Rechtsweg – Beschluss ohne Gründe – Durchbrechung der gesetzlichen Bindungswirkung
Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 16.06.2015, 10 AS 2/15
Tenor
Das Amtsgericht Schwabach ist zuständig.
Gründe
10 AS 2/15 > Rn 1
I. Die Klägerin begehrt von dem Beklagten die Zahlung von 2.194,96 Euro aus zwei Rechnungen vom 3. April 2012 und vom 22. Mai 2012 über diverse Baumaterialien, die dieser für sein Eigenheim gekauft haben soll. Zwischen den Parteien bestand bis Ende Mai 2012 ein Arbeitsverhältnis. Durch Beschluss vom 5. Februar 2015 hat das Amtsgericht Schwabach den Rechtsstreit unter Hinweis auf §§ 13, 17a Abs. 2 GVG an das Arbeitsgericht Nürnberg verwiesen. Der Beschluss ist rechtskräftig.
10 AS 2/15 > Rn 2
Das Arbeitsgericht Nürnberg hat nach Anhörung der Parteien durch Beschluss vom 24. April 2015 eine Übernahme des Verfahrens abgelehnt und den Rechtsstreit dem Bundesarbeitsgericht zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt. Es hat ausgeführt, der Verweisungsbeschluss sei objektiv willkürlich und daher nicht bindend. Er enthalte keine Begründung und auch aus der Akte ergäben sich keine Anhaltspunkte, die eine Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen rechtfertigen könnten.
10 AS 2/15 > Rn 3
II. Die Voraussetzungen für die Durchführung des Bestimmungsverfahrens liegen vor.
10 AS 2/15 > Rn 4
1. Gemäß § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG, § 48 Abs. 1 ArbGG sind rechtskräftige Verweisungsbeschlüsse für das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen worden ist, hinsichtlich des Rechtswegs bindend. Auch ein rechtskräftiger Verweisungsbeschluss, der nicht hätte ergehen dürfen, ist grundsätzlich einer weiteren Überprüfung entzogen. Nur bei krassen Rechtsverletzungen kommt eine Durchbrechung der gesetzlichen Bindungswirkung ausnahmsweise in Betracht. In diesen Fällen wird das zuständige Gericht in entsprechender Anwendung von § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO bestimmt, wenn dies zur Wahrung einer funktionierenden Rechtspflege und der Rechtssicherheit notwendig ist (BAG 12. Juli 2006 – 5 AS 7/06 – Rn. 5 f. mwN). Erforderlich ist, dass es innerhalb eines Verfahrens zu Zweifeln über die Bindungswirkung von rechtskräftigen Verweisungsbeschlüssen kommt und keines der infrage kommenden Gerichte bereit ist, die Sache zu bearbeiten, oder dass die Verfahrensweise eines Gerichts die Annahme rechtfertigt, der Rechtsstreit werde von diesem nicht prozessordnungsgemäß betrieben, obwohl er gemäß § 17b Abs. 1 GVG vor ihm anhängig ist. Die Zuständigkeitsbestimmung erfolgt durch denjenigen obersten Gerichtshof des Bundes, der zuerst darum angegangen wird.
10 AS 2/15 > Rn 5
2. Das für die weitere Sachbehandlung zuständige Gericht ist das Amtsgericht Schwabach. Der Verweisungsbeschluss vom 5. Februar 2015 ist für das Arbeitsgericht Nürnberg nicht bindend. Der Beschluss ist wegen einer krassen Rechtsverletzung offensichtlich unhaltbar. Die Verweisung des Rechtsstreits an das Arbeitsgericht Nürnberg führt zu einer nicht mehr hinnehmbaren Verletzung des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, wonach niemand seinem gesetzlichen Richter entzogen werden darf.
10 AS 2/15 > Rn 6
a) Das Amtsgericht Schwabach hat zwingendes Verfahrensrecht verletzt, weil es den Verweisungsbeschluss entgegen § 17a Abs. 4 Satz 2 GVG nicht mit einer Begründung versehen hat. Die Gründe des Beschlusses beschränken sich auf die Angabe der §§ 13, 17a Abs. 2 GVG. Dies genügt ersichtlich nicht (vgl. BSG 18. Juli 2012 – B 12 SF 5/12 S – Rn. 7). Auch wenn die fehlende Begründung des Beschlusses nicht zur Nichtigkeit dieser Entscheidung führt (BAG 31. August 2010 – 3 ABR 139/09 – Rn. 12), liegt doch bereits in dieser groben Missachtung der nicht zur Disposition des einzelnen Richters stehenden Begründungspflicht nach § 17a Abs. 4 Satz 2 GVG regelmäßig eine krasse Rechtsverletzung, welche die Durchbrechung der gesetzlichen Bindungswirkung ausnahmsweise rechtfertigt. Die Beschlussgründe geben Aufschluss über die tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen, auf denen der Verweisungsbeschluss beruht. Sie sind damit notwendiger Ausgangspunkt für die Beantwortung der Frage, ob sich das verweisende Gericht bei seiner Entscheidung von sachfremden Erwägungen hat leiten lassen. Etwas anderes kann nur ausnahmsweise dann gelten, wenn dem Akteninhalt mit ausreichender Sicherheit und für die Beteiligten erkennbar entnommen werden kann, dass die Verweisung nicht auf sachfremden Erwägungen beruht (vgl. BSG 18. Juli 2012 – B 12 SF 5/12 S – aaO).
10 AS 2/15 > Rn 7
b) Nach diesen Grundsätzen ist der Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts Schwabach offensichtlich unhaltbar. Aus den darin angegebenen §§ 13, 17a GVG erschließt sich die Zulässigkeit des Rechtswegs zu den Arbeitsgerichten nicht einmal ansatzweise. Auch dem Akteninhalt kann nicht mit ausreichender Sicherheit entnommen werden, dass die Verweisung nicht auf sachfremden Erwägungen beruht. Das Amtsgericht Schwabach hat den Verweisungsbeschluss zwar erst gefasst, nachdem die Klägerin – ohne jede Begründung – mit Schriftsatz vom 23. Dezember 2014 die Verweisung an das Arbeitsgericht Nürnberg beantragt und der Beklagte mit Schriftsatz vom 22. Januar 2015 mitgeteilt hatte, dagegen bestünden keine Einwände. Der Akteninhalt gibt jedoch keinerlei Aufschluss darüber, welche sachlichen und rechtlichen Beweggründe das Amtsgericht Schwabach zu seiner Beschlussfassung veranlasst haben.
10 AS 2/15 > Rn 8
c) Das Arbeitsgericht Nürnberg ist daher an den Verweisungsbeschluss nicht gebunden. Das für die weitere Sachbehandlung zuständige Gericht ist das Amtsgericht Schwabach. Dieses hat den Rechtsstreit gemäß § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten zu entscheiden.
Linck W. Reinfelder Brune
> BAG, 14.05.2018 – 9 AS 2/18