Verhaltensbedingte Kündigung
Bundesarbeitsgericht, Urteil 26.01.1995, 2 AZR 649/94
Leitsatz des Gerichts
- Ein nicht auf Alkoholabhängigkeit beruhender Alkoholmißbrauch im Betrieb ist an sich geeignet, eine verhaltensbedingte Kündigung im Sinne des § 1 Abs 2 KSchG zu rechtfertigen.
- Eine mit Zustimmung des Arbeitnehmers durchgeführte Alkomatmessung kann bei der Feststellung des Alkoholisierungsgrades sowohl zur Be- wie auch Entlastung des Arbeitnehmers beitragen.
Tatbestand
Der Kläger, der einem Schwerbehinderten im Sinne des § 2 Schwerbehindertengesetz gleichgestellt ist, war seit Februar 1985 bei der Beklagten, einem Unternehmen der Metallindustrie, das sich mit der Bearbeitung von Metallteilen befaßt, zuletzt als Bestücker in der Galvanik beschäftigt. Seine Aufgabe bestand darin, die galvanisierten Teile aufzuhängen und abzunehmen. Teile, die sich gelegentlich von der Halterung lösen und in das Galvanik-Bad fallen, sind von den Arbeitern im Rahmen der regelmäßigen Säuberung des Bades wieder herauszuholen.
Bei der Beklagten beschäftigte Arbeitnehmer können in der Kantine sowie in Getränkeautomaten u.a. alkoholische Getränke kaufen. Es besteht kein absolutes Alkoholverbot. Unter Ziff. 9 der bei der Beklagten geltenden Arbeitsordnung heißt es auszugsweise:
„Der Genuß von Alkohol (…) stellt eine Unfallgefahr dar. Deshalb ist es untersagt, Alkohol oder andere berauschende Mittel während der Arbeitszeit zu sich zu nehmen. Im übrigen darf sich der Mitarbeiter durch den Genuß von Alkohol (…) vor Beginn der Arbeit oder während der Pausen nicht in einen Zustand versetzen, in dem er sich selbst oder andere im Betrieb gefährdet oder seine Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis nicht mehr erfüllen kann.“
Im Jahre 1988 wurde der Kläger ausweislich einer Aktennotiz des Mitarbeiters S in einem persönlichen Gespräch verwarnt, weil er am 25. März 1988 in alkoholisiertem Zustand eine Kollegin beschimpft habe. Am 15. November 1991 stellte der Vorgesetzte des Klägers, W, nach Schichtbeginn um 22.4O Uhr bei ihm eine Alkoholfahne fest. Zwei mit Einverständnis des Klägers im Wege der Atemalkoholanalyse (durch sogenannten Alkomat) durchgeführte Tests ergaben Werte von 1,42 bzw. 1,44 Promille. Der Kläger erhielt daraufhin am 26. November 1991 ein Abmahnungsschreiben, das auszugsweise folgenden Wortlaut hat:
„Am 15. November 1991 sind Sie stark alkoholisiert zur Arbeit gekommen. Ein mit Ihrem Einverständnis durchgeführter Alkoholtest ergab über 1,4 Promille. Wegen alkoholbedingter Arbeitsunfähigkeit wurden Sie daraufhin wieder nach Hause geschickt. Durch Ihren übermäßigen Alkoholgenuß haben Sie grob gegen unsere Arbeitsordnung verstoßen.
Ein derartiges Verhalten können wir keinesfalls akzeptieren. Aus diesem Grund erhalten Sie hiermit eine strenge Abmahnung. Wir weisen Sie nachdrücklich darauf hin, daß wir das Beschäftigungsverhältnis mit Ihnen im Wiederholungsfall kündigen werden.“
Am 17. Juli 1992 wurden bei dem Kläger nach Beginn der Frühschicht erneut Anzeichen für eine Alkoholisierung festgestellt. Der Mitarbeiter des Werkschutzes We führte im Einverständnis des Klägers gegen 7.55 Uhr wiederum eine Atemalkoholanalyse durch. Dabei waren der Betriebsratsvorsitzende Sp und der Betriebsrat M sowie der Leiter der Personalbetreuung Dr. K und die Krankenschwester Sc anwesend. Der Test ergab einen Wert von 1,6 Promille. Der Kläger lehnte eine Wiederholung des Tests ab. Das von der Krankenschwester entnommene Blut wurde nur hinsichtlich der Leberwerte untersucht. Zwischen den Parteien ist streitig geblieben, ob der Kläger sein Einverständnis auch zu einer Analyse des Blutalkoholwertes erteilt hat. Der Werksarzt stellte aufgrund der Leberwerte keinen Hinweis für eine Alkoholabhängigkeit des Klägers fest.
Am 4. August 1992 beantragte die Beklagte bei der Hauptfürsorgestelle die Zustimmung zur ordentlichen Kündigung, die am 27. Oktober 1992 erteilt wurde. Der dagegen vom Kläger eingelegte Widerspruch wurde mit Bescheid vom 19. November 1993 zurückgewiesen. Auf das Anhörungsschreiben vom 3. August 1992 teilte der Betriebsrat am 1O. November 1992 mit, er sehe keine Möglichkeit, der Kündigung zu widersprechen. Daraufhin kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis am 11. November zum 31. Dezember 1992 fristgemäß auf.
Der Kläger hat vorgetragen, die Beklagte habe den Betriebsrat vor der Kündigung nicht ordnungsgemäß angehört; sie habe sich gegenüber dem Betriebsrat nicht mit der Möglichkeit einer Versetzung auseinandergesetzt. Im übrigen sei die Kündigung sozial ungerechtfertigt.
Der Kläger hat beantragt,
1.
festzustellen, daß das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten vom 11. November 1992 nicht am 31. Dezember 1992 geendet habe, vielmehr fortbestehe,
2.
die Beklagte zu verurteilen, ihn auf seinem bisherigen Arbeitsplatz zu unveränderten Arbeitsbedingungen als Bestücker weiterzubeschäftigen.
Die Beklagte hat vorgetragen, die Kündigung sei sozial gerechtfertigt, weil der Kläger sich und andere Mitarbeiter erheblichen Unfallgefahren ausgesetzt habe, indem er wiederholt stark alkoholisiert zur Arbeit erschienen sei. Die Tätigkeit am Galvanik-Becken sei besonders dann gefährlich, wenn in das Bad gefallene Gegenstände herauszuholen seien. Bei dieser Arbeit auf den Gitterstreben der Galvanik-Wanne könne bereits eine kleine Unachtsamkeit dazu führen, daß die Arbeitnehmer in die Elektrolytlösung fielen. Der Kläger habe am 17. Juli 1992 in seinem Verhalten alkoholbedingte Ausfallerscheinungen gezeigt. Er habe stark nach Alkohol gerochen, gerötete Augen gehabt, verwaschen und zusammenhangslos gesprochen, sich schnell und unkontrolliert bewegt und sei ständig bemüht gewesen, seine Bewegungen auszubalancieren und einen Sturz zu vermeiden. Ungeachtet der tatsächlich vorhandenen alkoholbedingten Ausfallerscheinungen sei die einer Weiterarbeit entgegenstehende Alkoholisierung des Klägers bereits ausreichend durch den Alkomattest nachgewiesen. Das Gerät, das ständiger Wartung durch den Werksdienst unterliege und regelmäßig vom TüV geprüft werde, sei ordnungsgemäß in Betrieb genommen worden. Ob der Alkomat die richtigen Werte anzeige, sei letztlich nicht entscheidend, wenn der Arbeitgeber Anzeichen feststelle, daß der Arbeitnehmer unter Alkoholeinfluß stehe. In diesen Fällen habe er nach der Unfallverhütungsvorschrift in § 38 VGB I und im Hinblick auf seine Fürsorgepflicht gegenüber allen Arbeitnehmern zu entscheiden, ob eine Weiterbeschäftigung ohne Gefahren möglich sei. Zusätzlich sei auch eine zivil- und strafrechtliche Haftung zu bedenken. Sie habe außer dem Test durch Alkomat auch keine andere Möglichkeit zur Feststellung des Blutalkoholwertes gehabt. Der Kläger habe zwar der Blutentnahme zugestimmt, diese Einwilligung aber ausdrücklich mit dem Vorbehalt verbunden, daß eine Bestimmung der Blutalkoholkonzentration nicht stattfinde, sondern nur die Leberwerte überprüft würden. Einem Arbeitgeber stünden die Mittel der Strafprozeßordnung zur Anordnung einer Blutentnahme nicht zur Verfügung. Die am Alkomaten ermittelten Untersuchungswerte führten im Wege der Beweislastumkehr dazu, daß nunmehr dem Arbeitnehmer der Beweis obliege, er sei nicht mit den ausgewiesenen Promillewerten am Arbeitsplatz erschienen.
Wegen der besonderen Gefährlichkeit der Arbeit am Galvanik-Becken reiche das Verhalten des Klägers zur Rechtfertigung der Kündigung schon ohne vorherige Abmahnung aus. Davon abgesehen sei aber der Kläger mit Schreiben vom 26. November 1991 wirksam abgemahnt worden, da er am 15. November 1991 nicht nur durch eine starke Alkoholfahne, sondern auch durch alkoholbedingte Ausfallerscheinungen aufgefallen sei. Zudem sei der Kläger wegen eines gleichgelagerten Vorfalls am 25. März 1988 mündlich ermahnt worden.
Der Kläger hat demgegenüber vorgetragen, ihm sei weder am 15. November 1991 noch am 17. Juli 1992 ein alkoholbedingtes Fehlverhalten im Sinne der Arbeitsordnung nachzuweisen. Etwas außergewöhnliche Bewegungen und Verhaltensweisen hätten ihre Ursachen in seiner Krankheit und nicht in einer Alkoholisierung. Für ein alkoholbedingtes Fehlverhalten genüge es nicht, daß er nach Alkohol gerochen habe, da in dem Betrieb kein absolutes Alkoholverbot bestanden habe. Dies ergebe sich schon aus der Arbeitsordnung und aus der Tatsache, daß die Arbeitnehmer in der Betriebskantine und aus den Getränkeautomaten alkoholische Getränke erhalten könnten. Seine Tätigkeit sei nicht besonders gefährlich, weil er mit der Galvanik-Lösung nicht unmittelbar in Berührung komme. Der Nachweis alkoholbedingten Fehlverhaltens sei nicht durch die Ermittlung eines bestimmten Promillewertes zu ersetzen. Keinesfalls reiche es aber aus, wenn der Promillewert im Wege der Atemalkoholanalyse ermittelt werde, die eine Alkoholisierung nach dem gegenwärtigen Stand der Wissenschaft nicht zuverlässig nachweise und nicht reproduzierbar sei. Außerdem habe er sein Einverständnis mit der Feststellung des Blutalkoholwertes ausdrücklich erklärt, die Beklagte habe dennoch nur die Leberwerte analysiert.
Das Arbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage nach Beweiserhebung stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten nach ergänzender Beweisaufnahme zurückgewiesen und die Beklagte auf die Anschlußberufung des Klägers zur vorläufigen Weiterbeschäftigung verurteilt. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist begründet; sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Klageabweisung.
A. Das Landesarbeitsgericht hat die Kündigung als sozial ungerechtfertigt angesehen und dies im wesentlichen wie folgt begründet: Der Kläger sei zwar am 17. Juli 1992 alkoholisiert zur Arbeit erschienen und nicht mehr in der Lage gewesen, seinen arbeitsvertraglichen Pflichten zu genügen. Darin liege auch ein gravierender Pflichtverstoß. Es fehle jedoch eine wirksame Abmahnung, weil der Vorfall vom 15. November 1991 nicht abmahnungswürdig sei. Von dem gemessenen Promillewert müßten wegen der Ungenauigkeit des Meßverfahrens durch Alkomat O,25 Promille abgezogen werden. Bei der sich damit errechnenden Alkoholisierung von unter 1,2 Promille bedürfe es entsprechend der im Strafverfahren angewandten Grundsätze des Nachweises alkoholbedingter Ausfallerscheinungen, von denen nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht auszugehen sei. Der Weiterbeschäftigungsantrag könne auch in der Berufungsinstanz noch gestellt werden und sei begründet.
B. Diese Würdigung hält einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand. Vielmehr ist nach dem für den Senat verbindlich festgestellten Sachverhalt (§ 561 ZPO) die Kündigung aus Gründen im Verhalten des Klägers sozial gerechtfertigt, § 1 Abs. 2 KSchG.
I. Der Feststellungsantrag des Klägers umfaßt nach seinem Wortlaut nicht allein den punktuellen Streitgegenstand der Kündigung vom 11. November 1992, sondern geht weiter dahin, den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses festzustellen. Hierzu hat der Senat durch Urteil vom 27. Januar 1994 (- 2 AZR 484/93 – AP Nr. 28 zu § 4 KSchG 1969) entschieden, für den allgemeinen Fortbestandsantrag nach § 256 ZPO bedürfe es eines Rechtschutzinteresses, sofern der allgemeine Feststellungsantrag nicht nur ein „unselbständiges Anhängsel“ bilde. In Anwendung dieser Grundsätze hat das Landesarbeitsgericht angenommen, der Fortbestandsantrag sei nach dem gesamten Akteninhalt als unselbständiges Anhängsel ohne eigene prozeßrechtliche Bedeutung anzusehen. Dies ist rechtlich nicht zu beanstanden, da sich der Kläger nach dem gesamten Klagevorbringen ersichtlich nur punktuell gegen die angegriffene Kündigung wendet.
II. Die Kündigung ist zunächst einmal nicht wegen nicht ordnungsgemäßer Betriebsratsanhörung unwirksam, § 102 Abs. 1 BetrVG.
1. Nach einhelliger Auffassung in Rechtsprechung und Literatur (BAG Grundsatzurteil vom 28. Februar 1974 – 2 AZR 455/73 – BAGE 26, 27 = AP Nr. 2 zu § 1O2 BetrVG 1972; zuletzt ausführlich Senatsurteil vom 16. September 1993 – 2 AZR 267/93 – AP Nr. 62 zu § 102 BetrVG 1972, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen, zu B II 2 b (1) der Gründe; KR-Etzel, BetrVG, § 1O2 Rz 1O6 ff.; Stahlhacke/Preis, Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis, 5. Aufl., Rz 259 ff.) ist eine Kündigung nach § 1O2 Abs. 1 Satz 3 BetrVG nicht nur dann unwirksam, wenn der Arbeitgeber gekündigt hat, ohne den Betriebsrat zuvor überhaupt beteiligt zu haben, sondern auch dann, wenn der Arbeitgeber seiner Unterrichtungspflicht nach § 1O2 Abs. 1 BetrVG nicht richtig, insbesondere nicht ausführlich genug nachkommt. Aus dem Sinn und Zweck der Anhörung folgt für den Arbeitgeber die Verpflichtung, die Gründe für seine Kündigungsabsicht derart mitzuteilen, daß der Betriebsrat ohne zusätzliche eigene Nachforschungen in der Lage ist, selbst die Stichhaltigkeit der Kündigungsgründe zu prüfen und sich ein Bild zu machen. Der Arbeitgeber genügt daher der ihm obliegenden Mitteilungspflicht nicht, wenn er den Kündigungssachverhalt nur pauschal, schlagwort- oder stichwortartig umschreibt oder lediglich ein Werturteil abgibt, ohne die für seine Bewertung maßgeblichen Tatsachen mitzuteilen (BAG Urteil vom 2. November 1983 – 7 AZR 65/82 – BAGE 44, 2 [BAG 11.01.1983 – 3 AZR 212/80]O1 = AP Nr. 29 zu § 1O2 BetrVG 1972, zu I 2 b der Gründe).
2. Bei Anwendung dieser Grundsätze ist die Betriebsratsanhörung nicht zu beanstanden. Das Mitteilungsschreiben vom 3. August 1992 enthält die persönlichen Daten des Klägers einschließlich der Tatsache, daß er besonderen Kündigungsschutz nach dem Schwerbehindertengesetz genießt und nennt den beabsichtigten Kündigungszeitpunkt. Die Kündigungsgründe konnte die Beklagte hinsichtlich des Vorfalls vom 17. Juli 1992 in aller Kürze angeben, weil der Betriebsratsvorsitzende Sp bei dem Alkoholtest anwesend war. Damit konnte sich der Betriebsrat ein Bild von der Alkoholisierung des Klägers machen. Soweit die Beklagte im weiteren angegeben hat, die Untersuchung beim Werksarzt habe keine Genußmittelabhängigkeit des Klägers ergeben, konnte der Betriebsrat folgern, daß die Kündigung nicht wegen Alkoholsucht, sondern wegen Fehlverhaltens erklärt werden sollte. Über den der Abmahnung zugrundeliegenden Vorwurf war er ausreichend durch die Vorlage des Abmahnungsschreibens vom 26. November 1991 informiert; auch der dort enthaltene Hinweis auf die Arbeitsordnung ist für die Beurteilung der Eindringlichkeit der Abmahnung von Bedeutung. Im übrigen rügt der Kläger zu Unrecht, die Beklagte habe im Rahmen der Betriebsratsanhörung Ausführungen dazu machen müssen, ob eine Weiterbeschäftigung auf einem anderen Arbeitsplatz möglich sei; in der mitgeteilten Kündigungsabsicht liegt bereits die Verneinung der Weiterbeschäftigungsmöglichkeit (vgl. für die betriebsbedingte Kündigung Urteil vom 30. Oktober 1987 – 7 AZR 138/87 – RzK III 2 a Nr. 11, zu I 1 der Gründe; Urteil vom 29. März 199O – 2 AZR 389/90 – BAGE 65, 61 [BAG 29.03.1990 – 2 AZR 369/89] = AP Nr. 5O zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung, zu B II 4 der Gründe). Dasselbe gilt auch für die verhaltensbedingte Kündigung, wobei in diesem Zusammenhang bereits angemerkt werden kann, daß der Kläger auch nichts konkret dazu vorgetragen hat, wie er sich eine anderweitige Beschäftigung trotz des Kündigungsvorwurfs vorstellt.
III. Das Landesarbeitsgericht hat zu Unrecht angenommen, die Kündigung vom 11. November 1992 sei gemäß § 1 Abs. 1 KSchG sozial ungerechtfertigt.
1. Die Entscheidung des Berufungsgerichts über die Sozialwidrigkeit einer Kündigung ist in der Revisionsinstanz nur beschränkt nachprüfbar. Bei der Frage der Sozialwidrigkeit (§ 1 Abs. 2 KSchG) handelt es sich um die Anwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffs, die vom Revisionsgericht nur darauf geprüft werden kann, ob das Berufungsgericht den Rechtsbegriff selbst verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnorm des § 1 KSchG Denkgesetze und allgemeine Erfahrungssätze verletzt hat, ob es bei der gebotenen Interessenabwägung, bei der dem Tatsachenrichter ein Beurteilungsspielraum zusteht, alle wesentlichen Umstände berücksichtigt hat und ob die Entscheidung in sich widerspruchsfrei ist (ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, vgl. zum Beispiel Urteil vom 18. November 1986 – 7 AZR 674/84 – AP Nr. 17 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung, zu I der Gründe und Urteil vom 17. Januar 1991 – 2 AZR 375/9O – AP Nr. 25 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung, auch zum Abdruck in der Amtlichen Sammlung vorgesehen, zu II der Gründe). Diesem eingeschränkten Prüfungsmaßstab hält das angegriffene Urteil insofern nicht stand, als es den Vorfall vom 15. November 1991 nicht als abmahnungsrelevant ansieht.
2. Das Landesarbeitsgericht hat die dem Kläger zur Last gelegten Pflichtverletzungen allerdings zutreffend nach den Grundsätzen einer verhaltensbedingten Kündigung geprüft.
a) Bei der Beurteilung einer im Zusammenhang mit alkoholbedingtem Fehlverhalten des Arbeitnehmers stehenden Kündigung ist zunächst im Einzelfall abzugrenzen, ob verhaltensbedingte Gründe vorliegen oder ob die strengen Maßstäbe einer personenbedingten Kündigung aus Krankheitsgründen anzuwenden sind. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist Alkoholabhängigkeit eine Krankheit im medizinischen Sinne (Senatsurteile vom 15. März 1979 – 2 AZR 329/77 – n.v., zu III 2 der Gründe; vom 9. April 1987 – 2 AZR 210/86 – AP Nr. 18 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit; vom 13. Dezember 1990 – 2 AZR 336/90 – EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 33; vgl. ferner Urteil des Fünften Senats vom 1. Juni 1983 – 5 AZR 536/80 – BAGE 43, 54 = AP Nr. 52 zu § 1 LohnFG; siehe auch LAG Köln Urteil vom 11. September 1987 – 9 Sa 222/87 – EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 21, zu I 1 der Gründe, m.w.N. zu der Rechtsprechung der Landesarbeitsgerichte; zum Schrifttum vgl. Hueck/von Hoyningen-Huene, 11. Aufl., KSchG, § 1 Rz 19O ff.; KR-Becker, 3. Aufl., KSchG, § 1 Rz 194; Künzl, BB 1993, 1581; Stahlhacke/Preis, Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis, 5. Aufl., Rz 504, 731; Willemsen/Brune, DB 1988, 2304 ff.). Von krankhaftem Alkoholismus ist auszugehen, wenn infolge psychischer und physischer Abhängigkeit Gewohnheits- und übermäßiger Alkoholgenuß trotz besserer Einsicht nicht aufgegeben oder reduziert werden kann (vgl. BAG Urteil vom 1. Juni 1983, aaO, zu I 2 der Gründe). Eine Kündigung wegen Pflichtverletzungen, die auf Alkoholabhängigkeit beruht, ist in der Regel sozialwidrig, weil dem Arbeitnehmer im Zeitpunkt der Pflichtverletzung kein Schuldvorwurf zu machen ist (eingehend BAG Urteil vom 9. April 1987, aaO, zu B II 2 der Gründe). Beruht dagegen die Pflichtverletzung wegen Alkoholisierung im Betrieb nicht auf Alkoholabhängigkeit, kommt – in der Regel nach erfolgloser Abmahnung – eine verhaltensbedingte Kündigung in Betracht (vgl. BAG Urteil vom 22. Juli 1982 – 2 AZR 30/81 – AP Nr. 5 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung, zu III 3 b der Gründe; Hueck/von Hoyningen-Huene, aaO, § 1 Rz 3O9; ders. DB 1995, 142 f. [BAG 21.12.1994 – 10 AZR 650/93]; Stahlhacke/Preis, aaO, Rz 7OO; Künzl, BB 1993, 1581, 1586 mit zahlreichen Nachweisen zur Rechtsprechung der Landesarbeitsgerichte; Isenhardt, HZA, Stand August 1992, Gruppe 1, Abschnitt 2 Rz 423 ff. und 485; Schäfer, Alkoholmißbrauch im Betrieb, S. 92 ff.).
b) Vorliegend sind ausschließlich die Grundsätze zur verhaltensbedingten Kündigung wegen Alkoholmißbrauchs maßgebend. Die Beklagte hat die Kündigung auf wiederholte arbeitsvertragliche Pflichtverletzungen gestützt. Das Landesarbeitsgericht hat das Urteil des Arbeitsgerichts in Bezug genommen, in dem festgestellt ist, daß der Kläger nicht alkoholabhängig ist und damit für Pflichtverletzungen zur Verantwortung zu ziehen ist. Der Werksarzt der Beklagten hat aufgrund der Leberwerte keine Hinweise für eine Suchterkrankung diagnostiziert. Darüber herrscht unter den Parteien auch kein Streit.
3. Zutreffend ist das Landesarbeitsgericht ferner davon ausgegangen, der Kläger habe am 17. Juli 1992 erheblich gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten verstoßen, indem er so stark alkoholisiert am Arbeitsplatz erschien, daß er nach Hause gefahren werden mußte. Damit liegt gleichzeitig ein Verstoß gegen Ziff. 7 der Arbeitsordnung vor.
a) Das Landesarbeitsgericht hat dabei – ohne dies auszuführen – zu Recht unterstellt, der Kläger unterliege keinem absoluten, sondern lediglich einem relativen Alkoholverbot.
Ein absolutes Alkoholverbot im Betrieb folgt nicht aus der Arbeitsordnung; nach deren Ziff. 7 ist der Genuß von Alkohol lediglich während der Arbeitszeit untersagt, während den Arbeitnehmern im übrigen nur verboten ist, sich vor Beginn der Arbeit oder in den Pausenzeiten in einen Zustand zu versetzen, in dem sie sich selbst oder andere Arbeitnehmer gefährden oder ihre Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis nicht erfüllen können. Damit bleibt es erlaubt, in den Pausenzeiten alkoholische Getränke zu sich zu nehmen; dem entspricht es auch, wenn im Betrieb der Beklagten solche Getränke käuflich zu erwerben sind. Die Arbeitsordnung entspricht damit der allgemeinen arbeitsvertraglichen Nebenpflicht und teilweise der Unfallverhütungsvorschrift in § 38 Abs. 1 VGB I, die es dem Arbeitnehmer verbietet, sich in einen Zustand zu versetzen, in dem er sich oder andere gefährden kann. Für die Pflichtverletzung kommt es nicht entscheidend darauf an, ob der Arbeitnehmer alkoholisiert zur Arbeit erscheint oder erst im Betrieb alkoholische Getränke zu sich nimmt. Der Arbeitnehmer hat die Pflicht, seine Arbeitsfähigkeit auch nicht durch privaten Alkoholgenuß zu beeinträchtigen (Künzl, BB 1993, 1581, 1586). Sie kann bei Tätigkeiten im sicherheitsrelevanten Bereich schon bei sehr geringen Alkoholmengen verletzt sein (vgl. KR-Hillebrecht, BGB, § 626 Rz 3O1, 3O9; Künzl, BB 1993, 1581; Stahlhacke/Preis, aaO, Rz 7OO; Willemsen/Brune, DB 1988, 2304, 2305; für Kraftfahrer vgl. BAG Urteil vom 23. September 1986 – 1 AZR 83/85 – BAGE 53, 97 [BAG 23.09.1986 – 1 AZR 83/85] = AP Nr. 20 zu § 75 BPersVG).
b) Der Kläger hat zumindest diese Nebenpflicht nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts verletzt, wobei noch hinzukommt, daß infolge der festgestellten Ausfallerscheinungen (u. a. schwankender Gang, Ausbalancieren des Gewichts, lallende Sprache) auch noch eine Beeinträchtigung seiner Hauptpflicht zur Arbeitsleistung zu besorgen ist.
aa) Im Kündigungsrechtsstreit muß der Arbeitgeber gemäß § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG darlegen und beweisen, daß der Arbeitnehmer alkoholbedingt nicht mehr in der Lage ist, seine arbeitsvertraglichen Verpflichtungen ordnungsgemäß zu erfüllen bzw. durch die Alkoholisierung für ihn oder andere Arbeitnehmer ein erhöhtes Unfallrisiko besteht. Der Nachweis der Alkoholisierung ist dann mit besonderen Schwierigkeiten verbunden, wenn der Arbeitnehmer sich nicht mit einem Alkoholtest einverstanden erklärt. Er kann wegen des verfassungsmäßig garantierten Grundrechts auf körperliche Integrität weder zu einer Untersuchung seines Blutalkoholwertes gezwungen werden (von Hoyningen-Huene, DB 1995, 142, 145 [BAG 21.12.1994 – 10 AZR 650/93]; Willemsen/Brune, DB 1988, 23O4, 23O6) noch zur Mitwirkung an einer Atemalkoholanalyse (Künzl, BB 1993, 1581, 1584; differenzierend Willemsen/Brune, aaO). Ausreichend ist es allerdings, wenn der Arbeitgeber darlegt, aufgrund welcher Indizien (Alkoholfahne, lallende Sprache, schwankender Gang, aggressives Verhalten) er subjektiv den Eindruck einer Alkoholisierung gewonnen hat, und wenn er den entsprechenden Beweis durch Zeugenaussage führen kann (so auch LAG Schleswig-Holstein Urteil vom 28. November 1988 – 4 Sa 382/88 – LAGE § 615 BGB Nr. 17). Im Schrifttum (Glaubitz, BB 1979, 579, 58O; Künzl, BB 1993, 1581, 1584; Schäfer, aaO, S. 55; Willemsen/Brune, DB 1988, 2304) wird vertreten, dem Arbeitnehmer bei Anzeichen einer Alkoholisierung Gelegenheit zu geben, durch objektive Tests (z.B. mittels Alkomat oder einer vom Werksarzt entnommenen Blutprobe) den Verdacht einer Alkoholisierung auszuräumen. Dieser Auffassung ist aus dem Gesichtspunkt der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers – ähnlich der Anhörung vor einer Verdachtskündigung – mit der Einschränkung zuzustimmen, daß der Arbeitgeber über entsprechende Möglichkeiten verfügt, was u. a. für den Kleinbetrieb wohl nicht generell gefordert werden kann, und daß die Alkoholisierung nicht offensichtlich vorliegt (z.B. bei erkennbarer Volltrunkenheit). Insofern kann die Alkomatmessung sowohl zur Be- als auch Entlastung des Arbeitnehmers beitragen (vgl. dazu noch unten zu B III 4 b, aa und bb).
bb) Das Berufungsgericht ist nach Durchführung einer umfangreichen Beweisaufnahme zu der Annahme gelangt, der Kläger sei am 17. Juli 1992 alkoholbedingt nicht mehr in der Lage gewesen, seinen arbeitsrechtlichen Verpflichtungen zu genügen. Von dem Kläger sei erheblicher Alkoholgeruch ausgegangen; er habe stark gerötete und verquollene Augen gehabt; zudem habe er gelallt und seine Sätze seien nicht perfekt gewesen. Die auf Zeugenaussagen basierenden Indizien für eine erhebliche Alkoholisierung des Klägers genügen für die Annahme, auch bei einfachen Bestückertätigkeiten von einer alkoholbedingten, zusätzlichen Gefährdung bei Ausübung der Tätigkeit und außerdem einer nicht mehr ordnungsgemäßen Arbeitsleistung auszugehen.
Der mittels Alkomat durchgeführte Test hat zudem 1,6 Promille ausgewiesen und damit nicht zur Entlastung des Klägers beigetragen. Da der Kläger die Möglichkeit einer Alkoholuntersuchung gehabt hätte, brauchte das Landesarbeitsgericht auch nicht festzustellen, ob der Alkomat ordnungsgemäß in Betrieb genommen und der Test ordnungsgemäß durchgeführt wurde. Nach den nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen und damit für den Senat nach § 561 ZPO bindenden Feststellungen der Vorinstanz hat sich der Kläger der Möglichkeit verweigert, die Blutalkoholkonzentration (BAK) durch Auswertung der zur Überprüfung der Leberwerte genommenen Blutprobe zu ermitteln. Darin könnte zusätzlich ein Indiz für einen erheblichen Alkoholkonsum gesehen werden (vgl. zur Beweiswürdigung bei Verweigerung der BAK-Ermittlung von Hoyningen-Huene, DB 1995, 142, 145) [BAG 21.12.1994 – 10 AZR 650/93].
cc) Die gegen die Feststellungen des Landesarbeitsgerichts, der Kläger habe alkoholbedingte Ausfallerscheinungen gezeigt, erhobene Gegenrüge des Klägers ist unzulässig.
Die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts ist durch das Revisionsgericht nur beschränkt überprüfbar. Dabei ist von § 286 ZPO auszugehen, dessen Abs. 1 den Grundsatz der freien Beweiswürdigung für den Zivilprozeß normiert und gemäß § 46 Abs. 2 ArbGG unbeschränkt auch im arbeitsgerichtlichen Urteilsverfahren gilt. Danach sind die Zivilgerichte in der Verwertung der Beweismittel grundsätzlich frei. Der erkennende Senat kann daher insoweit lediglich überprüfen, ob vom Landesarbeitsgericht der gesamte Inhalt der Verhandlung berücksichtigt worden ist, ob eine Würdigung aller erhobenen Beweise stattgefunden hat und ob die Beweiswürdigung in sich widerspruchsfrei sowie frei von Verstößen gegen die Denkgesetze und allgemeinen Erfahrungssätze ist (BAG Urteil vom 25. Februar 1987 – 4 AZR 240/86 – BAGE 55, 78 = AP Nr. 81 zu § 1 TVG Tarifverträge: Bau). Der Kläger hat nicht dargelegt, inwieweit die Beweiswürdigung der Vorinstanz gegen diese Grundsätze verstößt. Seine „Zweifel an der Würdigung des Berufungsgerichts“ werden nicht durch konkrete Umstände fehlerhafter Würdigung belegt.
4. Das Landesarbeitsgericht hat indes rechtsfehlerhaft angenommen, die Kündigung sei unwirksam, weil der Kläger angeblich zuvor nicht wirksam abgemahnt worden sei.
a) Aus dem Tatbestandsmerkmal „bedingt“ in § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG wird der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der Mittel abgeleitet. Eine Kündigung ist nur erforderlich („ultima ratio“), wenn sie nicht durch mildere Maßnahmen zu vermeiden ist. Eine gegenüber der Kündigung mildere Maßnahme ist die Abmahnung. Abmahnung bedeutet, daß der Arbeitgeber in einer für den Arbeitnehmer hinreichend deutlich erkennbaren Art und Weise seine Beanstandungen vorbringt (Dokumentationsfunktion) und damit deutlich – wenn auch nicht expressis verbis – den Hinweis verbindet, im Wiederholungsfall sei der Inhalt oder der Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdet (Warnfunktion). Sie ist grundsätzlich auszusprechen, wenn wegen eines nicht vertragsgerechten Verhaltens gekündigt werden soll und die Störungen im Verhaltens- und Leistungsbereich liegen (ständige Rechtsprechung vgl. BAG Urteile vom 17. Januar 1991 – 2 AZR 375/90 – AP Nr. 25 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen; vom 16. August 1991 – 2 AZR 604/90 – AP Nr. 27 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung; zuletzt BAG Urteile vom 17. Februar 1994 – 2 AZR 616/93 – AP Nr. 116 zu § 626 BGB und vom 18. Mai 1994 – 2 AZR 626/93 – AP Nr. 3 zu § 108 BPersVG; zum Abmahnungserfordernis bei Fehlverhalten im Vertrauensbereich vgl. Senatsurteil vom 30. Juli 1983 – 2 AZR 524/81 – AP Nr. 15 zu Art. 140 GG, zu IV 1 der Gründe).
Das Prinzip der Verhältnismäßigkeit wird durch das von Preis (Prinzipien des Kündigungsrechts bei Arbeitsverhältnissen, 1987, S. 454 ff.) herausgearbeitete Prognoseprinzip ergänzt. Der Kündigungszweck ist zukunftsbezogen ausgerichtet. Entscheidend ist, ob eine Wiederholungsgefahr besteht und ob sich das vergangene Ereignis auch zukünftig belastend auswirkt (Senatsurteil vom 16. August 1991, aaO). In der Regel wird erst nach einer Abmahnung die erforderliche Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, daß sich der Arbeitnehmer auch in Zukunft nicht vertragstreu verhalten wird (Hueck/von Hoyningen-Huene, aaO, § 1 Rz 284; ders. DB 1995, 142 [BAG 21.12.1994 – 10 AZR 650/93]). Demgemäß ist eine Abmahnung nur dann entbehrlich, wenn im Einzelfall besondere Umstände vorgelegen haben, aufgrund derer sie als nicht erfolgversprechend angesehen werden konnte (BAG Urteile vom 29. Juli 1976 – 3 AZR 5O/75 – AP Nr. 9 zu § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung, zu 4 d der Gründe; vom 18. Januar 198O – 7 AZR 75/78 – AP Nr. 3 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung; vom 18. Mai 1994 – 2 AZR 626/93 -, aaO; vgl. zu den Ausnahmen ferner Bitter/Kiel, RdA 1/1995, unter VI 2 d und KR-Hillebrecht, BGB, § 626 Rz 96 ff., m.w.N.). Besondere Umstände sind vor allem anzunehmen, wenn der Arbeitnehmer eindeutig nicht gewillt ist, sich vertragsgerecht zu verhalten. Dies ist der Fall, wenn er seine Vertragsverletzungen hartnäckig und uneinsichtig fortsetzt, obwohl er die Vertragswidrigkeit seines Verhaltens kannte; der Arbeitgeber müßte auch hier bei Ausspruch einer Abmahnung mit weiteren erheblichen Pflichtverletzungen rechnen (Senatsurteile vom 12. Juli 1984 – 2 AZR 320/83 – AP Nr. 32 zu § 1O2 BetrVG 1972 und vom 18. Mai 1994 – 2 AZR 626/93 – AP, aaO; Ascheid, Kündigungsschutzrecht, Rz 76; Hueck/von Hoyningen-Huene, aaO, § 1 Rz 285; KR-Hillebrecht, BGB, § 626 Rz 98; Stahlhacke/Preis, aaO, Rz 686).
b) Es kann dahingestellt bleiben, ob vorliegend wegen der von der Beklagten behaupteten besonderen Gefährdung am Arbeitsplatz des Klägers (Lebensgefahr durch Fall ins Galvanik-Becken, durch Unfall beim Gabelstaplerverkehr) eine Abmahnung von vornherein entbehrlich war (vgl. dazu oben und ferner speziell beim Alkoholmißbrauch von Hoyningen-Huene, DB 1995, 142, 146) [BAG 21.12.1994 – 10 AZR 650/93]. Unstreitig ist dem Kläger mit Schreiben vom 26. November 1991 eine Abmahnung mit Kündigungsandrohung ausgesprochen worden, diese war insofern berechtigt, als der Kläger nach den eigenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts (Urteil S. 14 Mitte) nach Beginn der Nachtschicht, also während der Arbeit, dem Schichtführer W wegen einer starken Alkoholfahne am Arbeitsplatz auffiel, wobei die herbeigerufenen Werkschutzmitarbeiter diesen Eindruck bestätigten und der Kläger auch einräumte, Alkohol zu sich genommen zu haben (Zeugen W, Sch, Me, L), sodaß es dann zu den beiden Alkomatmessungen kam, die – wie im Wachbuch festgehalten – im 20minütigen Abstand 1,44 bzw. 1,42 Promille ergaben. Die Revision rügt zu Recht, daß insofern noch eine unvollständige Würdigung der Zeugenaussagen vorliegt, als die Feststellungen des Schichtführers und der Werkschutzleute auf Beschwerden anderer Arbeitnehmer wegen des Alkoholgeruchs beim Kläger beruhten und der Werkschutzmann L aufgrund eines Hinweises aus der Abteilung des Klägers nach der Alkomatprüfung bei einer Kontrolle der Tasche des Klägers noch 6 Flaschen Bier vorfand. Wenn der Kläger schon bei Beginn der Nachtschicht andere Arbeitnehmer durch seinen Alkoholgeruch belästigte und aufgrund der Vorratshaltung zu befürchten stand, daß sich dies noch verstärkte, so bestand bereits darin – unabhängig von dem Ergebnis der Alkomatmessung und dem damit genauer festgestellten Grad der Alkoholisierung – eine Verletzung seiner Nebenpflicht aus dem Arbeitsverhältnis (siehe oben zu B III 3 a). Außerdem wird diese Schlußfolgerung durch das Ergebnis der Alkomatmessung bestätigt.
Aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme hat das Landesarbeitsgericht festgestellt (§ 561 ZPO), der Alkomat habe Werte von 1,42 bzw. 1,44 Promille ausgewiesen. Auch soweit es in der Abmahnung heißt, der Kläger sei daraufhin wegen alkoholbedingter Arbeitsunfähigkeit wieder nach Hause geschickt worden, entspricht dies den Tatsachen. Das Landesarbeitsgericht hat nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme zwar festgestellt, der Kläger sei am 15. November 1991 durch kein (weiteres) alkoholbedingtes Fehlverhalten am Arbeitsplatz auffällig geworden. Dies wird in der Abmahnung aber auch nicht behauptet. Die Beklagte beschränkt sich auf den Hinweis, sie habe den Kläger nach dem Ergebnis des Alkomattests („daraufhin“) nach Hause geschickt.
aa) Im Gegensatz zu der Auffassung der Vorinstanz genügt für die Rechtswirksamkeit der Abmahnung, daß der Kläger am 15. November 1991 mit einer starken Alkoholfahne im Betrieb angetroffen worden ist, worüber sich mehrere Arbeitnehmer beschwerten, sodaß der Schichtführer einschreiten und der Kläger nach Hause geschickt werden mußte. Die durchgeführten Alkomattests bestätigten einen Blutalkoholgehalt von jeweils über 1,4 Promille. Selbst nach Abzug eines Toleranzwerts von 0,25 Promille nach der Untersuchung von Pilzer, Sprung und Schewe (Blutalkohol 1990, S. 1 ff., 5), errechnen sich über 1,1 Promille, die einen verständigen Arbeitgeber unter Berücksichtigung der vorliegenden Umstände zu einer Abmahnung veranlassen können, ohne daß es des Nachweises weiterer alkoholbedingter Ausfälle bedarf. Der Kläger hat nicht behauptet, der Alkomat habe sich an diesem Tag in nicht ordnungsgemäßem Zustand befunden. Im Gegenteil: Der Werkschutz L hat als Zeuge schon erstinstanzlich bestätigt, die Beklagte verfüge über ein gutes Gerät, das vom TÜV regelmäßig überwacht werde.
bb) Das Landesarbeitsgericht hat demgegenüber gemeint, der mittels Atemalkoholtest ermittelte Wert sei nicht hinreichend zuverlässig. Die Ergebnisse könnten nur Veranlassung sein, eine Prognose darüber anzustellen, ob vermutlich eine entsprechende alkoholische Beeinträchtigung vorliege. Jedenfalls dann, wenn der Promillewert nach Abzug der Toleranzen unter 1,3 liege, müßten alkoholbedingte Ausfallerscheinungen nachgewiesen sein, um eine Arbeitspflichtverletzung zu begründen. Diese Würdigung berücksichtigt die grundsätzlichen strukturellen Unterschiede zwischen dem Straf- und Zivilrecht nicht ausreichend und wird weder den rechtlichen noch den praktischen Problemen des Arbeitslebens gerecht.
(1) Grundsätzlich entspricht die Übertragung starrer Promillegrenzen aus dem Strafrecht nicht den Anforderungen des Arbeitsrechts. Eine arbeitsrechtliche Pflichtverletzung richtet sich im Einzelfall an der auszuübenden Tätigkeit sowie regionalen und branchenspezifischen Gesichtspunkten aus (LAG Düsseldorf Urteil vom 19. Oktober 1989 – 13 Sa 703/89 – LAGE § 626 BGB Nr. 5O; LAG Hamm Urteil vom 23. August 199O – 16 Sa 293/90 – LAGE § 626 BGB Nr. 52; ausführlich Fecker, Rechte, Pflichten und Regelungsmöglichkeiten des privaten Arbeitgebers im Hinblick auf Alkoholkonsum von Arbeitnehmern 1992, S. 58 ff.; Künzl, BB 1993, 1581, 1586; Stahlhacke/Preis, aaO, Rz 7OO). Während bei einem operierenden Unfallchirurgen oder Piloten schon eine geringe Alkoholisierung als arbeitsvertragliche Pflichtverletzung anzusehen ist, wird dies bei einem Bauarbeiter nicht so schnell anzunehmen sein, zumindest solange keine Unfallgefahren drohen. Selbst wenn kein betriebliches Alkoholverbot herrscht und die geschuldete Arbeit nicht mit Alkoholkonsum schlechterdings unvereinbar ist, wird grundsätzlich nur ein geringer Alkoholkonsum erlaubt sein (z.B. das Glas Sekt bei der Beförderungs- und Geburtstagsfeier, ein Glas Bier in der Pause). Der Arbeitgeber kann auch bei einem relativen Alkoholverbot sowohl erwarten, daß der Arbeitnehmer zum Dienst erscheint, ohne zuvor in erheblichem Umfang alkoholische Getränke zu sich genommen zu haben, als auch, daß der mündige Arbeitnehmer – auch wenn Alkohol in der Betriebskantine erhältlich ist – während der Arbeit allenfalls geringfügig dem Alkohol zuspricht. Mathematische Toleranzgrenzen lassen sich insofern nicht aufstellen.
(2) Darüber hinaus unterliegt der Nachweis einer Alkoholisierung durch Atemalkoholanalyse im Arbeitsrecht nicht denselben strengen Anforderungen wie im Strafrecht, weil dort die exakte Feststellung der Alkoholisierung wegen des Grundsatzes „in dubio pro reo“ zentrale Bedeutung hat. Ein exakter Nachweis könnte im übrigen nur durch eine Untersuchung der Blutalkoholkonzentration geführt werden. Aus diesem Grund können im Ermittlungsverfahren Richter und bei Gefährdung des Untersuchungserfolges durch Verzögerung auch die Staatsanwaltschaft und deren Beamte gemäß § 81 a StPO anordnen, daß ein Arzt eine Blutprobe ohne Einwilligung des Beschuldigten nach den Regeln ärztlicher Kunst entnimmt, wenn keine gesundheitlichen Nachteile zu befürchten sind. Demgegenüber kann ein Arbeitnehmer nicht dazu gezwungen werden, sich einer Blutentnahme zur Feststellung des Alkoholgehaltes zu unterziehen (vgl. schon oben zu B II 3 b); das Instrumentarium der Strafprozeßordnung steht dem Arbeitgeber nicht zur Verfügung. Es würde daher die Anforderungen an seine Darlegungs- und Beweislast überspannen, wenn er in diesen Fällen sich nicht an dem durch Alkomat erzielten Ergebnis orientieren könnte. In der Konsequenz der Auffassung der Vorinstanz müßte der Arbeitgeber selbst bei einer im Wege der Atemalkoholanalyse nachgewiesenen erheblichen Alkoholisierung sehenden Auges Unfallrisiken mit möglichen haftungsrechtlichen Folgen eingehen, sofern der Arbeitnehmer sein Einverständnis mit der Blutprobe nicht erteilt. Der darin liegende Wertungswiderspruch ist offensichtlich. Die entgegenstehende Auffassung des Landesarbeitsgerichts berücksichtigt auch nicht, daß der Arbeitgeber ad hoc die Entscheidung treffen muß, ob ein Arbeitnehmer so stark unter Alkoholeinfluß steht, daß er nicht mehr ordnungsgemäß arbeiten kann oder durch ihn eine erhöhte Unfallgefahr heraufbeschworen wird. Er darf bei gewichtigen Anhaltspunkten für eine erhebliche Alkoholisierung nicht das Risiko eingehen, daß sich zusätzliche Unfallgefahren durch Weiterarbeit realisieren (vgl. auch UVV § 38 VGB I).
IV. Das angefochtene Urteil ist damit aufzuheben, wobei der Senat gemäß § 565 Abs. 3 Ziff. 1 ZPO in der Sache selbst entschieden hat. Das Landesarbeitsgericht hat von seinem Standpunkt aus konsequent nicht abgewogen, ob die ordentliche Kündigung auch unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls und nach Wertung eines verständig denkenden Arbeitgebers als billig und angemessen anzusehen ist. Der Senat kann die an sich der Tatsacheninstanz obliegende Prüfung ausnahmsweise dann selbst durchführen, wenn aufgrund der vom Landesarbeitsgericht bindend festgestellten Tatsachen (§ 561 ZPO) und des Vorbringens der Parteien keine zu Gunsten des Klägers zu berücksichtigenden Interessen ersichtlich sind, die die Pflichtverletzung in einem anderen Licht erscheinen lassen oder für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses streiten (in diesem Sinne Senatsurteil vom 5. November 1992 – 2 AZR 287/92 – AuR 1993, 124).
Die Vertragspflichtverletzung als solche ist festgestellt (oben zu B III 1-3). Dem Abmahnungserfordernis ist Rechnung getragen (oben zu B III 4). Es handelt sich auch bei dem die Kündigung auslösenden Vorfall vom 17. Juli 1992 nicht um eine einmalige, verzeihliche Entgleisung. Der Kläger war vielmehr nach der weiteren Feststellung im Tatbestand des Berufungsurteils schon am 25. März 1988 wegen Beschimpfung einer Kollegin in angetrunkenem Zustand durch den Mitarbeiter S in einem persönlichen Gespräch verwarnt worden. Die darauf folgende förmliche Abmahnung wegen des Vorfalls am 15. November 1991 in der Spätschicht nahm der Kläger wiederum nicht zum Anlaß, Alkohol im Betrieb zu meiden, sondern fiel gut acht Monate später erneut – diesmal in der Frühschicht – wegen hochgradiger Alkoholisierung auf. Die Beklagte hatte daher begründeten Anlaß zu der Annahme, daß sich hieran auch in Zukunft nichts ändern werde. Überdies bestritt der Kläger in beiden Instanzen eine Gefährdung für sich und andere, obwohl unstreitig am Arbeitsplatz des Klägers Gabelstaplerverkehr herrscht, von der Gefährdung am Galvanik-Becken einmal ganz abgesehen. Auf die Gefährdung durch Staplerverkehr hat u. a. der Betriebsratsvorsitzende als Zeuge hingewiesen. Ersichtlich sah auch nicht einmal der Betriebsrat eine Möglichkeit, der Kündigung zu widersprechen. Demgegenüber kann der 7-jährigen Betriebszugehörigkeit des Klägers auch angesichts des Alters und der Schwerbehinderteneigenschaft keine ausschlaggebende Bedeutung zugemessen werden. Der Kläger hat auch nicht auf besondere Interessen seinerseits aufmerksam gemacht, die das Interesse der Beklagten überwiegen könnten, sich vom Kläger wegen des wiederholten Alkoholmißbrauchs zu trennen. Insbesondere brauchte die Beklagte nicht abzuwarten, bis es auch noch zu Unfallfolgen wegen Alkoholisierung des Klägers kam. Auch nach Wertung eines verständigen Arbeitgebers kann die ordentliche Kündigung der Beklagten nicht als unbillig und unangemessen angesehen werden.
Etzel Bitter Fischermeier,
Engel Bartz
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Fundstellen:
BAGE 79, 176
NZA 1995, 517
DB 1995, 1028
BB 1995, 1089
ZTR 1995, 417
NJW 1995, 1851
> BAG, 20.10.2016 – 6 AZR 471/15
> BAG, 19.07.2012 – 2 AZR 782/11
> BAG, 12.07.2007 – 2 AZR 716/06
> BAG, 16.09.1999 – 2 AZR 123/99