BAG – 6 AZR 64/88

Anhörung des Angestellten vor Erteilung einer Abmahnung – Mißachtung

Bundesarbeitsgericht,   Urteil vom 16.11.1989, 6 AZR 64/88
Leitsatz

  1. Die vorherige Anhörung des Arbeitnehmers ist gemäß § 13 Abs 2 Satz 1 BAT  Voraussetzung für eine wirksame Abmahnung. Eine unter Verstoß gegen diese Bestimmung erteilte Abmahnung ist auf Verlangen des Arbeitnehmers aus der Personalakte zu entfernen.
  2. Die nachträgliche Anhörung des Arbeitnehmersheilt den Mangel nicht.

Tatbestand
Die Parteien streiten über die Entfernung einer schriftlichen Abmahnung aus den Personalakten.
Die 1945 geborene Klägerin ist bei der Beklagten seit November 1968 als Sekretärin und Schreibkraft beschäftigt. Nach § 2 des Arbeitsvertrages der Parteien vom 4. November 1968 wird das Arbeitsverhältnis durch den Tarifvertrag für die Angestellten der Förderungsgemeinschaft des Heinrich-Hertz-Instituts für Schwingungsforschung e.V. vom 10. Juni 1966 geregelt, der festlegt, daß der Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) in seiner jeweils gültigen Fassung mit gewissen Abweichungen, besonderen Regelungen und Einschränkungen gilt. Der BAT bestimmt in § 13 mit der Überschrift „Personalakten“ in seinem Abs. 2:
„Der Angestellte muß über Beschwerden
und Behauptungen tatsächlicher Art, die
für ihn ungünstig sind oder ihm nachtei-
lig werden können, vor Aufnahme in die
Personalakten gehört werden. Seine Äußerung
ist zu den Personalakten zu nehmen.“
Mit Schreiben vom 15. Oktober 1986 erteilte die Beklagte der Klägerin eine Abmahnung wegen unzulässiger Weitergabe vertraulicher Informationen über einen Einstellungsvorgang. Dieses Schreiben nahm die Beklagte zu den Personalakten der Klägerin, ohne sie vorher zu dem darin erhobenen Vorwurf anzuhören. Die Klägerin übergab der Geschäftsführung der Beklagten mit Schreiben vom 21. Oktober 1986 eine Gegendarstellung zu dem in der Abmahnung erhobenen Vorwurf und erhob Klage auf Entfernung der Abmahnung aus ihren Personalakten.
Sie hat vorgetragen, der ihr zu Last gelegte Vorwurf sei unzutreffend. Im übrigen sei das Abmahnungsschreiben schon deshalb aus ihren Personalakten zu entfernen, weil sie vor der Aufnahme in die Personalakten zu dem behaupteten Fehlverhalten nicht angehört worden sei.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, die mit Schreiben
vom 15. Oktober 1986 erteilte Abmahnung zurück-
zunehmen und das entsprechende Schreiben aus der
Personalakten zu entfernen.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und den Vorwurf der unzulässigen Weitergabe vertraulicher Informationen über einen Einstellungsvorgang aufrechterhalten. Sie hat gemeint, § 13 Abs. 2 BAT beziehe sich nicht auf Abmahnungen durch den Arbeitgeber, sondern nur auf die von Dritten aufgestellten Behauptungen und Beschwerden. Diese Vorschrift gebe dem Angestellten im öffentlichen Dienst die Möglichkeit, sich gegen Vorwürfe von Bürgern zu wehren, die sich gegen seine Dienstgeschäfte richteten. Darüber hinaus könne sich der Arbeitnehmer durch das Recht der Gegendarstellung und seinen Anspruch auf Beseitigung einer unzutreffenden Abmahnung ausreichend gegenüber dem Arbeitgeber verteidigen. Das Unterlassen der Anhörung begründe allein keinen Anspruch auf Beseitigung.
Das Arbeitsgericht hat die Beklagte verurteilt, die Abmahnung aus den Personalakten zu entfernen. Die Berufung der Beklagten dagegen blieb erfolglos. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter, während die Klägerin Zurückweisung der Revision beantragt.
Begründung
Die Revision ist unbegründet.
I. Das Landesarbeitsgericht hat gemeint, § 13 Abs. 2 Satz 1 BAT beziehe sich auf alle Vorgänge tatsächlicher Art. Aus dem Wortlaut der Tarifbestimmung lasse sich keine Differenzierung danach treffen, ob die Behauptungen von einem außenstehenden Dritten, einem Kollegen oder vom Arbeitgeber aufgestellt werden. § 13 Abs. 2 BAT berühre das Recht des Arbeitgebers zur Abmahnung als solches nicht, sondern gewährleiste dem Arbeitnehmer das Recht zur Anhörung, bevor die Abmahnung mit den darin enthaltenen Tatsachenbehauptungen zu den Personalakte genommen werde. Deshalb beschränke sich die Rechtsfolge einer Verletzung des Anhörungsrechts nur darauf, die betreffende Abmahnung aus den Personalakten des Angestellten zu entfernen. Die nach § 13 Abs. 2 Satz 1 BAT vorgeschriebene Anhörung sei nicht mit der Folge nachholbar, daß der Verstoß als rückwirkend geheilt anzusehen sei. Eine solche Heilung durch nachträgliche Anhörung laufe dem Zweck der Anhörung zuwider, eine Aufnahme der Abmahnung in die Personalakten durch eine berichtigende Gegendarstellung zu verhindern. Erfahrungsgemäß falle ein nachträgliches Abrücken von einem einmal eingenommenen Standpunkt schwerer als die vorherige Berücksichtigung einer abweichenden Darstellung.
II. Diese Ausführungen halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand.
1. Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Entfernung der Abmahnung vom 15. Oktober 1986 aus den bei der Beklagten geführten Personalakten gemäß den §§ 611, 242 BGB. Die Beklagte hat mit der Aufnahme einer Abmahnung ohne vorherige Anhörung der Angestellten eine vertraglich vereinbarte Nebenpflicht verletzt. Diese Pflichtverletzung begründet einen schuldrechtlichen Entfernungsanspruch neben dem Recht des Arbeitnehmers auf Gegenäußerung nach § 13 Abs. 2 Satz 2 BAT und der Möglichkeit, die mißbilligende Äußerung des Arbeitgebers gerichtlich überprüfen zu lassen, ob sie nach Form und Inhalt geeignet ist, ihn in seiner Rechtsstellung zu beeinträchtigen (Senatsurteil vom 13. Oktober 1988 – 6 AZR 144/85 – NZA 1989, 716; BAGE 50, 202 = AP Nr. 93 zu § 611 BGB Fürsorgepflicht, m.w.N.).
2. Die Vorschrift des § 13 Abs. 2 Satz 1 BAT, wonach der Angestellte über Beschwerden und Behauptungen tatsächlicher Art, die für ihn ungünstig sind oder ihm nachteilig werden können, vor Aufnahme in die Personalakten gehört werden muß, ist entgegen der Auffassung der Beklagten nicht auf Beschwerden und Behauptungen Dritter beschränkt. Das ergibt die Auslegung der Tarifnorm. Sie unterscheidet nach dem Wortlaut nicht, ob die Beschwerden und Behauptungen aus dem internen Bereich des Arbeitgebers oder von Außenstehenden kommen (Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese, BAT, Stand August 1989, § 13 Erl. 6; Uttlinger/Breier/Kiefer/Hoffmann, BAT, Stand 1. September 1989, § 13 Erl. 8). Vielmehr gewährt § 13 Abs. 2 Satz 1 BAT ein umfassendes Anhörungsrecht zu allen Beschwerden und Behauptungen, die dem Arbeitnehmer nachteilig sind (im Ergebnis so bereits die bisherige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, aaO). Angesichts des insoweit eindeutigen Tarifwortlauts bedarf es keiner weiteren Auslegung anhand anderer Methoden.
3. Das Schreiben der Beklagten vom 15. Oktober 1986 erfüllt die Voraussetzungen an eine ordnungsgemäße Abmahnung (vgl. dazu BAG Urteil vom 18. Januar 1980 – 7 AZR 75/78 – AP Nr. 3 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung). Darin beanstandet die Beklagte bestimmte Verhaltensweisen und weist auf die Gefährdung des Arbeitsplatzes im Wiederholungsfall hin. Dabei stellt sie Behauptungen tatsächlicher Art auf, die sie festgestellt haben will. In Verbindung mit dem Hinweis auf die Gefährdung des Arbeitsplatzes ist damit der Tatbestand der Tarifnorm (§ 13 Abs. 2 BAT) erfüllt.
4. Die Bestimmung des § 13 Abs. 2 Satz 1 BAT enthält keine Anordnung über die Rechtsfolge der Verletzung des Anhörungsrechts. Dazu besteht keine einhellige Meinung in der Rechtsprechung und im Schrifttum. So ist umstritten, ob die Mißachtung des Anhörungsrechts ohne weitere inhaltliche Prüfung des erhobenen Vorwurfs einen Entfernungsanspruch rechtfertigt oder unmaßgeblich ist.
a) Neben dem Berufungsgericht vertritt das Landesarbeitsgericht Frankfurt die Auffassung, der Arbeitnehmer habe einen Entfernungsanspruch allein wegen des Formmangels, wenn der Arbeitgeber das Anhörungsrecht nach § 13 Abs. 2 Satz 1 BAT übergangen habe (LAG Frankfurt Urteil vom 15. September 1983 – 9 Sa 1540/82 – ARST 1984, 76, zu § 11 a BMTG II; Urteil vom 7. August 1986 – 9 Sa 1076/85 – EzBAT Nr. 8 zu § 13 BAT).
b) Demgegenüber kann nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 90 BBG und den gleichlautenden Vorschriften der Beamtengesetze der Länder die Entfernung einzelner Vorgänge aus den Personalakten des Beamten nicht verlangt werden. Das gebiete der Grundsatz der Vollständigkeit, nach dem eine Personalakte zu führen sei. Das schutzwürdige Interesse des Beamten werde durch den Berichtigungsanspruch ausreichend gewahrt (BVerwGE 59, 355, 356, m.w.N.). Lediglich Vorgänge, die der Sache nach nicht in die Personalakten gehörten, seien einer Berichtigung nicht zugänglich. Sie könnten daher entfernt werden (BVerwGE 50, 301, 308, 309). Deshalb komme der Frage, welche Rechtsfolge bei der Verletzung des Anhörungsrechts eintritt, keine entscheidende Bedeutung zu (BVerwGE 15, 3, 13).
c) Ein Teil des Schrifttums teilt die Meinung der Landesarbeitsgerichte (Becker-Schaffner, DB 1985, 650, 654; Geulen, Die Personalakte in Recht und Praxis, S. 111, 112; Lopacki, Personalaktenrecht der Beamten, Angestellten und Arbeiter des Bundes und der Länder, Rz 220; Bruse, PK-BAT 1989, § 13 Rz 48), während nach anderer Auffassung die Rechtsprechung formalistisch anmutet (Crisolli/Tiedtke/Ramdohr, Das Tarifrecht der Angestellten im öffentlichen Dienst, Stand Oktober 1989, § 13 Erl. 11; Beckerle/Schuster, Die Abmahnung, Rz 168 bis 171; Beckerle, EzBAT, Anm. zu § 13 BAT Nr. 8) und deshalb abgelehnt wird.
5. Der Senat hält in Übereinstimmung mit der Vorinstanz einen Entfernungsanspruch bereits dann für gegeben, wenn der Arbeitgeber das Anhörungsrecht des Arbeitnehmers nach § 13 Abs. 2 Satz 1 BAT mißachtet. Die nachträgliche Anhörung des Arbeitnehmers in Form der Übersendung des zu den Akten genommenen Abmahnungsschreibens heilt den Mangel nicht. Ebensowenig kann der abgemahnte Arbeitnehmer auf sein Recht zur Gegendarstellung oder sein Recht zur Überprüfung der inhaltlichen Unrichtigkeit verwiesen werden.
a) Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts steht dem nicht entgegen. Die tariflichen Vorschriften des öffentlichen Dienstes über die Führung der Personalakten gehen zwar ebenso wie die Bestimmungen des Beamtenrechts vom Grundsatz der Vollständigkeit der Personalakten aus. Personalakten sind eine chronologische Sammlung von Schriftstücken, die im Bezug zur Person des Angestellten von dienstlichem Interesse sind. Sie sollen ein umfassendes, möglichst lückenloses Bild über Herkunft, Ausbildung, beruflichen Werdegang sowie dienstlich relevante Daten über Befähigung und Leistung geben. Daneben gebietet aber auch die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers gegenüber seinem Arbeitnehmer die über die Berichtigung hinausgehende Entfernung eines Vorgangs, der unrichtige Behauptungen enthält (ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, aaO).
b) Nichts anderes gilt, wenn Vorgänge der Form nach zu Unrecht zu den Personalakten gelangt sind. Das folgt aus der Auslegung der Tarifvorschrift des § 13 Abs. 2 Satz 1 BAT. Nur mit dieser Rechtsfolge wird dem Sinn und Zweck des Anhörungsrechts genügt. Die vorherige Anhörung des Angestellten ist nicht nur eine Förmelei, sondern bezweckt eine Auseinandersetzung des Arbeitgebers mit der Gegendarstellung des Betroffenen. Diese Auseinandersetzung, die im Idealfall zu einer Korrektur oder sogar zum Fallenlassen der beabsichtigten Rüge führen kann, findet erfahrungsgemäß weniger intensiv statt, wenn der Vorwurf bereits in Form eines zu den Personalakten genommenen Schreibens manifestiert ist. Die Friedensfunktion der vorherigen Anhörung wird unterlaufen. Sie ist ohnehin nicht nachholbar. Ferner läßt die nachträgliche Entfernung nach einem entsprechenden Antrag des Angestellten die chronologische Ordnung und die fortlaufende Numerierung der Personalakten lückenhaft werden. Das kann für denjenigen, der die Personalakten vor personellen Entscheidungen einsieht, zu vermeidbaren und dem Angestellten nachteiligen Spekulationen führen. Auch dieser Nachteil wird vermieden, wenn die Aufnahme des Vorgangs erst erfolgt, nachdem die in der Anhörung vorgebrachten Argumente des Angestellten bewertet worden sind. Insofern bietet weder die Gegendarstellung noch die nachträgliche Entfernung denselben umfassenden Schutz wie das mit der Entfernungsfolge belegte Gebot, den Angestellten vor der Aufnahme eines Vorgangs in die Personalakten anzuhören. Zur Gewährleistung eines uneingeschränkten Anhörungsrechts ist deshalb bei der Nichtbeachtung des rechtlichen Gehörs der zu den Akten genommene Vorgang zunächst bis zur Durchführung einer erneuten Anhörung zu entfernen. Denn ohne diese Sanktionierung der fraglichen Nebenpflicht wäre das tarifliche Anhörungsrecht im Ergebnis bedeutungslos. Gegebenenfalls kann dann der Vorgang nach entsprechender Würdigung des Vorbringens des Angestellten durch den Arbeitgeber wieder zu den Akten genommen werden.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.
Dr. Röhsler       Schneider       Dörner
Schmidt       Spiegelhalter
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Vorinstanz:   LAG Berlin, Urteil vom 16.12.1987, 6 Sa 71/87;  ArbG Berlin, Urteil vom 02.07.1987, 20 Ca 28/87


Papierfundstellen:

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