Außerordentliche Kündigung – Nachschieben von nachträglich bekanntgewordenen Kündigungsgründen nur innerhalb der Frist des § 626 Abs. 2 BGB?
Leitsätze des Gerichts
Beim Nachschieben nachträglich bekanntgewordener Gründe für eine außerordentliche Kündigung findet § 626 Abs. 2 BGB keine Anwendung (im Anschluß an BAG Urteil vom 18. Januar 1980 – 7 AZR 260/78 – AP Nr. 1 zu § 626 BGB Nachschieben von Kündigungsgründen).
Tenor
- Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Bremen vom 13. März 1996 – 2 Sa 146/95 – im Kostenausspruch und insoweit aufgehoben, als es der gegen die fristlose Kündigung gerichteten Klage stattgegeben hat.
- Die Sache wird insoweit zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Der Kläger war bei der Beklagten seit dem 15. Januar 1990 als kaufmännischer Angestellter beschäftigt, zuletzt in der Funktion des Leiters der EDV-Kalkulation zu einem Bruttomonatsgehalt in Höhe von 6.100,– DM.
Anläßlich einer Kassenprüfung Ende Oktober 1994 stellte die Beklagte einen Fehlbetrag von 109.796,93 DM fest, der sich im Rahmen weiterer Überprüfungen auf 595.406,– DM erhöhte.
Aufgrund sich an die Feststellung des Fehlbetrages anschließender Ermittlungen ging die Beklagte davon aus, daß nicht nur der verantwortliche Kassenführer massiv gegen seine ihm obliegenden Verpflichtungen verstoßen habe, sondern daß sich andere Arbeitnehmer, u.a. auch der Kläger, auf ihre Kosten bereichert hätten. Aufgrund vom Kläger abgezeichneter Einkaufsbelege, die im Kassenbuch als Barauszahlungen verbucht waren, deren Gegenstände die Beklagte jedoch nicht in ihrem Inventar auffinden konnte, ging die Beklagte davon aus, der Kläger habe auf ihre Kosten Gegenstände für den Privatbedarf gekauft. Der Kassenführer behauptete zudem gegenüber der Beklagten, er habe dem Kläger auf dessen Drängen aus Mitteln der Beklagten verschiedene Darlehen ohne Beleg gewährt, von denen noch ein Betrag zwischen 13.000,– DM und 19.000,– DM nicht zurückerstattet sei.
Nachdem der Kläger in einem Gespräch am 28. Oktober 1994 nach Ansicht der Beklagten die gegen ihn erhobenen Vorwürfe nicht entkräften konnte, hörte sie den in ihrem Betrieb bestehenden Betriebsrat zu der von ihr beabsichtigten fristlosen, hilfsweise fristgerechten Kündigung an. Nach Zustimmung des Betriebsrats zur Kündigung kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 4. November 1994, dem Kläger am 7. November 1994 zugegangen, fristlos, hilfsweise fristgerecht zum 31. Dezember 1994.
Mit seiner am 15. November 1994 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat sich der Kläger gegen die Kündigung gewandt und die Vorwürfe der Beklagten bestritten.
Der Kläger hat, soweit für die Revisionsinstanz noch von Bedeutung, beantragt
festzustellen, daß die mit Schreiben vom 4. November 1994, zugestellt am 7. November 1994, ausgesprochene fristlose Kündigung sozial ungerechtfertigt und rechtsunwirksam ist und daß das Arbeitsverhältnis dadurch nicht zur Auflösung gelangt.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Nach Beweisaufnahme hat das Arbeitsgericht der Klage stattgegeben.
Am 15. Mai 1995 – nach Verkündung der erstinstanzlichen Entscheidung – erfuhr die Beklagte, daß der Kläger vor Ausspruch der Kündigung einen Scheck der Firma O…, einer Vertragspartnerin der Beklagten, über 7.875,96 DM zugunsten seines eigenen Kontos eingelöst hatte. Die Summe entspricht dem Betrag einer Rechnung über die Ausleihe von Schutzmasken durch die Firma O…, die der Kläger für die Beklagte mit Datum vom 8. September 1994 erstellte. Mit Datum vom 21. Januar 1995 quittierte die Johanniter Unfallhilfe, bei der der Kläger ehrenamtlich tätig ist, dem Kläger, 7.835,96 DM als Spende der Firma O… zweckgebunden für die Anschaffung eines Spülmobils eingezahlt zu haben.
Die Beklagte teilte dem Betriebsrat mit, daß sie beabsichtigte, diesen nachträglich bekanntgewordenen Sachverhalt im anhängigen Kündigungsschutzverfahren zur Begründung der außerordentlichen Kündigung nachzuschieben, sowie dem Kläger erneut zu kündigen. Nachdem der Betriebsrat mit Schreiben vom 24. Mai 1995 mitgeteilt hatte, er lege keinen Widerspruch ein, führte die Beklagte den oben genannten Sachverhalt mit ihrer Berufungsbegründung vom 20. Juni 1995 in den Prozeß ein. Ferner nahm sie den Sachverhalt zum Anlaß, mit Schreiben vom 28. Juni 1995 eine weitere fristlose Kündigung auszusprechen.
Der Kläger hat behauptet, der von ihm eingelöste Scheck der Firma Offis sei eine Spende für die Johanniter Unfallhilfe. Diese Spende sei mit den Mitarbeitern der Firma O…, B… und … M…, vereinbart worden. Die von ihm ausgestellte Rechnung über 7.875,96 DM von September 1994 habe sich auf ein Geschäft bezogen, das storniert worden sei, ohne daß er hiervon vor Ausstellung der Rechnung erfahren habe. In diesem Zusammenhang sei dann die Vereinbarung einer Spende getroffen worden. Der Scheck sei ihm nach Hause gesandt worden.
Die Beklagte hat behauptet, das in Rechnung gestellte Geschäft sei tatsächlich durchgeführt worden. Nachträglich sei allerdings von Mitarbeitern der Beklagten versucht worden, durch Manipulation das Geschäft als storniert erscheinen zu lassen. Der Scheck der Firma O… habe versehentlich keinen Adressaten im Scheckformular enthalten, aber auf dem oben am Scheck hängenden Abschnitt sei klargestellt gewesen, worauf sich die Zahlung beziehen sollte.
Das Landesarbeitsgericht hat nach Beweisaufnahme auf die Berufung der Beklagten das Urteil des Arbeitsgerichts teilweise abgeändert und festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten nicht fristlos, sondern nach Ablauf der Kündigungsfrist mit dem 31. Dezember 1994 beendet worden ist. Mit ihrer vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf vollständige Abweisung der Klage weiter.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Revision der Beklagten ist begründet. Sie führt im Umfang der Beschwer der Beklagten zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung.
I.
Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien sei durch die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung vom 7. November 1994 mit Ablauf des 31. Dezember 1994 aufgelöst worden. Die Kündigung sei sozial gerechtfertigt. Aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme zum Vorwurf der unberechtigten Scheckeinlösung seien drei Sachverhaltsalternativen nicht auszuschließen. Denkbar sei zum einen, daß der Kläger bewußt eine falsche Rechnung an die Firma O… gesandt und sich mit ihr über die Verwendung des Rechnungsbetrages als Spende verständigt habe. Desweiteren sei denkbar, daß der Kläger den Scheck, der zur Begleichung der aufgrund des durchgeführten Maskengeschäfts gestellten Rechnung übersandt worden sei, unberechtigt an sich genommen habe. Beide Verhaltensweisen rechtfertigten an sich eine außerordentliche Kündigung. Schließlich sei denkbar, daß es zwischen dem Kläger und den Mitarbeitern der Firma O… zu einem Mißverständnis hinsichtlich einer Spende für die Johanniter Unfallhilfe gekommen sei und daß die Beteiligten versehentlich von der Annahme ausgegangen seien, das Maskengeschäft sei storniert worden. Der Kläger habe es dann jedoch pflichtwidrig unterlassen aufzuklären, ob er berechtigt sei, das Geld als Spende zu verwenden. Diese Sachverhaltsalternative rechtfertige nur eine ordentliche Kündigung. Auch nach den ersten beiden Sachverhaltsalternativen sei die Kündigung nur als ordentliche wirksam. Denn eine entsprechende Anwendung des § 626 Abs. 2 BGB führe dazu, daß der Vorfall der Scheckeinlösung nicht mehr zur Rechtfertigung einer außerordentlichen Kündigung herangezogen werden könne, da die Beklagte diesen Sachverhaltskomplex erst nach Ablauf der Zwei-Wochen-Frist in den Prozeß eingeführt habe.
II.
Dem folgt der Senat nicht. Für den von der Beklagten nachgeschobenen Kündigungsgrund ist § 626 Abs. 2 BGB entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts nicht entsprechend anzuwenden. Das Landesarbeitsgericht durfte nicht offenlassen, welche der von ihm als denkbar angesehenen Sachverhaltsvarianten zutrifft.
1.
Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts ist insoweit rechtskräftig, als das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien spätestens am 31. Dezember 1994 aufgrund der hilfsweise erklärten ordentlichen Kündigung der Beklagten sein Ende gefunden hat. Im Streit ist lediglich noch die Frage der Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung vom 4. November 1994.
2.
Zutreffend ist das Landesarbeitsgericht davon ausgegangen, daß jedenfalls die zweite Sachverhaltsvariante auch ohne vorherige Abmahnung eine außerordentliche fristlose Kündigung gemäß § 626 Abs. 1 BGB rechtfertigen würde. Hat der Kläger den Scheck eingelöst, obwohl er wußte, daß das Maskengeschäft durchgeführt worden war und der Scheck zum Ausgleich des Rechnungsbetrages dienen sollte, hat er damit ein Vermögensdelikt zum Nachteil der Beklagten begangen. Dadurch hätte der Kläger das für eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses notwendige Vertrauen in seine Redlichkeit in einem Maße zerstört, daß der Beklagten die Einhaltung der hier einschlägigen Kündigungsfrist nicht zumutbar wäre. Der Kläger hat dies auch nicht ernsthaft in Zweifel gezogen und insoweit keine beachtlichen Gegenrügen erhoben. Er erstrebt lediglich eine Beweiswürdigung, die diese Sachverhaltsvariante ausschließt. Für diese Variante und gegen die “Spendentheorie” des Klägers spricht jedoch insbesondere, daß er den Scheck der Firma O… auf seinem Privatkonto eingelöst und nicht unmittelbar an die Johanniter Unfallhilfe weitergegeben hat, daß er den Betrag selbst erst mit erheblicher Verzögerung (im neuen Kalenderjahr!) an die Johanniter Unfallhilfe “weitergeleitet” hat und daß für die Firma O… offenbar noch nicht einmal eine Spendenbescheinigung ausgestellt wurde. Dies wird das Landesarbeitsgericht bei der gebotenen weiteren Aufklärung des Sachverhalts und der Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles zu beachten haben.
3.
Zu Unrecht hat das Landesarbeitsgericht aber die Rechtswirksamkeit der außerordentlichen Kündigung deshalb verneint, weil die Beklagte den Sachverhaltskomplex “Scheckeinlösung” nicht innerhalb der Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB in den Prozeß eingeführt hat.
a)
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und der herrschenden Meinung in der Literatur können Kündigungsgründe, die dem Kündigenden bei Ausspruch der Kündigung noch nicht bekannt waren, uneingeschränkt nachgeschoben werden, wenn sie bereits vor Ausspruch der Kündigung entstanden sind (vgl. BAG Urteil vom 30. Januar 1963 – 2 AZR 143/62 – BAGE 14, 65, 70 = AP Nr. 50 zu § 626 BGB; BAG Urteil vom 18. Januar 1980 – 7 AZR 260/78 – AP Nr. 1 zu § 626 BGB Nachschieben von Kündigungsgründen; BAG Urteil vom 11. April 1985 – 2 AZR 239/84 – AP Nr. 39 zu § 102 BetrVG 1972; KR-Hillebrecht, 4. Aufl., § 626 BGB Rz 130; Kittner/Trittin, KSchR, 2. Aufl., § 626 BGB Rz 40; Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, 8. Aufl., § 125 IV 3; Stahlhacke/Preis, Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsrecht, 6. Aufl., Rz 443). Daran hält der Senat fest. Somit konnte die Beklagte den Sachverhaltskomplex “Scheckeinlösung” zur Begründung der Kündigung nachschieben. Der Kläger hat den Scheck der Firma O… unstreitig bereits vor Ausspruch der streitgegenständlichen Kündigung eingelöst. Dies ist der Beklagten erst am 15. Mai 1995 und damit nach Ausspruch der Kündigung bekanntgeworden.
b)
Entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts brauchen neu bekanntgewordene Kündigungsgründe auch nicht innerhalb der Ausschlußfrist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB in den Prozeß eingeführt zu werden.
Die Ausschlußfrist bezieht sich nach dem eindeutigen Wortlaut des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB allein auf die Ausübung des Kündigungsrechts, nicht auf die zugrundeliegenden Kündigungsgründe (vgl. RGRK-Corts, BGB, 12. Aufl., § 626 Rz 230). Ist also bereits eine Kündigung ausgesprochen, so schränkt § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB unmittelbar ein Nachschieben nachträglich bekanntgewordener und zeitlich vor Ausspruch der Kündigung liegender Gründe nicht ein.
Entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts kommt auch eine entsprechende Anwendung des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB beim Nachschieben nachträglich bekanntgewordener Kündigungsgründe nicht in Betracht. Eine Gleichsetzung von ungekündigten und bereits gekündigten Arbeitnehmern, wie sie das Landesarbeitsgericht vornimmt, verbietet sich schon nach Sinn und Zweck des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB. Die Zwei-Wochen-Frist soll dem Arbeitnehmer innerhalb kurzer Zeit Gewißheit darüber verschaffen, ob der Arbeitgeber einen bestimmten Sachverhalt zum Anlaß für eine außerordentliche Kündigung nimmt oder nicht. Hierdurch soll vermieden werden, daß der Arbeitgeber ein Mittel in der Hand hält, um den Arbeitnehmer während der weiteren Dauer des Arbeitsverhältnisses unter Druck zu setzen (vgl. BAG Urteil vom 28. Oktober 1971 – 2 AZR 32/71 – BAGE 23, 475, 479 = AP Nr. 1 zu § 626 BGB Ausschlußfrist). Ist jedoch bereits eine Kündigung ausgesprochen, kann eine solche Situation nicht mehr eintreten (vgl. BAG Urteil vom 18. Januar 1980 – 7 AZR 260/78 – AP, aaO). Der Schluß, der Arbeitgeber halte eine weitere Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses trotz des ihm bekanntgewordenen Verhaltens des Arbeitnehmers nicht für unzumutbar, ist nicht mehr möglich, wenn der Arbeitgeber bereits eine außerordentliche Kündigung ausgesprochen hat (vgl. BAG Urteil vom 17. August 1972 – 2 AZR 415/71 – BAGE 24, 401, 406 = AP Nr. 65 zu § 626 BGB). Mit dem Ausspruch der Kündigung hat der Arbeitgeber zu erkennen gegeben, daß er eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers subjektiv für unzumutbar hält. Ob diese Unzumutbarkeit bei objektiver Beurteilung tatsächlich im Zeitpunkt der Kündigung gegeben war, ist von den Gerichten unter Berücksichtigung aller zu diesem Zeitpunkt objektiv vorliegenden Umstände zu entscheiden, unabhängig davon, ob sie dem Kündigenden bei Ausspruch der Kündigung bereits bekannt waren (vgl. BAG Urteil vom 30. Januar 1963 – 2 AZR 143/62 – BAGE 14, 65, 71 = AP, aaO). Der gekündigte Arbeitnehmer kann daher nach Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung nicht damit rechnen, daß der Arbeitgeber im Prozeß nicht noch andere, bislang unentdeckte Gründe zur Rechtfertigung seiner Kündigung heranziehen wird. Er muß vielmehr davon ausgehen, daß der Arbeitgeber je nach Prozeßlage weitere Tatsachen vortragen wird, um in jedem Fall ein obsiegendes Urteil zu erstreiten.
§ 626 Abs. 2 Satz 1 BGB findet somit beim Nachschieben von nachträglich bekanntgewordenen Kündigungsgründen keine Anwendung (so auch RGRK-Corts, aaO; MünchKomm-Schwerdtner, BGB, 2. Aufl., § 626 Rz 228; Staudinger/Preis, BGB, 13. Aufl., § 626 Rz 66; KR-Hillebrecht, aaO, Rz 137a; Knorr/Bichlmeier/Kremhelmer, Handbuch des Kündigungsrechts, 3. Aufl., S. 194 Rz 15).
c)
Soweit das Bundesarbeitsgericht in seinem Urteil vom 18. Januar 1980 (– 7 AZR 260/78 – AP, aaO) offengelassen hat, ob ein Auswechseln der Kündigungsgründe im Prozeß in dem Sinne, daß die Kündigung einen völlig anderen Charakter erhält, möglich ist oder ob in einem solchen Fall die neuen Kündigungsgründe nur eine neue Kündigung rechtfertigen, kann dies auch vorliegend dahinstehen. Ein solcher Fall liegt nicht vor. Bei den bereits in erster Instanz vorgetragenen Kündigungsgründen handelt es sich um vergleichbare Pflichtverletzungen. Sowohl der private Erwerb von Gegenständen auf Kosten der Beklagten wie auch die unberechtigte Einlösung eines Schecks richten sich gegen die Vermögensinteressen der Beklagten.
4.
Das Nachschieben des Sachverhaltskomplexes “Scheckeinlösung” scheitert auch nicht an § 102 Abs. 1 BetrVG. Danach ist der Betriebsrat auch vor dem Nachschieben von Kündigungsgründen, die dem Arbeitgeber erst nach Ausspruch der Kündigung bekanntgeworden sind, anzuhören (vgl. BAGE 49, 39 = AP Nr. 39 zu § 102 BetrVG 1972; KR-Etzel, 4. Aufl., § 102 BetrVG Rz 188, m.w.N.). Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts, die der Kläger nicht mit Gegenrügen angegriffen hat und die damit für den Senat gem. § 561 ZPO verbindlich sind, hat die Beklagte den Sachverhalt der Scheckeinlösung erst nach Anhörung des Betriebsrates in den Prozeß eingeführt.
5.
Da das Landesarbeitsgericht nicht festgestellt hat, welche der von ihm als möglich erachteten Sachverhaltsalternativen nach seiner Überzeugung gegeben ist, kann der Senat nicht selbst abschließend über die Rechtswirksamkeit der außerordentlichen Kündigung entscheiden. Dies führt zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht (§ 565 Abs. 1 ZPO).
Etzel Bitter Fischermeier
Röder Dr. Bächle
_____
Vorinstanzen:
LAG Bremen, Urteil vom 13.03.1996, 2 Sa 146/95
ArbG Bremen, Urteil vom 13.04.1995, 7 Ca 7503/94
_____
Fundstellen:
BAGE 86, 88
NJW 1998, 101
NZA 1997, 1158
BB 1998, 221
> BAG, 12.01.2021 – 2 AZN 724/20
> BAG, 23.05.2013 – 2 AZR 102/12
> BAG, 06.09.2007 – 2 AZR 264/06