Heimarbeit – Entgeltsicherung – Urlaubsabgeltung
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 20.08.2019, 9 AZR 41/19
Leitsätze des Gerichts
- Hat der Auftraggeber den bis zur Beendigung des Heimarbeitsverhältnisses nicht genommenen Urlaub eines Heimarbeiters abzugelten, ist für die Berechnung der Abgeltung nach § 12 Nr. 1 BUrlG der Zeitraum vom 1. Mai des dem Urlaubsjahr vorausgehenden Jahres bis zum 30. April des Urlaubsjahres maßgeblich (Rn. 10).
- Die Entgeltsicherung, die § 29 Abs. 7 und Abs. 8 Satz 1 HAG zugunsten des in Heimarbeit Beschäftigten vorsehen, ist eine in sich geschlossene, einheitliche Regelung, die in zeitlicher Hinsicht nicht weiter reicht als die gesetzlichen Kündigungsfristen nach § 29 Abs. 2 bis Abs. 5 HAG. Kündigt der Auftraggeber das Heimarbeitsverhältnis nach Ablauf des Zeitraums, für den er nach § 29 Abs. 8 Satz 1 HAG Entgeltsicherung schuldet, besteht kein Entgeltanspruch des in Heimarbeit Beschäftigten nach § 29 Abs. 7 HAG für einen weiteren Zeitraum (Rn. 43).
Tenor
- Auf die Revision des Klägers wird – unter Zurückweisung der Revision im Übrigen – das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 15. November 2018 – 6 Sa 1225/17 – im Kostenpunkt insgesamt und in der Sache insoweit aufgehoben, als es die Anschlussberufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hannover vom 16. November 2017 – 2 Ca 355/16 – hinsichtlich der Urlaubsabgeltung für das Jahr 2014 in Höhe eines 1.103,12 Euro brutto übersteigenden Betrags und hinsichtlich der Urlaubsabgeltung für das Jahr 2015 iHv. 1.103,12 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 25. Mai 2017 zurückgewiesen hat.
- Hinsichtlich der Urlaubsabgeltung für das Jahr 2015 wird das Urteil des Arbeitsgerichts Hannover vom 16. November 2017 – 2 Ca 355/16 – auf die Anschlussberufung des Klägers teilweise abgeändert und die Beklagte verurteilt, an ihn 1.103,12 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 25. Mai 2017 zu zahlen.
- Hinsichtlich der Urlaubsabgeltung für das Jahr 2014 wird die Sache im Umfang der diesbezüglichen Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Revision – an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
9 AZR 41/19 > Rn 1
Der Kläger nimmt die Beklagte auf Zahlung von Vergütung und Abgeltung von Urlaub aus einem Heimarbeitsverhältnis in Anspruch.
9 AZR 41/19 > Rn 2
Der Kläger erbrachte seit dem 1. Juli 1992 für die Beklagte Leistungen als Bauingenieur/Programmierer in Heimarbeit gegen eine Stundenvergütung iHv. zuletzt 37,50 Euro. Im Nachgang zu ihrem Beschluss, das Unternehmen mit Ablauf des 31. Dezember 2013 aufzulösen und zu liquidieren, gab die Beklagte an den Kläger ab dem 1. Dezember 2013 keine Heimarbeit mehr aus. Unter dem 14. September 2015 kündigte sie das Heimarbeitsverhältnis mit Wirkung zum 30. April 2016.
9 AZR 41/19 > Rn 3
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Beklagte schulde ihm Vergütung wegen Annahmeverzugs. Das Heimarbeitsverhältnis der Parteien falle in den Anwendungsbereich des § 615 BGB, da es als Dienstverhältnis iSd. § 611 Abs. 1 BGB zu qualifizieren sei. Die Beklagte sei darüber hinaus zum Schadensersatz verpflichtet, da sie ihre über die Jahre gewachsene Verpflichtung, ihm eine bestimmte Arbeitsmenge zuzuweisen, verletzt habe. Jedenfalls habe er für den Zeitraum vom 1. Juli 2014 bis zum 30. April 2016 gemäß § 29 Abs. 7 und Abs. 8 HAG Anspruch auf Entgeltsicherung. Darüber hinaus sei die Beklagte verpflichtet, seinen Urlaub aus den Jahren 2014 und 2015 abzugelten. Für die Berechnung des Abgeltungsbetrags sei die Vergütung maßgebend, die er in der Zeit vom 1. Mai des Urlaubsjahres bis zum 30. April des Folgejahres erhalten habe.
9 AZR 41/19 > Rn 4
Der Kläger hat – soweit für die Revision von Bedeutung – beantragt,
1.
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 171.970,00 Euro brutto abzüglich Zwischenverdienst von 24.999,96 Euro brutto zuzüglich Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus jeweils 5.930,00 Euro brutto seit dem 1. Januar 2014, 1. Februar 2014, 1. März 2014, 1. April 2014, 1. Mai 2014, 1. Juni 2014, 1. Juli 2014, 1. August 2014, 1. September 2014, 1. Oktober 2014, 1. November 2014, 1. Dezember 2014, 1. Januar 2015, 1. Februar 2015, 1. März 2015, 1. April 2015, 1. Mai 2015, 1. Juni 2015, 1. Juli 2015, 1. August 2015, 1. September 2015, 1. Oktober 2015, 1. November 2015, 1. Dezember 2015, 1. Januar 2016, 1. Februar 2016, 1. März 2016, 1. April 2016 und 1. Mai 2016 zu zahlen;
hilfsweise die Beklagte zu verurteilen, an ihn 157.060,00 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus jeweils 5.930,00 Euro brutto seit dem 1. Januar 2014, 1. Februar 2014, 1. März 2014, 1. April 2014, 1. Mai 2014, 1. Juni 2014, 1. Juli 2014, 1. August 2014 sowie aus jeweils 5.220,00 Euro brutto seit dem 1. September 2014, 1. Oktober 2014, 1. November 2014, 1. Dezember 2014, 1. Januar 2015, 1. Februar 2015, 1. März 2015, 1. April 2015, 1. Mai 2015, 1. Juni 2015, 1. Juli 2015, 1. August 2015, 1. September 2015, 1. Oktober 2015, 1. November 2015, 1. Dezember 2015, 1. Januar 2016, 1. Februar 2016, 1. März 2016, 1. April 2016 und 1. Mai 2016 zu zahlen;
2.
die Beklagte zu verurteilen, an ihn Urlaubsabgeltung iHv. 15.584,94 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 1. Mai 2016 zu zahlen.
9 AZR 41/19 > Rn 5
Die Beklagte hat die Abweisung der Klage mit der Begründung beantragt, die Bestimmungen über die Entgeltsicherung in § 29 Abs. 7 und Abs. 8 HAG gingen als Spezialregelungen der allgemeinen Verzugsvorschrift des § 615 BGB vor. Mangels Pflichtverletzung ihrerseits kämen Ansprüche des Klägers auf Schadensersatz nicht in Betracht. Das Konkurrenzverhältnis zwischen § 29 Abs. 7 und Abs. 8 HAG schließe eine gleichzeitige Anwendung beider Vorschriften aus. Schließlich laufe der dem Grunde nach bestehende Anspruch aus § 29 Abs. 7 HAG im Streitfall leer, da der Kläger in den letzten 24 Wochen vor dem Ausspruch der Kündigung keinen Verdienst erzielt habe.
9 AZR 41/19 > Rn 6
Soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung, liegt der Revision des Klägers die folgende Prozessgeschichte zugrunde: Das Arbeitsgericht hat der Klage teilweise stattgegeben und die Beklagte ua. rechtskräftig verurteilt, an den Kläger als Entgeltsicherung nach § 29 Abs. 8 HAG für die Zeit vom 1. Dezember 2013 bis zum 30. Juni 2014 einen Bruttobetrag iHv. 41.510,00 Euro abzüglich eines auf die Bundesagentur für Arbeit übergegangenen Nettobetrags iHv. 3.637,43 Euro nebst anteiligen Zinsen zu zahlen. Darüber hinaus hat es die Beklagte verurteilt, an den Kläger Schadensersatz iHv. 107.019,00 Euro nebst Zinsen zu zahlen, Urlaub des Klägers aus dem Jahr 2013 mit einem Bruttobetrag iHv. 5.194,83 Euro abzugelten und hierauf Zinsen zu entrichten. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht das Urteil ua. abgeändert, soweit die Beklagte zur Zahlung von Schadensersatz iHv. 107.019,00 Euro nebst Zinsen verurteilt worden ist, und die Klage insoweit abgewiesen. Auf die Anschlussberufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht das Urteil teilweise abgeändert und dem Kläger Urlaubsabgeltung für das Jahr 2014 iHv. 1.103,12 Euro brutto nebst Zinsen zugesprochen. Im Übrigen hat das Landesarbeitsgericht die Rechtsmittel der Parteien – soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung – zurückgewiesen. Mit der Revision begehrt der Kläger von der Beklagten weiterhin einen Ausgleich für die Nichtausgabe von Heimarbeit in dem Zeitraum vom 1. Juli 2014 bis zum 30. April 2016. Des Weiteren verlangt er Urlaubsabgeltung für die Jahre 2014 und 2015, soweit das Landesarbeitsgericht seine diesbezügliche Berufung zurückgewiesen hat.
9 AZR 41/19 > Rn 7
Die zulässige Revision des Klägers ist begründet, soweit er die Abgeltung des aus dem Jahr 2014 stammenden Urlaubs mit einem weiteren Bruttobetrag iHv. 4.091,71 Euro sowie die Abgeltung des aus dem Jahr 2015 stammenden Urlaubs mit einem weiteren Bruttobetrag iHv. 1.103,12 Euro jeweils nebst Zinsen verlangt. Während das angefochtene Urteil hinsichtlich des ersten Klageanspruchs aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen war, konnte der Senat über den zweiten Klageanspruch abschließend entscheiden. Im Übrigen hat das Landesarbeitsgericht die Anschlussberufung des Klägers gegen das klageabweisende Urteil des Landesarbeitsgerichts, soweit hierüber im Revisionsverfahren zu befinden war, zu Recht zurückgewiesen.
9 AZR 41/19 > Rn 8
A. Mit der Begründung des Landesarbeitsgerichts durfte dem Kläger die von ihm begehrte Abgeltung des aus dem Jahr 2014 stammenden Urlaubs nicht versagt werden. Auf der Grundlage der Feststellungen des Landesarbeitsgerichts kann der Senat nicht abschließend entscheiden, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe die Beklagte nach der Beendigung des Heimarbeitsverhältnisses verpflichtet ist, Urlaub abzugelten, den der Kläger im Jahr 2014 erwarb.
9 AZR 41/19 > Rn 9
I. Für die in Heimarbeit Beschäftigten, zu denen nach § 2 Abs. 1 Satz 1 HAG Heimarbeiter – wie im Streitfall der Kläger – zählen, gelten gemäß § 12 BUrlG die allgemeinen Bestimmungen des Bundesurlaubsgesetzes mit Ausnahme der §§ 4 bis 6, § 7 Abs. 3 und Abs. 4 und § 11 BUrlG mit weiteren Maßgaben. Der bis zur Beendigung des Heimarbeitsverhältnisses nicht genommene Urlaub ist nicht nach der allgemeinen Vorschrift des § 7 Abs. 4 BUrlG, sondern nach der speziellen Bestimmung des § 12 Nr. 1 BUrlG, die eine eigenständige Abgeltungsregelung enthält, abzugelten (vgl. BAG 11. Juli 2006 – 9 AZR 516/05 – Rn. 36, BAGE 119, 31). Danach berechnet sich das Urlaubsentgelt nach dem in der Zeit vom 1. Mai bis zum 30. April des Folgejahres oder bis zur Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses verdienten Arbeitsentgelts.
9 AZR 41/19 > Rn 10
II. Das Landesarbeitsgericht hat zur Berechnung des Urlaubsabgeltungsanspruchs für das Jahr 2014 rechtsfehlerhaft auf den Referenzzeitraum vom 1. Mai 2014 bis zum 30. April 2015 und nicht auf die Zeit vom 1. Mai 2013 bis zum 30. April 2014 abgestellt. Maßgebend ist der Zeitraum vom 1. Mai des dem Urlaubsjahr vorausgehenden Jahres bis zum 30. April des Urlaubsjahres. Dies ergibt die Auslegung des § 12 Nr. 1 BUrlG (vgl. zu den Auslegungsgrundsätzen im Einzelnen BAG 7. Februar 2019 – 6 AZR 75/18 – Rn. 16).
9 AZR 41/19 > Rn 11
1. Der Wortlaut des § 12 Nr. 1 BUrlG bestimmt den Referenzzeitraum für die Berechnung des Urlaubsentgelts nicht eindeutig. Die Vorschrift stellt auf die „Zeit vom 1. Mai bis zum 30. April des folgenden Jahres“ ab, ohne festzulegen, welche beiden Jahre maßgebend sind. Soweit ein Teil des arbeitsrechtlichen Schrifttums aus der gesetzlichen Formulierung ableitet, der bezeichnete Zeitraum liege im laufenden Jahr, dh. im Urlaubsjahr und dem sich daran anschließenden Jahr (vgl. Schaub ArbR-HdB/Linck 18. Aufl. § 104 Rn. 140; Neumann in: Neumann/Fenski/Kühn BUrlG 11. Aufl. § 12 Rn. 19; MAH ArbR/Jacobsen 4. Aufl. § 27 Rn. 198; BeckOK ArbR/Lampe Stand: 1. März 2019 BUrlG § 12 Rn. 4), ist dieser Schluss nicht zwingend. Weder stellt die Vorschrift für den Beginn des Berechnungszeitraums auf das „laufende“ Jahr ab noch stützt die Verwendung der Wörter „folgendes Jahr“ im Zusammenhang mit dem Datum des 30. April allein eine in die Zukunft gerichtete Berechnung. Wird der Zeitraum seit dem 1. Mai des vorangegangenen Jahres für die Berechnung herangezogen, liegen die ihm folgenden Monate von Januar bis April ebenfalls im „folgenden Jahr“ (ErfK/Gallner 19. Aufl. BUrlG § 12 Rn. 12; Schmidt/Koberski/Tiemann/Wascher HAG 4. Aufl. Anh. § 19 Rn. 112).
9 AZR 41/19 > Rn 12
2. Der systematische Zusammenhang, in den § 12 Nr. 1 BUrlG gestellt ist, spricht entscheidend gegen das Auslegungsergebnis, zu dem das Landesarbeitsgericht gelangt ist.
9 AZR 41/19 > Rn 13
a) Zu dem gesetzlichen Mindesturlaubsanspruch nach § 12 BUrlG tritt gemäß § 208 SGB IX der Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen. § 210 Abs. 3 Satz 1 SGB IX, dem zufolge die Bezahlung des zusätzlichen Urlaubs der in Heimarbeit beschäftigten schwerbehinderten Menschen nach den für die Bezahlung ihres sonstigen Urlaubs geltenden Berechnungsgrundsätzen erfolgt, ordnet für den Fall, dass eine besondere Regelung nicht besteht, einen Gleichlauf des Urlaubsentgelts für den Zusatzurlaub und des Urlaubsentgelts für den Mindesturlaub an. Anders als in § 12 Nr. 1 BUrlG ist der Wortlaut des § 210 Abs. 3 Satz 2 SGB IX eindeutig. Schwerbehinderte Menschen erhalten danach als zusätzliches Urlaubsgeld 2 % des in der Zeit vom 1. Mai des vergangenen bis zum 30. April des laufenden Jahres verdienten Arbeitsentgelts ausschließlich der Unkostenzuschläge.
9 AZR 41/19 > Rn 14
b) Für eine auf den Zeitraum vom 1. Mai des dem Urlaubsjahr vorausgehenden Jahres bis zum 30. April des Urlaubsjahres bezogene Referenzperiode spricht zudem die Regelung des § 12 Nr. 3 BUrlG. Danach soll das Urlaubsentgelt für die in § 12 Nr. 1 bezeichneten Personen bei der letzten Entgeltzahlung vor Antritt des Urlaubs ausgezahlt werden. Dieser Vorschrift liegt die Annahme des Gesetzgebers zugrunde, dass bereits bei Urlaubsantritt das dem Heimarbeiter zustehende Urlaubsentgelt im Regelfall zutreffend berechnet werden kann. Dies ist nur dann möglich, wenn sich der Berechnungszeitraum – zumindest zum überwiegenden Teil – auf einen zurückliegenden Zeitraum bezieht (Schmidt/Koberski/Tiemann/Wascher HAG 4. Aufl. Anh. § 19 Rn. 112).
9 AZR 41/19 > Rn 15
3. Die im Wesentlichen retrospektive Berechnung des Urlaubsentgelts entspricht zudem dem Sinn und Zweck des § 12 Nr. 1 BUrlG. Die Vorschrift ersetzt die für den Geldfaktor geltende Bemessungsvorschrift des § 11 Abs. 1 BUrlG, dem zufolge sich das Urlaubsentgelt nach dem durchschnittlichen Arbeitsverdienst, den ein Arbeitnehmer in den letzten 13 Wochen vor dem Beginn des Urlaubs erhalten hat, mit Ausnahme des zusätzlich für die Überstunden gezahlten Arbeitsverdienstes, bemisst. § 12 Nr. 1 BUrlG trägt den Besonderheiten der Heimarbeit Rechnung, indem er den Berechnungszeitraum von 13 Wochen auf ein Jahr ausdehnt. In Anbetracht der Schwankungen, denen das Entgelt eines Heimarbeiters üblicherweise unterworfen ist, geht der Gesetzgeber ersichtlich davon aus, ein 13 Wochen umfassender Referenzzeitraum sei für die Ermittlung des Durchschnittsverdienstes nicht hinreichend repräsentativ, da sich bei Anwendung des § 11 Abs. 1 BUrlG die Gefahr von Zufallsergebnissen merklich erhöhte (vgl. BeckOK ArbR/Lampe Stand 1. März 2019 BUrlG § 12 Rn. 4). Das Gesetz bietet keine Anhaltspunkte dafür, dass neben der Erweiterung des Berechnungszeitraums auch die weitere Systematik des § 11 Abs. 1 BUrlG modifiziert werden sollte. Es liegt deshalb nahe, dass der Berechnungszeitraum des § 12 Nr. 1 BUrlG ebenso wie der des § 11 Abs. 1 BUrlG – auch – einen Vergangenheitsbezug aufweist. Während § 11 Abs. 1 BUrlG auf die letzten 13 Wochen vor dem Beginn des Urlaubs abstellt, setzt der Berechnungszeitraum des § 12 Nr. 1 BUrlG am 1. Mai des Jahres vor dem Bezugszeitraum für den Urlaub an.
9 AZR 41/19 > Rn 16
4. Für eine – im Wesentlichen – rückblickende Ermittlung des Urlaubsentgelts sprechen schließlich praktische Erwägungen. Stellt man auf einen in der Zukunft liegenden Zeitraum ab, führt dies unweigerlich zu einer Berechnung, die mit aus der schwankenden Auftragsentwicklung resultierenden Prognoseunsicherheiten belastet ist. Nach dem 30. April des dem Urlaubsjahr folgenden Jahres müsste eine Nachberechnung durchgeführt werden, die gegebenenfalls im Falle einer Überzahlung zu einer Erstattung und im Falle einer zu geringen Entgeltzahlung zu Nachzahlungen führen würde (vgl. Schmidt/Koberski/Tiemann/Wascher HAG 4. Aufl. Anh. § 19 Rn. 113).
9 AZR 41/19 > Rn 17
5. Das Unionsrecht gibt kein abweichendes Ergebnis vor.
9 AZR 41/19 > Rn 18
a) Das Unionsrecht ist für die Auslegung des § 12 Nr. 1 BUrlG nicht maßgebend. Die Bestimmungen der RL 2003/88/EG sind nur auf Arbeitnehmer anwendbar (EuGH 20. November 2018 – C-147/17 – [Sindicatul Familia Constanta ua.] Rn. 40). Heimarbeiter, die nicht Arbeitnehmer im Sinne der Richtlinie RL 2003/88/EG sind, werden von deren Art. 7 nicht erfasst.
9 AZR 41/19 > Rn 19
aa) Der Arbeitnehmerbegriff kann für die Zwecke der Anwendung der RL 2003/88/EG nicht nach Maßgabe der nationalen Rechtsordnungen unterschiedlich ausgelegt werden, sondern hat eine eigenständige unionsrechtliche Bedeutung. Er ist anhand objektiver Kriterien zu definieren, die das Arbeitsverhältnis unter Berücksichtigung der Rechte und Pflichten der betroffenen Personen kennzeichnet. Das wesentliche Merkmal des Arbeitsverhältnisses besteht darin, dass eine Person während einer bestimmten Zeit für eine andere nach deren Weisungen Leistungen erbringt, für die sie als Gegenleistung eine Vergütung erhält. Hieraus folgt, dass das Arbeitsverhältnis das Vorliegen eines Unterordnungsverhältnisses zwischen dem Arbeitnehmer und seinem Arbeitgeber voraussetzt. Ob ein solches gegeben ist, muss in jedem Einzelfall anhand aller Gesichtspunkte und aller Umstände, die die Beziehungen zwischen den Beteiligten kennzeichnen, geprüft werden (EuGH 20. November 2018 – C-147/17 – [Sindicatul Familia Constanta ua.] Rn. 41 f. mwN).
9 AZR 41/19 > Rn 20
Die formale Einstufung als Selbständiger nach innerstaatlichem Recht steht der Annahme, ein Beschäftigter sei Arbeitnehmer, nicht entgegen, wenn die Selbständigkeit nur fiktiv ist und damit ein Arbeitsverhältnis verschleiert (EuGH 4. Dezember 2014 – C-413/13 – [FNV Kunsten Informatie en Media] Rn. 35; 11. November 2010 – C-232/09 – [Danosa] Rn. 41; 13. Januar 2004 – C-256/01 – [Allonby] Rn. 71). Die Eigenschaft als „Arbeitnehmer“ iSd. Unionsrechts wird demnach nicht dadurch berührt, dass eine Person aus steuerlichen, administrativen oder verwaltungstechnischen Gründen nach innerstaatlichem Recht als selbstständiger Dienstleistungserbringer beschäftigt wird, sofern sie nach Weisung ihres Arbeitgebers handelt, insbesondere was ihre Freiheit bei der Wahl von Zeit, Ort und Inhalt ihrer Arbeit angeht, nicht an den geschäftlichen Risiken dieses Arbeitgebers beteiligt ist, während der Dauer des Vertragsverhältnisses in dessen Unternehmen eingegliedert ist und daher mit ihm eine wirtschaftliche Einheit bildet (EuGH 4. Dezember 2014 – C-413/13 – [FNV Kunsten Informatie en Media] Rn. 36 mwN).
9 AZR 41/19 > Rn 21
bb) Nach diesen Grundsätzen sind Heimarbeiter iSd. § 2 Abs. 1 Satz 1 HAG keine Arbeitnehmer iSd. Unionsrechts. Es handelt sich nicht um „Scheinselbstständige“ iSd. Rechtsprechung des Gerichtshofs, sondern um Selbstständige, auch wenn sie die Verwertung der Arbeitsergebnisse dem Auftraggeber überlassen. Sie können die Zeit, die Durchführung sowie den Ort ihrer Arbeitsleistung frei bestimmen, Hilfspersonen hinzuziehen und die Werkzeuge sowie die Arbeitsmethode selbstständig wählen. Sie sind – anders als Arbeitnehmer – nicht in das Unternehmen des Auftraggebers eingegliedert. Dass dies auch auf die Person des Klägers zutrifft, hat der Senat in seiner Entscheidung vom 14. Juni 2016 (- 9 AZR 305/15 – Rn. 21 ff., BAGE 155, 264) festgestellt.
9 AZR 41/19 > Rn 22
cc) Eines Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 267 Abs. 3 AEUV bedarf es nicht. Mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs sind die unionsrechtlichen Grundsätze, die für den Anwendungsbereich der RL 2003/88/EG und den hierfür maßgebenden Arbeitnehmerbegriff maßgebend sind, als geklärt anzusehen (EuGH 20. November 2018 – C-147/17 – [Sindicatul Familia Constanta ua.] Rn. 40 ff. mwN).
9 AZR 41/19 > Rn 23
b) Im Übrigen gestaltet § 12 Nr. 1 BUrlG den Urlaubsanspruch eines Heimarbeiters unionsrechtskonform aus. Mit dem in Art. 7 RL 2003/88/EG geregelten Anspruch eines Arbeitnehmers auf einen bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen korrespondiert die Verpflichtung des Arbeitgebers, das Arbeitsentgelt für die Dauer des Jahresurlaubs im Sinne dieser Richtlinie weiter zu gewähren. Der Arbeitnehmer muss für diese Ruhezeit das gewöhnliche Arbeitsentgelt erhalten. Dadurch soll der Arbeitnehmer während des Jahresurlaubs in eine Lage versetzt werden, die in Bezug auf das Entgelt mit Zeiten geleisteter Arbeit vergleichbar ist (vgl. EuGH 13. Dezember 2018 – C-385/17 – [Hein] Rn. 32 f. mwN). Diese Vorgaben des Unionsrechts hat der Gesetzgeber in § 12 Nr. 1 BUrlG umgesetzt. Durch den Rückgriff auf einen einjährigen Referenzzeitraum ist sichergestellt, dass der Heimarbeiter ein Urlaubsentgelt erhält, das dem Entgelt vergleichbar ist, das er erzielt hätte, wenn er im Urlaubszeitraum tatsächlich gearbeitet hätte.
9 AZR 41/19 > Rn 24
III. Das Urteil stellt sich insoweit weder aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO) noch ist dem Senat eine eigene Sachentscheidung möglich (§ 563 Abs. 3 ZPO). Das Landesarbeitsgericht hat – unter Zugrundelegung seiner Rechtsauffassung konsequent – keine Feststellungen über die Höhe des vom Kläger im Zeitraum vom 1. Mai 2013 bis zum 30. April 2014 erzielten Entgelts getroffen. Diese wird es nach der Zurückverweisung der Sache nachzuholen haben.
9 AZR 41/19 > Rn 25
B. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage hinsichtlich des auf die Abgeltung des Urlaubs aus dem Jahr 2015 gerichteten Antrags zu Unrecht insgesamt abgewiesen. Der Senat kann insoweit nach § 563 Abs. 3 ZPO in der Sache selbst entscheiden. Der Leistungsantrag ist teilweise begründet.
9 AZR 41/19 > Rn 26
I. Der dem Kläger nach § 12 Nr. 1 BUrlG für das Jahr 2015 zustehende Urlaub ist mit einem Betrag iHv. 1.103,12 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 25. Mai 2017 abzugelten. Nach der insoweit rechtskräftigen Entscheidung des Arbeitsgerichts betrug das Entgelt, das der Kläger im maßgebenden Berechnungszeitraum vom 1. Mai 2014 bis zum 30. April 2015 erzielte, insgesamt 12.122,24 Euro brutto (im Mai und im Juni 2014 jeweils 6.061,12 Euro brutto). Hieraus errechnet sich ein Abgeltungsanspruch iHv. 1.103,12 Euro brutto (9,1 vH von 12.122,24 Euro brutto).
9 AZR 41/19 > Rn 27
II. Die Zinsentscheidung beruht auf § 291, § 288 Abs. 1 BGB. Der Zinsanspruch besteht allerdings nicht bereits ab dem 1. Mai 2016, sondern erst ab dem 25. Mai 2017.
9 AZR 41/19 > Rn 28
1. Der Anspruch auf Urlaubsabgeltung entsteht mit der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses und wird grundsätzlich zu diesem Zeitpunkt fällig (vgl. BAG 22. Januar 2019 – 9 AZR 45/16 – Rn. 30 mwN). Für die Leistung der Abgeltung ist jedoch nicht eine Zeit nach dem Kalender bestimmt, wie dies § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB verlangt (vgl. BAG 7. August 2012 – 9 AZR 353/10 – Rn. 44 f., BAGE 142, 371).
9 AZR 41/19 > Rn 29
2. Mangels vorheriger Mahnung stehen dem Kläger lediglich Prozesszinsen nach § 291 iVm. § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB zu. Ein auf die Abgeltung von Urlaub bezogenes Prozessrechtsverhältnis ist zwischen den Parteien erst am 24. Mai 2017 begründet worden, als der Beklagten der Schriftsatz des Klägers vom 18. Mai 2017 zugestellt worden ist. Der Zinsanspruch des Klägers besteht ab dem Tag nach der Zustellung (vgl. BAG 19. Juni 2018 – 9 AZR 615/17 – Rn. 69 mwN, BAGE 163, 72).
9 AZR 41/19 > Rn 30
C. Im Übrigen ist die Revision unbegründet.
9 AZR 41/19 > Rn 31
I. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Vergütung für den Zeitraum vom 1. Juli 2014 bis zum 30. April 2016.
9 AZR 41/19 > Rn 32
1. Die gebotene Auslegung der Revisionsanträge (vgl. hierzu BAG 8. Mai 2018 – 9 AZR 531/17 – Rn. 14) ergibt, dass der Kläger die Beklagte in der Revisionsinstanz ua. auf die Zahlung weiterer Vergütung iHv. 130.460,00 Euro brutto in Anspruch nimmt. Soweit der Kläger mit dem Revisionsantrag zu 1 „zusätzlich zu dem in Ziffer 2 des Tenors ausgeurteilten Betrag“ weitere 48.440,96 Euro brutto geltend macht, bezieht er sich auf den Bruttobetrag, den das Arbeitsgericht ihm unter Ziffer 2 des Urteils zugesprochen hat. Nachdem das Landesarbeitsgericht die Klage insoweit abgewiesen hat, begehrt der Kläger mit der Revision die Zahlung dieses Betrags (82.019,04 Euro brutto) zuzüglich des im Revisionsantrag zu 1 bezifferten Betrags (48.440,96 Euro brutto). Diesen Anspruch verfolgt er primär unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs (§ 615 Satz 1 BGB) und des Schadensersatzes bei Pflichtverletzungen des Schuldners (§ 280 Abs. 1 Satz 1 BGB). Hilfsweise stützt der Kläger sein Klageverlangen in Höhe eines Teilbetrags (115.550,00 Euro brutto) auf die Bestimmungen über die Entgeltsicherung im Heimarbeitsverhältnis (§ 29 Abs. 7 und 8 HAG).
9 AZR 41/19 > Rn 33
2. Die von dem Kläger begehrte Vergütung aus Annahmeverzug (§ 615 Satz 1 BGB) steht ihm nicht zu. Hierbei bedarf es keiner Entscheidung, ob mit dem Landesarbeitsgericht davon auszugehen ist, dass Heimarbeitsverhältnisse dem Anwendungsbereich des § 615 BGB entzogen sind, weil § 29 Abs. 7 und Abs. 8 HAG abschließende, den Besonderheiten des Heimarbeitsverhältnisses angepasste Regelungen zur Entgeltsicherung enthalten. Die Beklagte befand sich nicht im Verzug mit der Annahme von Diensten, die der Kläger schuldete.
9 AZR 41/19 > Rn 34
a) § 615 Satz 1 BGB gewährt keinen eigenständigen Anspruch, sondern perpetuiert unter den dort genannten Voraussetzungen den ursprünglichen Erfüllungsanspruch. Die gesetzliche Vergütungspflicht knüpft nach § 611 Abs. 1 BGB an die Leistung der „versprochenen“ Dienste an. In Annahmeverzug kann der Auftraggeber nur geraten, wenn zum Zeitpunkt des Angebots der Leistung ein erfüllbares Dienstverhältnis besteht, aufgrund dessen der Dienstnehmer berechtigt ist, die Dienstleistung zu erbringen, und es dem Auftraggeber obliegt, die Dienstleistung anzunehmen (vgl. BAG 27. Januar 2016 – 5 AZR 9/15 – Rn. 16 mwN, BAGE 154, 100). Fehlt es an einer Leistungspflicht des Schuldners, kann der Gläubiger folgerichtig nicht in Annahmeverzug geraten (vgl. Staudinger/Richardi/Fischinger [2016] § 615 BGB Rn. 46; MüKoBGB/Henssler 7. Aufl. § 615 BGB Rn. 13; ErfK/Preis 19. Aufl. BGB § 615 Rn. 10).
9 AZR 41/19 > Rn 35
b) In der Zeit vom 1. Juli 2014 bis zum 30. April 2016 bestand weder eine Verpflichtung der Beklagten, Heimarbeit an den Kläger auszugeben, noch eine Verpflichtung, Leistungen des Klägers anzunehmen.
9 AZR 41/19 > Rn 36
aa) Ein Heimarbeitsverhältnis ist durch Merkmale des Arbeitsrechts wie auch des Werkvertragsrechts gekennzeichnet. Es unterscheidet sich von einem Arbeitsverhältnis maßgeblich durch den Grad der persönlichen Abhängigkeit. Der Heimarbeiter kann seinen Arbeitsplatz sowie Zeitpunkt und Zeitdauer seiner Tätigkeit frei bestimmen, dabei Hilfspersonen hinzuziehen und seine Werkzeuge und Geräte sowie seine Arbeitsmethode selbständig wählen. Er gestaltet damit seine Tätigkeit im Wesentlichen frei. Anders als ein Arbeitnehmer im Arbeitsverhältnis wird ein Heimarbeiter mit der Begründung des Heimarbeitsverhältnisses nicht ohne weiteres „zur Leistung der versprochenen Dienste“ und der Auftraggeber nicht unmittelbar „zur Gewährung der vereinbarten Vergütung“ (§ 611 Abs. 1 BGB) verpflichtet. Vorbehaltlich besonderer Absprachen folgt aus der bloßen Begründung eines Heimarbeitsverhältnisses auch nicht, dass der Heimarbeiter einen Anspruch auf die Ausgabe einer bestimmten Arbeitsmenge und der Auftraggeber einen Anspruch auf Erledigung eines bestimmten Arbeitspensums hat (vgl. BAG 11. Juli 2006 – 9 AZR 516/05 – Rn. 20, BAGE 119, 31). Vielmehr werden die Leistungspflichten erst mit der Ausgabe und Entgegennahme der Heimarbeit begründet (vgl. Otten NZA 1995, 289, 290 f.).
9 AZR 41/19 > Rn 37
bb) Das Landesarbeitsgericht hat ohne Rechtsfehler angenommen, dass die Beklagte dem Kläger nicht zugesagt hat, ihm monatlich eine bestimmte Arbeitsmenge anzudienen.
9 AZR 41/19 > Rn 38
(1) Die Auslegung des Verhaltens der Parteien durch das Landesarbeitsgericht unterliegt ebenso wie die Auslegung einer ausdrücklichen nichttypischen Willenserklärung einer eingeschränkten revisionsrechtlichen Kontrolle. Revisionsrechtlich ist sie nur dahin zu überprüfen, ob die Auslegungsregeln der §§ 133, 157 BGB verletzt worden sind, gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verstoßen oder Umstände, die für die Auslegung von Bedeutung sein können, außer Betracht gelassen worden sind (vgl. BAG 24. Oktober 2018 – 10 AZR 19/18 – Rn. 15).
9 AZR 41/19 > Rn 39
(2) Diesem eingeschränkten Prüfungsmaßstab hält die Auslegung des Landesarbeitsgerichts stand.
9 AZR 41/19 > Rn 40
(a) Zutreffend ist der rechtliche Ausgangspunkt des Landesarbeitsgerichts, dem zufolge sich durch die jahrelange Ausgabe einer bestimmten Arbeitsmenge und hinzutretende Begleitumstände die Rechte und Pflichten der Parteien eines Heimarbeitsvertrags dahin konkretisieren können, dass eine bestimmte Menge vom Auftraggeber auszugeben und vom Heimarbeiter zu bearbeiten ist (BAG 13. September 1983 – 3 AZR 270/81 – zu I 3 b der Gründe, BAGE 44, 124). Dass der Auftraggeber an einen Heimarbeiter für einen bestimmten Zeitraum in bestimmtem Umfang Heimarbeit ausgibt, reicht für sich genommen nicht aus, um eine Vertragsänderung anzunehmen. Bei der Ausgabe von Heimarbeit handelt es sich um ein tatsächliches Verhalten, dem nicht notwendig ein bestimmter rechtsgeschäftlicher Erklärungswert in Bezug auf den Vertragsinhalt zukommt. Stattdessen ist auf die ausdrücklichen oder konkludenten Absprachen abzustellen, die der Ausgabe von Heimarbeit zugrunde liegen (vgl. BAG 26. September 2012 – 10 AZR 336/11 – Rn. 14). Im Rahmen der rechtlichen Bewertung der Vertragsdurchführung kann ua. von Bedeutung sein, auf wessen Initiative die Ausgabe von Heimarbeit zurückgeht und wie die Arbeitsmenge zwischen den Parteien des Heimarbeitsvertrags festgelegt wird.
9 AZR 41/19 > Rn 41
(b) Das Landesarbeitsgericht hat im Einklang mit diesen Grundsätzen angenommen, eine konkludente Vertragsänderung sei im Streitfall nicht anzunehmen, da keine Umstände ersichtlich seien, die ein schutzwürdiges Vertrauen des Klägers auf die Beibehaltung des bisherigen Leistungsumfangs begründeten. Bei seiner Auslegung hat das Landesarbeitsgericht die maßgeblichen tatsächlichen Umstände des Streitfalls berücksichtigt. Es hat in seine Überlegung einbezogen, dass die Beklagte dem Kläger in der Vergangenheit regelmäßig nach Fertigstellung eines Projektes ein neues zugewiesen hat. Allerdings stand es dem Kläger frei, die ihm angebotenen Projekte zu bearbeiten. Er erledigte die ihm angedienten Aufgaben nach eigener Vorstellung in dem zeitlichen Rahmen, den er selbst für erforderlich und angemessen hielt. Sonstige Begleitumstände, die über den bloßen Vollzug des Heimarbeitsverhältnisses hinaus für eine vertragliche Festlegung einer bestimmten Arbeitsmenge sprechen, ergeben sich weder aus den weiteren Feststellungen des Landesarbeitsgerichts noch aus dem Vorbringen der Parteien.
9 AZR 41/19 > Rn 42
3. Die Beklagte ist nicht verpflichtet, dem Kläger Schadensersatz nach § 280 Abs. 1 Satz 1 BGB zu leisten. Der Tatbestand, an den das Gesetz für den Fall, dass eine Vertragspartei eine ihr obliegende Pflicht verletzt, eine Haftung knüpft, ist im Streitfall nicht erfüllt. Haben die Parteien des Heimarbeitsvertrags ausdrücklich oder konkludent vereinbart, dass eine bestimmte Auftragsmenge vom Auftraggeber auszugeben und vom Heimarbeiter zu bearbeiten ist, kann dem Heimarbeiter ein Schadensersatzanspruch zustehen, wenn der Auftraggeber die Auftragsmenge vertragswidrig kürzt (vgl. BAG 13. September 1983 – 3 AZR 270/81 – zu I 3 b der Gründe, BAGE 44, 124). Diese Voraussetzungen liegen im Verhältnis der Parteien zueinander nicht vor. Zwischen den Parteien bestand weder eine ausdrückliche noch eine konkludente Abrede, der zufolge die Beklagte verpflichtet gewesen wäre, dem Kläger eine bestimmte Menge an Heimarbeit zuzuweisen.
9 AZR 41/19 > Rn 43
4. Der für den Fall des Unterliegens mit dem Hauptantrag gestellte Hilfsantrag fällt damit dem Senat zur Entscheidung an. Der Hilfsantrag ist unbegründet. Die Beklagte ist nicht gemäß § 29 Abs. 7 und Abs. 8 Satz 1 HAG verpflichtet, an den Kläger für den Zeitraum vom 1. Juli 2014 bis zum 30. April 2016 Entgeltsicherung iHv. 115.550,00 Euro brutto zu zahlen. Gibt der Auftraggeber – wie im Streitfall die Beklagte – im fortbestehenden Heimarbeitsverhältnis keine Heimarbeit aus oder verringert er sie iSd. § 29 Abs. 8 Satz 1 HAG, schuldet er die Zahlung des durchschnittlichen Entgelts der zurückliegenden 24 Wochen für die Dauer der Kündigungsfrist. Der Entgeltschutz des Heimarbeiters nach § 29 Abs. 7 und Abs. 8 Satz 1 HAG reicht zeitlich nicht weiter als die gesetzlichen Kündigungsfristen nach § 29 Abs. 2 bis Abs. 5 HAG. Dies bedeutet im Ergebnis, dass dem Heimarbeiter der gesetzliche Entgeltschutz nur einmal zusteht. Kündigt der Auftraggeber das Heimarbeitsverhältnis, nachdem der Zeitraum, für den er nach § 29 Abs. 8 Satz 1 HAG Entgeltsicherung schuldet, verstrichen ist, besteht kein Entgeltanspruch des Heimarbeiters nach § 29 Abs. 7 HAG für einen weiteren Zeitraum. Dies hat das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt.
9 AZR 41/19 > Rn 44
a) Kündigt der Auftraggeber das Heimarbeitsverhältnis, hat der Heimarbeiter gemäß § 29 Abs. 7 HAG für die Dauer der Kündigungsfrist nach den Absätzen 2 bis Abs. 5 auch bei Ausgabe einer geringeren Arbeitsmenge Anspruch auf Fortzahlung des Entgelts, das er im Durchschnitt der letzten 24 Wochen vor der Kündigung aus der Heimarbeit erzielt hat. Die Höhe des Entgelts bemisst sich nach Zwölfteln und beträgt in Abhängigkeit zur Länge der Kündigungsfrist zwischen einem Zwölftel und sechs Zwölfteln des im Berechnungszeitraum erzielten Gesamtbetrags. Sinn und Zweck der Bestimmung ist es, dem Heimarbeiter für die Dauer der Kündigungsfrist auch bei einer Verringerung der Auftragsmenge die Vergütung in der bisherigen Höhe zu erhalten. Dadurch wird der Schutzzweck der Kündigungsfristen des § 29 Abs. 2 bis Abs. 5 HAG verwirklicht. Auch wenn der Heimarbeiter grundsätzlich keinen Anspruch auf die Ausgabe einer bestimmten Auftragsmenge hat, so ist er doch im Regelfall wirtschaftlich auf die Aufträge des Auftraggebers angewiesen. Mit der Einräumung eines Anspruchs auf Arbeitsentgelt für die Dauer der Kündigungsfrist stellt das Gesetz sicher, dass der Auftraggeber die aus sozialen Gründen eingeräumte Kündigungsfrist nicht dadurch unterläuft, dass er an den Heimarbeiter eine geringere Menge an Arbeit aushändigt als in der Vergangenheit (vgl. BAG 11. Juli 2006 – 9 AZR 516/05 – Rn. 20, BAGE 119, 31).
9 AZR 41/19 > Rn 45
b) Neben § 29 Abs. 7 HAG enthält das Gesetz mit § 29 Abs. 8 HAG eine weitere Vorschrift, die sicherstellt, dass der Kündigungsschutz, den ein Heimarbeiter nach § 29 Abs. 2 bis Abs. 5 HAG genießt, nicht durch den Auftraggeber wirtschaftlich entwertet wird. Nach dieser Bestimmung gilt § 29 Abs. 7 HAG entsprechend, wenn der Auftraggeber die Arbeitsmenge, die er mindestens ein Jahr regelmäßig an einen Beschäftigten, auf den die Voraussetzungen der Absätze 2, 3, 4 oder 5 des § 29 HAG zutreffen, ausgegeben hat, um mindestens ein Viertel verringert. Die Vorschrift garantiert dem Heimarbeiter für die Dauer der für ihn geltenden ordentlichen Kündigungsfrist das bisherige Einkommen auch dann, wenn der Auftraggeber die Auftragsmenge erheblich verringert, ohne zugleich eine Kündigung auszusprechen. Der Auftraggeber muss sich in diesen Fällen so behandeln lassen, als hätte er das Heimarbeitsverhältnis gekündigt (vgl. BAG 13. September 1983 – 3 AZR 270/81 – zu I 2 der Gründe, BAGE 44, 124).
9 AZR 41/19 > Rn 46
c) § 29 Abs. 7 und Abs. 8 HAG enthalten eine in sich geschlossene, einheitliche Regelung. Nach Ausspruch der Kündigung räumt § 29 Abs. 7 HAG dem Heimarbeiter eine Entgeltgarantie für die Dauer der Kündigungsfrist ein. § 29 Abs. 8 HAG erhält dem Heimarbeiter das Einkommen bei einer erheblichen Verringerung der Arbeitsmenge, ohne dass der Auftraggeber zuvor eine Kündigung ausgesprochen hat. Beide Vorschriften schaffen einen Ausgleich dafür, dass der Heimarbeiter keinen Anspruch auf Ausgabe einer bestimmten Arbeitsmenge hat und der Auftraggeber grundsätzlich berechtigt ist, die Auftragsmenge herabzusetzen. Ein Heimarbeiter soll für den Zeitraum, in dem der Auftraggeber keine Arbeit ausgibt oder diese erheblich verringert, so gestellt sein, als wäre ihm die volle Arbeitsmenge zugeteilt worden und als hätte er die Arbeitsleistung erbracht. Die Entgeltsicherung, die der Heimarbeiter genießt, ist jedoch zeitlich befristet. Das bisherige Einkommen wird – unabhängig vom Ausspruch einer Kündigung – insgesamt nur für die Dauer der Kündigungsfrist garantiert (vgl. BAG 13. September 1983 – 3 AZR 270/81 – zu I 3 a der Gründe, BAGE 44, 124).
9 AZR 41/19 > Rn 47
d) Sowohl die Bezugnahme in § 29 Abs. 8 HAG auf die Entgeltgarantie bei der Kündigung nach § 29 Abs. 7 HAG als auch das einheitliche Regelungsziel bedingen ein Konkurrenzverhältnis zwischen den Absätzen 7 und 8 des § 29 HAG, das eine Anwendung beider Vorschriften nebeneinander ausschließt. Der Anspruch nach § 29 Abs. 8 HAG knüpft an die Entgeltgarantie für die Dauer der gesetzlichen Kündigungsfristen an. Der Schutz des Heimarbeiters besteht darin, dass sein Entgelt für die Dauer der Kündigungsfrist gesichert ist. Ob diese Frist tatsächlich durch die Kündigung in Gang gesetzt wird oder nur fiktiv anzuwenden ist, weil die Arbeitsausgabe wesentlich reduziert oder ganz eingestellt wurde, hat keine rechtliche Bedeutung (BAG 13. September 1983 – 3 AZR 270/81 – zu I 2 der Gründe, BAGE 44, 124). Verringert der Auftraggeber die Ausgabe von Heimarbeit dauerhaft auf null, bleibt dem Heimarbeiter das Arbeitsentgelt in der bisherigen Höhe nur einmalig für die Dauer der Kündigungsfrist erhalten. Die Kündigung des ausgesetzten Heimarbeitsverhältnisses stellt keinen neuen Tatbestand dar, der einen weiteren Anspruch auf Entgeltsicherung auslöst. Denn durch die vorausgegangene Nichtausgabe von Heimarbeit war das Heimarbeitsverhältnis bereits gegenstandslos; hieran ändert die nachfolgende Kündigung nichts.
9 AZR 41/19 > Rn 48
e) Nach diesen Grundsätzen kann der Kläger ab dem 1. Juli 2014 die Gewährung einer weiteren Entgeltsicherung weder nach § 29 Abs. 8 HAG noch nach § 29 Abs. 7 HAG verlangen. Das Landesarbeitsgericht hat dem Kläger bereits für den Zeitraum vom 1. Dezember 2013 bis zum 30. Juni 2014, der der für ihn geltenden Kündigungsfrist nach § 29 Abs. 4 Nr. 7 HAG entspricht, rechtskräftig eine Entgeltsicherung nach § 29 Abs. 8 HAG zugesprochen. Für eine weitere Entgeltsicherung bleibt daher kein Raum.
9 AZR 41/19 > Rn 49
II. Die Beklagte ist nicht verpflichtet, den im Jahr 2015 entstandenen Urlaub mit einem 1.103,12 Euro übersteigenden Bruttobetrag abzugelten. Auf der Grundlage eines im Zeitraum vom 1. Mai 2014 bis zum 30. April 2015 erzielten Entgelts iHv. insgesamt 12.122,24 Euro beläuft sich der Abgeltungsanspruch des Klägers auf einen Bruttobetrag iHv. 1.103,12 Euro brutto (9,1 vH von 12.122,24 Euro brutto). Ein darüber hinausgehender Betrag steht ihm nicht zu.
Kiel Pessinger Suckow
Starke Lücke