Betriebsbedingte Kündigung nach Einführung von Kurzarbeit
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 26.06.1997, 2 AZR 494/96
Leitsätze des Gerichts
Die Einführung von Kurzarbeit (§ 63 Abs 1 Satz 1 AFG) spricht zunächst indiziell dafür, daß der Arbeitgeber nur von einem vorübergehenden Arbeitsmangel ausgegangen ist, der eine betriebsbedingte Kündigung nicht rechtfertigen kann. Dieses Indiz kann jedoch der wegen § 1 Abs 2 Satz 4 KSchG beweisbelastete Arbeitgeber durch konkreten Sachvortrag entkräften, wonach eine Beschäftigungsmöglichkeit für einzelne von der Kurzarbeit betroffene Arbeitnehmer auf Dauer entfallen ist (teilweise Abänderung der Rechtsprechung im Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 17. Oktober 1980 – 7 AZR 675/78 – AP Nr 10 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung).
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 24. Juni 1996 – 5 Sa 1767/95 – aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Der Kläger wurde bei der Gemeinschuldnerin, die früher mit ca. 150 Arbeitnehmern einen Baubetrieb (u. a. Straßenbau) betrieb, ab 16. Januar 1989 zunächst als Baumaschinist eingestellt und wurde etwa ab Mitte Februar 1989 als Bauwerker weiterbeschäftigt; er erhielt zuletzt bei einem Bruttostundenlohn von 18,89 DM durchschnittlich monatlich 4.000,- DM brutto. Im Betrieb der Gemeinschuldnerin wurde für die Zeit vom 1. Dezember 1994 bis zum 30. Juni 1995 Kurzarbeit angeordnet. Sie entließ wegen Arbeitsmangels im Dezember 1994 die Bauwerker N K und S zum 21. Dezember 1994 und 0 L zum 31. Dezember 1994.
Dem Kläger kündigte die Gemeinschuldnerin mit dem am gleichen Tag zugegangenen Schreiben vom 15. Dezember 1994 ebenfalls wegen Arbeitsmangels zum 28. Februar 1995.
Der Kläger hat geltend gemacht, die Kündigung wegen Arbeitsmangels sei nicht gerechtfertigt, zumal er Anfang Dezember 1994 zur Sicherung des Arbeitsplatzes der Kurzarbeit zugestimmt habe. Die frühere Beklagte habe ihn auch als Kraftfahrer einsetzen können, zumal er in den Jahren 1993/94 monatelang einen LKW bis 7,5 Tonnen gefahren habe und auch auf einem Unimog-Fahrzeug eingesetzt worden sei. Der angebliche Umsatzrückgang werde bestritten; die Gemeinschuldnerin habe jedenfalls nicht nachvollziehbar dargestellt, inwiefern aufgrund des angeblichen Auftragsrückgangs Stellen als Bauwerker entfallen seien; die behaupteten Auftragssummen ließen – zumal im Schwarzdeckenbau – nicht einmal eine rückläufige Tendenz erkennen. Nach dem Sachvortrag der Gemeinschuldnerin sei auch nicht deutlich geworden, inwiefern aus angeblich rückläufigen Auftragsbeständen sich die Notwendigkeit zur Personalreduzierung ergebe. Bestritten werde im übrigen, daß mit der Anschaffung eines sog. Seitenfertigers für ihn, den Kläger, alle Arbeiten im Straßenbau weggefallen seien.
Der Kläger hat – soweit für die Revisionsinstanz von Belang – beantragt
festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung laut Schreiben vom 15. Dezember 1994 nicht aufgelöst worden ist.
Die Gemeinschuldnerin hat zu ihrem Klageabweisungsantrag vorgetragen, auch nach vier bis fünf Wochen Einarbeitungszeit sei der Kläger nicht als Baumaschinist – wie ursprünglich vorgesehen – einsetzbar gewesen; in der Folgezeit sei er nur als Bauwerker beschäftigt worden, und zwar hauptsächlich im Straßenbau. Die Aufgabe des Bauwerkers im Straßenbau bestehe in erster Linie in der Vor- und Nachbereitung der Seitenränder der zu asphaltierenden Straßenfläche; ebenso würden Bauwerker grundsätzlich zu Auf-räum- und Handlangerarbeiten eingesetzt, sofern diese Arbeiten nicht bereits von Facharbeitern mitübernommen würden. Im Hinblick darauf, daß aus Rationalisierungsgründen im Sommer 1994 die Seitenfertiger-Maschine angeschafft worden sei, seien die vom Kläger ausgeführten Arbeiten sukzessive entfallen; der Seitenfertiger habe sämtliche Arbeiten eines Bauwerkers im Straßenbau übernommen (Beweis: R , St ). Hinzu komme, daß sich die allgemeine Auftragslage dramatisch verschlechtert habe, und zwar seien die Auftragsbestände von 11.012.608,25 DM Ende Januar 1994 auf 419.802,14 DM Mitte Dezember 1994 zurückgegangen, wobei es im Schwarzdeckenbau im März und Mai 1995 nur einen geringfügigen Anstieg auf 1.162.992,24 bzw. 1.450.353,62 DM gegeben habe; die Auftragsbestände seien aber im weiteren Verlauf des Jahres 1995 wieder zurückgegangen. Bereits im Dezember 1994 habe der Kläger im Straßenbau nach der Fertigstellung der letzten Großbaustelle in B – letztlich auch wegen des Einsatzes der Spezialmaschine – nicht mehr eingesetzt werden können, sondern habe ohnehin ab Dezember nur noch Aufräumarbeiten erledigt. Im Kanalbau gebe es ebensowenig wie als Hilfspflasterer eine Beschäftigungsmöglichkeit für den Kläger.
Das Arbeitsgericht hat nach dem Klageantrag erkannt, jedoch den Weiterbeschäftigungsanspruch des Klägers abgewiesen. Die allein von der Beklagten eingelegte Berufung ist erfolglos geblieben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision er-strebt der in das Verfahren eingetretene Konkursverwalter der Gemeinschuldnerin, über deren Vermögen am 22. Oktober 1996 das Konkursverfahren eröffnet worden ist, die vollständige Klageabweisung.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Beklagten ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung (S 565 ZPO), weil der Senat nicht abschließend über die Betriebsbedingtheit der Kündigung entscheiden kann, § 1 Abs. 2 KSchG.
I. Das Landesarbeitsgericht hat seine Entscheidung im wesentlichen wie folgt begründet: Der von der Gemeinschuldnerin dargelegte Auftragsrückgang während des Jahres 1994 stelle zweifellos einen Grund dar, der sie zu einschneidenden Rationalisierungsmaßnahmen veranlassen mußte, was offensichtlich sei. Die frühere Beklagte habe jedoch die Anschaffung des Seitenfertigers im Sommer 1994 nicht zum Anlaß genommen, das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger zu kündigen, obwohl angeblich dessen Arbeitsplatz weggefallen sei. Vielmehr habe sie die Kündigung erst in einem Zeitraum ausgesprochen, als im Betrieb schon Kurzarbeit eingeführt worden sei. Damit müsse davon ausgegangen werden, daß diese Maßnahme einem vorübergehenden Arbeitsmangel Rechnung getragen habe, so daß keine weiteren Umstände vorlägen, aus denen auf einen Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit für den Kläger geschlossen werden könne.
II. Dem folgt der Senat nicht. Der Beklagte rügt zu Recht eine mangelnde Sachverhaltsaufklärung durch das Berufungsgericht; insbesondere sei nicht davon auszugehen, daß allein mit der Einführung der Kurzarbeit dem Arbeitsmangel hätte begegnet werden können; vielmehr sei zum Kündigungszeitpunkt erkennbar gewesen, daß für den Kläger auf Dauer keine Beschäftigungsmöglichkeit mehr gegeben sein würde. 1. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. u. a. BAG Urteile vom 7. Dezember 1978 – 2 AZR 155/77 – BAGE 31, 157 = AP Nr. 6 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung; vom 29. März 1990 – 2 AZR 369/.89 – BAGE 65, 61 = AP Nr. 50, aaO und vom 26. September 1996 – 2 AZR 200/96 – AP Nr. 80, aaO) können sich betriebliche Erfordernisse im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG aus innerbetrieblichen Umständen (Unternehmerentscheidung: z. B. Rationalisierungsmaßnahme, Umstellung oder Einschränkung der Produktion) oder durch außerbetriebliche Gründe (z. B. Auftragsmangel, Umsatzrückgang usw.) ergeben; diese betrieblichen Erfordernisse müssen dringend sein und eine Kündigung im Interesse des Betriebes notwendig machen, wobei diese weitere Voraussetzung erfüllt ist, wenn es dem Arbeitgeber nicht möglich ist, der betrieblichen Lage durch andere Maßnahmen auf technischem, organisatorischem oder wirtschaftlichem Gebiet als durch eine Kündigung zu entsprechen. Die Kündigung muß wegen der betrieblichen Lage unvermeidbar sein. Auftrags- oder Umsatzrückgang kann eine betriebsbedingte Kündigung rechtfertigen, wenn dadurch der Arbeitsanfall so zurückgeht, daß für einen oder mehrere Arbeitnehmer das Bedürfnis zur Weiterbeschäftigung entfällt. Außerbetriebliche Umstände können eine betriebsbedingte Kündigung außerdem dann rechtfertigen, wenn sie der Arbeitgeber zum Anlaß nimmt, zum Zwecke der Kostenersparnis durch Rationalisierungsmaßnahmen innerbetriebliche Veränderungen durchzuführen, durch die die Zahl der Arbeitsplätze verringert wird; dabei sind die organisatorischen Maßnahmen, die der Arbeitgeber trifft, um seinen Betrieb dem Umsatzrückgang oder der verschlechterten Auftragslage anzupassen, nicht auf ihre Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit, wohl aber daraufhin nachzuprüfen, ob sie offenbar unsachlich, unvernünftig oder willkürlich sind (vgl. zuletzt Senatsurteil vom 24. April 1997 – 2 AZR 352/96 – zur Veröffentlichung vorgesehen, zu II 1 der Gründe, m.w.N.). Vom Gericht voll nachzuprüfen ist dabei immer, ob die zur Begründung dringender betrieblicher Erfordernisse angeführten inner- oder außerbetrieblichen Gründe tatsächlich vorliegen und wie sich diese Umstände im betrieblichen Bereich auswirken, d. h. in welchem Umfang dadurch eine Beschäftigungsmöglichkeit ganz oder teilweise weggefallen ist (vgl. u. a. Senatsurteil vom 15. Juni 1989 – 2 AZR 600/88 AP Nr. 45, aaO).
2. Geht man von diesen Grundsätzen aus, so hat das Berufungsgericht nicht ausreichend berücksichtigt, daß hier eine Kumulation außer- und innerbetrieblicher Gründe nach dem insoweit schlüssigen Sachvortrag des Beklagten vorliegen und zum Wegfall des Beschäftigungsbedürfnisses für den Kläger geführt haben könnte, § 1 Abs. 2 KSchG.
a) Insofern hält das Landesarbeitsgericht der vormals Beklagten – jetzt Gemeinschuldnerin – zu Unrecht vor, sie haben die Anschaffung des Seitenfertigers im Sommer 1994 nicht zum Anlaß genommen, das Arbeitsverhältnis zum Kläger zu kündigen, und könne sich zur Zeit des Ausspruchs der Kündigung Mitte Dezember 1994 hierauf nicht mehr berufen, weil bereits seit Anfang Dezember 1994 Kurzarbeit eingeführt worden sei. Zwar weist das Landesarbeitsgericht zutreffend auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts hin (Urteil vom 17. Oktober 1980 – 7 AZR 675/78 – AP Nr. 10, aaO), wonach eine betriebsbedingte Kündigung im Zusammenhang mit einer vom Arbeitgeber bereits eingeführten Kurzarbeit gemäß § 1 Abs. 2 KSchG nur dann gerechtfertigt ist, wenn über die Gründe hinaus, die zur Einführung von Kurzarbeit geführt haben, weitergehende inner- oder außerbetriebliche Gründe vorliegen, die auf Dauer für den gekündigten Arbeitnehmer das Weiterbeschäftigungsbedürfnis entfallen lassen. Insofern berücksichtigt das Landesarbeitsgericht aber nicht ausreichend, daß nach dem Sachvortrag der Gemeinschuldnerin schon die Anschaffung des Seitenfertigers im Sommer 1994 das Bedürfnis für eine Weiterbeschäftigung von Bauwerkern sukzessive entfallen ließ, weil diese Maschine nach ihrem Sachvortrag geeignet war, seit Sommer 1994 zunehmend die Seitenraumarbeiten beim Straßenbau zu übernehmen, wobei dann tatsächlich seit Januar 1995 alle Arbeiten, die zuvor von Hand durch Hilfskräfte wie den Kläger ausgeführt wurden, entfallen seien. Die Gemeinschuldnerin hat diesen Sachvortrag mit der weiteren Behauptung, auf die das Berufungsgericht nicht eingeht, unterstützt, infolgedessen sei der Kläger schon seit Dezember 1994 nur noch mit Aufräumungsarbeiten beschäftigt worden. Der erstinstanzliche Sachvortrag des Klägers hierzu läßt erkennen, daß er einräumt, zumindest auch mit Aufräumungsarbeiten beschäftigt worden zu sein, wobei der Kläger allerdings bestreitet, daß mit der Anschaffung des Seitenfertigers alle Arbeiten entfallen seien, die er seinerzeit ausgeführt hatte. Mit dem Sachvortrag der Gemeinschuldnerin, nach Fertigstellung der letzten Großbaustelle in B sei wegen des Einsatzes der Spezialmaschine und wegen der Auftragslage ein Einsatz des Klägers in seinem bisherigen Beschäftigungsbereich als Bauwerker nicht mehr möglich gewesen, wäre daher unabhängig von der eingeführten Kurzarbeit, die generell im Betrieb einem vorübergehenden Arbeitsmangel (S 63 Abs. 1 Satz 1 AFG) gegensteuern sollte, ein Umstand im Sinne der BAG-Rechtsprechung vom 17. Oktober 1980 (aaO) eingetreten, der auf unbestimmte Dauer für den gekündigten Arbeitnehmer das Bedürfnis zur Weiterbeschäftigung entfallen lassen konnte.
b) Im übrigen ist nach Auffassung des erkennenden, nunmehr allein für Kündigungen zuständigen Senats die Rechtsprechung im Urteil vom 17. Oktober 1980 (aaO) wie folgt zu modifizieren: Aus der sozialrechtlichen Vorschrift des § 63 Abs. 1 Satz 1 AFG kann nicht der Schluß gezogen werden, die Gewährung von Kurzarbeitergeld zwinge zu der fiktiven Annahme, daß in jedem Fall auch aus arbeitsrechtlicher Sicht (S 1 Abs. 2 KSchG) nur ein vorübergehender Arbeitsmangel vorliegt, der eine auf Beendigung des Arbeitsverhältnisses gerichtete Kündigung ausschließt. Die Gewährung von Kurzarbeitergeld kommt sozialrechtlich nur zur Erhaltung (und Schaffung) von Arbeitsplätzen in Betracht (vgl. § 63 Abs. 1 Satz 1 Konditionalsatz AFG). Die Tatsache, daß die sozialrechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Kurzarbeitergeld vorliegen, ist daher arbeitsrechtlich nur dahin zu verstehen, daß zwar ein Indiz für einen nur vorübergehenden Arbeitsmangel vorliegt, das jedoch der wegen § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG beweisbelastete Arbeitgeber entkräften kann. Im übrigen hat der Siebte Senat des Bundesarbeitsgerichts (aaO) bereits ausdrücklich darauf hingewiesen, während einer Kurzarbeitsperiode seien betriebsbedingte Kündigungen nach § 1 Abs. 2 KSchG nicht ausgeschlossen.
c) Richtig ist insofern der Ansatz des Landesarbeitsgerichts, daß die Einführung von Kurzarbeit zunächst dafür spricht, der Arbeitgeber sei aufgrund einer nach betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten vorgenommenen Prognose von einem vorübergehenden Arbeitsmangel (S 63 Abs. 1 Satz 1 AFG) ausgegangen. Diese Prognose bezieht sich aber auf die Beschäftigungsmöglichkeiten der Gesamtheit aller davon betroffenen Arbeitnehmer im Betrieb, während für einzelne Arbeitnehmer, darunter den Kläger in seiner Tätigkeit als Bauwerker im Straßenbau, aufgrund der vom Beklagten angeführten zusätzlichen Umstände auf Dauer eine Beschäftigungsmöglichkeit entfallen sein könnte. Dies hängt davon ab, ob aufgrund der innerbetrieblichen Situation durch sukzessive Inbetriebnahme des Seitenfertigers und der außerbetrieblichen Umstände (Auftragsmangel) eine Beschäftigungsmöglichkeit entfiel. Dabei wird es entscheidend auch darauf ankommen, ob die von der Gemeinschuldnerin angestellte Prognose zur Reduzierung der Auftragseingänge, vor allem auch im Schwarzdeckenbau, die Befürchtung als begründet erscheinen läßt, jedenfalls für den Kläger in der behaupteten Tätigkeit als Bauwerker im Straßenbau sei zum Auslaufen der Kündigungsfrist (28. Februar 1995) eine Beschäftigungsmöglichkeit auf Dauer nicht mehr zu erwarten gewesen. Dafür könnte indiziell der von der Gemeinschuldnerin für Februar 1995 genannte relativ niedrige Auftragsbestand von 570.717,09 DM sprechen, der im Verhältnis zu dem Vorjahresauftragsbestand im Januar bis März von ca. 10 bis 11 Millionen DM in der Tat drastisch, nämlich – wie die Gemeinschuldnerin behauptet – um mehrere hundert Prozent zurückgegangen wäre. Wenn dem so war, wofür die Gemeinschuldnerin zweitinstanzlich Beweis angetreten hat, und sich auch eine Besserung des Auftragsbestandes zum Kündigungszeitpunkt nicht abzeichnete, könnte ein dringendes betriebliches Erfordernis für die Aufkündigung des Arbeitsverhältnisses (.3 1 Abs. 2 KSchG) vorgelegen haben. Darauf weist die Revision zutreffend hin. Dafür könnte schließlich sprechen, daß die Gemeinschuldnerin im Dezember 1994 nicht nur dem Kläger als angeblich letztem Bauwerker im Straßenbau, sondern vorher, was insoweit unstreitig ist, schon drei anderen Bauwerkern gekündigt hat. Bedeutsam wäre ferner, wenn der Kläger schon im Dezember 1994 und zum Jahresanfang 1995 (und auch bis zum Ablauf der Kündigungsfrist) tatsächlich nur noch mit Aufräumarbeiten beschäftigt worden wäre, wofür die Gemeinschuldnerin ebenfalls Beweis angeboten hatte.
Da das Landesarbeitsgericht dem wechselseitigen Sachvortrag zum Wegfall einer Beschäftigungsmöglichkeit für den Kläger nicht nachgegangen ist, ist der Rechtsstreit zur weiteren Sachaufklärung an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen. Dabei wird der Beklagte u. a. (vgl. auch die Hinweise oben zu II 2 a – c) den Sachvortrag zu präzisieren haben, seit Sommer 1994 habe der Seitenfertiger zunehmend die Seitenraumarbeiten beim Straßenbau übernommen.
d) Bei der Beurteilung der Kündigung wird dem weiteren Fortgang, nämlich daß die Gemeinschuldnerin im Oktober 1996, also knapp zwei Jahre nach Ausspruch der Kündigung, in Konkurs gefallen ist, keine ausschlaggebende Bedeutung zukommen. Denn für die Beurteilung der Kündigung ist auf den Kündigungszeitpunkt abzustellen (ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, vgl. zuletzt Senatsurteil vom 27. Februar 1997 – 2 AZR 160/96 ¬zur Veröffentlichung vorgesehen, zu II 2 c der Gründe, m.w.N.).
Etzel Bitter Bröhl
Engel Beckerle
> BAG, 23.02.2012 – 2 AZR 548/10
> BAG, 23.02.2012 – 2 AZR 482/11