BAG – 1 ABR 15/84

Mitbestimmung bei Kurzarbeit

Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 04.03.1986, 1 ABR 15/84

Leitsätze des Gerichts

Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG bei der Einführung von Kurzarbeit hat auch zum Inhalt, daß der Betriebsrat die Einführung von Kurzarbeit verlangen und gegebenenfalls über einen Spruch der Einigungsstelle erzwingen kann.

Tenor

Die Rechtsbeschwerde des Arbeitgebers gegen den Beschluß des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 24. Januar 1984 – 8 Ta BV 5/83 – wird zurückge­wiesen.

 

Tatbestand

A. Der Arbeitgeber stellt Lastkraftwagen und Omnibusse her und beschäftigt in den Betrieben S und B etwa 5200 Arbeitnehmer.

Beide Werke haben einen gemeinsamen Betriebsrat. Arbeitgeber und Betriebsrat vereinbarten am 19. 5. 1982 in einer Betriebsvereinbarung für die Werke B und S die Einführung von Kurzarbeit in einem näher geregelten Umfange. Durch eine weitere Betriebsvereinbarung vom 9. 8. 1982 wurde Kurzarbeit auch für die Monate September und Oktober vereinbart. In Ergänzungen zu dieser Betriebsvereinbarung wurde später für das erste Halbjahr 1983 für weitere 48 Tage Kurzarbeit vereinbart.

Am 27. 10. 1982 teilte der Arbeitgeber dem Betriebsrat mit, daß etwa 250 Arbeitnehmer entlassen werden müßten. Die er­forderliche Massenentlassungsanzeige an das Arbeitsamt wurde er­stattet. Das Landesarbeitsamt kürzte die Sperrfrist ab, bat aber mit einem Schreiben vom 2. Dezember 1982 den Arbeitgeber, mit Rücksicht auf die örtliche außergewöhnlich hohe Arbeitslosigkeit zu prüfen, ob Entlassungen nicht durch weitere Kurzarbeit zu vermeiden seien.

Der Arbeitgeber hat in der Folgezeit mit 158 Arbeitnehmern Aufhebungsverträge unter Zahlung einer Abfindung geschlossen und den restlichen Arbeitnehmern zum 12. bzw. 31. 12. 1982 gekündigt.

Im November 1982 bat der Arbeitgeber den Betriebsrat um die Zustimmung zur Verlegung einiger der für das erste Halbjahr 1983 vereinbarten Kurzarbeitstage. Der Betriebsrat lehnte am 3. 12. 1982 eine solche Verlegung ab und verlangte die Einführung weiterer Kurzarbeitstage, um die geplanten Entlassungen zu vermeiden. Als dies der Arbeitgeber ablehnte, rief der Betriebsrat die tarifliche Schlichtungsstelle nach § 3 des Manteltarifvertrages für die gewerblichen Arbeitnehmer in der niedersächsischen Metallindustrie vom 14. 12. 1981 (im folgenden: MTV) an. Diese beschloß am 22. 12. 1982 zusätzliche Kurzarbeitstage für die Beschäftigten der Werke B und S am 20. 1., 17. 2. und 28. bis 31. 3. 1983.

§ 3 MTV lautet auszugsweise wie folgt:

1. Kurzarbeit unter den Voraussetzungen der Bestimmungen des Arbeitsförderungsgeset­
zes (AFG) kann durch Betriebsvereinbarung eingeführt werden. Die Einführung der
Kurzarbeit bedarf einer Ankündigungsfrist von 2 Wochen…

2. Kommt es innerhalb von fünf Arbeitstagen nach dem Verlangen einer Betriebsvereinbarung über die Einführung von Kurzarbeit nicht zu einer solchen Vereinbarung, so entschei­det eine tarifliche Schlichtungsstelle…

3. Die Schlichtungsstelle besteht…

4. Die Schlichtungsstelle hat innerhalb ei­ner Woche nach ihrer Anrufung eine Ent­scheidung zu fällen… Der Spruch der Schlichtungsstelle ist verbindlich. Zwi­schen der Entscheidung der Schlichtungs­stelle und der Einführung der Kurzarbeit muß eine Frist von einer Woche… liegen.

5. Setzt die Kurzarbeit nicht innerhalb von vier Wochen nach dem festgelegten Zeitpunkt
des Beginns ein oder wird sie durch eine mindestens vier Wochen andauernde Vollarbeit
unterbrochen, so ist sie erneut zu verein­baren .

6. Wird das Arbeitsverhältnis vor Einführung der Kurzarbeit gekündigt, so hat der Ar­beitnehmer für die Dauer seiner Kündi­gungsfrist Anspruch auf den Verdienst der
regelmäßigen Arbeitszeit. Auf Verlangen muß in diesem Fall die volle Arbeitszeit geleistet werden.

 

Der Arbeitgeber ist der Ansicht, der Betriebsrat könne die Einführung von Kurzarbeit nicht verlangen. Er hat das vorliegende Verfahren anhängig gemacht und zunächst beantragt,

1. den Beschluß der tariflichen Schlichtungsstelle vom 22. 12. 1982 aufzuheben,

2. hilfsweise festzustellen, daß dem Betriebsrat kein Initiativrecht zur Einführung von Kurzarbeit zusteht,

3. hilfsweise festzustellen, daß er aufgrund des Beschlusses der tariflichen Schlichtungsstelle vom 22. 12. 1982 zur Durchführung der darin vorgesehenen Kurzarbeit nicht verpflichtet ist.

Das Arbeitsgericht hat den Spruch der Schlichtungsstelle aufgehoben. Auf die Beschwerde des Arbeitgebers hat das Landes­arbeitsgericht den Hauptantrag und zweiten Hilfsantrag als un­zulässig, den ersten Hilfsantrag als unbegründet abgewiesen. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Arbeitgeber lediglich seinen Feststellungsantrag weiter, daß dem Betriebsrat zur Einführung von Kurzarbeit kein Initiativrecht zustehe, nach dem die Einführung von Kurzarbeit an den durch den Spruch der Schlichtungsstelle festgelegten Tagen durch Zeitablauf überholt ist. Die Rechtsbeschwerde hatte keinen Erfolg.

B. Die Rechtsbeschwerde des Arbeitgebers ist nicht begründet. Der Betriebsrat kann die Einführung von Kurzarbeit verlangen.

I. Gegen die Zulässigkeit des Antrages bestehen keine Bedenken.

1. Der Antrag ist ausreichend bestimmt. Zwar ist dem Betriebs­rat zuzugeben, daß mit dem im Antrag angesprochenen „Initiativ­recht zur Einführung von Kurzarbeit“ das Antragsbegehren nicht eindeutig umschrieben wird. Der Antrag ist jedoch unter Berück­
sichtigung der dem Verfahren zugrunde liegenden Vorgänge und des zur Entscheidung gestellten Streitstoffes der Auslegung fähig. Danach begehrt der Arbeitgeber allein die Feststellung, daß der Betriebsrat nicht berechtigt ist, gegen den Willen des Arbeitge­
bers die Einführung von Kurzarbeit zu verlangen und zur Durch­setzung dieses Verlangens über einen verbindlichen Spruch der Einigungsstelle diese anzurufen. Nur dieses Recht hat der Be­triebsrat in Anspruch genommen, als er die tarifliche Schlich­tungsstelle angerufen hat. Nur über die Wirksamkeit des Spruchs der tariflichen Schlichtungsstelle, der gegen den Willen des Ar­beitgebers für sechs weitere Tage Kurzarbeit beschloß, haben die Beteiligten zunächst in der Hauptsache gestritten. Zu entscheiden ist daher allein über die Frage, ob der Betriebsrat künftig gegen den Willen des Arbeitgebers die Einführung von Kurzarbeit ver­langen und notfalls über einen Spruch der Einigungs- bzw. ta­riflichen Schlichtungsstelle erzwingen kann. Zur Beurteilung dieser Rechtsfrage kommt es nicht darauf an, ob das Verlangen nach weiteren Kurzarbeitstagen im Dezember 1982 zulässig war und ob für weitere Kurzarbeitstage die Voraussetzungen nach § 3 Abs. 1 MTV vorliegen.

2. Für diesen Antrag ist das erforderliche Feststellungsinteresse gegeben. Der Betriebsrat berühmt sieh eines solchen Rechts auch für zukünftige Fälle. Daß gleichgelagerte Situationen auch in Zukunft immer wieder auftreten können, liegt auf der Hand. Die
erbetene Entscheidung ist geeignet, den insoweit bestehenden Streit zwischen den Beteiligten für diese künftigen Fälle zu be­frieden.

II. Der Antrag des Arbeitgebers ist nicht begründet.

1. Nach § 87 I Nr. 3 BetrVG hat der Betriebsrat mitzubestimmen bei der vorübergehenden Verkürzung der betriebsüblichen Arbeitszeit. Das gilt jedoch nur, soweit keine tarifliche Regelung besteht. § 3 MTV enthält eine solche Regelung. Hier wird im einzelnen bestimmt, unter welchen Voraussetzungen Kurzarbeit eingeführt werden kann und wie der Betriebsrat zu beteiligen ist.

Das ist eine in sich geschlossene und aus sich heraus anwendbare Regelung. Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats bestimmen sich daher – jedenfalls zumeist – allein nach § 3 MTV.

2. a) Nach § 3 Abs. 1 MTV setzt die Einführung von Kurzarbeit den Abschluß einer Betriebsvereinbarung voraus. Kommt es nicht zu einer solchen Vereinbarung, so entscheidet nach § 3 Abs. 2 MTV die tarifliche Schlichtungsstelle, deren Spruch nach §
3 Abs. 4 Satz 3 MTV verbindlich ist. Dabei wächst die Entscheidungskompe­tenz der tariflichen Schlichtungsstelle schon dann zu, wenn es innerhalb von fünf Arbeitstagen nach dem Verlangen einer Be­triebsvereinbarung nicht zu einer Einigung zwischen den Be­triebspartnern kommt.

b) Nicht ausdrücklich geregelt ist, auf wessen Verlangen hin eine Betriebsvereinbarung über die Einführung von Kurzarbeit ab­zuschließen ist, ob nur der Arbeitgeber oder auch der Betriebsrat eine solche Betriebsvereinbarung verlangen kann. Der Wortlaut der
Tarifnorm enthält keine Einschränkung. Danach können sowohl Ar­beitgeber als auch Betriebsrat eine solche Betriebsvereinbarung verlangen. Zum gleichen Ergebnis führt ein Vergleich mit der Re­gelung, die die Beteiligung des Betriebsrats bei Mehr-, Nacht-,
Sonn- und,Feiertagsarbeit in § 4 MTV gefunden hat. Nach Abs. 1 dieser Vorschrift kann bei regelmäßiger Schichtarbeit eine Ver­schiebung des Zeitraums der Nacht-, Sonn- und Feierbagsärbeit entsprechend den Schichtzeiten „mit Zustimmung des Betriebsrats“
vereinbart werden. Nach Abs. 2 kann in Betrieben oder Betriebs­abteilungen mit einer geringeren regelmäßigen Wochenarbeitszeit diese bis zu 40 Stunden in der Woche „mit Zustimmung des Be­triebsrats“ verlängert werden. Nach Abs. 6 kann Mehrarbeit „mit
Zustimmung des Betriebsrats“ durchgeführt werden. Diese Bestim­mungen machen deutlich, daß in den dort geregelten Fällen das Verlangen nach einer Einigung mit dem Betriebsrat nur vom Ar­beitgeber ausgehen kann. Nur wenn der’Arbeitgeber den Zeitraum
der Nacht- und Sohntagsarbeit verschieben, die Arbeitszeit ver­längern oder Mehrarbeit durchführen will, bedarf eh der Zustim­mung des Betriebsrats.

Die Regelung bei der Einführung von Kurzarbeit in § 3 MTV ist anders ausgestaltet. Im Gegensatz zu § 4 MTV wird nicht be­stimmt, daß die Einführung von Kurzarbeit der „Zustimmung des Betriebsrats“ bedarf. Erforderlich ist vielmehr der Abschluß einer Betriebsvereinbarung, die „verlangt“ werden muß, wobei dieses Verlangen in einem geregelten Verfahren durchzusetzen ist. Dies läßt sich nicht damit erklären, daß bei der Einführung von Kurz­arbeit Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit neu festgelegt
oder die verkürzte Arbeitszeit auf weniger Tage der Woche ver­teilt werden müssen und daß dafür eine Betriebsvereinbarung er­forderlich ist. Beginn und Ende der regelmäßigen täglichen Ar­beitszeit und die Verteilung der Arbeitszeit innerhalb der Woche
und auf die Wochentage ist schon in § 2 Abs. 6 MTV geregelt.
Diese Fragen sind mit dem Betriebsrat zu vereinbaren. Der Be­gründung eines solchen Mitbestimmungsrechts durch das Erfordernis einer Betriebsvereinbarung bei der Einführung von Kurzarbeit be­durfte es daher nicht.

Damit wird deutlich, daß die Tarifvertragsparteien in § 3 und § 4 MTV unterschiedlich ausgestaltete Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats geregelt haben. Dieser Unterschied kann nur darin liegen, daß das in § 4 MTV geregelte Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats immer erst dann eingreift, wenn der Arbeitgeber eine Maßnahme plant, während in § 3 MTV eine vom Arbeitgeber ge­plante Maßnahme, nämlich die Einführung von Kurzarbeit, nicht Voraussetzung dafür ist, daß der Betriebsrat Mitbestimmungsrechte
wahrnehmen kann. Hätten dem Betriebsrat Mitbestimmungsrechte auch bei der Einführung von Kurzarbeit nur dann eingeräumt werden sollen, wenn der Arbeitgeber Kürzarbeit einführen will, hätte nichts näher gelegen als auch in § 3 MTV ebenso wie in § 4 MTV zu bestimmen, daß die Einführung von Kurzarbeit der Zustimmung des Betriebsrats bedarf. Auch diese Zustimmung hätte durch einen Spruch der tariflichen Schlichtungsstelle ersetzt werden können, die im gleichen Verfahren und innerhalb der gleichen Zeit ver­bindlich hätte entscheiden können, ob und unter welchen Vor­aussetzungen der Arbeitgeber Kurzarbeit einführen darf. Der Um­stand, daß es den Tarifvertragsparteien geboten erschien, durch eine ausdrückliche Verfahrensregelung sicherzustellen, daß über die Einführung von Kurzarbeit innerhalb kurzer Zeit eine mitbe­
stimmte Entscheidung ergehen kann, vermag daher die unterschied­liche Ausgestaltung des Mitbestimmungsrechts bei der Einführung von Kurzarbeit in § 3 MTV nicht zu erklären. Die von § 4 MTV ab­weichende Regelung der Beteiligung des Betriebsrats bei der Ein­führung von Kurzarbeit in § 3 MTV ist vielmehr nur dann ver­ständlich, wenn das „Verlangen einer Betriebsvereinbarung über die Einführung von Kurzarbeit“ auch vom Betriebsrat ausgehen kann, der Betriebsrat also die Einführung von Kurzarbeit soll
verlangen können.

c) Dem steht die Regelung in § 3 Abs. 5 MTV nicht entgegen.
Wenn hier bestimmt ist, daß Kurzarbeit, die nicht innerhalb von vier Wochen nach dem festgelegten Zeitpunkt ihres Beginns ein­setzt oder die durch mindestens vier Wochen andauernde Vollarbeit unterbrochen wird, erneut zu vereinbaren ist, so soll damit nur
sichergestellt werden, daß über die Notwendigkeit von Kurzarbeit jeweils auf der Grundlage der gegenwärtigen oder kurzfristig zu übersehenden Situation entschieden wird. Es soll nicht Kurzarbeit gewissermaßen auf Vorrat vereinbart werden können. Nicht aber ist dieser Bestimmung zu entnehmen, daß der Arbeitgeber ohnehin nicht
verpflichtet sein soll, eine durch Betriebsvereinbarung vereinbarte oder durch Spruch der Schlichtungsstelle festgelegte Kurz­arbeit auch tatsächlich durchzuführen, was einem auch über einen Spruch der Schlichtungsstelle durchgesetzten Verlangen des Be­triebsrats nach Einführung von Kurzarbeit jede Bedeutung nehmen würde. Ob eine vereinbarte oder beschlossene Kurzarbeit entgegen der getroffenen Vereinbarung oder dem Spruch der Schlichtungs­stelle nicht durchgeführt wird, ist vielmehr unabhängig davon von
den Betriebspartnern zu vereinbaren. Das gibt selbst dann einen Sinn, wenn die Kurzarbeit auf Verlangen des Arbeitgebers hin vereinbart worden ist. Die in der Betriebsvereinbarung liegende Zustimmung des Betriebsrats zur Einführung von Kurzarbeit verlöre ihre Grundlage, wenn etwa der Arbeitgeber die Kurzarbeit vorzei­
tig beenden und Arbeitnehmer entlassen könnte, deren Entlassung mit der vereinbarten und teilweise schon verfahrenen Kurzarbeit gerade vermieden werden sollte.

Damit kann der Betriebsrat nach der in § 3 I, II MTV getroffenen Regelung die Einführung von Kurzarbeit verlangen und, wenn es nicht zu der dafür notwendigen Betriebsvereinbarung kommt, die tarifliche Schlichtungsstelle anrufen.

3. Durch diese tarifliche Regelung werden dem Betriebsrat keine weitergehenden Mitbestimmungsrechte eingeräumt, als sie ihm nach dem Betriebsverfassungsgesetz zukommen. Auch nach § 87 I Nr. 3 BetrVG kann der Betriebsrat die Einführung von Kurzarbeit verlangen. Es bedarf daher nicht der Entscheidung, ob Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats nach § 87 I BetrVG durch Tarifvertrag erweitert werden können. Die Frage, ob auch der Betriebsrat die Einführung von Kurzarbeit verlangen kann, betrifft die Frage nach dem Bestehen und dem Inhalt eines Initiativrechts des Betriebsrats.

a) Der Senat hat schon in seiner Entscheidung vom 14. 11. 1974 (AP § 87 BetrVG 1972 Nr. 1) ausgesprochen, daß ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 I BetrVG grundsätzlich auch ein Initiativrecht des Betriebsrats einschließt. Mitbestimmung bedeutet gleiche Rechte für beide Teile mit der Folge, daß sowohl der Arbeitgeber als auch der Betriebsrat die Initiative für eine erstrebte Regelung ergreifen und zu deren Herbeiführung erforderlichenfalls die Einigungsstelle anrufen können. Er hat daran in seiner Entscheidung vom 31. 8. 1982 (BAGE 40, 107 = AP § 87 BetrVG 1972 – Arbeitszeit – Nr. 8) festgehalten. Auch im Schrifttum wird weitgehend die Ansicht vertreten, daß das Initiativrecht des Betriebsrats dem Inhalt des Mitbestimmungsrechts entspricht (Dietz-Richardi, BetrVG, 6. Aufl., § 87 Rdnr. 51; Fitting-Auffarth-Kaiser, BetrVG, 14. Aufl., § 87 Rdnr. 26; Galperin-Löwisch, BetrVG, 6. Aufl., § 87 Rdnr. 26; Stege-Weinspach, BetrVG, 5. Aufl., § 87 Rdnrn. 19 f.).

b) Grenzen des Mitbestimmungsrechts und damit auch des Initiativrechts bei der Einführung von Kurzarbeit lassen sich dem Wortlaut der Vorschrift des § 87 I Nr. 3 BetrVG nicht entnehmen. Danach hat der Betriebsrat mitzubestimmen bei der vorübergehenden Verkürzung der betriebsüblichen Arbeitszeit, was der Einführung von Kurzarbeit entspricht. Daß lediglich die Einführung von Kurzarbeit durch den Arbeitgeber mitbestimmungspflichtig ist, ist damit nicht gesagt. Nach dem Wortlaut der Vorschrift ist jede Einführung von Kurzarbeit mitbestimmungspflichtig.

Dafür sprechen auch Vorstellungen und Erwägungen, die im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens erkennbar geworden sind. Der Entwurf der CDU/CSU-Fraktion für ein Betriebsverfassungsgesetz (BT-Dr VI/1806) sah in den §§ 29 und 30 unterschiedlich ausgestaltete Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats in sozialen Angelegenheiten vor. Hinsichtlich der in § 29 genannten Angelegenheiten hieß es, daß diese nur von Arbeitgeber und Betriebsrat gemeinsam geregelt werden können. Sofern eine Übereinstimmung nicht zu erzielen ist, sollte die Einigungsstelle verbindlich entscheiden. Zu diesen Angelegenheiten gehörte ausdrücklich auch die „Festsetzung von Kurz-, Mehr- und Schichtarbeit“. Die in § 30 erwähnten Angelegenheiten sollten nur mit vorheriger Zustimmung des Betriebsrats durchgeführt werden können. Sofern der Betriebsrat innerhalb einer bestimmten Frist seine Zustimmung unter Angabe von Gründen schriftlich verweigerte, sollte der Arbeitgeber die Einigungsstelle zur Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats anrufen können. Dieser Vorschlag ist im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung verworfen worden. In dessen Bericht (BT-Dr zu VI/2729, S. 4 und 29) heißt es insoweit: „Allerdings sprach sich die Mehrheit gegen die im CDU/CSU-Entwurf vorgesehene Aufteilung der sozialen Angelegenheiten aus, die zwischen solchen, in denen der Betriebsrat ein echtes Mitbestimmungsrecht, d. h. auch ein eigenes Initiativrecht hat, und solchen, die ausschließlich von der Initiative des Arbeitgebers abhängen und lediglich der Zustimmung des Betriebsrates bedürfen, unterscheidet … Sie sah in dieser Aufspaltung eine sachlich nicht gebotene Einschränkung des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrates“ und „der Antrag der CDU/CSU, § 87 durch die entsprechenden Vorschriften ihres Entwurfs (§§ 28 bis 30) zu ersetzen, wurde mit den Stimmen der Mehrheit insbesondere wegen der andersartigen strukturellen Gestaltung der Beteiligungsrechte des Betriebsrates abgelehnt“. § 87 ist in der Fassung der Ausschußvorlage Gesetz geworden.

Damit sollte nach dem Willen des Gesetzgebers auch das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 I Nr. 3 BetrVG bei der Einführung von Kurzarbeit nicht „von der Initiative des Arbeitgebers abhängen, der Betriebsrat sollte vielmehr auch ein „eigenes Initiativrecht“ haben.

c) Die Anerkennung eines Initiativrechts des Betriebsrats bei der Einführung von Kurzarbeit besagt nicht zwingend, daß dieses zum Inhalt haben muß, daß der Betriebsrat die Einführung von Kurzarbeit auch gegen den Willen des Arbeitgebers verlangen kann. Ein Initiativrecht bei der Einführung von Kurzarbeit kann auch nur weniger weitgehende Rechte des Betriebsrats zum Inhalt haben. So kann damit gemeint sein, daß der Betriebsrat von sich aus eine Regelung der Kurzarbeit für den Fall soll verlangen können, daß der Arbeitgeber diese einführen will. Es kann zum Inhalt haben, daß der Betriebsrat bei vom Arbeitgeber gewünschter Kurzarbeit berechtigt ist, selbst die Einigungsstelle anzurufen, um alsbald zu einer verbindlichen Regelung zu kommen. Eine solche Einschränkung des Initiativrechts des Betriebsrates bedarf jedoch einer besonderen Rechtfertigung.

d) Soweit in der Literatur eine solche Beschränkung des Initiativrechts befürwortet wird (Wiese, GK-BetrVG, 3. Bearb., § 87 Rdnrn. 8, 157 m. w. Nachw.; Wiese, Das InitiativR nach dem Betriebsverfassungsgesetz, S. 39), geschieht dies aus der Erwägung heraus, daß durch Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats nicht in die unternehmerische Entscheidungsfreiheit eingegriffen werden dürfe. Der Senat hat jedoch in seiner schon genannten Entscheidung vom 31. 8. 1982 (BAGE 40, 107 = AP § 87 BetrVG 1972 – Arbeitszeit – Nr. 8) ausgesprochen, daß Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats nicht unter dem allgemeinen Vorbehalt stehen, daß durch sie nicht in die unternehmerische Entscheidungsfreiheit eingegriffen werden dürfe. Er hat daraus hergeleitet, daß eine Beschränkung des Initiativrechts aus diesem Grunde nicht in Betracht komme. Das BVerfG hat bestätigt, daß damit Grundrechte des Arbeitgebers nicht verletzt werden (NZA 1986, 199 = DB 1986 486). Der Senat hält daher an dieser Entscheidung fest. Grenzen eines Mitbestimmungsrechts und damit auch des Initiativrechts des Betriebsrats können sich nur aus dem Mitbestimmungstatbestand selbst, aus anderen gesetzlichen Vorschriften sowie aus der Systematik und dem Sinnzusammenhang des Betriebsverfassungsgesetzes ergeben. Solche Grenzen bestehen jedoch nicht.

e) Eine Betrachtung von Sinn und Zweck des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats bei der Einführung von Kurzarbeit ergibt nicht, daß dem Betriebsrat versagt sein soll, selbst die Einführung von Kurzarbeit zu verlangen. Kurzarbeit ist – selbst wenn Kurzarbeitergeld gewährt wird – notwendig mit einer Minderung des Arbeitsentgelts verbunden. Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats dient daher dem Schutz des Arbeitnehmers vor einer nicht gerechtfertigten Minderung seines Entgeltanspruchs. Das gilt auch dann, wenn der Arbeitgeber aufgrund einer einzelvertraglichen oder tarifvertraglichen Regelung an sich berechtigt ist, Kurzarbeit einzuführen. Wollte man allein auf diesen Schutzzweck abstellen, wäre mit dem Sinn und Zweck dieses Mitbestimmungsrechts nicht zu vereinbaren, wenn der Betriebsrat die Einführung von Kurzarbeit verlangen könnte. Er würde selbst die Gefahr heraufbeschwören, vor der er die Arbeitnehmer bewahren soll. Eine solche Betrachtungsweise ist jedoch zu eng. Kurzarbeit dient immer auch der Sicherung und Erhaltung der bestehenden Arbeitsverhältnisse. Der Arbeitgeber, der infolge Auftragsmangels seine Arbeitnehmer nicht mehr voll beschäftigen kann, müßte und könnte Arbeitsverhältnisse betriebsbedingt kündigen. Das widerspricht sowohl dem Interesse der Arbeitnehmer am Fortbestand ihrer Arbeitsverhältnisse als auch dem Interesse des Arbeitgebers an der Erhaltung einer eingearbeiteten und miteinander und mit dem Betrieb verbundenen Belegschaft. Die Einführung von Kurzarbeit kommt diesen Interessen sowohl der Arbeitnehmer als auch des Arbeitgebers entgegen. Das macht auch § 63 I 1 AFG deutlich, wonach Kurzarbeitergeld dann gewährt werden kann, wenn durch die Kurzarbeit den Arbeitnehmern die Arbeitsplätze und dem Betrieb die eingearbeiteten Arbeitnehmer erhalten werden können.

Dient damit Kurzarbeit trotz der damit verbundenen Lohnminderung auch dem Interesse der Arbeitnehmer an der Erhaltung ihrer Arbeitsplätze (vgl. auch BSGE 46, 218), so kann der Zweck des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats bei der Einführung von Kurzarbeit nicht lediglich auf den Schutz der Arbeitnehmer vor Entgeltminderungen beschränkt sein. Inhalt dieses Mitbestimmungsrechts ist vielmehr auch der Schutz der Arbeitnehmer vor drohenden Entlassungen. Eine mit dem Betriebsrat zu vereinbarende Regelung über die Einführung von Kurzarbeit oder ein entsprechender Spruch der Einigungsstelle kann daher bei angemessener Berücksichtigung der Belange des Betriebes und der betroffenen Arbeitnehmer i. S. von § 76 V 3 BetrVG nicht nur das Interesse der Arbeitnehmer an der Erhaltung ihrer Entgeltansprüche und das Interesse des Arbeitgebers, von Lohnansprüchen nach § 615 BGB befreit zu werden, gegeneinander abwägen. In die Interessenabwägung muß vielmehr auch einbezogen werden, ob und in welchem Umfang durch die Einführung von Kurzarbeit Arbeitsverhältnisse ganz oder wenigstens für eine weitere Zeit erhalten werden können. Die Tatsache, daß notwendige betriebsbedingte Kündigungen vermieden oder hinausgeschoben werden können, kann es unter Umständen allein rechtfertigen, daß Kurzarbeit eingeführt wird und damit die Entgeltansprüche der Arbeitnehmer gemindert werden.

Hat damit das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei der Einführung von Kurzarbeit auch den Schutz der Arbeitnehmer vor notwendig werdenden betriebsbedingten Entlassungen zum Inhalt, so folgt daraus, daß das in diesem Mitbestimmungsrecht enthaltene Initiativrecht auch das Recht des Betriebsrats beinhalten muß, die Einführung von Kurzarbeit verlangen zu können, um so den Schutz der Arbeitsverhältnisse vor möglichen Kündigungen wirksam werden zu lassen. Wollte man dem Betriebsrat dieses Recht versagen, müßte es ihm auch bei einer vom Arbeitgeber ausgehenden Einführung von Kurzarbeit verwehrt sein, hinsichtlich der Dauer und des Umfangs der Kurzarbeit im Hinblick auf einen noch besseren Schutz der Arbeitnehmer vor Entlassungen andere Vorstellungen zu entwickeln und diese in der Einigungsstelle zum Spruch zu stellen. Er wäre darauf beschränkt, gerade der vom Arbeitgeber geplanten Kurzarbeit zuzustimmen oder diese abzulehnen, weil das den Arbeitnehmern mit der Minderung ihres Arbeitsentgelts zugemutete Opfer im Vergleich zu der damit erreichten Sicherung von Arbeitsverhältnissen nicht angemessen ist. Auch die Einigungsstelle könnte keine andere Entscheidung treffen. Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei der Einführung von Kurzarbeit wäre auf ein bloßes Zustimmungsrecht reduziert.

f) Dem steht nicht entgegen, daß Beteiligungsrechte des Betriebsrats, die dem Bestandsschutz der Arbeitsverhältnisse dienen, an anderer Stelle des Betriebsverfassungsgesetzes geregelt und nur schwach ausgestaltet sind:

aa) Soweit Entlassungen in einem Ausmaß erfolgen, daß sie eine Betriebseinschränkung durch Personalabbau darstellen, ist der Betriebsrat nach Maßgabe der §§ 111 ff. BetrVG zu beteiligen. Nach dem Inhalt dieser Beteiligungsrechte hat der Betriebsrat keine Möglichkeit, die Entlassungen letztlich zu verhindern. Der Arbeitgeber hat lediglich den Versuch eines Interessenausgleichs zu unternehmen. Dieser kann zwar zum Inhalt haben, daß geplante Entlassungen hinausgeschoben werden und zwischenzeitlich kurzgearbeitet wird, eine solche Regelung ist aber nach § 112 BetrVG nicht erzwingbar. Einigen sich die Betriebspartner nicht, so ist der Arbeitgeber frei, die geplante Betriebsänderung, d. h. den Personalabbau, durchzuführen. Der Betriebsrat kann lediglich einen Sozialplan verlangen.

Kann der Betriebsrat nach § 87 I Nr. 3 BetrVG die Einführung von Kurzarbeit verlangen und diese gegebenenfalls durch einen Spruch der Einigungsstelle erzwingen, so bedeutet dies, daß er den Arbeitgeber zwingen kann, eine geplante Betriebsänderung nicht oder nicht in der geplanten Weise durchzuführen. Das schließt jedoch ein solches Initiativrecht des Betriebsrats nicht aus. Der Senat hat in der schon genannten Entscheidung vom 31. 8. 1982 (BAGE 40, 197 = AP § 87 BetrVG 1972 – Arbeitszeit – Nr. 8) ausführlich begründet, daß durch das Betriebsverfassungsgesetz begründete Mitbestimmungsrechte nicht deswegen ausgeschlossen oder eingeschränkt sind, weil durch ihre Wahrnehmung Daten gesetzt werden, die die unternehmerische Entscheidungsfreiheit, seinen Betrieb nicht, nicht so oder auf andere Weise zu ändern, beschränken. Das gilt auch für den vorliegenden Fall. Der Umstand, daß ein Interessenausgleich über eine Betriebsänderung nicht erzwingbar ist, besagt damit nicht, daß ein Recht des Betriebsrats, die Einführung von Kurzarbeit verlangen zu können, nach der Systematik des Betriebsverfassungsgesetzes ausgeschlossen sein muß.

bb) Nach § 102 BetrVG ist der Betriebsrat vor Kündigungen lediglich anzuhören. Er kann Kündigungen aus bestimmten Gründen widersprechen, ohne sie letztlich verhindern zu können. Dieses Beteiligungsrecht greift erst dann ein, wenn der Arbeitgeber eine Kündigung beabsichtigt. Daß dann der Betriebsrat nur anzuhören ist, besagt aber nicht, daß das in § 87 I Nr. 3 BetrVG geregelte Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats und dessen Initiativrecht deswegen eingeschränkt werden muß, weil ohne eine solche Beschränkung der Betriebsrat in der Lage ist, eine Situation zu schaffen, die die Notwendigkeit beabsichtigter Kündigungen entfallen läßt.

g) Mit der Entscheidung, daß der Betriebsrat auch die Einführung von Kurzarbeit verlangen kann, setzt sich der Senat nicht in Widerspruch zur Rechtsprechung des 2. Senats hinsichtlich der Betriebsbedingtheit einer Kündigung. Diese Rechtsprechung geht dahin, daß bei einer betriebsbedingten Kündigung das Arbeitsgericht die organisatorischen oder technischen Maßnahmen des Arbeitgebers zurEinsparung von Arbeitsplätzen nicht auf ihre Notwendigkeit oder Zweckmäßigkeit zu prüfen habe, diese Maßnahmen vielmehr nur einer Mißbrauchskontrolle unterliegen (vgl. BAGE 32, 150 = AP § 1 KSchG 1969 – Betriebsbedingte Kündigung – Nr. 8). Damit unterliegt der Prüfung des Arbeitsgerichts auch nicht die Frage, ob eine ausgesprochene Kündigung durch die Anordnung von Kurzarbeit hätte vermieden werden können. Wenn damit die Entscheidung des Arbeitgebers, Kurzarbeit einzuführen oder nicht, auch im Kündigungsschutzprozeß keiner gerichtlichen Kontrolle unterliegt, so besagt dies nicht, daß auch die Entscheidung, keine Kurzarbeit einzuführen, mitbestimmungsfrei bleiben muß. Ob zur Vermeidung von Entlassungen Kurzarbeit eingeführt werden soll oder nicht, unterliegt der Entscheidung letztlich beider Betriebspartner. Verlangt der Betriebsrat trotz seines dahingehenden Initiativrechts nicht die Einführung von Kurzarbeit, ist es erst recht gerechtfertigt, bei der Prüfung der Betriebsbedingtheit einer ausgesprochenen Kündigung nicht darauf abzustellen, ob diese durch die Einführung von Kurzarbeit hätte vermieden werden können.

 

 


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