendungen bei der Bemessung der Größe eines Zustellbezirks nicht berücksichtigt werden. Weitergehende Schlussfolgerungen lässt diese Bestimmung nicht zu.
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c) Auch aus der Tarifgeschichte ergeben sich keine eindeutigen Schlussfolgerungen. Ursprünglich hatte der „Stücklohn“ den Charakter einer pauschalierten Überstundenabgeltung. Ebenso wie heute im Arbeitszeitmodell B wurde ohne Nachprüfung unterstellt, dass der Zusteller für die „normalen“ Sendungsarten 38,5 Wochenarbeitsstunden benötigt. Für die zusätzlichen, zeitwirtschaftlich nicht erfassten Stücklohntätigkeiten erhielt er eine zusätzliche Vergütung pro Sendung. Die Tarifvertragsparteien sahen in späteren Tarifverträgen trotz genauer Zeiterfassung nur eingeschränkte Gegenrechnungsmöglichkeiten vor. Diese waren auf die Weihnachtszeit beschränkt und stets nur bis zum dienstplanmäßigen Ende der Arbeitszeit möglich. Im Zeitraum vom 1. Januar bis zum 31. Oktober wurde der „Stücklohn“ wegen fehlender Gegenrechnung im Arbeitszeitkonto zusätzlich zum Zeitlohn gezahlt.
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d) Der sich aus Wortlaut, Tarifgeschichte und tariflichem Gesamtzusammenhang ergebende Zweck der Tarifnorm spricht aber dafür, den im TV Nr. 88 geregelten Stücklohn als Zulage zu behandeln, die zusätzlich zum monatlichen Grundentgelt gezahlt wird. Der im TV Nr. 88 geregelte Stücklohn für die Verteilung der „Infopost schwer“ wird – wie sich bereits aus der Bezeichnung ergibt – für die Zustellung schwerer Sendungen entrichtet. Wenn die Tarifvertragsparteien diese aus den sonstigen Zustellungen herausheben und eine besondere Vergütung hierfür vorsehen, liegt die Annahme nahe, dass sie hiermit den zusätzlichen Erschwernissen bei der Zustellung der „Infopost schwer“ Rechnung tragen wollten. Für ein derartiges Verständnis einer Zulage spricht ferner, dass der TV Nr. 88 in seiner ursprünglichen Fassung vom 13. Dezember 2000 in § 6 eine ausführliche Regelung zum „Überbelastungsschutz“ vorsah (Gremium „Überbelastungsschutz“, Reklamation des Zustellers ua. bei mehr als 300 stückentlohnten Sendungen durchschnittlich pro Woche). Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass die „Infopost schwer“ zeitwirtschaftlich nicht erfasst wird und die Größe eines Zustellbezirks einer regelmäßigen Arbeitszeit von 38,5 Wochenstunden entspricht. Die Zustellung der „Infopost schwer“ ist demnach nach den tarifvertraglichen Arbeitszeitregelungen zusätzlich zur durchschnittlichen Vollzeittätigkeit zu erbringen. Auch dies spricht für eine weitere Vergütung in Form einer Zulage.
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e) Nur ein solches Verständnis des TV Nr. 88 führt auch zu einer sachgerechten und praktisch brauchbaren Regelung.
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aa) Würde der Stücklohn für die „Infopost schwer“ nicht einschränkungslos zusätzlich zum monatlichen Grundentgelt bezahlt, sondern könnten – wie die Beklagte meint – die Betriebsparteien insoweit eine Gegenrechnung im Arbeitszeitkonto des jeweiligen Zustellers vornehmen, hätte dies widersinnige Folgen. Legt man zugrunde, dass nach den tarifvertraglichen Arbeitszeitregelungen ein Briefzusteller für die zeitwirtschaftlich erfassten Zustellungen im Jahresdurchschnitt wöchentlich 38,5 Stunden benötigt und die Betriebsparteien in der BV-Arbeitszeit ergänzend davon ausgehen, dass ein Briefzusteller für die Zustellung von 42 Sendungen „Infopost schwer“ eine weitere Stunde braucht, führt die von der Beklagten angenommene Gegenrechnungsmöglichkeit dazu, dass ein besonders schneller Briefzusteller nicht mehr Entgelt sondern weniger erzielt. Benötigt er für die Zustellung von 42 Sendungen „Infopost schwer“ nur eine halbe Stunde, wird ihm trotzdem aufgrund der pauschalen Gegenrechnung eine ganze Stunde abgezogen. Für seine schnelle Arbeit wird er also mit dem zusätzlichen Abzug einer halben Stunde belastet. Der Saldo des Arbeitszeitkontos beträgt nur 38 Stunden anstatt 38,5 Stunden. Dagegen wird ein besonders „langsamer“ Briefzusteller, der für die Zustellung der 42 Sendungen zwei Stunden benötigt, begünstigt, weil bei ihm nur eine Stunde in Abzug gebracht wird. Sein Arbeitszeitkonto weist bei gleicher Akkordmenge 39,5 Stunden und damit 1,5 Stunden mehr aus als das des „schnellen“ Briefzustellers. Dieses unvernünftige Ergebnis vermeidet die Einordnung des Stücklohns als Zulage, die zusätzlich zum Monatsentgelt geleistet wird. Bei einem solchen Verständnis entfallen auch die oben angesprochenen nicht sachgerechten Konsequenzen, die unter Zugrundelegung der Auffassung der Beklagten bei der Altersversorgung entstehen würden.
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bb) Entgegen der Auffassung der Beklagten können die Besonderheiten einer betrieblichen Arbeitszeitregelung nicht zur Auslegung von Zweck und Inhalt einer tariflichen Leistung herangezogen werden. Diese steht nicht zur Disposition der Betriebsparteien. Es ist deshalb unerheblich, dass die Einordnung des Stücklohns als Zulage die Arbeitnehmer, die das Arbeitszeitmodell A wählen, gegenüber denen, die sich für das Arbeitszeitmodell B entschieden haben, begünstigen kann. Einen solchen Effekt zu verhindern ist Aufgabe der Betriebsparteien; auf den Inhalt einer Tarifnorm haben deren Regelungen jedoch keinen Einfluss.
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3. Da nach alledem der im TV Nr. 88 für die Zustellung der „Infopost schwer“ geregelte Stücklohn den Charakter einer Zulage hat, wäre eine Betriebsvereinbarung, die bezogen auf den gezahlten Stücklohn eine Gegenrechnung von pauschalierter Arbeitszeit im Arbeitszeitkonto des Zustellers vorsieht, nach § 77 Abs. 3 Satz 2 BetrVG nur zulässig, wenn es hierfür eine ausdrückliche tarifliche Öffnungsklausel gäbe. Die Zulassung einer solchen Betriebsvereinbarung muss zwar nicht wörtlich erfolgen, aber im Tarifvertrag deutlich zum Ausdruck kommen (BAG 9. Dezember 2003 – 1 ABR 52/02 – zu B II 1 c der Gründe mwN, EzA BetrVG 2001 § 77 Nr. 6). Hieran fehlt es im vorliegenden Fall. Der TV Nr. 88 regelt den Stücklohn abschließend und lässt abweichende Betriebsvereinbarungen nicht zu. Die in § 5 Abs. 2 BV-Arbeitszeit sowie in Nr. 1.4. und 1.5. der hierzu vereinbarten Protokollnotiz vorgesehene Gegenrechnung ist deshalb gemäß § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG unwirksam. Die Beklagte hat daher im Arbeitszeitkonto des Klägers in den im Antrag genannten Spalten und Zeilen die gegengerechneten Arbeitszeiten gutzuschreiben. Der Kläger hat während dieser Zeiten tatsächlich gearbeitet und hierfür keine Vergütung erhalten.
Schmidt Koch Linck
Federlin Olaf Kunz
> BAG, 15.05.2018 – 1 ABR 75/16