Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 25.08.1978
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 28. Oktober 1976 – 8 Sa 928/76 – wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten der Revision.
Tatbestand
2 AZR 2/77 > Rn1
Die Klägerin war seit dem 18. August 1975 als Metallarbeiterin bei der Beklagten beschäftigt. Am 15. Januar 1976 leitete die Betriebsleitung dem Betriebsrat unter Verwendung eines Vordrucks die Mitteilung zu, daß die Kündigung der Klägerin beabsichtigt sei. Als Kündigungsgrund war angeführt: „Die Leistungen der Frau C sind nicht zufriedenstellend“. Der Betriebsrat gab den Vordruck am 22. Januar 1976 mit dem Hinweis zurück, daß gegen die beabsichtigte Kündigung Einwände erhoben würden. Sie waren in einer Anlage wie folgt dargestellt:
2 AZR 2/77 > Rn2
„Gegen die beabsichtigte Kündigung von Frau C erhebt der Betriebsrat Widerspruch aufgrund von § 102 Abs. 3
2 AZR 2/77 > Rn3
Begründung:
2 AZR 2/77 > Rn4
Der BR hat den von Ihnen angegebenen Kündigungsgrund geprüft und festgestellt, daß die gemachten Angaben nicht stimmen. Die Kollegin ist auch bisher von keiner Seite darauf aufmerksam gemacht worden, daß man mit ihren Leistungen nicht zufrieden ist. Ihrer Weiterbeschäftigung an dem selben bzw. einem anderen Arbeitsplatz in der Vormontage (dort ist die Zahl der Beschäftigten von 9 Kolleginnen auf 5 gesunken, die Arbeitsplätze müssen aber besetzt werden) steht demnach nichts entgegen.
2 AZR 2/77 > Rn5
Der BR sieht diese beabsichtigte Kündigung als Willkürmaßnahme an. Dies deshalb, weil in einem Gespräch zwischen dem BR-Vorsitzenden, seinem Stellvertreter und dem Betriebsleiter am 20.1.76 zum Ausdruck kam, daß diese Kündigung dazu dienen soll, ihr den im Februar entstehenden Kündigungsschutz nach § 1 Abs. 1 KSchG zu nehmen.
2 AZR 2/77 > Rn6
Wir stellen fest, daß der Kündigungswille schon abschließend gebildet war.“
2 AZR 2/77 > Rn7
Am 23. Januar 1976 hat die Beklagte der Klägerin fristgemäß zum 6. Februar 1976 gekündigt. Dem Kündigungsschreiben waren Abschriften der Mitteilung an den Betriebsrat sowie von dessen Stellungnahme beigefügt.
2 AZR 2/77 > Rn8
Mit ihrer Klage hat die Klägerin geltend gemacht, die Kündigung sei rechtsunwirksam. Die Beklagte habe ihre Arbeitsleistung niemals beanstandet. Die Kündigung sei deshalb erfolgt, weil sie sich mehrfach beim Betriebsrat wegen mangelhafter Arbeitsbedingungen beschwert habe. So habe sie beanstandet, daß in den Fabrikationsräumen zeitweise nur eine Temperatur von 13° C geherrscht habe und daß von ihr und ihren Kolleginnen Akkordleistungen verlangt worden seien, obwohl nur Stundenlohn gezahlt würde. Der Betriebsleiter habe sie – die Klägerin – mehrfach darauf angesprochen, daß sie es gewagt hätte, sich an den Betriebsrat zu wenden. Die Kündigung müsse unter diesen Umständen als Maßregelung verstanden werden; sie sei sittenwidrig.
2 AZR 2/77 > Rn9
Es komme hinzu, daß die Beklagte am 20. Januar 1976 dem Betriebsrat gegenüber offen zugegeben habe, die Kündigung solle vor dem Ablauf der Sechsmonatsfrist des § 1 Abs. 1 KSchG ausgesprochen werden, weil man die Klägerin sonst nicht mehr los würde. Demnach habe die Kündigung nur den Zweck verfolgt, den Kündigungsschutz zu vereiteln. Deshalb müsse die Beklagte sie gemäß § 162 Abs. 2 BGB so stellen, als hätte sie den Kündigungsschutz erlangt.
2 AZR 2/77 > Rn10
Schließlich sei die Kündigung mangels einer ordnungsgemäßen Anhörung des Betriebsrats nichtig. Wie im Verlauf des Anhörungsverfahrens deutlich geworden sei, habe zu dieser Zeit bei der Beklagten der Entschluß zur Kündigung bereits endgültig festgestanden. Auch seien die wahren Kündigungsgründe nicht mitgeteilt worden. Die ausdrücklich genannten Leistungsmängel seien nur vorgeschoben. Im übrigen genüge die pauschale Angabe eines Kündigungsgrundes nicht. Die mitgeteilte Kündigungsbegründung müsse den Betriebsrat in die Lage versetzen, den Kündigungsgründen nachzugehen und eine sachgerechte Stellungnahme abzugeben.
2 AZR 2/77 > Rn11
Die Klägerin hat beantragt festzustellen,
daß die Kündigung vom 23. Januar 1976 unwirksam sei und das Arbeitsverhältnis nicht zum 6. Februar 1976 aufgelöst habe.
2 AZR 2/77 > Rn12
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat vorgetragen, sie habe die Kündigung allein wegen unzulänglicher Leistungen der Klägerin ausgesprochen. Den Betriebsrat habe sie ordnungsgemäß angehört.
2 AZR 2/77 > Rn13
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, die Kündigung habe nach der kurzen Beschäftigungszeit der Klägerin keines besonderen Grundes bedurft. Daß die Beklagte aus einem vom Gesetz mißbilligten Grund gekündigt habe, sei nicht bewiesen. Das Anhörungsverfahren nach § 102 BetrVG sei nicht zu beanstanden. Der Betriebsrat sei über die nach seiner Ansicht wesentlichen Gesichtspunkte voll unterrichtet gewesen. Daß die angegebenen Leistungsmängel nur vorgeschoben worden seien, könne nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht angenommen werden.
2 AZR 2/77 > Rn14
Die Berufung der Klägerin gegen dieses Urteil ist erfolglos geblieben. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihre Feststellungsanträge weiter, während die Beklagte bittet, die Revision zurückzuweisen.
2 AZR 2/77 > Rn15
Die Revision der Klägerin ist unbegründet.
2 AZR 2/77 > Rn16
I. Den allgemeinen Kündigungsschutz gegen eine sozial ungerechtfertigte Kündigung (§§ 1 ff. KSchG) kann die Klägerin nicht in Anspruch nehmen, weil das am 18. August 1975 begonnene Arbeitsverhältnis der Parteien zur Zeit des Zugangs der Kündigung (23. Januar 1976) noch keine sechs Monate bestanden hatte (§ 1 Abs. 1 KSchG). Daran ändert sich, wie das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt hat, auch nichts dadurch, daß die Kündigung kurze Zeit (knapp einen Monat) vor Ablauf der sechsmonatigen Wartezeit ausgesprochen worden ist.
2 AZR 2/77 > Rn17
1. Der Revision ist zuzugeben, daß es für den Eintritt des allgemeinen Kündigungsschutzes auf die Erfüllung der Wartezeit nicht in jedem Falle ankommt. Eine Ausnahme kann dann anzuerkennen sein, wenn der Arbeitgeber die Kündigung vor Ablauf der Wartezeit erklärt, um entgegen dem Grundsatz von Treu und Glauben den Eintritt des allgemeinen Kündigungsschutzes zu vereiteln. In einem solchen Falle ist der Arbeitnehmer nach dem Rechtsgedanken des § 162 BGB so zu behandeln, als wäre die Wartezeit bereits erfüllt (vgl. BAG 4, 306 (309 f.) = AP Nr. 34 zu § 1 KSchG (zu I der Gründe); Hueck, KSchG, 9. Aufl., § 1 Anm. 25; Stahlhacke, Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis, 3. Aufl., Rz. 270 (S. 113)).
2 AZR 2/77 > Rn18
Dem steht der Grundsatz gegenüber, daß im Interesse der Rechtssicherheit eine gesetzlich festgelegte Frist genau beachtet werden muß (Hueck, aaO). § 1 Abs. 1 KSchG legt eindeutig fest, daß in den ersten sechs Monaten eines Arbeitsverhältnisses bis zum kalendermäßig letzten Tag der Arbeitgeber grundsätzlich frei kündigen kann. Der Rechtsgedanke des § 162 BGB kommt deshalb nur dann zum Zuge, wenn der Arbeitgeber die Kündigung vor Ablauf der Sechsmonatsfrist allein deshalb erklärt, um dem Arbeitnehmer den gesetzlichen Kündigungsschutz zu nehmen, und wenn dieses Vorgehen im Einzelfall gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstößt (ebenso Stahlhacke, aaO). Hat dagegen der Arbeitgeber einen sachlichen Grund zur Kündigung, der im Hinblick auf § 1 Abs. 1 KSchG nicht notwendig den Anforderungen an eine sozial gerechtfertigte Kündigung im Sinne des § 1 Abs. 2 und 3 KSchG genügen muß, dann kann der Arbeitnehmer, dem vor Ablauf der Wartezeit gekündigt wurde, den allgemeinen Kündigungsschutz auch dann nicht beanspruchen, wenn der Arbeitgeber den Kündigungszeitpunkt innerhalb der sechs Monate u.a. deshalb gewählt hat, weil er einen Streit über die etwaige Sozialwidrigkeit der Kündigung vermeiden will. Ein Arbeitgeber, der so handelt, übt sein gesetzliches Recht aus; ein Verstoß gegen Treu und Glauben scheidet aus, wenn die Handlungsweise des Arbeitgebers von der Sache her zu rechtfertigen ist.
2 AZR 2/77 > Rn19
2. Das Landesarbeitsgericht hat in seiner Hauptbegründung die Berufung der Klägerin auf den allgemeinen Kündigungsschutz schon daran scheitern lassen, daß die streitbefangene Kündigung „etliche Wochen“ vor Vollendung der Wartezeit erklärt worden ist, während es bei einer Kündigung „unmittelbar vor Ablauf der Wartezeit“ anders sein könne. Das mag für den Streitfall zutreffen, obwohl es immer mißlich ist, klare Fristbestimmungen durch weniger klare Fristumschreibungen zu ersetzen. Wenn mit Rücksicht auf Treu und Glauben eine Ausnahme von dem Grundsatz der voll erfüllten Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG zugelassen wird, dann kann nur am Rande entscheidend sein, wieviele Tage oder Wochen vor Fristablauf gekündigt wird. Maßgebend ist vielmehr, ob eine „vorzeitige“ Kündigung im Hinblick auf die bevorstehende Erlangung des gesetzlichen Kündigungsschutzes von der Rechtsordnung zu mißbilligen ist.
2 AZR 2/77 > Rn20
3. Dementsprechend hat das Landesarbeitsgericht zu Recht ergänzend darauf verwiesen, daß die Beklagte auch nicht „sonstwie die Rechtsordnung unterlaufen“ habe. Das kann im Gesamtzusammenhang der Gründe des angefochtenen Urteils nur dahin verstanden werden, daß die Beklagte ihre Kündigung aufgrund sachgerechter Überlegungen ausgesprochen hat, nämlich wegen nichtzufriedenstellenden Leistungen der Klägerin, wie sie dies in dem Anhörungsschreiben an den Betriebsrat ausgedrückt hat. Dazu hatte schon das Arbeitsgericht (S. 6 seines Urteils) festgestellt, daß sich dieser Kündigungsgrund nicht auf die Güte, sondern auf die Menge der von der Klägerin erbrachten Leistungen bezog. Diese Feststellung hat das Landesarbeitsgericht durch Bezugnahme (S. 7 seines Urteils) übernommen. Verfahrensrügen hiergegen hat die Revision nicht erhoben. Eine auf einen solchen Grund gestützte Kündigung kann aber nicht deshalb im Hinblick auf den Rechtsgedanken des § 162 BGB beanstandet werden, weil der Arbeitgeber die entsprechenden Überlegungen innerhalb der ersten sechs Monate des Arbeitsverhältnisses angestellt und daraufhin gekündigt hat. Das gilt auch und gerade dann, wenn die Beklagte den Eintritt des vollen Kündigungsschutzes nach dem Ablauf der Wartezeit mit in ihre Überlegungen aufgenommen haben sollte. Ein solches Verhalten ist durch § 1 Abs. 1 KSchG gedeckt.
2 AZR 2/77 > Rn21
II. Auf den früheren Vortrag der Klägerin, die Kündigung sei wegen Verstoßes gegen die guten Sitten nach § 138 BGB und wegen Verletzung des Benachteiligungsverbots des § 84 Abs. 3 BetrVG als sog. Maßregelungskündigung nichtig, weil sie sich beschwerdeführend an den Betriebsrat gewandt habe, ist die Revision nicht mehr eingegangen. Rechtsfehler sind in diesem Zusammenhang nicht ersichtlich. Das Landesarbeitsgericht hat sich (unter 2. der Gründe) ausführlich mit dem zugehörigen Vortrag der Klägerin befaßt und ihre Angriffe letztlich daran scheitern lassen, daß ein entsprechender Sachverhalt nicht beweiskräftig festgestellt werden könne. Hiergegen hat die Revision keine Verfahrensrügen erhoben.
2 AZR 2/77 > Rn22
III. Das Landesarbeitsgericht ist zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, daß die Kündigung auch nicht im Rahmen des § 102 BetrVG zu beanstanden ist. Die Beklagte hat ihrer Pflicht zur Anhörung des Betriebsrats genügt.
2 AZR 2/77 > Rn23
1. Das Landesarbeitsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, daß der Arbeitgeber den Betriebsrat gemäß § 102 Abs. 1 BetrVG vor der Kündigung auch dann anzuhören hat, wenn die beabsichtigte Kündigung innerhalb der Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG ausgesprochen werden soll. Da die Beklagte diese Regel eingehalten hat, erübrigen sich dazu weitere Ausführungen.
2 AZR 2/77 > Rn24
2. Das Landesarbeitsgericht hat zu dem Umfang der Anhörungspflicht in solchen Fällen die Auffassung vertreten, daß es genüge, wenn der Arbeitgeber überhaupt einen Kündigungsgrund nenne. Auf dessen nähere Konkretisierung komme es jedenfalls dann nicht an, wenn der Betriebsrat eine abschließende Stellungnahme abgebe, wie es hier geschehen sei. Diese Auffassung steht nicht im Einklang mit der Rechtsprechung des Senats.
2 AZR 2/77 > Rn25
a) Das Landesarbeitsgericht macht die Ordnungsmäßigkeit der Anhörung davon abhängig, wie der Betriebsrat letztlich reagiert. Dabei unterscheidet es nicht genügend, daß es bei § 102 BetrVG um zwei Verfahrensabschnitte geht. Erfüllt der Arbeitgeber seine Pflichten, insbesondere die Mitteilungspflicht, nicht oder nicht ausreichend, dann ist die Kündigung kraft Gesetzes unwirksam unabhängig davon, ob und wie der Betriebsrat zu der mangelhaften Anhörung Stellung genommen hat (vgl. BAG AP Nr. 2 und 4 zu § 102 BetrVG 1972, beide zum Abdruck in der Amtlichen Sammlung des Gerichts bestimmt). Die Stellungnahme des Betriebsrats ist nicht geeignet, Fehler des Arbeitgebers bei der Anhörung zu heilen (a.A. LAG Hamm vom 7. Mai 1976, DB 1976, 1727 = EzA Nr. 24 zu § 102 BetrVG 1972; wegen der Besonderheiten zur Frage der sozialen Auswahl bei einer betriebsbedingten Kündigung vgl. BAG vom 6. Juli 1978 – 2 AZR 810/76 – (demnächst) AP Nr. 16 zu § 102 BetrVG 1972, auch zum Abdruck in der Amtlichen Sammlung bestimmt). Etwas anderes kann allenfalls dann gelten, wenn der Betriebsrat ausdrücklich und vorbehaltlos der Kündigung zugestimmt hat (vgl. BAG AP Nr. 15 zu § 102 BetrVG 1972, auch zum Abdruck in der Amtlichen Sammlung bestimmt). Davon kann aber angesichts des Widerspruchs des Betriebsrats im Streitfall nicht die Rede sein.
2 AZR 2/77 > Rn26
b) Der Senat hat ferner entschieden, daß auch in den Fällen, in denen dem Arbeitnehmer der allgemeine Kündigungsschutz nicht zusteht, an die Pflicht des Arbeitgebers zur Mitteilung der Kündigungsgründe keine geringeren Anforderungen gestellt werden dürfen, als bei einer Kündigung, gegen die der Arbeitnehmer gemäß §§ 1 ff. KSchG geschützt ist. Der Senat hat dies in seinen beiden Urteilen vom 13. Juli 1978 ausführlich begründet (BAG 2 AZR 717/76 und 798/77, (demnächst) AP Nr. 17 und 18 zu § 102 BetrVG 1972, auch zum Abdruck in der Amtlichen Sammlung des Gerichts bestimmt). Daran ist festzuhalten.
2 AZR 2/77 > Rn27
3. Gleichwohl ist das angefochtene Urteil zu bestätigen, weil der vom Landesarbeitsgericht festgestellte Sachverhalt auch unter Zugrundelegung der Rechtsauffassung des Senats das angefochtene Urteil im Ergebnis trägt.
2 AZR 2/77 > Rn28
a) Käme es allein auf den Inhalt des Anhörungsschreibens vom 15. Januar 1976 an, könnte es allerdings zweifelhaft sein, ob die Beklagte den Betriebsrat hinreichend über den Kündigungsgrund unterrichtet hat. Der einzige Satz „Die Leistungen von Frau C. sind nicht zufriedenstellend“ ist kaum mehr als eine nur pauschale, schlagwort- oder stichwortartige Bezeichnung des Kündigungsgrundes und läuft im Ergebnis auf ein Werturteil hinaus. Damit darf sich aber der Arbeitgeber im Rahmen des Anhörungsverfahrens nicht begnügen. Er hat dem Betriebsrat den für die Kündigung maßgebenden Sachverhalt näher zu umschreiben, insbesondere die Tatsachen anzugeben, aus denen er seinen Kündigungsentschluß herleitet. Der Betriebsrat muß durch die Unterrichtung des Arbeitgebers in die Lage versetzt werden, ohne zusätzliche eigene Nachforschungen die Stichhaltigkeit der Kündigungsgründe zu prüfen und sich über seine Stellungnahme schlüssig zu werden (vgl. BAG vom 13. Juli 1978 – 2 AZR 717/76 – (zu III 3 b der Gründe), aaO).
2 AZR 2/77 > Rn29
b) Nun hat bereits das Arbeitsgericht (S. 6 seines Urteils) festgestellt, dem Betriebsrat sei bei seiner Stellungnahme bekannt gewesen, daß die Beklagte mit der quantitativen Leistung der Klägerin nicht zufrieden gewesen sei. Das habe sich u. a. aus der Beschwerde der Klägerin beim Betriebsrat ergeben, von ihr und ihren Mitarbeiterinnen würde eine vorgeschriebene Stückzahl verlangt, obwohl nur im Stundenlohn entlohnt würde. Bei den gegen Ende des Jahres 1975 in Anwesenheit des Betriebsratsvorsitzenden zwischen dem Betriebsleiter und der Klägerin geführten Gesprächen habe der Betriebsleiter zum Ausdruck gebracht, daß die Stückzahlen der Klägerin zu gering seien und daß von ihren Mitarbeiterinnen eine höhere Stückzahl seit Jahr und Tag ohne Schwierigkeiten erbracht würde. Dem habe die Klägerin entgegengehalten, daß sie auf ihrer vorigen Arbeitsstelle bei höherem Verdienst lange nicht so viel habe zu arbeiten brauchen. Diese Feststellungen hat das Landesarbeitsgericht durch Verweisung in sein Urteil übernommen. Die Revision hat die Feststellungen mit Verfahrensrügen nicht angegriffen, so daß sie für den Senat bindend sind.
2 AZR 2/77 > Rn30
Aus diesen Feststellungen folgt, daß jedenfalls der Betriebsratsvorsitzende über den Kündigungssachverhalt nicht im unklaren sein konnte, als die Beklagte im Anhörungsschreiben mitteilte, die Leistungen der Klägerin seien nicht zufriedenstellend. Die Beklagte wollte ersichtlich ihre Kündigung darauf stützen, daß die Klägerin nicht die Arbeitsmenge zuwege brachte, die von ihren Mitarbeiterinnen nach Ansicht der Beklagten ohne Schwierigkeiten erreicht wurde. Da der Betriebsrat die Kenntnis seines Vorsitzenden sich zurechnen lassen muß (§ 26 Abs. 3 Satz 2 BetrVG), war es auch nicht erforderlich, daß die Beklagte in ihrem Anhörungsschreiben noch einmal eine genaue Einzeldarstellung der Umstände gab, aus denen sie auf die mangelnden Leistungen der Klägerin schloß (vgl. BAG AP Nr. 3 zu § 102 BetrVG 1972 m. insoweit zust. Anm. von Herschel, auch zum Abdruck in der Amtlichen Sammlung bestimmt).
2 AZR 2/77 > Rn31
Damit war der Betriebsrat ausreichend über den Grund unterrichtet, der die Beklagte zur ordentlichen Kündigung noch innerhalb der ersten sechs Monate veranlaßt hat. Die Beklagte
hat ihrer Anhörungspflicht nach § 102 Abs. 1 BetrVG genügt. Es kommt in diesem Zusammenhang nicht darauf an, ob die dem Betriebsrat mitgeteilten Gründe die Kündigung objektiv rechtfertigen, sich in Wahrheit als unzutreffend herausstellen oder vom Arbeitgeber nicht bewiesen werden können (BAG AP Nr. 12 zu § 102 BetrVG 1972 (zu I 3 b der Gründe) m. zust. Anm. von G. Hueck). Das sind Umstände, die erst im Rahmen eines Kündigungsschutzrechtsstreites (§ 4 KSchG), der hier nicht geführt wird, bedeutsam werden.
2 AZR 2/77 > Rn32
4. Unbegründet ist die Rüge der Revision, das Anhörungsverfahren sei am 23. Januar 1976, als die Kündigung ausgesprochen wurde, noch nicht beendet gewesen. Das Landesarbeitsgericht habe nicht beachtet, daß nach der Aussage des Betriebsratsvorsitzenden der Betriebsrat über den Kündigungsgrund zunächst Nachforschungen habe anstellen wollen, weil die Angaben der Beklagten nicht gestimmt hätten. Dem steht einmal entgegen, daß die Stellungnahme des Betriebsrats vom 22. Januar 1976 erkennbar abschließenden Charakter hat. Sie bringt an keiner Stelle zum Ausdruck, daß weitere Angaben gewünscht werden, sondern besagt recht eindeutig, daß der Betriebsrat aus mehreren Gründen der beabsichtigten Kündigung entgegentritt (vgl. zum Begriff der abschließenden Stellungnahme zuletzt BAG AP Nr. 8 zu § 102 BetrVG 1972, auch zum Abdruck in der Amtlichen Sammlung bestimmt).
2 AZR 2/77 > Rn33
Hinzu kommt, daß am Kündigungstag, dem 23. Januar 1976, die mit der Zuleitung des Anhörungsschreibens am 15. Januar 1976 begonnene Wochenfrist für die Stellungnahme des Betriebsrats (§ 102 Abs. 2 Satz 1 und 2 BetrVG) abgelaufen war. Da die Beklagte ihrer Anhörungspflicht genügt hat (s.o. zu III 3 dieser Gründe), hätte sie am 23. Januar 1976 selbst dann ohne Verstoß gegen § 102 BetrVG kündigen können, wenn der Betriebsrat sich überhaupt nicht geäußert hätte.
2 AZR 2/77 > Rn34
5. Nicht gehört werden kann die Revision mit dem Einwand, die Anhörung des Betriebsrats sei deshalb fehlerhaft, weil die Beklagte schon zuvor ihren Kündigungswillen abschließend gebildet habe. Aus der Erklärung des Betriebsleiters gegenüber dem Betriebsratsvorsitzenden, der Betriebsrat könne schreiben, was er wolle, die Klägerin werde doch entlassen, ergebe sich, daß die Beklagte das Anhörungsverfahren lediglich als Formalie einzuhalten bereit gewesen sei.
2 AZR 2/77 > Rn35
Der Senat hat bereits früher angekündigt, daß er die zu § 66 BetrVG 1952 entwickelte Rechtsprechung, der Arbeitgeber dürfe im Zeitpunkt der Anhörung den Kündigungswillen noch nicht erkennbar abschließend gebildet haben (vgl. BAG 12, 174 = AP Nr. 20 zu § 66 BetrVG), aufgeben wolle (BAG AP Nr. 2 zu § 102 BetrVG 1972 (zu I 4 b aa der Gründe), auch zum Abdruck in der Amtlichen Sammlung bestimmt). Dieser Schritt ist inzwischen vollzogen worden. Der Senat hat in einer späteren Entscheidung erkannt, daß der abschließend gebildete Kündigungswille der Wirksamkeit der Anhörung nach § 102 Abs. 1 BetrVG solange nicht entgegensteht, wie die Kündigung noch nicht den Machtbereich des Arbeitgebers verlassen hat (vgl. BAG AP Nr. 7 zu § 102 BetrVG 1972 (zu 3 c der Gründe), auch zum Abdruck in der Amtlichen Sammlung bestimmt). Bis dahin ist es nämlich nicht auszuschließen, daß es dem Betriebsrat gelingt, auf den Kündigungswillen des Arbeitgebers Einfluß zu nehmen, auch wenn dieser zuvor erklärt hat, er wolle auf alle Fälle kündigen. Der Zweck der Anhörung wird nur dann nicht erreicht, wenn der Arbeitgeber den Betriebsrat erst beteiligt, nachdem die Kündigungsabsicht verwirklicht, d. h. die Kündigung ausgesprochen ist. In einem solchen Fall liegt eine ordnungsgemäße Anhörung nicht vor (vgl. den Fall BAG AP Nr. 6 zu § 102 BetrVG 1972, auch zum Abdruck in der Amtlichen Sammlung bestimmt). Der Streitfall bietet zu weiteren Erörterungen in dieser Richtung keinen Anlaß.
2 AZR 2/77 > Rn36
IV. Nach alledem war die Revision mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.
Dr. Gröninger Hillebrecht Roeper
Meyer-Estorf Thieß
> BAG, 09.09.2010 – 2 AZR 582/09