Außerordentliche Kündigung – Ausbildungsverhältnis – Schlichtung
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 13.04.1989, 2 AZR 441/88
Tatbestand
Der am 24. Juni 1968 geborene Kläger absolvierte bei dem Beklagten, der eine Metallschleiferei betreibt, zunächst ein sechsmonatiges Praktikum bei einer monatlichen Vergütung von 150,– DM netto. Im Anschluß daran schloß er mit dem Beklagten unter dem 23. März 1986 einen von diesem Tag bis zum 22. März 1988 befristeten Berufsausbildungsvertrag zur Ausbildung zum Metallschleifer ab. Für das zweite Ausbildungsjahr war eine monatliche Ausbildungsvergütung von 644,– DM brutto vereinbart worden.
Am 14. Juli 1987 kündigte der Beklagte das Ausbildungsverhältnis zunächst mündlich und mit Schreiben vom 15. Juli 1987 schriftlich mit im wesentlichen folgender Begründung: „Sie haben zum Abschluß mehrmaliger Versuche meiner Betriebsleiterin, Frau P, Sie zu veranlassen, endlich einmal an ihrer Maschine sitzen zu bleiben, derselben angedroht, sie nach Abschluß Ihrer eigenen Lehre mit zwei Freunden zu verprügeln.
Dieses bezeichne ich als einen mehr als ausreichenden Grund, das Ausbildungsverhältnis fristlos zu kündigen. Dieses ist der Schlußpunkt unter Ihr Verhalten, das schon sehr oft den Arbeitsfrieden gestört hat. …..
Wie mir heute morgen mitgeteilt wurde, haben Sie Arbeitskollegen gegenüber geäußert, sich auch an mir nach der Ihnen mündlich ausgesprochenen fristlosen Kündigung zu rächen. Hiervor möchte ich Sie nachdrücklich warnen, da ich niemals unbewaffnet ….. Bei der Verteidigung meines Lebens habe ich mich bisher äußerst rücksichtslos gezeigt, mehrere Leute mußten schon wochenlang ihre Verletzungen in verschiedenen Krankenhäusern auskurieren, ohne jegliche strafrechtliche Folgen für mich. Ich warne Sie]“
Mit Schriftsatz seiner späteren Prozeßbevollmächtigten vom 29. Juli 1987 rief der Kläger den bei der Industrie- und Handelskammer Düsseldorf, Zweigstelle, bestehenden Ausschuß zur Beilegung von Streitigkeiten aus Berufsausbildungsverhältnissen (künftig: Ausschuß) an. Er kündigte die Anträge an festzustellen, daß die fristlose Kündigung vom 14. Juli 1987 rechtsunwirksam ist, und das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer angemessenen Abfindung an den Auszubildenden aufzulösen. Er rügte, die Ausbildung sei bisher mangelhaft gewesen. Der Beklagte gehe von wirtschaftlichen Gesichtspunkten aus und fordere, daß der Auszubildende mindest 700,– DM im Monat erwirtschaften müsse. Der Auflösungsantrag werde damit begründet, daß ihm, wie sich aus dem Kündigungsschreiben vom 15. Juli 1987 ergebe, zum Schutze seines Lebens die Fortsetzung der Ausbildung nicht mehr möglich sei.
Der Schriftsatz ging am 31. Juli 1987 bei dem Ausschuß ein. Am 8. September 1987 verhandelten die Parteien vor dem Ausschuß. In dem über die Verhandlung aufgenommenen Protokoll wird als Streitgegenstand die fristlose Kündigung vom 14. Juli 1987 angeführt. Der Ausschuß beschloß, dem Feststellungsantrag zu Ziff. 1 des Schriftsatzes vom 29. Juli 1987 stattzugeben. Der Spruch wurde mit Begründung und Rechtsmittelbelehrung beiden Prozeßbevollmächtigten am 11. September 1987 zugestellt.
In der Begründung des Spruches ist u.a. ausgeführt, der Kläger habe bestritten, der Betriebsleiterin nach Abschluß der Ausbildung Prügel angedroht zu haben. Der Beklagte habe sich auf entsprechende Frage nicht bereit erklärt, das Ausbildungsverhältnis vorübergehend fortzusetzen, bis die Kammer für den Kläger ein neues Ausbildungsverhältnis gefunden habe.
Am 18. September 1987 begann der Kläger eine Berufsausbildung zum Tankwart bei einer monatlichen Ausbildungsvergütung von 435,– DM brutto. Dieses Ausbildungsverhältnis endete durch Kündigung des Ausbildenden während der dreimonatigen Probezeit.
Mit der am 5. Oktober 1987 bei Gericht eingegangenen Klage hat der Kläger von dem Beklagten die Zahlung von Ausbildungsvergütung bis zum vereinbarten Ende der Ausbildungszeit am 22. März 1988 in Höhe von insgesamt 2.629,05 DM brutto gefordert und die Feststellung einer Schadenersatzpflicht des Beklagten wegen der vorzeitigen Lösung des Ausbildungsverhältnisses begehrt.
Der Kläger hat vorgetragen, die fristlose Kündigung des Beklagten sei unwirksam. Dies habe bereits der Ausschuß festgestellt. Es lägen aber auch keine Kündigungsgründe vor. Er habe der Betriebsleiterin P keine Schläge angedroht und auch keine Schlechtleistungen erbracht. Der Beklagte habe den Spruch des Ausschusses nicht anerkannt und ihm keine Möglichkeit zur Fortsetzung des Ausbildungsverhältnisses gegeben. Er habe trotz intensiver Bemühungen keinen anderen Ausbildungsplatz als Metallschleifer gefunden. Deshalb habe er eine Ausbildungsstelle als Tankwart angenommen. Er erhalte dort eine geringere Vergütung als bei dem Beklagten. Seine bisherige Ausbildungszeit werde nicht angerechnet. Er werde als Tankwart auch weit weniger verdienen als als Metallschleifer.
Der Beklagte müsse ihm daher die volle Ausbildungsvergütung bis 17. September 1987 und danach die Differenz zwischen beiden Ausbildungsvergütungen in Höhe von 209,– DM brutto monatlich bis 22. März 1988 zahlen, und zwar 1.432,– DM brutto bis 30. September 1987, 418,– DM brutto für Oktober und November 1987, 627,– DM brutto für die Monate Dezember 1987 bis Februar 1988 und 152,– DM brutto bis 22. März 1988. Wegen des noch nicht bezifferbaren weiteren Schadens aus der vorzeitigen Auflösung des Ausbildungsverhältnisses müsse eine Ersatzverpflichtung des Beklagten festgestellt werden.
Der Kläger hat beantragt,
1. den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger
a) 1.432,05 DM brutto nebst 4 % Zinsen
seit Klagezustellung (8.10.1987),
b) 418,– DM brutto nebst 4 % Zinsen seit
dem 1.11.1987 von 209,– DM und seit
dem 1.12.1987 von weiteren 209,– DM,
c) am 1.1.1988, 1.2.1988 und 1.3.1988
jeweils 209,– DM brutto,
d) am 22. März 1988 152,– DM brutto zu
zahlen;
2. festzustellen, daß der Beklagte verpflichtet
ist, jeglichen Schaden zu ersetzen, der durch
die Nichteinhaltung des Berufsausbildungsver-
trages entstanden ist oder noch entsteht.
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Er hat vorgetragen, die Klage sei unzulässig, weil sie der Kläger nicht gemäß § 111 Abs. 2 Satz 3 ArbGG innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung des Spruchs des Ausschusses erhoben habe. Die fristlose Kündigung sei aber auch sachlich gerechtfertigt. Der Kläger habe es während der gesamten Vertragszeit an dem erforderlichen Leistungswillen fehlen lassen. Er sei jähzornig und aggressiv gewesen und habe mehrfach Teile der Betriebseinrichtung zerstört. Er habe dieses Verhalten trotz mehrfacher schriftlicher Abmahnungen fortgesetzt und schließlich am 14. Juli 1987 der Betriebsleiterin P angedroht, er werde sie zusammen mit anderen jungen Männern nach Abschluß der Ausbildung verprügeln und zusammenschlagen.
Der Kläger hat erwidert, die Klage sei zulässig. Die Klageansprüche seien nicht Gegenstand des Schlichtungsverfahrens gewesen und es liege auch kein abweisender Beschluß des Ausschusses ihm gegenüber vor, so daß die Fristen des § 111 Abs. 2 ArbGG nicht einzuhalten gewesen seien. Außerdem werde im vorliegenden Verfahren nicht mehr über Angelegenheiten innerhalb des Arbeitsverhältnisses, sondern über Schadenersatzansprüche wegen nicht ordnungsgemäßer Abwicklung des Ausbildungsverhältnisses gestritten.
Das Arbeitsgericht hat dem Zahlungsantrag stattgegeben und den Feststellungsantrag abgewiesen. Gegen dieses Urteil haben beide Parteien im Umfang ihres Unterliegens Berufung eingelegt.
Der Beklagte hat weiter vorgetragen, die Klage sei bereits deshalb unzulässig, weil die Zahlungsansprüche nicht Gegenstand des Verfahrens vor dem Ausschuß gewesen seien. Der Kläger habe im zweiten Ausbildungsjahr nicht annähernd ein Produktionsergebnis von 1.000,– DM monatlich erwirtschaftet, das bei ihm Auszubildende ohne Schwierigkeiten erreichten. Es hätten auch andere Ausbildungsstätten zur Verfügung gestanden. Der Kläger habe sich darum nicht bemüht.
Der Kläger hat vorgetragen, auch die Feststellungsklage sei zulässig und begründet. Die Entstehung weiteren Schadens sei zu erwarten. Nach Beendigung des am 18. September 1987 begonnenen Ausbildungsverhältnisses als Tankwart habe er noch keine neue Ausbildung begonnen. Bei Antritt einer neuen Ausbildung werde die bisherige Ausbildungszeit nicht angerechnet werden.
Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung des Beklagten auch die Zahlungsklage abgewiesen und die Berufung des Klägers zurückgewiesen.
Mit der Revision verfolgt der Kläger seine Klageanträge weiter. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Begründung
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht.
I. Das Berufungsgericht hat angenommen, der Zulässigkeit der Zahlungsklage stehe nicht die fehlende Anrufung des Ausschusses nach § 111 Abs. 2 Satz 5 ArbGG entgegen. Der Beklagte habe sein Rügerecht nach § 295 Abs. 1 ZPO verloren, weil er vor dem Arbeitsgericht über den Zahlungsanspruch ohne entsprechende Rüge streitig verhandelt habe.
Der Kläger könne den geforderten Betrag nicht gemäß § 10 BBiG als Ausbildungsvergütung verlangen. Das Ausbildungsverhältnis habe im Anspruchszeitraum nicht mehr bestanden. Es sei durch die fristlose Kündigung des Beklagten vom 15. Juli 1987 beendet worden.
Über die Rechtswirksamkeit der Kündigung als Vorfrage für das Bestehen von Vergütungsansprüchen könne unabhängig vom Spruch des Ausschusses entschieden werden. Durch diesen Spruch sei nicht für beide Parteien bindend rechtskräftig über die Wirksamkeit der Kündigung entschieden worden. Lediglich der Streitgegenstand des Schlichtungsverfahrens könne nicht mehr vor die Gerichte gebracht werden.
Die Kündigung gelte jedoch gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2, § 4 Satz 1, § 7 KSchG als von Anfang an rechtswirksam. Diese Vorschriften des Kündigungsschutzgesetzes seien auch auf die außerordentliche Kündigung von Ausbildungsverhältnissen anzuwenden. Gegen eine außerordentliche Kündigung des Ausbildenden müsse innerhalb von drei Wochen der Ausschuß angerufen werden. Hierdurch werde die Klagefrist gehemmt. Nach der Entscheidung des Ausschusses sei innerhalb der zweiwöchigen Frist des § 111 Abs. 2 Satz 3 ArbGG Klage gegen die Kündigung zu erheben. Geschehe dies nicht, so gelte die Kündigung nach § 7 KSchG als rechtswirksam. Vorliegend habe der Kläger zwar rechtzeitig den Ausschuß angerufen, jedoch erst nach Ablauf der zweiwöchigen Klagefrist des § 111 Abs. 2 Satz 3 ArbGG Klage erhoben.
Gelte die Kündigung als rechtswirksam und sei das Berufsausbildungsverhältnis somit beendet, stünden dem Kläger auch keine Schadenersatzansprüche wegen vorzeitiger Beendigung des Berufsausbildungsverhältnisses oder wegen Verzugs gem. § 16 Abs. 1 BBiG, § 286 BGB zu. Somit seien Zahlungs- und Feststellungsantrag unbegründet.
Dieser Würdigung ist der Senat nicht gefolgt.
II. Im Ergebnis zutreffend hat das Berufungsgericht die Klage für zulässig angesehen.
1. Seiner hierfür gegebenen Begründung vermag der Senat allerdings nicht beizutreten.
a) Bei Streitigkeiten zwischen Ausbildenden und Auszubildenden aus einem bestehenden Ausbildungsverhältnis, zu denen auch Streitigkeiten über die Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung eines Ausbildungsverhältnisses gehören, ist gemäß § 111 Abs. 2 Satz 5 ArbGG vor der Klage zunächst das Verfahren vor einem zur Beilegung dieser Streitigkeiten gebildeten Ausschuß durchzuführen, sofern bei der zuständigen Handwerksinnung oder einer anderen Stelle im Sinne des Berufsbildungsgesetzes, wie vorliegend bei der Industrie- und Handelskammer (§ 75 BBiG) ein solcher Ausschuß besteht. Gemäß § 111 Abs. 2 Satz 5 ArbGG handelt es sich bei dieser vorgeschalteten Verhandlung vor dem Ausschuß um eine Prozeßvoraussetzung für die Klage (BAG Urteil vom 25. November 1976 – 2 AZR 751/75 – AP Nr. 4 zu § 15 BBiG, zu A I 1 der Gründe, m.w.N.).
b) Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts kann auf diese Prozeßvoraussetzung nicht gemäß § 295 Abs. 1 ZPO oder in entsprechender Anwendung dieser Vorschrift von den Prozeßparteien verzichtet werden (ebenso Dersch/Volkmar, ArbGG, 6. Aufl., § 111 Rz 14).
aa) Nach § 111 Abs. 2 Satz 5 ArbGG muß der Klage in allen Fällen die Verhandlung vor dem Ausschuß vorausgegangen sein. Schaub (Arbeitsrechtliche Formularsammlung und arbeitsgerichtliches Verfahren, 4. Aufl., § 82 I 3 c, S. 440), auf den sich das Berufungsgericht für seine Ansicht beruft, begründet dies damit, daß das Vorschaltverfahren nach § 111 Abs. 2 Satz 7 ArbGG das Güteverfahren vor dem Arbeitsgericht ersetze. Die besondere Zuständigkeit der Ausschüsse sei lediglich eingeführt worden, um deren besondere Sachkunde bei Ausbildungsstreitigkeiten nutzbar zu machen; sie sei, da sekundär die Arbeitsgerichte zuständig seien, jedenfalls nicht unabdingbar in dem Sinne, daß eine Klage schlechthin abzuweisen sei. Auch wenn das Arbeitsgericht die Abhaltung eines Gütetermins übersehen habe, werde die Klage nicht schlechthin unzulässig (ebenso Grunsky, ArbGG, 5. Aufl., § 111 Rz 3).
bb) Diese Ansicht überzeugt nicht. Zwar ergibt sich aus § 111 Abs. 2 Satz 5 ArbGG nicht, daß einer vor der Verhandlung vor dem Ausschuß erhobenen Klage ein unbehebbares Prozeßhindernis entgegensteht. Die Verhandlung ersetzt vielmehr das Güteverfahren und macht eine Klage nur dann überflüssig, wenn beide Parteien den Spruch des Ausschusses anerkannt haben. Dem Erfordernis des außergerichtlichen Schlichtungsverfahrens wird nach seinem Zweck und seiner Bedeutung auch dann genügt, wenn die Verhandlung vor dem Ausschuß erst nach Klageerhebung, aber vor der Streitverhandlung ohne bindenden Spruch stattfindet. Die zunächst unzulässige Klage wird dann nachträglich zulässig (BAG Urteil vom 25. November 1976, aaO, zu A I 2 der Gründe).
cc) Hieraus folgt jedoch für die Parteien nicht die Möglichkeit, auf die Durchführung des Schlichtungsverfahrens gänzlich verzichten zu können. Die gesetzliche Regelung hat ihren Grund in der Rücksichtnahme auf das besondere Vertrauensverhältnis zwischen Ausbildendem und Auszubildendem. Um dieses Verhältnis zu schützen und zu erhalten, sollen Streitigkeiten vor paritätisch zusammengesetzten Ausschüssen beigelegt werden. Ziel der Regelung ist es, nach Möglichkeit zu vermeiden, daß sich Prozeßparteien streitend vor Gericht gegenüberstehen, solange Ungewißheit über die rechtswirksame Beendigung besteht (BAGE 27, 279, 282 = AP Nr. 2 zu § 111 ArbGG 1953, zu I 2 b der Gründe). Dieses Ziel wird zwar auch noch erreicht, wenn das Schlichtungsverfahren erst nach Klageerhebung, aber vor der streitigen Verhandlung ohne bindenden Spruch stattfindet. Dagegen würde der Gesetzeszweck vereitelt, wenn es die Parteien in der Hand hätten, den Ausschuß durch ausdrücklichen Verzicht oder rügeloses Verhandeln vor dem Arbeitsgericht gänzlich auszuschalten. Der Ausschuß ist aufgrund seiner größeren Sachnähe und Sachkunde eher in der Lage, einen Rechtsstreit oder zumindest seine Durchführung zu verhindern. Diese Vermittlungsfunktion kann er deshalb auch noch nach Klageerhebung, nicht aber im Falle eines wirksamen Verzichts der Parteien auf die Durchführung des Schlichtungsverfahrens erfüllen. Eine Prozeßvoraussetzung ist nicht notwendig verzichtbar, wenn sie auch noch nach Klageerhebung erfüllt werden kann. So ist die Prozeßfähigkeit eine unverzichtbare Prozeßvoraussetzung. Jedoch kann dieser Mangel noch während des Prozesses nach Erlangung der Prozeßfähigkeit durch die Partei oder Bestellung eines gesetzlichen Vertreters durch Genehmigung des bisherigen Verfahrens geheilt werden (vgl. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 47. Aufl., § 56 Anm. 1 A und C, m.w.N.). Das Schlichtungsverfahren ist deshalb keine die Zulässigkeit der Klage betreffende verzichtbare Rüge im Sinne des § 296 Abs. 3, § 529 Abs. 1 ZPO. Diese Prozeßvoraussetzung ist nicht der Einrede des Schiedsvertrags gleichzusetzen, bei der es sich nach der ausdrücklichen Vorschrift des § 1027 a ZPO und auch im arbeitsgerichtlichen Verfahren, wie sich aus § 102 Abs. 1 ArbGG ergibt, um eine verzichtbare prozeßhindernde Einrede handelt (BAG Urteil vom 30. September 1988 – 4 AZR 233/87 – EzA § 72 ArbGG 1979 Nr. 9).
2. Gleichwohl ist die Klage zulässig, weil es wegen der damit verfolgten Ansprüche keiner erneuten Anrufung des Ausschusses nach § 111 Abs. 2 Satz 5 ArbGG bedurfte.
a) Zwar ist grundsätzlich für die Zuständigkeit des Ausschusses der jeweilige Streitgegenstand maßgebend, der durch das Klagebegehren bestimmt wird (BAGE 27, 279, 281 f. = AP, aaO, zu I 2 a der Gründe). Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens sind Zahlungs- und Schadenersatzansprüche. Wesentliche Vorfrage für das Bestehen dieser Ansprüche ist jedoch die Wirksamkeit oder Unwirksamkeit der fristlosen Kündigung des Beklagten vom 15. Juli 1987. Wurde das Ausbildungsverhältnis durch diese Kündigung wirksam beendet, kann für die Folgezeit weder aus dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs (§ 615 BGB, § 10 BBiG) noch aus dem Gesichtspunkt des Schadenersatzes wegen vorzeitiger Auflösung des Arbeitsverhältnisses nach § 16 Abs. 1 BBiG Vergütung sowie Ersatz weiteren, durch die Auflösung des Arbeitsverhältnisses entstandenen Schadens verlangt werden.
b) Wie das Berufungsgericht richtig gesehen hat, ist die gerichtliche Nachprüfung dieser Frage nicht durch den vom Kläger hingenommenen Spruch des Ausschusses ausgeschlossen. Zwar kann nach § 111 Abs. 2 Satz 3 ArbGG gegen einen nicht anerkannten Spruch des Ausschusses nur innerhalb von zwei Wochen Klage erhoben werden. Diese Vorschrift enthält jedoch nur eine prozessuale Ausschlußfrist. Wird nicht fristgerecht Klage erhoben, so hat dies nur die prozessuale Folge, daß der vor dem Ausschuß verhandelte Streitgegenstand nicht mehr vor die Arbeitsgerichte gebracht werden kann. Weitere materiell-rechtliche Wirkungen kommen der Frist nicht zu. Das Arbeitsgericht kann daher die von dem Ausschuß entschiedene, jedoch von einer Partei nicht anerkannte und auch nicht vor dem Arbeitsgericht weiterverfolgte Frage in einem Folgeprozeß selbständig würdigen (BAG Urteil vom 9. Oktober 1979 – 6 AZR 776/77 – AP Nr. 3 zu § 111 ArbGG 1953).
c) Die Versäumung der Klagefrist des § 111 Abs. 2 Satz 3 ArbGG hindert somit nicht die Prüfung der für die Entscheidung des vorliegenden Falles wesentliche Vorfrage, ob die fristlose Kündigung des Beklagten vom 15. Juli 1987 rechtswirksam ist. Da wegen dieser Vorfrage bereits ein Schlichtungsverfahren durchgeführt worden ist, bedarf es wegen der Folgeansprüche eines erneuten Schlichtungsverfahrens nicht allein deshalb, weil diese einen von dem Gegenstand des früheren Schlichtungsverfahrens verschiedenen Streitgegenstand darstellen. Diese formale Betrachtungsweise würde dem Zweck des Schlichtungsverfahrens widersprechen, eine gerichtliche Auseinandersetzung zwischen den Parteien eines Ausbildungsverhältnisses nach Möglichkeit zu verhindern. War eine wesentliche Vorfrage für einen Anspruch bereits Gegenstand eines Schlichtungsverfahrens, blieb dieses erfolglos und müßte dieselbe Frage nochmals gerichtlich nachgeprüft werden, so wäre es unnütze Förmelei, gleichwohl nochmals die Durchführung eines Schlichtungsverfahrens zu verlangen. Da sich die Parteien über eine wesentliche Vorfrage trotz Vermittlung des Ausschusses nicht einigen konnten, ist nicht anzunehmen, eine nochmalige Verhandlung vor dem Ausschuß könnte allein deswegen zu einem anderen Ergebnis führen, weil der Gegenstand des neuen Verfahrens formal ein anderer ist.
III. Das Berufungsgericht hat jedoch zu Unrecht angenommen, die fristlose Kündigung des Beklagten gelte gemäß § 7 KSchG wegen Versäumung der Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG als von Anfang an rechtswirksam. Diese Vorschriften sind auf das Berufsausbildungsverhältnis jedenfalls dann nicht anzuwenden, wenn gem. § 111 Abs. 2 Satz 5 ArbGG eine Verhandlung vor einem zur Beilegung von Streitigkeiten aus einem Berufsausbildungsverhältnis gebildeten Ausschuß stattfinden muß.
1.a) Wie der Senat in dem Urteil vom 29. November 1984 – 2 AZR 354/83 – (AP Nr. 6 zu § 13 KSchG 1969, zu II 2 a der Gründe) ausgeführt hat, regelt das Kündigungsschutzgesetz nicht ausdrücklich die Frage, ob Auszubildende als Arbeitnehmer und Berufsausbildungsverhältnisse als Arbeitsverhältnisse anzusehen sind und das Gesetz deshalb grundsätzlich auch auf Ausbildungsverhältnisse anzuwenden ist. Andererseits bestimmt § 3 Abs. 2 BBiG, auf den Berufsausbildungsvertrag seien, soweit sich aus seinem Wesen und Zweck und aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, die für den Arbeitsvertrag geltenden Rechtsvorschriften und Rechtsgrundsätze anzuwenden. Im Schriftlichen Bericht des Bundestagsausschusses für Arbeit zum BBiG (BT-Drucks. V/4260) heißt es zu dieser Vorschrift, soweit arbeitsrechtliche Rechtsvorschriften bestünden, die das Berufsausbildungsverhältnis nicht ausdrücklich einbezögen, z.B. das Kündigungsschutzgesetz, solle deren Anwendung sichergestellt sein. Ob das Kündigungsschutzgesetz danach allgemein auf Berufsausbildungsverhältnisse anzuwenden ist, soweit das BBiG selbst nicht abweichende Vorschriften enthält (z.B. über den grundsätzlichen Ausschluß der ordentlichen Kündigung nach Ablauf der Probezeit und die Beendigung des Berufsausbildungsverhältnisses durch Fristablauf, §§ 14, 15 BBiG), ist im Schrifttum und in der Rechtsprechung der Instanzgerichte umstritten.
b) Für die grundsätzliche Anwendung haben sich ausgesprochen: Gedon/Spiertz, Berufsbildungsrecht, Stand 1988, § 3 BBiG Anm. 2; Herbst/Weber, BBiG, § 3 Erl. zu Abs. 2; Herkert, BBiG, Stand 1988, § 15 Rz 27; Herschel/Löwisch, KSchG, 6. Aufl., § 13 Rz 5; Hueck, KSchG, 10. Aufl., § 13 Rz 23, 23 a; Knopp/Kraegeloh, BBiG, 2. Aufl., § 15 Rz 4; Natzel, Berufsbildungsrecht, 3. Aufl., Teil B, Kapitel 7 III 1, S. 295; Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, 6. Aufl., § 174 VII 6, S. 1147, 1148; Arbeitsrechtliche Formularsammlung und Arbeitsgerichtsverfahren, 4. Aufl., § 82 I 3, S. 439, 440; Stahlhacke, Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis, 4. Aufl., Rz 449; Weber, BBiG, Stand 1985, § 3 Anm. 2; LAG Berlin Urteil vom 15. Oktober 1974 – 8 Sa 61/74 – BB 1975, 884).
Dagegen wird die Anwendung des Kündigungsschutzgesetzes grundsätzlich abgelehnt von KR-Becker, 3. Aufl., § 1 KSchG Rz 35; KR-Friedrich, aaO, § 13 KSchG Rz 36; Hurlebaus, BB 1975, 1533, 1535; Rohlfing/Rewolle/Bader, KSchG, § 1 Anm. 8 c, § 13 Anm. 2; KR-Weigand, aaO, §§ 14, 15 BBiG Rz 122, 123; Wenzel, BB 1969, 1402, 1404; LAG Hamm Beschluß vom 19. Juni 1986 – 8 Ta 138/86 – LAGE § 5 KSchG Nr. 24; ArbG Koblenz Urteil vom 24. Oktober 1984 – 9 Ca 127/84 – DB 1985, 1952).
c) Gegen die Anwendung der Fristenregelung der §§ 4, 13 Abs. 1 Satz 2 KSchG, zumindest bei Bestehen eines Schlichtungsausschusses nach § 111 Abs. 2 ArbGG, haben sich Barwasser (DB 1976, 434) sowie das ArbG Berlin (Urteil vom 12. Oktober 1973 – 10 Ca 267/73 – DB 1974, 1536) ausgesprochen.
2. Das Bundesarbeitsgericht hat die Frage, ob der Auszubildende gegenüber einer fristlosen Kündigung des Berufsausbildungsverhältnisses durch den Ausbildenden gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 KSchG die Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG einzuhalten hat, bisher offen gelassen (BAGE 27, 279, 283 = AP, aaO, zu II 1 der Gründe; Senatsurteil vom 29. November 1984, aaO, zu II 2 b der Gründe sowie vom 5. Dezember 1985 – 2 AZR 61/85 – AP Nr. 10 zu § 620 BGB Bedingung, zu A I 1 b, aa der Gründe). Nach Ansicht des erkennenden Senats ist die Fristenregelung jedenfalls dann nicht anwendbar, wenn ein Schlichtungsverfahren nach § 111 Abs. 2 ArbGG durchzuführen ist.
a) Gegen die Anwendung der Fristenregelung wird teilweise auf die Entstehungsgeschichte des Kündigungsschutzgesetzes zurückgegriffen (vgl. insbes. Wenzel und LAG Hamm, jew. aaO). Insoweit wird im wesentlichen vorgebracht, die Konzeption des allgemeinen Kündigungsschutzes habe von vornherein auf den typischen Arbeitnehmer und nicht auf den Lehrling alter Prägung abgezielt, der sein Lehrverhältnis regelmäßig im Alter von 14 Jahren angetreten und im Alter von 17 Jahren beendet habe, während der allgemeine Kündigungsschutz erst mit der Vollendung des 20. Lebensjahres eingesetzt habe. Auch die spätere Herabsetzung der Altersgrenze auf 18 Lebensjahre und ihr völliger Wegfall durch das Gesetz vom 5. Juli 1976 (BGBl. I, S. 1769) habe an der ursprünglichen Konzeption des Kündigungsschutzgesetzes nichts geändert, wie sich insbesondere aus den Gesetzesmaterialien ergebe.
Als entscheidender Umstand werden gemäß § 3 Abs. 2 BBiG Wesen und Zweck des Berufsausbildungsvertrages sowie das Berufsbildungsgesetz angeführt. Wie der erkennende Senat in dem Urteil vom 29. November 1984 (aaO, zu II 1 b der Gründe) näher dargelegt hat, ist es Zweck des Berufsausbildungsverhältnisses, dem Auszubildenden eine breit angelegte Grundausbildung und die für die Ausübung einer qualifizierten beruflichen Tätigkeit notwendigen fachlichen Fähigkeiten und Kenntnisse zu vermitteln. Auf dieses Ziel und damit auf einen länger dauernden Bestand sind die dem Auszubildenden im Rahmen seiner Berufsausbildung aufgetragenen Verrichtungen und erteilten Weisungen ausgerichtet. Aus den in dem vorbezeichneten Urteil im einzelnen erörterten Regelungen des Berufsbildungsgesetzes, insbesondere aus dem Ausschluß der ordentlichen Kündigung, aber auch aus der in § 102 eingeführten Ausdehnung des Schlichtungsverfahrens des § 111 Abs. 2 ArbGG über den Bereich des Handwerks hinaus, kommt das Interesse des Gesetzgebers an dem Fortbestand des Berufsausbildungsverhältnisses zum Ausdruck. Der erkennende Senat hat es deshalb mit dieser Zielsetzung für unvereinbar angesehen, dem Auszubildenden bei unwirksamer Kündigung des Ausbildenden die erleichterte Auflösungsmöglichkeit nach § 13 Abs. 1 Satz 3, §§ 9, 10 KSchG zu eröffnen. Hieran anknüpfend wird die Ansicht vertreten (vgl. u.a. LAG Hamm und KR-Weigand, jeweils aaO und m.w.N.), auch das Interesse des Ausbildenden an einer schnellen und endgültigen Klärung der Rechtswirksamkeit einer fristlosen Kündigung, der die Fristenregelung des Kündigungsschutzgesetzes diene, sei geringer zu bewerten als das Bestandsschutzinteresse des Auszubildenden.
b) Es kann für die Entscheidung des vorliegenden Falles dahingestellt bleiben, ob der durch die vorbezeichneten gesetzlichen Regelungen gewährleistete Bestandsschutz des Berufsausbildungsverhältnisses generell mit der kündigungsschutzrechtlichen Fristenregelung unvereinbar ist. Ihre Anwendung ist jedenfall dann ausgeschlossen, wenn nach § 111 Abs. 2 ArbGG ein Schlichtungsverfahren durchgeführt werden muß. Diese durch § 102 BBiG über den bisher erfaßten Bereich des Handwerks hinaus auf sämtliche Berufsausbildungsverhältnisse ausgedehnte Vorschrift enthält eine in sich abgeschlossene besondere Verfahrensregelung. Insoweit wird die allgemeine kündigungsschutzrechtliche Regelung verdrängt und ist deshalb gemäß § 3 Abs. 2 BBiG nicht anzuwenden.
aa) Wie ausgeführt (vorstehend unter II 1), schreibt § 111 Abs. 2 Satz 5 ArbGG zwingend vor, daß der Klage die Verhandlung vor dem Ausschuß vorausgehen muß. Sofern ein solcher Ausschuß besteht, muß der Auszubildende zunächst auf diesem Wege gegen die Kündigung vorgehen. Eine Frist für die Anrufung des Ausschusses ist nicht vorgeschrieben. Eine weitere Sonderregelung gegenüber § 4 Satz 1 KSchG enthält § 111 Abs. 2 ArbGG in Satz 3, der bestimmt, daß nach ergangenem Spruch des Ausschusses binnen zwei Wochen Klage beim Arbeitsgericht zu erheben ist.
bb) Wegen dieser Verfahrensregelung könnte die allgemeine Fristenregelung des Kündigungsschutzgesetzes nicht unmittelbar, sondern nur entsprechend angewendet werden (so richtig Vollkommer, Anm. zu LAG Hamm, aaO, unter 2 a).
Nach § 4 KSchG ist innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung Kündigungsschutzklage zu erheben. Da andererseits die Anrufung des Schlichtungsausschusses unverzichtbare Prozeßvoraussetzung für diese Klage ist, müßte § 4 KSchG dahin abgewandelt werden, innerhalb der Klagefrist sei auch der Schlichtungsausschuß anzurufen (so Hueck, Schaub sowie – bei Zugrundelegung der abgelehnten Ansicht von der Anwendbarkeit der kündigungsschutzrechtlichen Fristenregelung – Hurlebaus, jeweils aaO). Im Hinblick auf die Fristvorschrift des § 111 Abs. 2 Satz 3 ArbGG müßte § 4 KSchG noch weiter angepaßt und die darin vorgeschriebene Klagefrist zunächst für gehemmt und insgesamt für gewahrt angesehen werden, wenn nach ergangenem Spruch des Schlichtungsausschusses binnen zwei Wochen Klage beim Arbeitsgericht erhoben würde (so die vorgenannten Autoren). Im Ergebnis würden damit beide Fristenregelungen wesentlich geändert. Innerhalb der Dreiwochenfrist des § 4 KSchG müßte lediglich der Schlichtungsausschuß angerufen, die Klage dagegen erst zwei Wochen nach Abschluß des Schlichtungsverfahrens erhoben werden. Damit würde die Klagefrist um die Dauer des Schlichtungsverfahrens und die Zweiwochenfrist des § 111 Abs. 2 Satz 3 ArbGG verlängert. Zudem erhielte die Zweiwochenfrist, die lediglich eine prozessuale Ausschlußfrist ist (vgl. vorstehend unter II 2), insoweit den Charakter der prozessualen Klageerhebungsfrist des § 4 KSchG, deren Versäumung die materiellrechtliche Vermutung der Wirksamkeit der Kündigung gemäß § 7 KSchG auslösen würde (vgl. dazu Senatsurteil vom 26. Juni 1986 – 2 AZR 358/85 – AP Nr. 14 zu § 4 KSchG 1969, zu B I 3 b der Gründe).
cc) Bei grundsätzlicher Geltung des § 13 Abs. 1 Satz 2 KSchG müßte ferner § 5 KSchG über die nachträgliche Klagezulassung nach unverschuldeter Versäumung der Klagefrist des § 4 KSchG einbezogen werden. Wie das Landesarbeitsgericht Hamm (aaO) zutreffend ausgeführt hat, ließen sich Zulassungsverfahren und Schlichtungsverfahren nur durch einen gestaltenden richterlichen Eingriff miteinander in Einklang bringen, der die Grenzen der entsprechenden Gesetzesanwendung überschreiten würde.
Gemäß § 5 KSchG muß der Zulassungsantrag innerhalb von zwei Wochen nach Behebung des Hindernisses, das der Wahrung der Klagefrist entgegengestanden hat, beim Arbeitsgericht gestellt und, sofern noch keine Klage eingereicht ist, mit der Klageerhebung verbunden werden. Über den Antrag entscheidet das Arbeitsgericht durch Beschluß.
Danach könnte der Schlichtungsausschuß den Zulassungsantrag allenfalls fristwahrend entgegennehmen, nicht aber bescheiden. Die Antragstellung beim Schlichtungsausschuß und die Klageerhebung nach Abschluß des Schlichtungsverfahrens ausreichen zu lassen, widerspräche der zwingenden Vorschrift des § 5 KSchG über die Verbindung von Antrag und Klage. Räumte man diesem Gebot den Vorrang ein und ließe mit der Antragstellung auch die Klageerhebung beim Arbeitsgericht zu, so verstieße dies gegen die Verfahrensregelung des § 111 Abs. 2 ArbGG, weil das Schlichtungsverfahren Prozeßvoraussetzung für die Kündigungsschutzklage und diese deshalb vor Abschluß des Schlichtungsverfahrens unzulässig ist. Zwar wird, wie ausgeführt (vorstehend unter II 1 b), eine vorher erhobene Klage zulässig, wenn das Schlichtungsverfahren vor der streitigen Verhandlung vor dem Arbeitsgericht durchgeführt wird. Es geht aber über diese Gestaltung hinaus, den Auszubildenden im Falle der Versäumung der Klagefrist zur Erhebung einer unzulässigen Klage zu zwingen und das Berufsausbildungsverhältnis entgegen dem Zweck der Vorschaltung des Schlichtungsverfahrens bereits zum Gegenstand eines gerichtlichen Verfahrens zu machen.
c) Würde schon bei Anwendung des § 4 KSchG sowohl die darin als auch die in § 111 Abs. 2 Satz 3 ArbGG enthaltene Fristenregelung wesentlich geändert, wären mit jeder vorstehend dargestellten Modifizierung des Zulassungsverfahrens die Grenzen der entsprechenden Gesetzesanwendung endgültig überschritten. Frist- und Formvorschriften über den Zugang zum gerichtlichen Rechtsschutz unterliegen in besonderem Maße dem Gebot der Rechtsklarheit. Ihm wird eine Anwendung solcher Vorschriften, die sich nicht in einer Übertragung der Regelungen auf einen rechtsähnlichen Tatbestand erschöpft, sondern eine Umgestaltung der einen oder anderen Vorschrift erfordert, nicht mehr gerecht (so zutreffend Vollkommer, aaO, unter 2 b).
IV. Gilt die fristlose Kündigung des Beklagten somit nicht gemäß § 7 KSchG als rechtswirksam, so ist der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 565 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
1. Das Berufungsgericht wird zunächst zu prüfen haben, ob der Kläger das Recht, die Wirksamkeit der fristlosen Kündigung des Beklagten – hier im Rahmen des Zahlungs- und Feststellungsprozesses als Vorfrage – nachprüfen zu lassen, prozessual verwirkt hat.
a) Nach der Rechtsprechung des Senats (vgl. zuletzt Urteil vom 20. Mai 1988 – 2 AZR 711/87 – EzA § 242 BGB Prozeßverwirkung Nr. 1, zu II 1 der Gründe) kann auch das Recht, außerhalb des Geltungsbereichs des § 4 KSchG gegen eine Kündigung Klage zu erheben, verwirkt werden. Das ist der Fall, wenn der Anspruchsteller die Klage erst nach Ablauf eines längeren Zeitraums (Zeitmoment) erhebt und dadurch ein Vertrauenstatbestand beim Anspruchsgegner geschaffen wird, er werde nicht mehr gerichtlich belangt. Der Verwirkungstatbestand ist als außerordentlicher Rechtsbehelf ein Fall der unzulässigen Rechtsausübung. In der illoyal verspäteten Geltendmachung eines Rechts liegt ein Verstoß gegen Treu und Glauben. Die Frage des Rechtsmißbrauchs läßt sich deshalb nur für den Einzelfall klären. Deswegen ist bereits für die Bestimmung des Zeitmoments nicht auf eine starre Höchst- oder Regelfrist, sondern auf die konkreten Umstände des Einzelfalls abzustellen. Das Vorliegen des Zeitmoments indiziert nicht das Umstandsmoment. Vielmehr bedarf es besonderer Umstände für die berechtigte Erwartung des Schuldners, er werde nicht mehr gerichtlich in Anspruch genommen.
b) Diese Grundsätze gelten auch für die fristlose Kündigung des Berufsausbildungsverhältnisses durch den Ausbildenden, soweit gemäß § 111 Abs. 2 ArbGG ein Schlichtungsverfahren durchzuführen und deshalb § 4 KSchG nicht anzuwenden ist.
Barwasser (DB 1976, 435, unter II) vertritt die Ansicht, bei Bestehen eines Schlichtungsausschusses müsse dieser unverzüglich, d.h. ohne schuldhaftes Zögern (§ 121 Abs. 1 BGB) nach Kenntnis des Kündigungsgrundes angerufen werden. Geschehe dies nicht, so müsse die klagende Partei nach Abschluß des Schlichtungsverfahrens unverzüglich Klage erheben; eine Berufung auf die Zweiwochenfrist des § 111 Abs. 2 Satz 3 ArbGG sei rechtsmißbräuchlich. Dieser Ansicht kann nicht gefolgt werden. Sie läßt sich nicht mit der Überlegung rechtfertigen, die Rechtswirksamkeit der Kündigung dürfe nicht unerträglich lange in der Schwebe bleiben. Ein fristgebundenes Klagerecht gegen Kündigungen von Arbeitsverhältnissen ist selbst im Geltungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes nur insoweit normiert, als die Sozialwidrigkeit einer ordentlichen oder das Fehlen eines wichtigen Grundes für eine außerordentliche Arbeitgeberkündigung geltend gemacht wird. Denn nach § 13 Abs. 3 KSchG findet auch die Fristenregelung des Ersten Abschnitts des Kündigungsschutzgesetzes auf eine Kündigung, die bereits aus anderen als den vorgenannten Gründen rechtsunwirksam ist, keine Anwendung. Ferner fehlt für sämtliche Arbeitsverhältnisse, die nicht die formellen Voraussetzungen des allgemeinen Kündigungsschutzes nach § 1 Abs. 1 KSchG (sechsmonatige Wartezeit) und § 23 Abs. 1 Sätze 2 und 3 KSchG (Mindestgröße des Beschäftigungsbetriebes) erfüllen, eine gesetzliche Einschränkung des Rechts, sich klageweise gegen ihre Kündigung zu wenden. Auch Besonderheiten des Berufsausbildungsverhältnisses lassen keine richterrechtliche Einschränkung des Klagerechts gegen eine fristlose Kündigung zu, die sogar noch einschneidendere Folgen zeitigen könnte als die – vorstehend abgelehnte – Anwendung der kündigungsschutzrechtlichen Fristenregelung, da auf die Umstände des Einzelfalles abzustellen wäre und deshalb auch eine kürzere als die dreiwöchige Klagefrist des § 4 KSchG für die Anrufung des Schlichtungsausschusses in Betracht kommen könnte. Desweiteren wäre die Verkürzung der zweiwöchigen Klagefrist des § 111 Abs. 2 Satz 3 ArbGG durch das Gebot der unverzüglichen Klageerhebung nach Abschluß des Schlichtungsverfahrens als Sanktion für die verspätete Anrufung des Schlichtungsausschusses nicht einsichtig, da die Ausnutzung dieser Frist die gerichtliche Nachprüfung nur noch unwesentlich verzögern könnte.
2. Verneint das Berufungsgericht die Verwirkung des Rechts, die Rechtswirksamkeit der Kündigung des Beklagten als Vorfrage für die geltend gemachten Ansprüche gerichtlich nachprüfen zu lassen, so wird es die Klage sachlich zu bescheiden haben.
Hillebrecht Triebfürst Ascheid
Schulze Wisskirchen
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Vorinstanz: LAG Düsseldorf, 3 Sa 1824/87, 03.05.1988 und 13.02.1990
Vorinstanz: ArbG Wuppertal, 5 Ca 3538/87, 03.12.1987
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> BAG, 23.07.2015 – 6 AZR 490/14