Außerordentliche Kündigung – fehlendes Verschulden
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 21.01.1999, 2 AZR 665/98
(NZA 1999, 863)
Leitsätze
Auch schuldlose Pflichtverletzungen des Arbeitnehmers können ausnahmsweise einen wichtigen Grund zur verhaltensbedingten Arbeitgeberkündigung darstellen (Bestätigung der ständigen Senatsrechtsprechung, Urteile vom 27. Juli 1961 – 2 AZR 225/60 – AP Nr. 24 zu § 611 BGB Ärzte, Gehaltsansprüche und vom 31. Januar 1996 – 2 AZR 181/95 – RzK III 1 a Nr. 77; Klarstellung zu: Senatsurteil vom 14. Februar 1996 – 2 AZR 274/95 – AP Nr. 26 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung).
Tenor
- Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 11. Dezember 1997 – 7 Sa 526/96 – aufgehoben.
- Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern vom 27. Juli 1993 – 1 Ca 785/93 – wird zurückgewiesen.
- Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Urteil
Tatbestand
Der 1936 geborene, ledige Kläger ist seit 1976 bei der Beklagten als Betriebsschlosser tätig. Er ist Schwerbehinderter mit einem GdB von 50. Bei einer werksärztlichen Untersuchung wurden beim Kläger gesundheitliche Einschränkungen festgestellt, die eine Änderung seines Arbeitseinsatzes erforderten. Bei den daran anschließenden Verhandlungen über die Zuweisung eines neuen Arbeitsplatzes kam es zu Differenzen zwischen dem Kläger, der Werksärztin und Mitarbeitern der Beklagten. In der Folgezeit richtete der Kläger an die Beklagte in scharfer Form mehrere Schreiben. Die Beklagte wertet den Inhalt dieser Schreiben als üble Beschimpfung und Beleidigung von Vorgesetzten und Kollegen und als Aufstellung unwahrer Behauptungen. Nachdem sie den Kläger unter Androhung der fristlosen Kündigung abgemahnt hatte, nahm sie ein weiteres mehrseitiges Schreiben des Klägers vom 18. März 1993 zum Anlaß, das Kündigungsverfahren einzuleiten. In diesem Schreiben hatte der Kläger Mitarbeitern der Beklagten u. a. vorgeworfen, er sei jahrelang täglich systematisch belogen, betrogen, gezwungen, erpreßt, schikaniert, mißhandelt, beleidigt, diskriminiert und bedroht worden; er werde wie der letzte Verbrecher, Sklave oder Diener behandelt und beabsichtige, seine Briefe an obere Organe, Presse, Organisationen usw. zu schicken. Nach Zustimmung der Hauptfürsorgestelle kündigte die Beklagte dem nach dem einschlägigen Tarifvertrag ordentlich unkündbaren Kläger durch Schreiben vom 15. April 1993 fristlos.
Mit seiner gegen diese Kündigung gerichteten Klage macht der Kläger geltend, sein engagiert geschriebener Brief vom 18. März 1993 dürfe nicht berücksichtigt werden, denn es habe sich dabei um eine Beschwerde nach dem BetrVG gehandelt. Mit den vorangegangenen Schreiben habe er lediglich seine Meinung geäußert. Bei der Form der Meinungsäußerung müsse berücksichtigt werden, daß er in der Vergangenheit im Betrieb ungerecht behandelt worden sei. Jedenfalls nach der Abmahnung vom 26. Januar 1993 liege kein kündigungsrelevantes Verhalten mehr vor. Das Schreiben vom 18. März 1993 sei von ihm nicht in beleidigender Absicht verfaßt worden. Er habe damit lediglich den Versuch unternommen, dem Personalleiter sein berechtigtes Anliegen aus den vorangegangenen Schreiben näher zu erklären. Schuldhaft habe er auf keinen Fall gehandelt. Er leide an einer psychischen Erkrankung. Seine Vorstellungswelt habe erkennbar den Bezug zur Realität verloren und einen deutlich überwertigen Charakter angenommen, der als nicht korrigierbar angesehen werden müsse. Bei seiner Erkrankung handele es sich nicht um einzelne Affekte, die die Steuerungsfähigkeit ausschließen könnten, sondern um einen Dauerzustand, der bereits bei Abfassung der von der Beklagten beanstandeten Schreiben vorgelegen habe.
Der Kläger hat beantragt,
1.
festzustellen, daß das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die außerordentliche Kündigung vom 15. April 1993 aufgelöst worden ist,
2.
die Beklagte zu verurteilen, ihn zu unveränderten Arbeitsbedingungen weiterzubeschäftigen.
Die Beklagte hat zur Begründung ihres Klageabweisungsantrags vorgetragen, sie sei nicht mehr bereit, mit dem Kläger zusammenzuarbeiten, der eine derart schlechte Meinung von Arbeitskollegen und Vorgesetzten habe, ohne daß diese sachlich begründet sei. Mit dem Schreiben vom 18. März 1993 habe der Kläger seinen Arbeitgeber in unsachlicher, polemischer und beleidigender Art und Weise angegriffen. Schon 1987 sei der Kläger infolge seines beleidigenden Verhaltens im Betrieb in eine Schlägerei verwickelt gewesen. Da der Kläger seine Schreiben nicht in starker Erregung abgefaßt, sondern in aller Ruhe zu Hause entworfen habe, habe er sein grob vertragswidriges Verhalten auch zu vertreten. Angesichts der Gesamtumstände könne der Kläger sein grobes Fehlverhalten nicht mit angeblichen psychischen Störungen entschuldigen. Der entsprechende Sachvortrag des Klägers stelle eine Schutzbehauptung dar und werde bestritten. Im übrigen könne auch ein nicht schuldhaftes Verhalten eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung des Klägers der Klage stattgegeben. Auf die Revision der Beklagten hat der Senat in einem ersten Revisionsverfahren das Berufungsurteil aufgehoben und den Rechtsstreit an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen. Nach Einholung eines Sachverständigengutachtens über die vom Kläger behauptete psychische Erkrankung hat das Landesarbeitsgericht erneut der Klage stattgegeben. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.
Begründung
Die Revision der Beklagten ist begründet.
I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, das Verhalten des Kläger sei an sich geeignet, einen wichtigen Kündigungsgrund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB darzustellen. Der Kläger ergehe sich in Beschimpfungen und ehrabschneidenden Unterstellungen gegenüber Dienstvorgesetzten und Kollegen, die als grobe Verletzung der Pflichten zu werten seien, die ein Arbeitnehmer im Umgang mit seinem Arbeitgeber zu beachten habe. Der Kläger sei auch hinreichend abgemahnt. Bei verhaltensbedingten Kündigungen sei es jedoch erforderlich, daß den Arbeitnehmer der Vorwurf treffe, daß er schuldhaft gegen die ihm obliegenden Pflichten aus dem Arbeitsvertrag verstoßen habe. Daran fehle es nach dem Ergebnis des eingeholten Sachverständigengutachtens.
II. Dem folgt der Senat nicht. Das klageabweisende erstinstanzliche Urteil war wieder herzustellen. Das Verhalten des Klägers stellt unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen einen wichtigen Grund im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB dar, ihm fristlos zu kündigen.
1. Die Anwendung des § 626 Abs. 1 BGB durch das Berufungsgericht kann vom Revisionsgericht nur eingeschränkt daraufhin überprüft werden, ob der Sachverhalt unabhängig von den Besonderheiten des Einzelfalls an sich geeignet ist, einen wichtigen Grund abzugeben, und ob bei der erforderlichen Interessenabwägung alle vernünftigerweise in Betracht kommenden Umstände des Einzelfalls daraufhin überprüft worden sind, ob es dem Kündigenden unzumutbar geworden ist, das Arbeitsverhältnis bis zur ordentlichen Beendigung bzw. Beendigungsmöglichkeit fortzusetzen. Die Bewertung der für und gegen die Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung sprechenden Umstände liegt weitgehend im Beurteilungsspielraum der Tatsacheninstanz. Hält sich die Interessenabwägung im Rahmen des Beurteilungsspielraums, kann das Revisionsgericht die angegriffene Würdigung nicht durch seine eigene ersetzen (ständige Rechtsprechung: Senatsurteile vom 26. August 1976 – 2 AZR 377/75 – und vom 2. April 1987 – 2 AZR 418/86 – AP Nr. 68 und 69 zu § 626 BGB; vom 29. Januar 1997 – 2 AZR 292/96 – BAGE 85, 114 = AP Nr. 131 zu § 626 BGB und vom 5. Februar 1998 – 2 AZR 227/97 – AP Nr. 143 zu § 626 BGB, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen). Auch dieser eingeschränkten Überprüfung halten die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts nicht stand.
2. Zutreffend geht das Berufungsgericht allerdings davon aus, daß das Verhalten des Klägers an sich geeignet war, einen wichtigen Grund zur fristlosen Kündigung im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB darzustellen. Grobe Beleidigungen des Arbeitgebers oder seiner Vertreter, die nach Form und Inhalt eine erhebliche Ehrverletzung für den Betroffenen bedeuten, stellen einen erheblichen Verstoß des Arbeitnehmers gegen seine Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis dar und sind nach der Rechtsprechung an sich geeignet, eine verhaltensbedingte außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen (Senatsurteil vom 26. Mai 1977 – 2 AZR 632/76 – BAGE 29, 195 = AP Nr. 5 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht; vgl. Senatsurteil vom 18. Juli 1957 – 2 AZR 121/55 – AP Nr. 1 zu § 124 a GewO). Nichts anderes gilt für grobe Beleidigungen gegenüber Arbeitskollegen, wenn diese in ihrer Beharrlichkeit eine ernstliche Störung des Betriebsfriedens, der betrieblichen Ordnung und des reibungslosen Betriebsablaufes verursachen (vgl. Senatsurteil vom 30. September 1993 – 2 AZR 188/93 – EzA Nr. 152 zu § 626 BGB n. F.). Wenn das Landesarbeitsgericht in dem angefochtenen Urteil ausführt, die von der Beklagten vorgelegten Schreiben des Klägers hätten tiefgreifende Beleidigungen und ehrabschneidende Unterstellungen gegenüber Dienstvorgesetzten und Kollegen zum Inhalt und die in diesen Schreiben enthaltenen Beschimpfungen stellten grobe Verletzungen der dem Kläger obliegenden Verhaltenspflichten dar, so ist dies rechtlich nicht zu beanstanden. Dem Berufungsgericht ist auch darin zu folgen, daß die vom Kläger dargelegten Differenzen mit den betroffenen Vorgesetzten und Arbeitskollegen, die Richtigkeit der Sachdarstellung des Klägers zu seinen Gunsten unterstellt, nach den Gesamtumständen nicht geeignet waren, einen Rechtfertigungsgrund dafür darzustellen, daß der Kläger sich fortlaufend derart beleidigend bzw. verleumderisch zur Wehr setzte.
3. Ohne Rechtsfehler hat das Landesarbeitsgericht auch angenommen, daß die Beklagte im Kündigungszeitpunkt mit einer Fortsetzung der schwerwiegenden Vertragsverletzungen durch den Kläger rechnen mußte. Davon geht letztlich der Kläger selbst aus, wenn er geltend macht, seine Neigung, auf von ihm angenommene Ungerechtigkeiten von Vorgesetzten, Kollegen etc. zu reagieren, sei nicht korrigierbar. Die Beklagte mußte damit, wenn sie sich nicht vom Kläger trennte, befürchten, daß der Kläger sich auch in Zukunft ständig im bisherigen Stil mit ihren Mitarbeitern auseinandersetzte und möglicherweise auch, wie er bereits angedroht hatte, außerbetriebliche Stellen unsachlich über die Vorkommnisse im Betrieb informierte. Dabei hat das Landesarbeitsgericht nicht einmal geprüft, ob der Vorfall aus dem Jahre 1987 unabhängig von der verschiedenen Darstellung der Vorkommnisse durch die Parteien es nahelegte, daß auch zu befürchten war, der Kläger werde bei einem Verbleiben im Betrieb infolge seines Fehlverhaltens gegenüber Arbeitskollegen erneut in tätliche Auseinandersetzungen verwickelt.
4. Es ist jedoch, wie die Revision zu Recht rügt, rechtsfehlerhaft, wenn das Berufungsgericht die Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung nach § 626 Abs. 1 BGB allein an der Erwägung hat scheitern lassen, eine verhaltensbedingte fristlose Kündigung setze ein Verschulden des Arbeitnehmers voraus und der Kläger habe nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht schuldhaft gehandelt.
a) Nach der ständigen Senatsrechtsprechung bildet zwar bei der verhaltensbedingten Kündigung der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers im Rahmen der Interessenabwägung ein wichtiges, oft das wichtigste Abgrenzungskriterium. Deshalb können verhaltensbedingte Gründe eine außerordentliche Kündigung in der Regel nur dann rechtfertigen, wenn der Gekündigte nicht nur objektiv und rechtswidrig, sondern auch schuldhaft seine Pflichten aus dem Vertrag verletzt hat (Senatsurteile vom 27. Juli 1961 – 2 AZR 255/60 – AP Nr. 24 zu § 611 BGB Ärzte, Gehaltsansprüche; vom 16. März 1961 – 2 AZR 539/59 – BAGE 32, 214 = AP Nr. 2 zu § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung; vom 4. April 1974 – 2 AZR 452/73 – BAGE 26, 116 = AP Nr. 1 zu § 626 BGB Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat; vom 30. September 1993 – 2 AZR 188/93 – EzA Nr. 152 zu § 626 BGB n. F.; vom 7. Oktober 1993 – 2 AZR 226/93 – BAGE 74, 325 = AP Nr. 114 zu § 626 BGB „grundsätzlich“; vom 21. November 1996 – 2 AZR 357/95 – AP Nr. 130 zu § 626 BGB und vom 4. Juni 1997 – 2 AZR 526/96 – AP Nr. 137 zu § 626 BGB, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen). Wie die Betonung des Regel-/Ausnahmeverhältnisses zeigt, ist der Senat dabei von dem Rechtsgrundsatz ausgegangen, daß auch ein schuldloses Verhalten des Arbeitnehmers unter besonderen Umständen den Arbeitgeber zur verhaltensbedingten Kündigung berechtigen kann (vgl. insbesondere Senatsurteile vom 27. Juli 1961 – 2 AZR 255/60 –, aaO und vom 31. Januar 1996 – 2 AZR 181/95 – RzK III 1 a Nr. 77; ebenso schon RAG Urteil vom 22. Mai 1940 – RAG 222/39 – ARS 40, 52 unter Hinweis auf RAG Urteile vom 11. Januar 1928 – RAG 34/27 – ARS 2, 27 und vom 25. April 1936 – RAG 12/36 – ARS 27, 11; Hueck, KSchG, 4. Aufl., § 1 Rz 35; Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts, 7. Aufl., Band 1, S. 582 f.). Auch das Senatsurteil vom 10. Dezember 1992 (– 2 AZR 271/92 – AP Nr. 41 zu Art. 140 GG) nimmt auf diese ständige Senatsrechtsprechung, insbesondere das Senatsurteil vom 27. Juli 1961 (– 2 AZR 255/80 –, aaO) Bezug, kann also nicht als Beleg für die Ansicht in Anspruch genommen werden, eine verhaltensbedingte Kündigung setze stets ein Verschulden des Arbeitnehmers voraus.
b) Soweit das Landesarbeitsgericht sich demgegenüber der in der Literatur vertretenen Ansicht (Preis, DB 1990, 630, 685, 688; Ascheid, Kündigungsschutzrecht, Rz 430; HK-KSchG/Dorndorf § 1 Rz 531; Löwisch, KSchG, 7. Aufl., § 1 Rz 85; KR-Fischermeier, 5. Aufl., § 626 BGB Rz 139; a. A. Stahlhacke/Preis, Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis, 6. Aufl., Rz 680; Hueck/von Hoyningen- Huene, KSchG, 12. Aufl., § 1 Rz 279; Berkowsky, Die personen- und verhaltensbedingte Kündigung, 3. Aufl., § 18 Rz 27; KR-Etzel, 5. Auf., § 1 KSchG Rz 423), angeschlossen hat, eine verhaltensbedingte Kündigung setze stets ein Verschulden des Arbeitnehmers voraus, folgt der Senat dem nicht, sondern hält auch nach erneuter Überprüfung an der bisherigen Senatsrechtsprechung fest. Sollte das Senatsurteil vom 14. Februar 1996 (– 2 AZR 274/95 – AP Nr. 26 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung), das ohne den Zusatz „regelmäßig“ ein Verschulden des Arbeitnehmers bei der verhaltensbedingten Kündigung voraussetzt, dahingehend verstanden werden können, der Senat habe damit ohne jede Einschränkung eine verhaltensbedingte Kündigung vom Vorliegen des Verschuldens des Arbeitnehmers abhängig gemacht, so wird daran nicht festgehalten.
c) Der Wortlaut des § 626 Abs. 1 BGB unterscheidet nicht zwischen den in § 1 Abs. 2 KSchG ausdrücklich erwähnten verhaltensbedingten, personenbedingten bzw. betriebsbedingten Kündigungsgründen. Erwähnt wird die durch ein vertragswidriges Verhalten des Arbeitnehmers veranlaßte außerordentliche Arbeitgeberkündigung lediglich in § 628 Abs. 1 Satz 2 BGB bei der Regelung der Frage der Vergütung. Hier unterscheidet der Gesetzgeber aber ausdrücklich danach, ob die Arbeitgeberkündigung wegen eines Umstandes erfolgt, den der Arbeitnehmer zu vertreten oder nicht zu vertreten hat. Wenn bei der Vergütungsfrage (§ 628 Abs. 1 Satz 2 BGB) die fristlose Arbeitgeberkündigung (§ 626 Abs. 1 BGB) wegen eines schuldlosen vertragswidrigen Arbeitnehmerverhaltens neben der Kündigung wegen eines schuldhaften vertragswidrigen Arbeitnehmerverhaltens geregelt ist, so läßt dies den Schluß zu, daß im Rahmen des § 626 Abs. 1 BGB auch ein unverschuldetes vertragswidriges Verhalten des Arbeitnehmers jedenfalls ausnahmsweise einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung darstellen kann (vgl. zur Entstehungsgeschichte der Vorschrift Jakobs/Schubert, Die Beratung des bürgerlichen Gesetzbuchs, §§ 626 bis 628, S. 821, 824 f.). Deshalb entspricht es der Gesetzeslage, wenn die Rechtsprechung bei der Prüfung verhaltensbedingter Kündigungsgründe (Beleidigung etc.) ein Verschulden des Arbeitnehmers nicht stets für erforderlich gehalten, sondern nur bei der vorzunehmenden Interressenabwägung berücksichtigt hat (so schon RAG Urteil vom 22. Mai 1940 – RAG 222/39 – ARS 40, 52, 58).
Das Verschulden des Arbeitnehmers stellt nur im Regelfall ein taugliches Abgrenzungskriterium zwischen verhaltensbedingter und personenbedingter Kündigung dar. Zwar wird normalerweise dann, wenn der Arbeitnehmer sich anders verhalten kann, aber nicht anders verhalten will, ein verhaltensbedingter Kündigungsgrund und im umgekehrten Fall, wenn der Arbeitnehmer sich nicht anders verhalten kann, ein personenbedingter Kündigungsgrund naheliegen. Dies gilt jedoch nicht ausnahmslos. So kann das Fehlen der fachlichen Eignung als personenbedingter Kündigungsgrund durchaus persönlich vorwerfbar sein, wenn sich der Arbeitnehmer etwa die erforderliche fachliche Eignung schuldhaft nicht verschafft oder durch Fortbildungsmaßnahmen nicht aufrecht erhalten hat (Rüthers/Henssler, ZfA 1988, 31, 44). Umgekehrt kann ein Fehlverhalten des Arbeitnehmers die betriebliche Ordnung bzw. die im Betrieb einzuhaltenden Sicherheitsvorschriften derart nachhaltig stören, daß dem Arbeitgeber eine Aufrechterhaltung dieses Zustandes selbst dann nicht zumutbar ist, wenn dem Arbeitnehmer seine Vertragspflichtverletzung nicht vorwerfbar ist (Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, 8. Aufl., § 130 I 2 a, S. 1170). Gefährdet etwa der Arbeitnehmer durch sein Fehlverhalten die Sicherheit des Betriebes oder stört durch fortlaufende Tätlichkeiten, schwerste Beleidigungen etc. schwerwiegend die betriebliche Ordnung, so muß der Arbeitgeber unter Umständen äußerst schnell hinreichende Maßnahmen ergreifen, um ein weiteres derartiges Fehlverhalten, das eine Weiterbeschäftigung des betreffenden Arbeitnehmers unzumutbar macht, durch eine sofortige Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit diesem Arbeitnehmer zu unterbinden. Für die oft nur durch Sachverständigengutachten mögliche Klärung der Frage, ob der Arbeitnehmer für sein Fehlverhalten auch voll verantwortlich ist, bleibt in derart gravierenden Fällen oft keine Zeit mehr. Das für die Abgrenzung zwischen verhaltensbedingter und personenbedingter Kündigung maßgebliche Schwergewicht der Störung liegt in solchen Fällen auch nicht in einer – bei langjähriger ordnungsgemäßer Arbeitsleistung oft fraglichen – fehlenden Eignung des Arbeitnehmers, sondern allein in den verschuldeten oder unverschuldeten Pflichtverstößen des Arbeitnehmers, die für die Zukunft weitere derartige Pflichtverstöße in einem unzumutbaren Ausmaß erwarten lassen. Gerade die Erkenntnis, daß auch der verhaltensbedingte Kündigungsgrund zukunftsgerichtet ist und deshalb die verhaltensbedingte Kündigung keinen Sanktionscharakter hat (a. A. noch Weller, Arbeitsrecht der Gegenwart, 20, 77, 79), legt es schließlich nahe, bei der Abgrenzung, ob zu erwartende Arbeitspflichtverletzungen des Arbeitnehmers seine Weiterbeschäftigung unzumutbar machen, von dem eher systemfremden Erfordernis abzusehen, es müsse ohne jede Einschränkung stets ein Verschulden des Arbeitnehmers vorliegen.
d) Ein solcher Ausnahmefall, daß fortlaufende Vertragspflichtverletzungen des Arbeitnehmers auch ohne Verschulden einen verhaltensbedingten wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung darstellen, liegt hier nach dem vom Landesarbeitsgericht festgestellten Sachverhalt vor. Die Abgrenzung, ob ein personenbedingter oder verhaltensbedingter Kündigungsgrund vorliegt, richtet sich in erster Linie danach, aus welchem der – in der gesetzlichen Bestimmung des § 626 Abs. 1 BGB nicht einmal gesondert aufgeführten – Bereiche die sich auf den Bestand des Arbeitsverhältnisses nachteilig auswirkende Störung kommt (BAG Urteil vom 13. März 1987 – 7 AZR 724/85 – AP Nr. 37 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung). Die Störquelle lag hier allein im Bereich der verhaltensbedingten Kündigungsgründe. Die fortlaufenden Vertragspflichtverletzungen des Klägers hatten, wovon auch das Berufungsgericht ausgeht, bei Ausspruch der Kündigung ein Ausmaß erreicht, daß sie an sich einen wichtigen Grund zur Kündigung darstellten. Bedenken hinsichtlich der persönlichen Eignung des tariflich nicht mehr ordentlich kündbaren Klägers, der viele Jahre lang offenbar seine Arbeit beanstandungsfrei verrichtet hat, spielten demgegenüber bei dem Kündigungsentschluß der Beklagten keine entscheidende Rolle.
Entgegen der Annahme des Berufungsgerichts waren die Vertragspflichtverletzungen des Klägers auch so schwerwiegend, daß die Ausführungen des Sachverständigengutachtens zu der Frage des Verschuldens des Klägers nicht von vornherein geeignet waren, eine verhaltensbedingte Kündigung auszuschließen. Wenn das Landesarbeitsgericht, ohne damit im Ergebnis von dem von ihm angenommenen Verschuldenserfordernis abzurücken, die Schwere der Pflichtverletzungen des Klägers mit der Überlegung in Zweifel zieht, das Fehlverhalten des Klägers habe im wesentlichen nur bei den jeweiligen Empfängern der Schreiben zu einer nachvollziehbaren Verärgerung geführt, so greift dies zu kurz. Wer wie der Kläger über einen längeren Zeitraum hinweg, wie dies das Landesarbeitsgericht festgestellt hat, Dienstvorgesetzte und Kollegen beschimpft und mit Schreiben traktiert, die ohne hinreichenden Anlaß schwere Beleidigungen und ehrabschneidende Unterstellungen zum Inhalt haben, gefährdet durch ein derartiges „nicht differenzierendes Umsichschlagen“ die betriebliche Ordnung und den Betriebsfrieden. Nicht zuletzt im Interesse der anderen Arbeitnehmer darf der Arbeitgeber regelmäßig solchen gezielten Versuchen, mit vertragswidrigen Mitteln die eigenen Interessen durchzusetzen, nicht nachgeben, sondern muß durch geeignete Maßnahmen, notfalls eine verhaltensbedingte Kündigung, die betriebliche Ordnung und den Betriebsfrieden bzw. wenn er darüber hinaus Handgreiflichkeiten zu befürchten hat, die betriebliche Sicherheit wiederherstellen können. In derartigen Extremfällen wie dem vorliegenden muß es dem Arbeitgeber grundsätzlich möglich sein, auf das objektiv vertragswidrige Verhalten des Arbeitnehmers angemessen zu reagieren, ohne daß es entscheidend wäre, ob der betreffende Arbeitnehmer letztlich schuldhaft gehandelt hat.
e) Es kommt nach alledem nicht mehr darauf an, daß auch Bedenken gegen die vom Landesarbeitsgericht übernommene Annahme des Sachverständigen bestehen, der Kläger habe nicht schuldhaft gehandelt. Wenn der Kläger nach dem Sachverständigengutachten in der Lage gewesen ist, die Wirklichkeit seines Tuns verstandesgemäß einzusehen, so spricht dies eher für eine Steuerungsfähigkeit seines Verhaltens.
5. Die Wirksamkeit der Kündigung scheitert, wie das Berufungsgericht zutreffend dargelegt hat, auch nicht am Fehlen einer einschlägigen Abmahnung. Der Kläger war nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts mehrfach einschlägig abgemahnt und weitere Abmahnungen waren angesichts der Beharrlichkeit seines Fehlverhaltens nicht mehr erfolgversprechend.
6. Der Senat kann nach § 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO in der Sache selbst entscheiden, da der Sachverhalt durch die Tatsacheninstanzen festgestellt und die Sache zur Endentscheidung reif ist. Die abschließende Interessenabwägung im Rahmen des § 626 Abs. 1 BGB obliegt zwar in erster Linie den Tatsacheninstanzen, denen hierbei ein Beurteilungsspielraum zukommt. Der Senat konnte sich jedoch der zutreffenden, durch das Arbeitsgericht vorgenommenen Interessenabwägung anschließen. Dieser ist auch das Landesarbeitsgericht in allen entscheidungserheblichen Punkten gefolgt. Seine der Klage stattgebende Entscheidung beruht demgegenüber allein auf dem unzutreffenden Abstellen auf das Verschuldensmerkmal. Das Arbeitsgericht hat ausgeführt, berücksichtige man alle Umstände des Einzelfalls und wäge die Interessen beider Vertragsteile gegeneinander ab, so habe ein wichtiger Grund zur Kündigung ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist vorgelegen, denn der Beklagten sei, auch unter Berücksichtigung des Lebensalters des Klägers und seiner langen Betriebszugehörigkeit dessen Weiterbeschäftigung unzumutbar gewesen. Nach dem gesamten Inhalt seiner Schreiben habe der Kläger nicht erwarten können, daß die Beklagte noch weiterhin Geduld mit ihm übe, nachdem sie ihn in früherer Zeit wegen solcher Schreiben nur abgemahnt habe. Dem schließt sich der Senat auch unter Berücksichtigung des Sachverständigengutachtens an; jedes andere Ergebnis der vorzunehmenden Interessenabwägung mußte angesichts der Schwere und der Beharrlichkeit der Vertragsverletzungen des Klägers und der letztlich von ihm selbst eingeräumten Wiederholungsgefahr ausscheiden. Auch mildere Mittel zur Lösung des Konflikts standen der Beklagten nicht zur Verfügung.
Etzel Bitter Bröhl
Nielebock Dr. Bartel
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Vorinstanzen:
LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 11.12.1997, 7 Sa 526/96
ArbG Kaiserslautern, Urteil vom 27.07.1993, 1 Ca 785/93
> BAG, 18.09.2008 – 2 AZR 827/06
> BAG, 19.04.2007 – 2 AZR 78/06
> BAG, 02.03.2006 – 2 AZR 53/05
> BAG, 24.11.2004 – 2 AZR 584/04