Deutsche Gerichtsbarkeit – Staatenimmunität – Lehrer an in Deutschland gelegener griechischer Schule – außerordentliche fristlose Änderungskündigung zur Entgeltabsenkung – Bestimmtheit des Änderungsangebots
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 25.04.2013, 2 AZR 110/12
Tenor
- Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 17. November 2011 – 15 Sa 836/11 – aufgehoben.
- Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Revision – an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
2 AZR 110/12 > Rn 1
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen fristlosen Änderungskündigung sowie Zahlungsansprüche.
2 AZR 110/12 > Rn 2
Die Beklagte unterhält in der Bundesrepublik Deutschland mehrere Schulen, darunter eine staatlich anerkannte Ergänzungsschule in D. Dort beschäftigt sie fünf Lehrkräfte im Angestelltenverhältnis sowie mehrere Beamte.
2 AZR 110/12 > Rn 3
Die 1959 geborene Klägerin ist seit 1989 bei der Beklagten beschäftigt. Ihr Einsatz erfolgte zuletzt an der Ergänzungsschule in D. Ihr Bruttomonatsgehalt betrug 3.690,00 Euro.
2 AZR 110/12 > Rn 4
Dem Arbeitsverhältnis liegt ua. der Arbeitsvertrag vom 1. Januar 1992 zugrunde. Dort heißt es:
„…
1.
Frau … wird ihre Tätigkeit im Schuljahr 1991-1992 an der Schule D fortsetzen mit 22 Stunden wöchentlich im privatrechtlichen Arbeitsverhältnis gemäß dem deutschen Bundesangestelltentarifvertrag BAT.
…
3.
Die Regelung des Arbeitsverhältnisses erfolgt gemäß dem deutschen Bundesangestelltentarifvertrag BAT.
…
16.
Die zuständigen gerichtlichen Behörden für jede Streitsache sind die der Stadt D.
…“
2 AZR 110/12 > Rn 5
Mitte Juni 2010 nahm die Beklagte eine Neuberechnung der Bezüge der Klägerin für die Zeit von Januar bis Juni 2010 vor und kürzte sie rückwirkend ab Januar 2010 um 7 %, ab Juni 2010 um weitere 3 %. In den Folgemonaten zahlte sie ein jeweils um 361,25 Euro verringertes Gehalt. Für das Jahr 2010 leistete sie zudem keine Sonderzahlung.
2 AZR 110/12 > Rn 6
Mit Schreiben vom 9. November 2010 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien außerordentlich fristlos und bot der Klägerin die Weiterbeschäftigung zu geänderten Arbeitsbedingungen an. In dem Kündigungsschreiben heißt es:
„…, um die Finanzkrise zu lösen und um das Unterstützungsprogramm der griechischen Wirtschaft von den Mitgliedstaaten des Euroraums und der Internationalen Währungsfonds umsetzen zu können, nahm der griechische Staat vor, die Vergütung aller Beschäftigten/-Besoldeten zu verkürzen (g. Ges. N3833/2010 und N3845/2010). Für Verträge der Form wie von Ihnen, wurde beschlossen, die monatlichen Bruttoverdienste um 7 % und 3 % in Zahlen 314,16 Euro pro Monat zu verkürzen, sowie die Jahressonderzahlung abzuschaffen. Die Kürzung Ihres Gehaltes erfolgte mit 7 % ab dem 01.01.2010 und mit weitere 3 % ab 01.06.2010. Wegen den obengenannten Gründen und nach Anordnung der DIPODE (Bildungsdirektion interkultureller Erziehung für Griechen im Ausland) mit A.P.F.821/2930E/130071/Z1 kündigen wir den bestehenden Arbeitsvertrag aus wichtigem Grund sofort und ohne Einhaltung der Frist. Gleichzeitig bitten wir Ihnen einen neuen Arbeitsvertrag mit den folgenden Bedingungen:
1.
Kürzung des monatlichen Bruttogehaltes pro Monat 314,16
2.
Abschaffung der besonderen Jahressonderzahlung
Hinzufügend setzen wir Sie in Kenntnis davon, dass die Gehaltserhöhungen gemäß der (TV-L) nicht automatisch umgesetzt werden, sondern erst nach der Entscheidung Ihres Arbeitgebers, nämlich gemäß der Einsparungspolitik des Griechischen Staates. Die übrigen Bedingungen des bestehenden Vertrages bleiben unverändert. … “
2 AZR 110/12 > Rn 7
Die Klägerin nahm das Änderungsangebot unter Vorbehalt an. Mit ihrer rechtzeitig erhobenen Klage hat sie sich gegen die Änderung der Arbeitsbedingungen gewandt. Sie hat gemeint, die Änderungskündigung sei bereits deshalb unwirksam, weil das Änderungsangebot nicht hinreichend bestimmt sei. Sie sei zudem unverhältnismäßig, weil die Beklagte ihre wirtschaftliche Lage und ihre Sanierungsplanung nicht nachvollziehbar dargelegt habe. Die Beklagte habe das Gehalt der Klägerin deshalb nicht wirksam kürzen können.
2 AZR 110/12 > Rn 8
Die Klägerin hat – soweit für die Revision von Belang – beantragt
1.
festzustellen, dass die Änderung der Arbeitsbedingungen durch die Änderungskündigung vom 9. November 2010 unwirksam ist,
2.
die Beklagte zu verurteilen, an sie 7.946,65 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 3.091,15 Euro seit Rechtshängigkeit sowie aus 3.049,25 Euro seit dem 1. Dezember 2010 und aus jeweils 361,25 Euro seit dem 1. Januar 2011, 1. Februar 2011, 1. März 2011, 1. April 2011 und 1. Mai 2011 zu zahlen.
2 AZR 110/12 > Rn 9
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat geltend gemacht, die deutsche Gerichtsbarkeit sei nach § 20 Abs. 2 GVG nicht gegeben. Ein angestellter Lehrer unterstehe den Weisungen ihres Konsuls in D und übe sowohl nach deutschem als auch nach ihrem – griechischen – Recht hoheitliche Aufgaben aus. Die Änderung der Arbeitsbedingungen sei im Übrigen gerechtfertigt. Sie sei Ende Februar/Anfang März 2010 finanziell nicht in der Lage gewesen, die Gehälter und Renten ihrer etwa eine Million Beschäftigten aufzubringen. Um weitere zwingend erforderliche Kredite zu erhalten und damit eine Insolvenz zu vermeiden, in deren Folge sie aus der europäischen Währungsunion würde austreten müssen, habe sie Verhandlungen mit den Geberländern aufgenommen. Danach habe sie nur die Möglichkeit gehabt, entweder ca. 250.000 Bedienstete zu entlassen oder die Gehälter und Renten ausnahmslos aller Bediensteten durch Parlamentsgesetz radikal zu kürzen. Sie habe sich für letztere Möglichkeit entschieden und nach den Vorgaben der Geberländer die Gesetze 3833/2010 „Schutz der nationalen Wirtschaft – Notstandsmaßnahmen zur Bekämpfung der Finanzkrise“ (Kürzung jeder Art regulärer Bezüge um 7 % mit Wirkung ab 1. Januar 2010) und 3845/2010 „Maßnahmen zur Anwendung des Unterstützungsmechanismus der griechischen Wirtschaft von den EU-Mitgliedsländern der Eurozone und vom Internationalen Währungsfonds“ (Kürzung um weitere 3 % sowie Kürzung bzw. Streichung von Weihnachtsgeld, Ostergeld und Urlaubsgeld mit Wirkung ab 1. Juni 2010) erlassen.
2 AZR 110/12 > Rn 10
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat sie mit der Begründung als unzulässig abgewiesen, die deutsche Gerichtsbarkeit sei nicht gegeben. Mit der Revision begehrt die Klägerin die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.
Entscheidungsgründe
2 AZR 110/12 > Rn 11
Die Revision ist begründet. Das angegriffene Urteil war aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Das Landesarbeitsgericht durfte die Klage nicht als unzulässig abweisen. Die deutsche Gerichtsbarkeit ist gegeben. Die Beklagte ist nicht nach § 20 Abs. 2 GVG von ihr befreit. Die Entscheidung stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO). Die Sache war zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Der relevante Sachverhalt ist noch nicht hinreichend festgestellt (§ 563 Abs. 3 ZPO).
2 AZR 110/12 > Rn 12
I. Die Klage ist zulässig.
2 AZR 110/12 > Rn 13
1. Die deutsche Gerichtsbarkeit ist gegeben.
2 AZR 110/12 > Rn 14
a) Nach § 20 Abs. 2 GVG iVm. dem Allgemeinen Völkergewohnheitsrecht als Bestandteil des Bundesrechts (Art. 25 GG) sind Staaten der Gerichtsbarkeit anderer Staaten insoweit nicht unterworfen, wie ihre hoheitliche Tätigkeit von einem Rechtsstreit betroffen ist. Es ist mit dem Prinzip der souveränen Gleichheit von Staaten und dem daraus abgeleiteten Rechtsprinzip, dass Staaten nicht übereinander zu Gericht sitzen, nicht zu vereinbaren, dass ein deutsches Gericht hoheitliches Handeln eines anderen Staates rechtlich überprüft (vgl. BVerfG 6. Dezember 2006 – 2 BvM 9/03 – Rn. 34, BVerfGE 117, 141; BAG 10. April 2013 – 5 AZR 78/12 -; 14. Februar 2013 – 3 AZB 5/12 – Rn. 14 mwN).
2 AZR 110/12 > Rn 15
aa) Die Abgrenzung zwischen hoheitlicher und nicht-hoheitlicher Staatstätigkeit richtet sich nach dem rechtlichen Charakter des konkreten staatlichen Handelns oder des entstandenen Rechtsverhältnisses. Es kommt darauf an, ob der ausländische Staat in Ausübung der ihm zustehenden Hoheitsgewalt oder wie eine Privatperson tätig geworden ist. Geht es – wie hier – um eine Streitigkeit aus einem Arbeitsverhältnis, ist maßgebend, ob die dem Arbeitnehmer übertragenen Aufgaben ihrer Art nach hoheitlich oder nicht-hoheitlich sind. Entscheidend sind der Inhalt der ausgeübten Tätigkeit (BAG 10. April 2013 – 5 AZR 78/12 -; 14. Februar 2013 – 3 AZB 5/12 – Rn. 17, jeweils mwN) sowie ihr – bestehender oder nicht bestehender – Zusammenhang mit den diplomatischen und konsularischen Aufgaben (BAG 1. Juli 2010 – 2 AZR 270/09 – Rn. 13).
2 AZR 110/12 > Rn 16
bb) Mangels völkerrechtlicher Unterscheidungsmerkmale ist diese Abgrenzung grundsätzlich nach dem Recht am Sitz des entscheidenden Gerichts vorzunehmen. Ungeachtet seiner ist stets hoheitlich nur das staatliche Handeln, das dem Kernbereich der Staatsgewalt zuzurechnen ist. Zu ihm gehören die Betätigung der auswärtigen und militärischen Gewalt, die Gesetzgebung, die Ausübung der Polizeigewalt und die Rechtspflege (BAG 10. April 2013 – 5 AZR 78/12 -; 14. Februar 2013 – 3 AZB 5/12 – Rn. 15 f. mwN).
2 AZR 110/12 > Rn 17
b) Danach ist die Beklagte im Streitfall nicht wegen ihrer Immunität von der deutschen Gerichtsbarkeit befreit. Die Klägerin nimmt keine hoheitlichen Aufgaben wahr.
2 AZR 110/12 > Rn 18
aa) Die Tätigkeit der Klägerin gehört nicht zum Kernbereich der Staatsgewalt. Die Beurteilung, ob es sich um dennoch hoheitliche Tätigkeit handelt, richtet sich daher nach dem Recht der Bundesrepublik Deutschland.
2 AZR 110/12 > Rn 19
bb) Entgegen der Auffassung der Beklagten ist die Tätigkeit der Klägerin nicht deshalb hoheitlich, weil die Unterhaltung des Schulwesens – sowohl nach griechischem als auch nach deutschem Recht – eine staatliche Aufgabe ist. Der Staat handelt bei Wahrnehmung seiner vielfältigen Aufgaben nicht stets und notwendig hoheitlich. Die Charakterisierung einer Aufgabe als staatliche ist deshalb für die Abgrenzung von hoheitlichem und nicht-hoheitlichem Handeln nicht maßgebend (vgl. BAG 14. Februar 2013 – 3 AZB 5/12 – Rn. 15). Es kommt vielmehr auf die dem Arbeitnehmer übertragene Tätigkeit an. Diese ist bei Lehrern an einer allgemeinbildenden staatlichen oder staatlich anerkannten Schule nicht iSv. § 20 Abs. 2 GVG hoheitlich geprägt. Die Tätigkeit von Lehrern an einer solchen Schule ist nicht Ausdruck der Souveränität des Staates nach innen oder außen in einem für diese Bestimmung maßgebenden Sinne. Sie steht in keinem funktionalen Zusammenhang mit diplomatischen oder konsularischen Aufgaben und ist auch nicht die Ausübung einer hoheitsrechtlichen Befugnis, die mit Blick auf Art. 33 Abs. 4 GG in der Regel Beamten zu übertragen wäre (vgl. BVerfG 19. September 2007 – 2 BvF 3/02 – Rn. 63 ff., BVerfGE 119, 247; BAG 10. April 2013 – 5 AZR 78/12 -; 14. Februar 2013 – 3 AZB 5/12 – Rn. 20).
2 AZR 110/12 > Rn 20
2. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts stellt sich nicht aus anderen Gründen als im Ergebnis richtig dar. Die deutschen Gerichte sind auch international zuständig.
2 AZR 110/12 > Rn 21
a) Die internationale Zuständigkeit richtet sich nach der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO). Der für ihre Anwendung erforderliche Auslandsbezug (vgl. dazu EuGH 17. November 2011 – C-327/10 – [Lindner] Rn. 29; BAG 13. Dezember 2012 – 6 AZR 752/11 – Rn. 21) ist gegeben. Die Beklagte ist ein ausländischer Staat ohne „Sitz“ im Inland iSv. Art. 19 EuGVVO (vgl. BAG 10. April 2013 – 5 AZR 78/12 -).
2 AZR 110/12 > Rn 22
b) Nach Art. 18 Abs. 1, Art. 19 Nr. 2 Buchst. a EuGVVO kann ein Arbeitgeber, der seinen Wohnsitz in einem Mitgliedstaat hat, an dem Ort in einem anderen Mitgliedstaat verklagt werden, an dem der Arbeitnehmer gewöhnlich seine Arbeit verrichtet. Dieser Ort – der gewöhnliche Arbeitsort – liegt im Streitfall in D.
2 AZR 110/12 > Rn 23
II. Das angefochtene Urteil war aufzuheben und die Sache an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen. Ob die Klage begründet ist, vermag der Senat nicht abschließend zu entscheiden. Das Landesarbeitsgericht hat – aus seiner Sicht folgerichtig – die materielle Wirksamkeit der Änderungskündigung sowie die Begründetheit des Zahlungsantrags nicht geprüft und entsprechende Feststellungen nicht getroffen. Dies wird es unter Beachtung der nachstehenden Erwägungen nachzuholen haben.
2 AZR 110/12 > Rn 24
1. Die Wirksamkeit der Änderungskündigung richtet sich nach deutschem materiellen Recht.
2 AZR 110/12 > Rn 25
a) Die Bestimmung des auf das Arbeitsverhältnis der Parteien anwendbaren materiellen Rechts ist nach Art. 27 ff. EGBGB (aF) vorzunehmen. Die Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I-VO) findet gem. ihrem Art. 28 auf den Streitfall noch keine Anwendung. Der Arbeitsvertrag der Parteien wurde vor dem 17. Dezember 2009 geschlossen.
2 AZR 110/12 > Rn 26
b) Nach Art. 27 Abs. 1 Satz 1 EGBGB (aF) unterliegt ein Vertrag dem von den Parteien gewählten Recht. Die Rechtswahl muss nicht ausdrücklich erfolgen. Sie kann sich auch aus den Bestimmungen des Vertrags oder aus den Umständen des Falls ergeben. Bei Arbeitsverträgen können Gerichtsstandsklauseln, die Vereinbarung eines für beide Parteien gemeinsamen Erfüllungsorts oder die Bezugnahme auf Tarifverträge typische Hinweise auf eine stillschweigende Rechtswahl enthalten (vgl. BAG 1. Juli 2010 – 2 AZR 270/09 – Rn. 28; 13. November 2007 – 9 AZR 134/07 – Rn. 32, BAGE 125, 24).
2 AZR 110/12 > Rn 27
c) Danach haben die Parteien im Streitfall konkludent die Anwendung deutschen Rechts vereinbart. Sie haben arbeitsvertraglich einen deutschen Tarifvertrag in Bezug genommen und einen Gerichtsstand in Deutschland gewählt. Die auf diese Weise getroffene Rechtswahl entspricht im Ergebnis der Regelung des Art. 30 Abs. 2 Nr. 1 EGBGB (aF). Danach unterliegen Arbeitsverträge und Arbeitsverhältnisse bei Fehlen einer Rechtswahl dem Recht des Staates, in dem der Arbeitnehmer in Erfüllung des Vertrags gewöhnlich seine Arbeit verrichtet. Dies ist hier Deutschland.
2 AZR 110/12 > Rn 28
2. Das Landesarbeitsgericht wird deshalb zu prüfen haben, ob nach dem anwendbaren deutschen Recht die Änderung der Arbeitsbedingungen wirksam erfolgt ist und die Beklagte das Gehalt der Klägerin – teilweise rückwirkend – kürzen, insbesondere die Jahressonderzahlung entfallen lassen durfte.
2 AZR 110/12 > Rn 29
a) Dabei wird das Landesarbeitsgericht – ggf. nach weiterem Sachvortrag der Parteien und uU auf der Grundlage eines völker- und staatsrechtlichen Gutachtens – zunächst der Frage nachgehen müssen, welche Rechtsqualität die im bisherigen Prozessverlauf nicht umfassend vorgelegten griechischen Gesetze 3833/2010 und 3845/2010 haben und ob diese die Beklagte angesichts ihrer drohenden Insolvenz und der Auflagen der Geberländer völkerrechtlich berechtigen, unmittelbar korrigierend auch in solche Arbeitsverhältnisse einzugreifen, die außerhalb ihres Staatsgebiets vollzogen werden (vgl. dazu BAG 10. April 2013 – 5 AZR 78/12 -).
2 AZR 110/12 > Rn 30
b) Sollte danach die Änderung der Vertragsbedingungen bereits unabhängig von der ausgesprochenen Änderungskündigung eingetreten sein, könnte der Änderungsschutzantrag allein deshalb unbegründet sein. Die Begründetheit einer nach Annahme des Änderungsangebots unter Vorbehalt erhobenen Änderungsschutzklage iSv. § 4 Satz 2 KSchG setzt voraus, dass in dem Zeitpunkt, zu welchem die angebotene Vertragsänderung wirksam werden soll, das Arbeitsverhältnis nicht ohnehin zu den Bedingungen besteht, die dem Arbeitnehmer mit der Kündigung angetragen wurden. Zielt eine Änderungskündigung ausschließlich auf die Herbeiführung von Vertragsbedingungen, die auch ohne sie für das Arbeitsverhältnis gelten, ist die Kündigung zwar „überflüssig“ und wegen der mit ihr einhergehenden Bestandsgefährdung unverhältnismäßig. Nach Annahme des Änderungsangebots unter Vorbehalt seiner sozialen Rechtfertigung steht deren Wirksamkeit aber nicht (mehr) im Streit. Streitgegenstand der Änderungsschutzklage ist nicht die Wirksamkeit der Kündigung, sondern der Inhalt der für das Arbeitsverhältnis geltenden Vertragsbedingungen. Die Feststellung, dass die dem Arbeitnehmer mit der Änderungskündigung angetragenen Vertragsbedingungen sozial ungerechtfertigt sind, kann das Gericht nicht treffen, wenn sich das Arbeitsverhältnis bei Kündigungsausspruch schon aus anderen Gründen nach diesen Bedingungen richtet (BAG 26. Januar 2012 – 2 AZR 102/11 – Rn. 14, BAGE 140, 328; 29. September 2011 – 2 AZR 523/10 – Rn. 14). Die Wirksamkeit der Kündigung steht allenfalls dann weiterhin im Streit, wenn der Arbeitnehmer die Annahme des Änderungsangebots unter dem Vorbehalt des § 2 KSchG mit dem weiteren Vorbehalt verbunden haben sollte, dass die Änderungskündigung nicht „überflüssig“ ist.
2 AZR 110/12 > Rn 31
c) Für den Fall, dass eine Änderung der Arbeitsbedingungen nicht unmittelbar durch die griechischen Gesetze herbeigeführt worden ist, wird das Landesarbeitsgericht davon auszugehen haben, dass die Änderung der Arbeitsbedingungen nicht bereits deshalb unwirksam ist, weil es an einem hinreichend bestimmten Änderungsangebot fehlte.
2 AZR 110/12 > Rn 32
aa) Ein mit der – ordentlichen oder außerordentlichen – Kündigung unterbreitetes Änderungsangebot muss eindeutig bestimmt, zumindest bestimmbar sein (BAG 29. September 2011 – 2 AZR 523/10 – Rn. 29; 28. Oktober 2010 – 2 AZR 688/09 – Rn. 18). Ihm muss – ggf. nach Auslegung gem. §§ 133, 157 BGB – zweifelsfrei zu entnehmen sein, welche Arbeitsbedingungen künftig gelten sollen. Der Inhalt des Änderungsangebots muss zudem nach § 623 BGB im Kündigungsschreiben zumindest hinreichenden Anklang gefunden haben (BAG 29. September 2011 – 2 AZR 523/10– Rn. 31; 28. Oktober 2010 – 2 AZR 688/09 – Rn. 18). Nur so kann der Arbeitnehmer eine abgewogene Entscheidung über die Annahme oder Ablehnung des Angebots treffen. Unklarheiten gehen zulasten des Arbeitgebers. Sie führen zur Unwirksamkeit der Änderungskündigung (BAG 29. September 2011 – 2 AZR 523/10 – Rn. 29; 10. September 2009 – 2 AZR 822/07 – Rn. 15 mwN, BAGE 132, 78).
2 AZR 110/12 > Rn 33
bb) Im Streitfall ist das Änderungsangebot hinreichend bestimmt. Es genügt auch dem Schriftformerfordernis nach § 623 BGB.
2 AZR 110/12 > Rn 34
(1) Das Änderungsangebot ist – anders als die Klägerin gemeint hat – nicht in sich widersprüchlich und deshalb unbestimmt, weil das Schreiben zunächst von einer Kürzung der Bezüge schon ab dem 1. Januar und dem 1. Juni 2010 ausgeht. Bei diesen einleitenden Ausführungen handelt es sich ersichtlich nicht bereits um das mit der Änderungskündigung verbundene Vertragsangebot selbst, sondern nur um die Erläuterung des Anlasses für deren Ausspruch. Die Kündigung als einseitige Willenserklärung wird erst im Anschluss an diese Erläuterung erklärt. Danach „kündigt“ die Beklagte den Arbeitsvertrag „aus wichtigem Grund sofort und ohne Einhaltung der Frist“. Daraus folgt hinreichend deutlich, dass die Kündigung nur mit Wirkung für die Zukunft und nicht auch rückwirkend erfolgen sollte.
2 AZR 110/12 > Rn 35
(2) Das Änderungsangebot ist auch der Höhe nach hinreichend bestimmt. Der Umfang der monatlichen Kürzung des Gehalts ist mit 314,16 Euro exakt angegeben. Ob dieser Betrag den gesetzlichen Vorgaben rechnerisch entspricht und ob sich die Beklagte tatsächlich auf eine Gehaltskürzung in dieser Höhe beschränkt hat, ist für die Bestimmtheit des Änderungsangebots unerheblich.
2 AZR 110/12 > Rn 36
(3) Es mag unklar sein, ob für das Jahr 2010 noch eine Jahressonderzahlung zu leisten ist. Dies steht der Bestimmtheit des Änderungsangebots nicht entgegen. Nach dem – eindeutigen – Wortlaut des Änderungsangebots soll zukünftig eine Jahressonderzahlung nicht mehr geleistet werden. Ein Anspruch auf eine – zumindest anteilige – Jahressonderzahlung für das Jahr 2010 kann sich allenfalls aus dem alten, nicht aber aus dem neuen Vertrag ergeben.
2 AZR 110/12 > Rn 37
(4) Soweit die Beklagte im Rahmen des Änderungsangebots ergänzend mitteilt, dass zukünftig Gehaltserhöhungen nicht automatisch gemäß dem Tarifvertrag (TV-L), sondern nach Entscheidung des Arbeitgebers erfolgen sollen, ist das Angebot ebenfalls hinreichend bestimmt. Die Beklagte stellt auf diese Weise klar, dass die Bezugnahme auf den TV-L künftig nicht (mehr) dynamisch wirken soll. Daraus wird hinreichend deutlich, dass der neue Arbeitsvertrag nach der Vorstellung der Beklagten keinen Automatismus zu Gehaltserhöhungen (mehr) enthält. Der Hinweis auf mögliche künftige Gehaltserhöhungen aufgrund einzelner Entscheidungen ihrerseits hat lediglich mitteilenden Charakter.
2 AZR 110/12 > Rn 38
d) Das Landesarbeitsgericht wird ggf. zudem den Fragen nachzugehen haben, ob – unter Berücksichtigung einer dem ausländischen Parlament zuzugestehenden Einschätzungsprärogative – ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB für die Erklärung einer fristlosen Kündigung gegeben war, ob die Beklagte eine Auslauffrist hätte einhalten müssen (vgl. dazu zuletzt BAG 22. November 2012 – 2 AZR 673/11 – Rn. 14 mwN) und ob sie die Erklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB gewahrt hat. Im Fall der Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung kommt deren Umdeutung in eine ordentliche Kündigung nur in Betracht, wenn die Klägerin nicht aufgrund der bestehenden arbeitsvertraglichen Regelungen (bereits) ordentlich unkündbar war. Falls die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses noch möglich und eine Umdeutung geboten ist, hat das Landesarbeitsgericht zu prüfen, ob das Kündigungsschutzgesetz gem. § 23 Abs. 1 Satz 2 seiner Regelungen Anwendung findet und die Kündigung auch dann rechtswirksam ist.
Kreft Rachor Rinck
Eulen Bartz
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Fundstellen:
NZA 2012, 856