Zuschlag für Dauernachtarbeit von Zeitungszustellern
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 10.11.2021, 10 AZR 277/20
Tenor
- Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 27. November 2019 – 6 Sa 911/19 – teilweise aufgehoben.
- Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Herford vom 5. Juni 2019 – 2 Ca 64/19 – unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen im Entscheidungsausspruch zu 1. im ersten Spiegelstrich berichtigt und teilweise abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 323,84 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 208,38 Euro brutto seit dem 16. Dezember 2018 und aus weiteren 115,46 Euro brutto seit dem 18. Dezember 2018 zu zahlen. - Im Übrigen wird die Revision der Beklagten zurückgewiesen.
- Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten über die Höhe angemessener Nachtarbeitszuschläge nach § 6 Abs. 5 ArbZG.
2
Die Beklagte ist eine in der Rechtsform einer GmbH betriebene Zeitungsvertriebs- und Servicegesellschaft. Sie gehört zu der Unternehmensgruppe W. Der Kläger ist bei der Beklagten seit dem 1. Dezember 2013 als Zeitungszusteller beschäftigt. Auf Anweisung der Beklagten trug er werktags bis spätestens 06:00 Uhr Tageszeitungen aus. Im Zeitraum von September 2018 bis April 2019 arbeitete er regelmäßig an allen Werktagen mehr als zwei Stunden in der Zeit zwischen 00:00 Uhr und 06:00 Uhr.
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Nach dem Arbeitsvertrag vom 17. Dezember 2013 war die Vergütung spätestens am 15. des Folgemonats zahlbar. Darüber hinaus heißt es in diesem Vertrag auszugsweise:
„21. Alle Ansprüche aus dem Arbeitsvertrag und solche, die mit dem Arbeitsverhältnis in Zusammenhang stehen, müssen von beiden Parteien innerhalb von drei Monaten ab Fälligkeit schriftlich geltend gemacht werden. Ansprüche, die nicht innerhalb dieser Frist geltend gemacht werden, verfallen.
Lehnt die Gegenseite den Anspruch ab oder erklärt sie sich nicht schriftlich innerhalb von zwei Wochen nach der Geltendmachung des Anspruchs, verfällt der Anspruch, wenn er nicht binnen drei Monaten nach der Ablehnung oder dem Ablauf der Zweiwochenfrist gerichtlich geltend gemacht wird.“
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Auf der Grundlage eines Nachtrags zum Arbeitsvertrag erhielt der Kläger seit dem 1. Januar 2015 einen Zuschlag für Nachtarbeit in Höhe von 10 % auf seine Bruttostundenvergütung. In einem weiteren Nachtrag vom 5. Dezember 2018 heißt es auszugsweise:
„Alle Ansprüche, die sich aus dem Arbeitsverhältnis ergeben und mit dem Arbeitsverhältnis in Zusammenhang stehen, sind von den Vertragsparteien binnen einer Frist von drei Monaten seit ihrer Fälligkeit in Textform geltend zu machen. Ansprüche, die nicht innerhalb dieser Frist geltend gemacht werden, verfallen.
Lehnt die Gegenseite den Anspruch in Textform ab oder erklärt sie sich nicht innerhalb von zwei Wochen nach Geltendmachung des Anspruchs in Textform, verfällt der Anspruch, wenn er nicht binnen drei Monaten nach der Ablehnung oder dem Ablauf der Zweiwochenfrist gerichtlich geltend gemacht wird.
Ansprüche, die auf strafbaren oder unerlaubten Handlungen, vorsätzlich oder grob fahrlässigen Pflichtverletzungen des Arbeitnehmers oder Arbeitgebers beruhen, unterliegen nicht den o.g. Ausschlussfristen. Ansprüche des Arbeitnehmers auf den jeweils gültigen gesetzlichen Mindestlohn nach dem Mindestlohngesetz unterliegen ebenfalls nicht den o.g. Ausschlussfristen.“
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Mit seiner am 1. Februar 2019 beim Arbeitsgericht eingegangenen und im Verlauf des erstinstanzlichen Verfahrens vier Mal erweiterten Klage begehrt der Kläger einen um 20 Prozentpunkte höheren Nachtarbeitszuschlag. Die rechnerisch unumstrittene Vergütungsdifferenz für die Monate September 2018 bis April 2019 beläuft sich auf zuletzt 874,68 Euro brutto. Die Klageschrift ist der Beklagten am 13. Februar 2019 zugestellt worden. Sie betrifft die Differenzvergütung für die Monate September und Oktober 2018 in Höhe von 208,38 Euro brutto und November 2018 in Höhe von 115,46 Euro brutto. Die vier Klageerweiterungen sind der Beklagten am 5. März, 12. April, 20. Mai und 24. Mai 2019 zugestellt worden. Die erste Klageerweiterung betrifft die Differenzvergütung für die Monate Dezember 2018 und Januar 2019, die anderen drei beziehen sich – sukzessive – auf die Differenzvergütung für die Monate Februar, März und April 2019.
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Der Kläger hat zuletzt beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 874,68 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 323,84 Euro seit dem 16. Dezember 2018, aus 74,54 Euro seit dem 16. Januar 2019, aus 109,68 Euro seit dem 16. Februar 2019, aus 99,98 Euro seit dem 16. März 2019 und aus jeweils 133,32 Euro seit dem 16. April 2019 und dem 16. Mai 2019 zu zahlen.
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Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, die flächendeckende Zustellung von Tageszeitungen in den frühen Morgenstunden sei Gegenstand der grundrechtlich garantierten Medienfreiheit und für die freiheitlich-demokratische Grundordnung unverzichtbar. Für die Verwirklichung ihres Grundrechts aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG sei sie im Klagezeitraum zwingend auf die Nachtarbeit angewiesen gewesen. Der Zeitungsvertrieb sei nicht weniger systemrelevant und für das Gemeinwohl von Bedeutung als beispielsweise die Arbeit von Rettungsdiensten und Feuerwehren. Da allein die mit der ungünstigen Lage der Arbeitszeit verbundene Erschwernis habe ausgeglichen werden können, sei der Nachtarbeitszuschlag von 10 % angemessen.
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Die Erhöhung des Zuschlags um 20 Prozentpunkte gefährde die Medienfreiheit. In diesem Zusammenhang hat die Beklagte behauptet, ihre Unternehmensgruppe habe ebenso wie alle deutschen Tageszeitungsverlage im Streitzeitraum unter erheblichem wirtschaftlichem Druck gestanden. Schon seit Jahren sei ein stetiger und signifikanter Rückgang der Anzeigen- und Beilagenumsätze, der Auflagenzahlen und der Abonnementkunden zu beklagen gewesen. Die Vertriebskosten hätten sich in demselben Zeitraum vor allem durch die Vorgaben des Mindestlohngesetzes überproportional erhöht. Die Unternehmensgruppe W habe im Jahr 2018 einen Verlust in Höhe von knapp 1,6 Mio. Euro ausgewiesen. Eine Erhöhung der Nachtarbeitszuschläge um 20 Prozentpunkte hätte allein durch eine weitere Erhöhung der Abonnementpreise ausgeglichen werden können und zwangsläufig weitere Kündigungen von Abonnements nach sich gezogen. Die Beklagte hat ferner gemeint, die Erhöhung des Nachtarbeitszuschlags auf 30 % stelle einen unverhältnismäßigen Eingriff in ihr Grundrecht aus Art. 12 GG dar.
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Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten gegen das der Klage im Wesentlichen stattgebende Urteil des Arbeitsgerichts zurückgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte weiter das Ziel, dass die Klage insgesamt abgewiesen wird.
Entscheidungsgründe
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Die Revision ist bis auf einen geringen Teil der Zinsforderungen unbegründet. Die Vorinstanzen haben die Beklagte zu Recht dazu verurteilt, höhere Nachtarbeitszuschläge zu zahlen.
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A. Die Klage ist zulässig. Sie ist hinreichend bestimmt.
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I. Bei mehreren im Weg einer objektiven Klagehäufung nach § 260 ZPO in einer Klage verfolgten Ansprüchen muss erkennbar sein, aus welchen Einzelforderungen sich die sog. Gesamtklage zusammensetzt (BAG 14. Juli 2021 – 10 AZR 190/20 – Rn. 47 mwN).
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II. Der Zahlungsantrag ist nach dem Vorbringen des Klägers abschließend auf konkrete Vergütungsdifferenzen für den Zeitraum von September 2018 bis April 2019 gerichtet und nicht nur auf einen Teil hiervon. Die Klage ist dementsprechend als abschließende Gesamtklage zu verstehen (vgl. BAG 27. Juli 2021 – 9 AZR 449/20 – Rn. 13; 12. Dezember 2018 – 5 AZR 588/17 – Rn. 13). Der Kläger hat im Einzelnen dargelegt, aus welchen Forderungen sich die Gesamtklage zusammensetzt.
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B. Die Revision ist überwiegend unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend erkannt, dass für die Arbeitsstunden, die der Kläger im Zeitraum von September 2018 bis April 2019 während der Nachtzeit geleistet hat, ein Zuschlag von insgesamt 30 % auf das Bruttoarbeitsentgelt angemessen ist. Der Zinsanspruch auf die Differenzvergütung für November 2018 besteht erst seit dem 18. Dezember 2018. Soweit das Arbeitsgericht die Beklagte dazu verurteilt hat, an den Kläger für die Monate September bis November 2018 343,84 Euro brutto anstelle von 323,84 Euro brutto zu zahlen, handelt es sich um einen offensichtlichen Schreibfehler. Der Senat hat ihn von Amts wegen berichtigt.
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I. § 6 Abs. 5 ArbZG verpflichtet den Arbeitgeber, soweit eine tarifvertragliche Ausgleichsregelung nicht besteht, dem Nachtarbeitnehmer für die während der Nachtzeit geleisteten Arbeitsstunden eine angemessene Zahl bezahlter freier Tage oder einen angemessenen Zuschlag auf das ihm hierfür zustehende Bruttoarbeitsentgelt zu gewähren.
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1. Wie die Beklagte in dem Parallelrechtsstreit – 10 AZR 256/20 – vor dem Arbeitsgericht zu Protokoll erklärt hat und deshalb als gerichtsbekannt zu werten ist, besteht keine tarifvertragliche Ausgleichsregelung. Der Kläger war im Streitzeitraum Nachtarbeitnehmer iSd. Arbeitszeitgesetzes. Er erbrachte die von ihm arbeitsvertraglich geschuldete Arbeitsleistung ausschließlich während der Nachtzeit iSv. § 2 Abs. 3 Halbs. 1 ArbZG. Da seine Arbeit mehr als zwei Stunden dieser Nachtzeit umfasste, leistete der Kläger Nachtarbeit iSd. Arbeitszeitgesetzes (§ 2 Abs. 4 ArbZG). Die Nachtarbeit versah er an allen Werktagen und damit an mehr als 48 Tagen im Kalenderjahr (§ 2 Abs. 5 Nr. 2 ArbZG).
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2. Die Parteien haben von der Möglichkeit, einen Ausgleich durch Zahlung von Geld zu vereinbaren, in den Nachträgen zum Arbeitsvertrag vom 17. Dezember 2013 Gebrauch gemacht. Die darin vereinbarte Beschränkung der Höhe des Zuschlags auf 10 % ist nach § 134 BGB nichtig, soweit sie gegen § 6 Abs. 5 ArbZG verstößt. § 6 Abs. 5 ArbZG ist zwingendes Recht (vgl. BAG 9. Dezember 2015 – 10 AZR 423/14 – Rn. 19, BAGE 153, 378).
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3. Bei dem Merkmal „angemessen“ in § 6 Abs. 5 ArbZG handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, bei dessen Auslegung die Grundrechte zur Geltung zu bringen sind. Die Grundrechte des Grundgesetzes haben in Rechtsstreitigkeiten zwischen Privaten mittelbare Drittwirkung im Sinn einer Ausstrahlungswirkung. Sie entfalten ihre Wirkung als verfassungsrechtliche Wertentscheidungen und strahlen als „Richtlinien“ in das Zivilrecht ein (BVerfG 11. April 2018 – 1 BvR 3080/09 – Rn. 32, BVerfGE 148, 267; BAG 9. Dezember 2020 – 10 AZR 332/20 (A) – Rn. 52 mwN; 9. Dezember 2020 – 10 AZR 334/20 – Rn. 28). Kollidierende Grundrechtspositionen sind in ihrer Wechselwirkung zu erfassen und nach dem Grundsatz der praktischen Konkordanz so in Ausgleich zu bringen, dass sie für alle Beteiligten möglichst weitgehend wirksam werden (BVerfG 6. November 2019 – 1 BvR 16/13 – Rn. 76 mwN, BVerfGE 152, 152; BAG 9. Dezember 2020 – 10 AZR 332/20 (A) – aaO; 9. Dezember 2020 – 10 AZR 334/20 – aaO; 30. Januar 2019 – 10 AZR 299/18 (A) – Rn. 36, BAGE 165, 233). Die Reichweite der mittelbaren Grundrechtswirkung hängt von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab (BVerfG 11. April 2018 – 1 BvR 3080/09 – Rn. 33, aaO).
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a) Nachtarbeit ist schädlich (BVerfG 28. Januar 1992 – 1 BvR 1025/82 ua. – zu C I 2 a der Gründe, BVerfGE 85, 191; BAG 9. Dezember 2020 – 10 AZR 332/20 (A) – Rn. 37; 9. Dezember 2020 – 10 AZR 334/20 – Rn. 70; 15. Juli 2020 – 10 AZR 123/19 – Rn. 27, BAGE 171, 280; Schlachter/Heinig/Bayreuther Europäisches Arbeits- und Sozialrecht [EnzEuR Bd. 7] 2. Aufl. § 11 Rn. 33; EuArbRK/Gallner 3. Aufl. RL 2003/88/EG Art. 8 Rn. 3 mwN). Sie hat nach gesicherten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen für jeden Menschen negative gesundheitliche Auswirkungen (BVerfG 28. Januar 1992 – 1 BvR 1025/82 ua. – aaO). Durch Arbeit während der Nachtzeit wird die sog. zirkadiane Rhythmik gestört. Zu der sozialen Desynchronisation kommt die physiologische Desynchronisation der Körperfunktionen, die sich typischerweise in Schlafstörungen, Magen-Darm-Beschwerden und kardiovaskulären Beeinträchtigungen äußert (Beermann Nacht- und Schichtarbeit – ein Problem der Vergangenheit? S. 4 f. = https://d-nb.info/992446481/34; Langhoff/Satzer Gutachten zu arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen zu Nachtarbeit und Nachtschichtarbeit S. 26 ff., 37 f.; DGUV Report 1/2012 S. 81 f., 91 ff., 119 ff.). Sekundärstudien deuten darauf hin, dass sich Nachtarbeit auch negativ auf die Psyche auswirkt (vgl. Amlinger-Chatterjee Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt S. 31). Anerkannt ist, dass Nachtarbeit umso schädlicher ist, in je größerem Umfang sie geleistet wird (BAG 9. Dezember 2020 – 10 AZR 332/20 (A) – Rn. 38; 9. Dezember 2020 – 10 AZR 334/20 – Rn. 71; 15. Juli 2020 – 10 AZR 123/19 – aaO mwN; 9. Dezember 2015 – 10 AZR 423/14 – Rn. 17 mwN, BAGE 153, 378; vgl. auch den siebten Erwägungsgrund der Richtlinie 2003/88/EG; Mitteilung der Europäischen Kommission zu Auslegungsfragen in Bezug auf die Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung, ABl. EU C 165 vom 24. Mai 2017 S. 42).
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b) Das Bundesverfassungsgericht hat für den Bereich der Nachtarbeit erkannt, dass der Gesetzgeber verpflichtet ist, den Schutz der Arbeitnehmer vor den schädlichen Folgen der Nachtarbeit zu regeln (BVerfG 28. Januar 1992 – 1 BvR 1025/82 ua. – zu C III 3 der Gründe, BVerfGE 85, 191). Eine solche Regelung war notwendig, um dem objektiven Gehalt der Grundrechte, insbesondere dem Recht auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, zu genügen (BAG 9. Dezember 2020 – 10 AZR 332/20 (A) – Rn. 36 ff.; 9. Dezember 2020 – 10 AZR 334/20 – Rn. 44). Das hohe Gewicht, das der Gesundheit des Einzelnen in der Wertordnung des Grundgesetzes zukommt, zeigt sich daran, dass sich für dieses Rechtsgut aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG Schutzpflichten des Staates ergeben können. Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verpflichtet den Staat, sich schützend und fördernd vor die Rechtsgüter Leben und körperliche Unversehrtheit zu stellen (BVerfG 24. März 2021 – 1 BvR 2656/18 ua. – Rn. 145, BVerfGE 157, 30).
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c) Die Regelungen in § 6 ArbZG dienen in erster Linie dem Schutz des Arbeitnehmers vor den schädlichen Folgen der Nacht- und Schichtarbeit (BT-Drs. 12/5888 S. 21, 25 f.). Nach § 6 Abs. 5 ArbZG sollen Nachtarbeitnehmer einen angemessenen Ausgleich für die mit der Nachtarbeit verbundenen Beeinträchtigungen erhalten, ohne dass der Gesetzgeber Vorgaben zum Umfang des Ausgleichs macht (BT-Drs. 12/5888 S. 22, 26, 52). Soweit § 6 Abs. 5 ArbZG einen Anspruch auf bezahlten Freizeitausgleich begründet, tritt eine gesundheitsschützende Wirkung jedenfalls in den Fällen ein, in denen sich die Dauer der zu erbringenden Arbeitszeit für den Arbeitnehmer durch den bezahlten Freizeitausgleich insgesamt verringert und er zeitnah gewährt wird. Soweit ein Nachtarbeitszuschlag vorgesehen ist, soll er den Arbeitnehmer in einem gewissen Umfang für die erschwerte Teilhabe am sozialen Leben entschädigen (BAG 15. Juli 2020 – 10 AZR 123/19 – Rn. 28 mwN, BAGE 171, 280). Zwischen den Alternativen des Belastungsausgleichs besteht nach der gesetzlichen Regelung kein Rangverhältnis. Der Freizeitausgleich ist nicht vorrangig. Die Angemessenheit des Ausgleichs iSv. § 6 Abs. 5 ArbZG ist für beide Alternativen nach einem einheitlichen Maßstab zu beurteilen. Der Umfang der Ausgleichsverpflichtung hängt nicht davon ab, für welche Art des Ausgleichs sich der Arbeitgeber entscheidet. Vielmehr müssen sich die jeweiligen Leistungen nach ihrem Wert grundsätzlich entsprechen (BAG 15. Juli 2020 – 10 AZR 123/19 – Rn. 29 mwN, aaO, auch zu den abweichenden Auffassungen in der Literatur).
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aa) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts stellt ein Zuschlag in Höhe von 25 % auf das jeweilige Bruttostundenentgelt oder die Gewährung einer entsprechenden Zahl von bezahlten freien Tagen regelmäßig einen angemessenen Ausgleich für geleistete Nachtarbeit iSv. § 6 Abs. 5 ArbZG dar (vgl. BAG 15. Juli 2020 – 10 AZR 123/19 – Rn. 30 mwN, BAGE 171, 280).
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bb) Unter bestimmten Voraussetzungen kann auch ein geringerer als der regelmäßig angemessene Ausgleich den Anforderungen nach § 6 Abs. 5 ArbZG genügen.
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(1) Eine Verringerung des Zuschlags mit der Begründung, dass Nachtarbeit unvermeidbar ist, kann in Betracht kommen, wenn die Nachtarbeit aus zwingenden technischen Gründen oder aus zwingend mit der Art der Tätigkeit verbundenen Gründen bei wertender Betrachtung vor dem Hintergrund des Schutzzwecks des § 6 Abs. 5 ArbZG unvermeidbar ist (BAG 15. Juli 2020 – 10 AZR 123/19 – Rn. 34, BAGE 171, 280; 9. Dezember 2015 – 10 AZR 423/14 – Rn. 29, BAGE 153, 378). Zuletzt ist in der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts einschränkend angenommen worden, dass eine Verminderung des Zuschlags jedenfalls dann möglich ist, wenn überragend wichtige Gründe des Gemeinwohls die Nachtarbeit zwingend erfordern, wie das etwa im Rettungswesen der Fall sein kann (BAG 25. April 2018 – 5 AZR 25/17 – Rn. 56, BAGE 162, 340; kritisch zu diesem Kriterium Polzin SR 2019, 303, 310 f.).
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(2) Ebenso kommt ein geringerer Zuschlag in Betracht, wenn die Belastung durch die Nachtarbeit im Vergleich zu der üblichen Situation geringer ist. Das kann beispielsweise bei der nächtlichen Bereitschaftszeit gegeben sein. Sie ist auch in ihren inaktiven Teilen arbeitsschutzrechtlich Arbeitszeit und keine Ruhezeit (vgl. EuGH 9. September 2021 – C-107/19 – [Dopravní podnik hl. m. Prahy] Rn. 28 f.; 15. Juli 2021 – C-742/19 – [Ministrstvo za obrambo] Rn. 93 ff.; 9. März 2021 – C-344/19 – [Radiotelevizija Slovenija] Rn. 28 ff.; 9. März 2021 – C-580/19 – [Stadt Offenbach am Main] Rn. 29 ff.; grundlegend EuGH 9. September 2003 – C-151/02 – [Jaeger] Rn. 48 ff.; 3. Oktober 2000 – C-303/98 – [Simap] Rn. 48 ff.; BAG 27. Juli 2021 – 9 AZR 448/20 – Rn. 45; 24. Juni 2021 – 5 AZR 505/20 – Rn. 35). Nächtliche Bereitschaftszeiten oder auch Bereitschaftsdienste sind daher nach § 6 Abs. 5 ArbZG ausgleichspflichtig (BAG 15. Juli 2020 – 10 AZR 123/19 – Rn. 33, BAGE 171, 280; Anzinger/Koberski ArbZG 5. Aufl. § 6 Rn. 78a; NK-GA/Wichert § 6 ArbZG Rn. 44). Ein geringerer Zuschlag als 25 % des Bruttoarbeitsentgelts kann gleichwohl wegen des Charakters des Zuschlags als Entgeltbestandteil und finanzieller Ausgleich angemessen sein. Während der nächtlichen Bereitschaftszeit ist typischerweise davon auszugehen, dass es zu inaktiven Zeiten der Entspannung und einer geringeren Arbeitsbelastung kommt (vgl. BAG 25. April 2018 – 5 AZR 25/17 – Rn. 44, BAGE 162, 340; 18. Mai 2011 – 10 AZR 369/10 – Rn. 25). Das Unionsrecht steht dem nicht entgegen. Für die Höhe des Entgelts besteht nach Art. 153 Abs. 5 AEUV keine Rechtsetzungskompetenz der Europäischen Union. Art. 31 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und die Richtlinie 2003/88/EG regeln Fragen des Arbeitsentgelts im Ausgangspunkt deshalb nicht. Die Art und Weise der Vergütung von Bereitschaftszeiten unterliegt vielmehr dem innerstaatlichen Recht. Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats dürfen vorsehen, dass bei der Vergütung einer Bereitschaftszeit Zeiten, in denen tatsächlich Arbeitsleistungen erbracht werden, und Zeiten, in denen keine tatsächliche Arbeit geleistet wird, in unterschiedlicher Weise berücksichtigt werden, selbst wenn diese Zeiten insgesamt als „Arbeitszeit“ für die Zwecke der Anwendung dieser Richtlinie anzusehen sind (vgl. EuGH 9. September 2021 – C-107/19 – [Dopravní podnik hl. m. Prahy] Rn. 42; 9. März 2021 – C-344/19 – [Radiotelevizija Slovenija] Rn. 58; 9. März 2021 – C-580/19 – [Stadt Offenbach am Main] Rn. 57; BAG 15. Juli 2020 – 10 AZR 123/19 – Rn. 55, aaO; 18. März 2020 – 5 AZR 36/19 – Rn. 18, BAGE 170, 172).
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cc) Eine Erhöhung des Regelwerts auf 30 % kommt in Betracht, wenn die Belastung durch die Nachtarbeit unter qualitativen (Art der Tätigkeit) oder quantitativen (Umfang der Nachtarbeit) Gesichtspunkten die gewöhnlich mit der Nachtarbeit verbundene Belastung übersteigt. Ein solcher Fall ist typischerweise bei einer Arbeitsleistung in Dauernachtarbeit gegeben (vgl. BAG 15. Juli 2020 – 10 AZR 123/19 – Rn. 32, BAGE 171, 280; 25. April 2018 – 5 AZR 25/17 – Rn. 50 mwN, BAGE 162, 340; 9. Dezember 2015 – 10 AZR 423/14 – Rn. 28 mwN, BAGE 153, 378; Schaub/Linck ArbR-HdB 19. Aufl. § 69 Rn. 35).
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d) Die allgemeinen Grundsätze zu einer angemessenen Höhe der Zuschläge berücksichtigen hinreichend die Grundrechte des Arbeitgebers aus Art. 12 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG.
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aa) Die Berufsfreiheit der Arbeitgeber aus Art. 12 Abs. 1 GG ist mit dem auf Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG beruhenden Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer in Ausgleich zu bringen.
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(1) Die Berufsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG gewährt allen Deutschen das Recht, den Beruf frei zu wählen und frei auszuüben. Sie umfasst jede Tätigkeit, die auf Dauer angelegt ist und der Schaffung und Aufrechterhaltung einer Lebensgrundlage dient. Das Grundrecht ist nach Art. 19 Abs. 3 GG auch auf juristische Personen anwendbar, soweit sie eine Erwerbszwecken dienende Tätigkeit ausüben, die ihrem Wesen und ihrer Art nach in gleicher Weise einer juristischen wie einer natürlichen Person offensteht. Als Teil der Berufsfreiheit ist damit auch die Vertrags- und Dispositionsfreiheit des Unternehmers geschützt (BVerfG 16. Juli 2012 – 1 BvR 2983/10 – Rn. 14). Das Grundrecht sichert ua. die Teilnahme am Wettbewerb im Rahmen der hierfür aufgestellten rechtlichen Regeln. Es gewährleistet den Arbeitgebern das Recht, die Arbeitsbedingungen mit ihren Arbeitnehmern im Rahmen der Gesetze frei auszuhandeln. Die Vertragsfreiheit wird zwar auch durch das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistet. Ist jedoch die Vertragsfreiheit gerade im Bereich beruflicher Betätigung betroffen, die ihre spezielle Gewährleistung in Art. 12 Abs. 1 GG gefunden hat, scheidet die gegenüber anderen Freiheitsrechten subsidiäre allgemeine Handlungsfreiheit als Prüfungsmaßstab aus (vgl. BVerfG 11. Juli 2006 – 1 BvL 4/00 – Rn. 78, BVerfGE 116, 202). Der Schutz des Art. 12 Abs. 1 GG richtet sich allerdings nicht gegen jedwede auch nur mittelbar wirkende Beeinträchtigung des Berufs. Es genügt nicht, dass eine Rechtsnorm oder ihre Anwendung unter bestimmten Umständen Rückwirkungen auf die Berufstätigkeit entfalten. Da nahezu jede Norm oder deren Anwendung unter bestimmten Voraussetzungen Rückwirkungen auf die Berufstätigkeit haben kann, drohte das Grundrecht sonst, konturlos zu werden (BVerfG 30. Juni 2020 – 1 BvR 1679/17 ua. – Rn. 96 mwN, BVerfGE 155, 238).
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(2) § 6 Abs. 5 ArbZG knüpft tatbestandlich allein an die Beschäftigung während der Nachtzeit an. Ein Zuschlag von bis zu 30 % oder eine entsprechende Zahl freier Tage betrifft grundsätzlich alle wirtschaftlichen Tätigkeiten, die zur Nachtzeit ausgeübt werden. Er berührt die von Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsausübung des Arbeitgebers regelmäßig nicht in einem Umfang, der einer objektiv berufsregelnden Tendenz gleichkäme (vgl. dazu BVerfG 13. Juli 2004 – 1 BvR 1298/94 ua. – zu C I 1 der Gründe, BVerfGE 111, 191). Dieser geringen Betroffenheit der Berufsfreiheit stehen gewichtige Interessen des Gesundheitsschutzes gegenüber.
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(3) Die aus § 6 Abs. 5 ArbZG regelmäßig folgende Verpflichtung, für eine Arbeitsleistung in der Nacht einen Ausgleich in Höhe von bis zu 30 % zu gewähren, soll den Anreiz zur Anordnung dieser besonders gesundheitsschädlichen Arbeit vermindern. Mit Nachtarbeitszuschlägen kann jedenfalls der mit dieser Arbeitsform verbundenen sozialen Desynchronisation entgegengewirkt werden (vgl. BAG 15. Juli 2020 – 10 AZR 123/19 – Rn. 28 mwN, BAGE 171, 280). Das genügt für die Eignung im Rahmen des Art. 12 Abs. 1 GG (vgl. BVerfG 30. Juni 2020 – 1 BvR 1679/17 ua. – Rn. 102, BVerfGE 155, 238). Die Förderung des Gesundheitsschutzes stellt ein überragend wichtiges Gemeinwohlziel von Verfassungsrang dar (Art. 2 Abs. 2 GG; BVerfG 18. Mai 2016 – 1 BvR 895/16 – Rn. 47). In der Wertordnung des Grundgesetzes kommt ihr ein hohes Gewicht zu. Mit Blick darauf darf ihr Schutz auch mit Mitteln angestrebt werden, die das Grundrecht der Berufsfreiheit empfindlich betreffen (vgl. BVerfG 8. Juni 2010 – 1 BvR 2011/07 ua. – Rn. 95, BVerfGE 126, 112; 30. Juli 2008 – 1 BvR 3262/07 ua. – Rn. 119, 122, BVerfGE 121, 317). Die durch die Höhe der Nachtarbeitszuschläge ohnehin nur in geringem Umfang betroffene Berufsfreiheit der Arbeitgeber hat daher hinter den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer zurückzutreten.
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(4) Die Interessen der Arbeitgeber finden Eingang in die Höhe der Zuschläge, indem nicht ein fester Zuschlag als angemessen angesehen wird. Die Höhe des angemessenen Zuschlags richtet sich nach der Gegenleistung, für die sie bestimmt ist (BAG 15. Juli 2020 – 10 AZR 123/19 – Rn. 31 ff., BAGE 171, 280; 9. Dezember 2015 – 10 AZR 423/14 – Rn. 27, BAGE 153, 378). Abzustellen ist auf die Art und den Umfang der zur Nachtzeit ausgeübten Tätigkeit sowie auf die damit verbundenen Belastungen für die Nachtarbeitnehmer. In einem differenzierenden System kann so auf die Umstände des Einzelfalls Rücksicht genommen werden. Eine Absenkung der grundsätzlich als angemessen angesehenen Zuschlagshöhe von 25 % kann im Fall von Nachtarbeit in Betracht kommen, die aus überragend wichtigen Gründen des Gemeinwohls unvermeidbar ist (BAG 15. Juli 2020 – 10 AZR 123/19 – Rn. 39 ff., aaO; 25. April 2018 – 5 AZR 25/17 – Rn. 56, BAGE 162, 340). Entsprechendes gilt für Zeiten mit geringerer Arbeitsbelastung (vgl. BAG 25. April 2018 – 5 AZR 25/17 – Rn. 44, aaO; 18. Mai 2011 – 10 AZR 369/10 – Rn. 25).
33
bb) Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG steht dem nach § 6 Abs. 5 ArbZG geschuldeten Ausgleich für Nachtarbeit von bis zu 30 % ebenfalls nicht entgegen. Bloße Umsatz- und Gewinnchancen oder tatsächliche Gegebenheiten werden auch unter dem Gesichtspunkt des eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs nicht von der Eigentumsgarantie erfasst (BVerfG 30. Juni 2020 – 1 BvR 1679/17 ua. – Rn. 86, BVerfGE 155, 238; 6. Dezember 2016 – 1 BvR 2821/11 ua. – Rn. 240, BVerfGE 143, 246).
34
II. Die Beurteilung des Landesarbeitsgerichts, für die vom Kläger im Klagezeitraum geleistete Nachtarbeit sei ein Zuschlag von 30 % auf das Bruttoarbeitsentgelt angemessen, hält der revisionsrechtlichen Überprüfung stand.
35
1. Bei der Anwendung des Merkmals „angemessen“ kommt dem Tatsachengericht ein Beurteilungsspielraum zu (BAG 15. Juli 2020 – 10 AZR 123/19 – Rn. 36 mwN, BAGE 171, 280; 25. April 2018 – 5 AZR 25/17 – Rn. 37, BAGE 162, 340). Er ist vom Revisionsgericht nur darauf zu überprüfen, ob das Berufungsgericht den Rechtsbegriff selbst verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnorm Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt hat, ob es alle wesentlichen Umstände berücksichtigt hat und ob das Urteil in sich widerspruchsfrei ist (BAG 15. Oktober 2021 – 6 AZR 268/20 – Rn. 16; 15. Juli 2020 – 10 AZR 123/19 – aaO). Aufgrund des Beurteilungsspielraums ist es möglich, dass verschiedene Landesarbeitsgerichte oder verschiedene Kammern eines Landesarbeitsgerichts bei vergleichbaren Sachverhalten in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise unterschiedliche Zuschlagshöhen als angemessen iSv. § 6 Abs. 5 ArbZG ansehen. Feste höchstrichterliche Werte über Richtwerte hinaus lässt der tatrichterliche Beurteilungsspielraum nicht zu (BAG 15. Juli 2020 – 10 AZR 123/19 – aaO).
36
2. Nach der von der Beklagten nicht angegriffenen Feststellung des Landesarbeitsgerichts leistete der Kläger im streitigen Zeitraum durchgehend Vollarbeit. Das Berufungsgericht hat eine Verringerung des für Dauernachtarbeit regelmäßig angemessenen Zuschlags wegen einer im Vergleich zu der üblichen Situation geringeren Belastung durch die Dauernachtarbeit daher folgerichtig nicht in Betracht gezogen. Insbesondere hat es zu Recht davon abgesehen, den für Dauernachtarbeit regelmäßig angemessenen Zuschlag in Höhe von 30 % abzusenken, weil es sich bei der Zeitungszustellung um eine sog. leichte Tätigkeit handle. Die Höhe des angemessenen Nachtarbeitszuschlags richtet sich nicht nach der Schwere der vertraglich geschuldeten Tätigkeit. Der Zuschlag knüpft an das dem Nachtarbeitnehmer für die Nachtarbeit „zustehende“ Bruttoarbeitsentgelt an (BAG 25. April 2018 – 5 AZR 25/17 – Rn. 39, BAGE 162, 340). Die Höhe des Zuschlags richtet sich nach der Gegenleistung, für die sie bestimmt ist (vgl. BAG 15. Juli 2020 – 10 AZR 123/19 – Rn. 31 mwN, BAGE 171, 280).
37
3. Die Angemessenheit des Ausgleichs nach § 6 Abs. 5 ArbZG hängt auch nicht davon ab, ob die Nachtarbeit in Vollzeit oder in Teilzeit ausgeführt wird. Ein Nachtarbeitnehmer iSv. § 2 Abs. 2 und 5 ArbZG hat nach § 6 Abs. 5 ArbZG Anspruch auf einen angemessenen Ausgleich immer dann, wenn seine Arbeit mehr als zwei Stunden der in § 2 Abs. 3 ArbZG definierten Nachtzeit umfasst (§ 2 Abs. 4 ArbZG; allgemeine Auffassung, vgl. nur Schliemann ArbZG 4. Aufl. § 6 Rn. 87). Auch für die Angemessenheit des Ausgleichs für Dauernachtarbeit kann es deshalb nicht darauf ankommen, ob der Arbeitnehmer während der gesamten Nachtzeit iSv. § 2 Abs. 3 ArbZG gearbeitet hat. Die besondere Belastung durch Dauernachtarbeit folgt typischerweise daraus, dass die Nachtarbeit über lange Zeiträume hinweg in Anspruch genommen wird. Dem siebten Erwägungsgrund der Richtlinie 2003/88/EG ist zu entnehmen, dass lange Nachtarbeitszeiträume besonders nachteilig für die Gesundheit der Arbeitnehmer sind und ihre Sicherheit bei der Arbeit beeinträchtigen können.
38
4. Das Landesarbeitsgericht geht zutreffend davon aus, dass der Wegfall des sog. Lenkungszwecks nicht zwingend einen niedrigeren Zuschlag nach sich zieht.
39
a) Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts hängt es von der Art der Arbeitsleistung ab, ob der vom Gesetzgeber mit dem Entgeltzuschlag verfolgte Zweck, im Interesse der Gesundheit des Arbeitnehmers Nachtarbeit zu verteuern und auf diesem Weg einzuschränken, zum Tragen kommen oder nur die mit der Nachtarbeit verbundene Erschwernis ausgeglichen werden kann (BAG 25. April 2018 – 5 AZR 25/17 – Rn. 44, BAGE 162, 340; 31. August 2005 – 5 AZR 545/04 – zu I 4 a, b der Gründe, BAGE 115, 372).
40
b) Der Wegfall dieses sog. Lenkungszwecks führt bei einem Ausgleich nach § 6 Abs. 5 ArbZG in Geld nicht zwangsläufig zu einem abgesenkten Zuschlag. Ein Nachtarbeitszuschlag wirkt sich zwar unabhängig von seiner Höhe nicht auf die Gesundheit des betroffenen Arbeitnehmers aus (BAG 15. Juli 2020 – 10 AZR 123/19 – Rn. 43 mwN, BAGE 171, 280). Dennoch bezweckt er nicht ausschließlich eine Verteuerung der Nachtarbeit, um sie möglichst weitgehend zu vermeiden. Vielmehr sollen diejenigen Arbeitnehmer, die Nachtarbeit leisten, zumindest einen angemessenen finanziellen Ausgleich für die damit verbundenen Beeinträchtigungen erhalten und in einem gewissen Umfang für die erschwerte Teilhabe am sozialen Leben entschädigt werden. Diese Zwecke lassen sich auch bei unvermeidbarer Nachtarbeit erreichen (BAG 15. Juli 2020 – 10 AZR 123/19 – Rn. 44 mwN, aaO).
41
5. Das Landesarbeitsgericht hat zwar – ohne entsprechende Feststellungen getroffen zu haben – angenommen, dass gedruckte Tageszeitungen flächendeckend bis 06:00 Uhr zugestellt sein müssen. Darauf hat es jedoch nicht tragend abgestellt. Vielmehr ist es in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise davon ausgegangen, dass eine Absenkung des für Dauernachtarbeit angemessenen Regelwerts von 30 % nicht in Betracht komme, weil die Zustellung von Tageszeitungen nicht im zwingenden Gemeinwohlinteresse stehe.
42
a) Die Pressefreiheit nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG, auf die sich die Beklagte im Streitfall berufen kann, führt nicht dazu, die Zuschläge nach § 6 Abs. 5 ArbZG in der regelmäßig anfallenden Höhe abzusenken.
43
aa) Zugunsten der Beklagten kann unterstellt werden, dass der Vertrieb von Tageszeitungen durch Botenzustellung zur Nachtzeit auch noch im Streitzeitraum zu den für funktionierende freie Medien notwendigen Hilfstätigkeiten gehörte und damit dem Gewährleistungsbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG unterfiel (vgl. BVerfG 29. April 2003 – 1 BvR 62/99 – zu II 2 b der Gründe; 20. April 1999 – 1 BvQ 2/99 – zu II 2 a der Gründe).
44
(1) Die Verbreitung von Berichten über Vorgänge des öffentlichen Lebens unterfällt der Meinungsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG (BVerfG 6. November 2019 – 1 BvR 16/13 – Rn. 94, BVerfGE 152, 152). Freie Medien tragen durch Information und Kritik zur freien individuellen und öffentlichen Meinungsbildung bei (BVerfG 28. Mai 1999 – 1 BvR 77/99 – zu II 1 a der Gründe). Das Grundrecht sichert die Voraussetzungen und Hilfstätigkeiten für die Herstellung und Aufrechterhaltung des auf Verwirklichung der Meinungsäußerungs- und Informationsfreiheit gerichteten Kommunikationsprozesses (BVerfG 12. April 2007 – 1 BvR 78/02 – Rn. 24; 13. Januar 1988 – 1 BvR 1548/82 – [Presse-Grossist] zu B I der Gründe, BVerfGE 77, 346). Davon umfasst ist auch die Freiheit der Herstellung und Verbreitung von Druckerzeugnissen (BVerfG 24. Mai 2005 – 1 BvR 1072/01 – zu B I 1 a der Gründe, BVerfGE 113, 63).
45
(2) Freie, nicht von der öffentlichen Gewalt gelenkte, keiner Zensur unterworfene Medien sind konstituierend für die freiheitlich-demokratische Grundordnung und deshalb von besonderer Bedeutung für den freiheitlichen Staat (vgl. BVerfG 13. Juli 2015 – 1 BvR 2480/13 – Rn. 16 mwN). Sie sind für die moderne Demokratie unentbehrlich (BVerfG 24. Mai 2005 – 1 BvR 1072/01 – zu B I 1 b aa der Gründe, BVerfGE 113, 63; grundlegend BVerfG 5. August 1966 – 1 BvR 586/62 ua. – zu C 1 der Gründe, BVerfGE 20, 162). Freie Medien erbringen durch die öffentliche Vermittlung und Kommunikation wahrer Tatsachen von allgemeinem Interesse eine Leistung, die von öffentlichem Interesse und gesellschaftlich bedeutsam ist. Die Herstellung eines gemeinsamen Tatsachenfundaments, von dem die Allgemeinheit ausgehen kann, ist elementare Voraussetzung demokratischen, aber auch privaten Entscheidens – sowohl bei einer politischen Wahl als auch bei wirtschaftlichen Entscheidungen (BVerfG 23. Juni 2020 – 1 BvR 1240/14 – Rn. 23).
46
(3) Freie Medien gewinnen ihren Standard aus der Rücksicht auf das Gemeinwohl. Sie teilen diese Besonderheit, aus der sich ihre Charakterisierung als öffentliche Aufgabe ergibt, mit anderen Dienstleistungen oder Tätigkeiten von öffentlichem Interesse (vgl. BVerfG 27. Juli 1971 – 2 BvF 1/68 ua. – BVerfGE 31, 314).
47
bb) Die aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG hergeleitete Grundrechtsposition der Beklagten rechtfertigt es bei wertender Betrachtung vor dem Hintergrund des Schutzzwecks des § 6 Abs. 5 ArbZG nicht, den Zuschlag unter den für Dauernachtarbeit angemessenen Regelwert von 30 % zu senken.
48
(1) Auch der durch die Pressefreiheit vermittelte Schutz der Arbeitgeber ist mit dem Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG abzuwägen. Das Ergebnis der vorzunehmenden Abwägung ist verfassungsrechtlich nicht vorgegeben. Den Grundrechten des Art. 5 Abs. 1 GG kommt ein hoher Rang zu, der mit Blick auf das Arbeitsrecht zB das Gewicht des arbeitsrechtlichen Bestandsschutzes überwiegen kann (BVerfG 14. Januar 2008 – 1 BvR 273/03 – Rn. 16 mwN).
49
(2) Allerdings schützt das Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 GG nur vor einer nicht wertneutralen Einflussnahme auf den Inhalt des Medienprodukts oder auf dessen Verbreitung. Die Medienfreiheit gewährleistet nicht, dass Medienerzeugnisse verbreitet werden können, ohne die allgemein geltende Rechtsordnung zu beachten (BVerfG 29. April 2003 – 1 BvR 62/99 – zu II 2 c der Gründe). Nachteilige Veränderungen der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, die auf der Anwendung geltenden Arbeitsschutzrechts beruhen, genügen daher grundsätzlich nicht für die Annahme eines Eingriffs in die Medienfreiheit. Das Grundrecht der Medienfreiheit kann auch nicht davor schützen, dass sich bestimmte Vertriebsformen auf längere Sicht als wirtschaftlich unrentabel erweisen.
50
(3) Der Zuschlag von bis zu 30 % dient dem verfassungsrechtlich besonders wichtigen Ziel des Gesundheitsschutzes. Dabei handelt es sich um ein überragend wichtiges Gemeinwohlziel von Verfassungsrang (BVerfG 18. Mai 2016 – 1 BvR 895/16 – Rn. 47). In der Wertordnung des Grundgesetzes kommt ihm ein hohes Gewicht zu (vgl. BVerfG 8. Juni 2010 – 1 BvR 2011/07 ua. – Rn. 95, BVerfGE 126, 112; 30. Juli 2008 – 1 BvR 3262/07 ua. – Rn. 119, 122, BVerfGE 121, 317).
51
(4) Die Pflicht der Beklagten, an ihre in Dauernachtarbeit eingesetzten Zeitungszusteller Zuschläge in Höhe von 30 % zu leisten, lässt ihr Recht unberührt, Nachtarbeit anzuordnen und entsprechende Leistungen am Markt anzubieten. Die Beklagte hat zwar auf den seit Jahren zu beobachtenden Umsatzrückgang bei gleichzeitig steigenden Kosten hingewiesen. Sie werde durch die Belastung mit einem Nachtarbeitszuschlag von 30 % wirtschaftlich überfordert. Auf Dauer werde der Vertrieb und in der Folge auch die Herstellung von Tageszeitungen in Frage gestellt. Dabei handelt es sich jedoch um rein wirtschaftliche Erwägungen. Ihnen darf der mit § 6 Abs. 5 ArbZG verfolgte Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer nicht untergeordnet werden (BAG 25. April 2018 – 5 AZR 25/17 – Rn. 48, BAGE 162, 340; vgl. den vierten Erwägungsgrund der Richtlinie 2003/88/EG). Das gilt auch für Nachtarbeitszuschläge, die nur mittelbar gesundheitsschützend wirken, weil sie die Nachtarbeit verteuern und in einem gewissen Umfang für die erschwerte Teilhabe am sozialen Leben entschädigen.
52
(5) Im Gegensatz zu den Betreibern von Krankenhäusern, Pflegeheimen und Rettungsdiensten ist die Beklagte nicht gesetzlich verpflichtet, Nachtarbeit anzuordnen. Die Zeitungszustellung während der Nachtzeit dient für sich genommen auch nicht einem überragend wichtigen Gemeinwohlziel von Verfassungsrang, während das für den Gesundheitsschutz und die Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems zutrifft (vgl. BVerfG 18. Mai 2016 – 1 BvR 895/16 – Rn. 47; 8. Juni 2010 – 1 BvR 2011/07 ua. – Rn. 95, 99, BVerfGE 126, 112).
53
(6) Der Zuschlag von 30 % steht nicht außer Verhältnis zu der Einschränkung grundrechtlich geschützter Positionen derjenigen, die – wie die Beklagte – einen Zeitungszustelldienst betreiben. Weder ist erkennbar, dass ein Nachtarbeitszuschlag von 30 % die Beklagte unzumutbar belastet, noch durfte sie darauf vertrauen, dass ein Zuschlag von lediglich 10 % für die von ihren Zeitungszustellern geleistete Dauernachtarbeit angemessen iSv. § 6 Abs. 5 ArbZG ist. Die von der Beklagten herangezogene Entscheidung des Fünften Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 11. Februar 2009 (- 5 AZR 148/08 -) betraf keinen Zeitungszusteller, sondern einen Beschäftigten des Wach- und Sicherheitsdienstes, dessen Nachtarbeit zudem – anders als im Streitfall – durch Phasen der Entspannung gekennzeichnet war.
54
(7) Auf die von der Beklagten kritisierten Erwägungen zu dem möglichen zukünftigen Ausbau der Vertriebswege für Tageszeitungen hat das Landesarbeitsgericht seine Entscheidung erkennbar nicht tragend gestützt. Es hat diesen aus seiner Sicht „ganz allgemeinen“ Aspekt lediglich angesprochen, um zu illustrieren, dass sich der „sehr geringe“ und von ihm als verfassungsrechtlich unbedenklich eingestufte Eingriff in die Pressefreiheit schon in naher Zukunft weiter relativieren könne.
55
b) Entgegen der Auffassung der Beklagten kann den Regelungen in § 10 Abs. 1 ArbZG und § 24 Abs. 2 MiLoG idF vom 11. August 2014 (aF) nicht entnommen werden, dass eine Anhebung des Zuschlags für die in Dauernachtarbeit versehene Zeitungszustellung auf 30 % ausgeschlossen ist.
56
aa) Zeitungszusteller dürfen zwar nach § 10 Abs. 1 Nr. 8 ArbZG ebenso wie Arbeitnehmer in Rettungsdiensten und Krankenhäusern an Sonn- und Feiertagen beschäftigt werden, sofern die Arbeiten nicht an Werktagen vorgenommen werden können. Das grundsätzliche Verbot der Sonn- und Feiertagsarbeit (§ 9 ArbZG) dient jedoch – anders als der auf Unionsrecht beruhende § 6 Abs. 5 ArbZG – nicht dem Gesundheitsschutz, sondern der Umsetzung des aus Art. 140 GG iVm. Art. 139 WRV folgenden Gebots zum Schutz des Sonntags und der anerkannten Feiertage als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung (vgl. BT-Drs. 12/5888 S. 21, 28). Die Ausnahmeregelungen in § 10 Abs. 1 ArbZG sind deshalb für die Frage der Angemessenheit des Zuschlags nach § 6 Abs. 5 ArbZG nicht erheblich.
57
bb) Die bereits am 31. Dezember 2017 ausgelaufene Branchenausnahme in § 24 Abs. 2 MiLoG aF betraf allein die Grundvergütung für Zeitungszusteller. § 6 Abs. 5 ArbZG wurde durch das Gesetz zur Stärkung der Tarifautonomie vom 11. August 2014 (BGBl. I S. 1348) nicht geändert. Aus den Gesetzesmaterialien ergibt sich nicht, dass der Gesetzgeber angenommen haben könnte, das Bundesarbeitsgericht halte einen Zuschlag von 10 % auf das Bruttoarbeitsentgelt für Dauernachtarbeit für angemessen. Er hat die Angemessenheit des Zuschlags für das regelmäßig in Nachtarbeit erfolgende Austragen von Zeitungen weder selbst bestimmt noch die Branche von der Zuschlagspflicht nach § 6 Abs. 5 ArbZG ausgenommen (vgl. BAG 15. Juli 2020 – 10 AZR 123/19 – Rn. 28, 48 mwN, BAGE 171, 280).
58
6. Danach bestehen die geltend gemachten Differenzansprüche für den Zeitraum von September 2018 bis April 2019. Die Beklagte hat auf die in diesen Monaten geleisteten Nachtarbeitsstunden nur einen Zuschlag von jeweils 10 % anstelle des nach § 6 Abs. 5 ArbZG angemessenen Zuschlags von 30 % auf das Bruttoarbeitsentgelt gezahlt. Die von der Beklagten geschuldete Gesamtdifferenz beläuft sich auf 874,68 Euro brutto. Diese Summe weicht um 20,00 Euro von dem Betrag ab, den das Arbeitsgericht insgesamt zugesprochen hat. Dies ist darauf zurückzuführen, dass der Betrag für die mit der Klage geforderten Nachtarbeitszuschläge für September bis November 2018 in Höhe von 323,84 Euro mit 343,84 Euro fehlerhaft übertragen worden ist. Der Senat muss den Schreibfehler des Arbeitsgerichts nach § 319 Abs. 1 ZPO von Amts wegen berichtigen (vgl. BAG 14. Juli 2021 – 10 AZR 135/19 – Rn. 37).
59
7. Die Zahlungsansprüche sind nicht verfallen. Die im Arbeitsvertrag vom 17. Dezember 2013 vereinbarte Ausschlussfristenregelung ist insgesamt unwirksam. Sie begrenzt entgegen § 202 Abs. 1 BGB die Haftung wegen Vorsatzes. An ihre Stelle treten – unter Aufrechterhaltung des Vertrags im Übrigen – die gesetzlichen Bestimmungen (§ 306 Abs. 1 und 2 BGB). Soweit es auf die Ausschlussfristen nach der Regelung im Nachtrag vom 5. Dezember 2018 ankommen sollte, hat der Kläger seine Ansprüche jedenfalls rechtzeitig geltend gemacht.
60
a) Um die erste Stufe der im Arbeitsvertrag vom 17. Dezember 2013 vereinbarten Ausschlussfristen zu wahren, hätte der Differenzlohnanspruch für September 2018 bis zum 15. Januar 2019 geltend gemacht werden müssen. Da die Ausschlussfristenregelung unwirksam ist, ist die erst am 13. Februar 2019 mit der Zustellung der Klage erfolgte Geltendmachung nicht verspätet.
61
aa) Die Verfallklausel ist nach den für Allgemeine Geschäftsbedingungen geltenden Grundsätzen auszulegen (zu den Maßstäben BAG 9. März 2021 – 9 AZR 323/20 – Rn. 17; 25. Februar 2021 – 8 AZR 171/19 – Rn. 61). Sollte die Klausel nicht für eine Vielzahl von Verträgen iSv. § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB vorformuliert worden sein, handelt es sich jedenfalls um eine sog. Einmalbedingung iSv. § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB (vgl. BAG 19. Dezember 2018 – 10 AZR 233/18 – Rn. 27 ff., BAGE 165, 19).
62
bb) Die Ausschlussfristenregelung bezieht sich auf „alle Ansprüche aus dem Arbeitsvertrag und solche, die mit dem Arbeitsverhältnis in Zusammenhang stehen“. Da keine Anhaltspunkte für sachliche Einschränkungen erkennbar sind, erfasst die Klausel alle gesetzlichen und vertraglichen Ansprüche, die die Parteien aufgrund ihrer durch den Arbeitsvertrag begründeten Rechtsstellung gegeneinander haben (vgl. BAG 9. März 2021 – 9 AZR 323/20 – Rn. 11 mwN).
63
cc) Die Verjährung bei Haftung wegen Vorsatzes darf nach § 202 Abs. 1 BGB nicht im Voraus verkürzt werden. Das gesetzliche Verbot findet auch auf vereinbarte Ausschlussfristen Anwendung (BAG 25. Februar 2021 – 8 AZR 171/19 – Rn. 58). Verstößt eine als Allgemeine Geschäftsbedingung gestellte Ausschlussfristenregelung gegen § 202 Abs. 1 BGB, führt dies nach § 134 BGB grundsätzlich zu ihrer Gesamtunwirksamkeit, während der Vertrag nach § 306 Abs. 1 BGB im Übrigen wirksam bleibt (BAG 9. März 2021 – 9 AZR 323/20 – Rn. 23). Nur wenn die Klausel mehrere Regelungen enthält, der unzulässige Teil sprachlich eindeutig abgrenzbar ist und nach seiner Streichung weiterhin eine verständliche Regelung verbleibt, bleibt diese ausnahmsweise bestehen (sog. Blue-Pencil-Test, vgl. BAG 13. Juli 2021 – 3 AZR 298/20 – Rn. 64 mwN).
64
dd) Die Ausschlussfristenregelung ist nicht nach diesen Maßgaben teilbar. Sie erfasst inhaltlich und sprachlich sämtliche Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und solche, die mit dem Arbeitsverhältnis in Verbindung stehen, ohne weiter zu differenzieren. Es ist daher nicht möglich, einen Teil der zu beanstandenden Regelung unter Aufrechterhaltung der restlichen Bestimmungen zu streichen.
65
b) Die Differenzlohnansprüche für Oktober und November 2018 wurden durch die am 13. Februar 2019 zugestellte Klageschrift innerhalb von drei Monaten nach Fälligkeit geltend gemacht. Deshalb kommt es nicht darauf an, ob für diese Ansprüche bereits die zweistufige Verfallklausel im Nachtrag zum Arbeitsvertrag vom 5. Dezember 2018 maßgeblich war. Die übrigen Differenzlohnansprüche wurden durch die Zustellung der vier Klageerweiterungen ebenfalls jeweils vor Ablauf der ersten Stufe dieser Ausschlussfrist geltend gemacht.
66
8. Zinsen aus § 288 Abs. 1, § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB für den Anspruch auf die weiteren Zuschläge stehen dem Kläger nach § 187 Abs. 1 BGB jeweils ab dem Tag nach Eintritt der Fälligkeit des Vergütungsanspruchs zu (vgl. BAG 19. Mai 2021 – 5 AZR 420/20 – Rn. 38). Da die Parteien insoweit den 15. des jeweiligen Folgemonats bestimmt haben, kann der Kläger Verzugszinsen auf die Differenzvergütung frühestens ab dem darauffolgenden Tag verlangen. Der 15. Dezember 2018 fiel auf einen Samstag, so dass die Verzinsung der Differenzvergütung für November 2018 erst drei Tage später einsetzte.
67
C. Die Beklagte hat nach § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Gallner Gallner Pessinger
Uhamou Schürmann