Nichtzulassungsbeschwerde bei Alternativbegründung im Berufungsurteil
Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 18.03.2010, 2 AZN 889/08
Tenor
(…)
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer aus betrieblichen Gründen erklärten Kündigung. Der Kl. rügte die Fehlerhaftigkeit der Sozialauswahl.
Das ArbG hat die Kündigung wegen einer fehlerhaften Sozialauswahl für unwirksam befunden. Das LAG hat der Berufung der Bekl. stattgegeben und die Kündigung für sozial gerechtfertigt und wirksam erklärt. Zur Begründung hat es sich darauf berufen, dass für die Kündigung ein dringendes betriebliches Erfordernis bestand und die Sozialauswahl nicht zu beanstanden gewesen sei. Ein Rechtsmittel gegen diese Entscheidung hat das LAG nicht zugelassen.
Die hiergegen erhobene Nichtzulassungsbeschwerde des Kl. hatte keinen Erfolg.
Gründe
1. Der Zulassungsgrund einer entscheidungserheblichen Verletzung des Anspruchs des Kl. auf Gewährung rechtlichen Gehörs (§ 72 Abs. 2 Nr. 3 ArbGG) liegt nicht vor.
a) Das LAG hat den Vortrag der Bekl. zum Vorliegen eines Gesellschafterbeschlusses vom 17. 3. 2008 im streitigen Urteilstatbestand (S. 7 des Berufungsurteils) aufgeführt.
Das spricht gegen ein Übergehen des unter I 1 der Beschwerdebegründung (S. 2, 3) angeführten Bestreitens des Kl. Soweit das LAG hierauf in den Entscheidungsgründen nicht nochmals eingegangen ist, lag dies erkennbar daran, dass es diesen Gesichtspunkt wegen der für erwiesen erachteten Durchführung der im „Teil-Interessenausgleich” vom 13. 3. 2008 vorgesehenen Maßnahmen nicht für entscheidungserheblich erachtet hat.
b) Die Annahme des LAG, der Massenentlassungsanzeige sei die „Stellungnahme des Betriebsrats beigefügt gewesen”, lässt keinen Gehörsverstoß erkennen. Dafür, dass diese Feststellung auf einem Übergehen des Vorbringens des Kl. beruht, es sei „unstreitig”, dass die Bekl. „der Anzeige keine Stellungnahme des Betriebsrats beigefügt habe” (vgl. I 2a der Beschwerdebegründung), fehlt es an genügenden Anhaltspunkten. Die Feststellung des LAG kann durchaus darauf beruhen, dass es das – einfache – klägerische Bestreiten des Vortrags der Bekl. zur ordnungsgemäßen Erstattung der Massenentlassungsanzeige für unbeachtlich gehalten hat, nachdem die zuständige Arbeitsagentur mit dem Bescheid vom 29. 4. 2008 eine Unvollständigkeit der Anzeige nicht beanstandet hatte.
c) Der Beschwerdebegründung lässt sich nicht entnehmen, dass das BerGer. das unter I 2b und I 2c der Beschwerdebegründung dargestellte Vorbringen übergangen hätte. Ob außer den angezeigten 20 Entlassungen im maßgebenden Zeitraum weitere – anzeigepflichtige – Entlassungen vorlagen, war für das LAG im Hinblick auf die Kündigung des Kl. ersichtlich nicht entscheidungserheblich. Aus seiner Sicht genügte es, dass der Kl. in der der Massenentlassungsanzeige beigefügten Liste zu kündigender Arbeitnehmer individualisierbar aufgeführt war.
d) Unter I 3 der Beschwerdebegründung beanstandet der Kl., das LAG habe das Ergebnis einer durchgeführten Beweisaufnahme unzureichend gewürdigt und deshalb zu Unrecht die Sozialauswahl für ordnungsgemäß erachtet. Damit rügt der Kl. keine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör, sondern eine unzureichende Rechtsanwendung durch das LAG. Darin liegt kein i.S. von § 72 Abs. 2 ArbGG beachtlicher Zulassungsgrund (vgl. BAG, NZA 2009, 396 = NJW 2009, 1693 = AP ArbGG 1979 § 78a Nr. AP 1979 § 5 Rdnrn. 19ff.).
e) Einen unbeachtlichen Rechtsanwendungsfehler rügt der Kl. auch insoweit, wie er sich gegen eine unzureichende Berücksichtigung seiner gesundheitlichen Einschränkungen im Rahmen der Sozialauswahl wendet.
f) Es kann offenbleiben, ob das LAG Vorbringen des Kl. übergangen hat, soweit es nicht näher auf das Bestehen eines Gemeinschaftsbetriebs zwischen der Bekl. und der „EFA” eingegangen ist. Zu einer Verletzung von Art. 103 GG Abs. 1 GG kann nur die Nichtbeachtung schlüssigen Vorbringens führen (BVerfG, NJW 1994, 2683). Daran fehlt es. Dem Vortrag des insoweit darlegungs- und beweispflichtigen Kl. lassen sich keine äußeren Umstände dafür entnehmen, dass sich die Bekl. und die „EFA” über die Führung eines gemeinsamen Betriebs geeinigt hätten und dementsprechend arbeitstechnische Zwecke innerhalb der organisatorischen Einheit unter einem einheitlichen Leitungsapparat fortgesetzt verfolgten (zu diesen Voraussetzungen Senat, BAGE 101, 321 = NZA 2002, 1147 = NJW 2002, 3349; BAG, Urt. v. 7. 11. 1996 – 2 AZR 648/95, BeckRS 2008, 52586). Insbesondere ergeben sich aus seinem Vorbringen keine Anhaltspunkte für einen gemeinsam verfolgten Betriebszweck. Dass die Bekl. im Rahmen einer unternehmerischen Zusammenarbeit Aufgaben für die „EFA” ausführt, reicht dafür nicht aus. Ebenso wenig ist es ein hinreichendes Indiz, dass die „EFA” die „Vliesanlage 2” der Bekl. „übernehmen” soll. Das spricht nicht für, sondern gegen die gemeinsame Verfolgung arbeitstechnischer Zwecke.
2. Die Revision ist auch nicht, wie geltend gemacht, wegen grundsätzlicher Bedeutung (§§ 72 Abs. 2 Nr. 1, 72a Abs. 3 S. 2 Nr. 1 ArbGG) zuzulassen.
a) Die unter II 1 der Beschwerdebegründung benannten Rechtsfragen:
„Kann bei einer richtlinienkonformen Auslegung die Erhaltung einer bestimmten Altersstruktur im Betrieb ein legitimes, die Altersdiskriminierung rechtfertigendes sozialpolitisches Ziel sein?”
und
„Kann ein Rechtfertigungsgrund i.S. von Art. EWG_RL_2000_78 Artikel 6 EWG_RL_2000_78 Artikel 6 Absatz I der Richtlinie 2000/78/EG dafür, dass der Arbeitgeber bei Betriebsänderungen durch eine Altersgruppenbildung bei der Sozialauswahl ältere Arbeitnehmer benachteiligt, die Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit des Betriebs sein?”
sind höchstrichterlich geklärt. Die Bildung von Altersgruppen kann, wie der Senat auch für den hier vorliegenden Fall einer nach Inkrafttreten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes erklärten Kündigung bereits entschieden hat (BAG [6. 11. 2008], NZA 2009, 361 = AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. AP 1969 § 1 182 = EzA KSchG § 1 Soziale Auswahl Nr. 82 = NJW 2009, 2326 L), nach § AGG § 10 S. 1, 2 AGG durch legitime Ziele gerechtfertigt sein. Davon ist regelmäßig auszugehen, wenn die Altersgruppenbildung bei Massenkündigungen auf Grund einer Betriebsänderung erfolgt (Senat, NZA 2009, 361 = AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. AP 1969 § 1 Rdnr. 54).
b) Die unter II 2 der Beschwerdebegründung angeführte Frage, ob die generelle Herausnahme von Schwerbehinderten/Gleichgestellten und Langzeiterkrankten aus der Sozialauswahl gerechtfertigt sein kann, ist nicht entscheidungserheblich. Das LAG hat sich mit ihr weder auseinandergesetzt, noch hätte es sich mit ihr auseinandersetzen müssen. Es hat sie ausdrücklich dahinstehen lassen, weil der Kl. auch bei Einbeziehung der insoweit in Betracht zu ziehenden Arbeitnehmer in die Sozialauswahl auf Grund der erreichten Punktzahl zu kündigen gewesen wäre. Für eine Zulassung der Revision genügt es nicht, dass sich das LAG nach Auffassung des Bf. sich mit Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung hätte befassen müssen, die sich nach der vom Gericht gegebenen Begründung nicht stellen (BAG, BAGE 118, 247 = NZA 2006, 1004 = NJW 2006, 3371 Rdnr. 11).
c) Der Kl. meint, das Urteil des LAG werfe die Rechtsfrage auf:
„Ist dem Arbeitgeber auch dann, wenn er sich nicht auf den korrekten Vollzug eines zulässigen Punkteschemas beschränkt, z.B. die Auswahlentscheidung nach einem rechtsfehlerhaften Altersgruppenmodell getroffen hat, der Einwand gestattet, dass ein Auswahlfehler sich auf die Kündigungsentscheidung nicht ausgewirkt hat?”
Die Frage hat keine grundsätzliche Bedeutung. Dabei kann dahinstehen, ob sie nicht schon durch die Entscheidung des Senats vom 9. 11. 2006 (Senat, BAGE 120, 137 = NZA 2007, 549 = NJW 2007, 2429 Rdnr. 19) hinreichend beantwortet ist. Sie ist jedenfalls nicht entscheidungserheblich.
aa) Das LAG hat bei seiner Entscheidung dahinstehen lassen, ob die Bekl. die Sozialauswahl nach Altersgruppen vornehmen durfte. Es hat die soziale Rechtfertigung der Kündigung im Hinblick auf die Sozialauswahl (§ 1 Abs. 3 KSchG) sowohl unter der Voraussetzung einer zulässigen Bildung von Altersgruppen als auch einer Unwirksamkeit des angewandten Auswahlschemas überprüft. Für beide Alternativen hat es angenommen, die Kündigung sei sozial gerechtfertigt, da die Bekl. in jedem Fall soziale Gesichtspunkte ausreichend berücksichtigt habe (§ 1 Abs. 3 S. 1 KSchG). Eine solche Alternativbegründung steht hinsichtlich der Beurteilung, ob Zulassungsgründe i.S. von § 72 Abs. 2 ArbGG vorliegen, einer Mehrfachbegründung gleich. In einem solchen Fall ist die Revision nur zuzulassen, wenn mit der Nichtzulassungsbeschwerde jeder der Gründe angegriffen wird und die entsprechenden Rügen hinsichtlich eines jeden von ihnen durchgreifen (zur Doppelbegründung vgl. BAG, BAGE 91, 93 = NZA 1999, 726). Für eine Alternativbegründung gilt nichts anderes. Die Nichtzulassungsbeschwerde muss bezüglich beider Alternativen zulässig und begründet sein. Die Beschwerde soll dazu führen, dass das BAG die aufgezeigte Frage von grundsätzlicher Bedeutung i.S. des § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG beantworten muss, auf die sie gestützt wird. Dieses Ziel wird nicht erreicht, wenn das anzufechtende Urteil – auch – auf einer selbständig tragenden Begründung beruht, die nicht erfolgreich Gegenstand der Nichtzulassungsbeschwerde war. Das BAG kann sich dann möglicherweise darauf beschränken, die nicht zum Gegenstand der Nichtzulassungsbeschwerde gewordene Begründung zu bestätigen, ohne zu der anderen Stellung zu nehmen (Senat, Beschl. v. 6. 3. 2003 – 2 AZN 446/02; BAGE 91, 93 = NZA 1999, 726).
bb) Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht. Selbst wenn der vom Kl. bezeichneten Frage bei einer unzulässigen Altersgruppenbildung grundsätzliche Bedeutung zukommen sollte, hat er hinsichtlich der Alternativbegründung des LAG, derzufolge die Sozialauswahl (erst recht) bei Zulässigkeit der Altersgruppenbildung nicht zu beanstanden ist, keine Zulassungsgründe dargelegt.
3. Von einer weiteren Begründung wird gem. § 72a Abs. 5 S. 5 ArbGG abgesehen.