Verzugslohn – fehlendes Leistungsvermögen
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 29.10.1998, 2 AZR 666/97
Leitsätze des Gerichts
Ist ein Arbeitnehmer, der Ansprüche aus Annahmeverzug geltend macht, objektiv aus gesundheitlichen Gründen außerstande, die arbeitsvertraglich geschuldete Leistung zu erbringen, so kann das fehlende Leistungsvermögen nicht allein durch die subjektive Einschätzung des Arbeitnehmers ersetzt werden, er sei trotzdem gesundheitlich in der Lage, einen Arbeitsversuch zu unternehmen.
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 28. August 1997 – 6 Sa 1155/96 – wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Tatbestand
Der am 16. Mai 1946 geborene Kläger war seit dem 2. November 1978 in dem chemischen Werk der Beklagten als gewerblicher Arbeitnehmer tätig. Er war als Hilfshandwerker/Reiniger überwiegend für Wartungs- und Reparaturarbeiten eingesetzt. Im Produktionsbereich, in dem der Kläger eingesetzt war, werden die erforderlichen Tätigkeiten zu 80 bis 90% in freien Außenanlagen des Chemiebetriebes und die restlichen Arbeiten in geschlossenen Anlagen durchgeführt, wobei der Einsatz zum Teil ebenerdig, zum Teil auf bis zu 24 Meter hohen Anlagenbühnen erfolgt, die über Treppen zu erreichen sind.
In der Zeit vom 3. September 1993 bis zum 17. Mai 1994 war der Kläger krankheitsbedingt arbeitsunfähig. Er teilte der Beklagten mit, er habe Kniebeschwerden. Der behandelnde Orthopäde Dr. V. bescheinigte dem Kläger am 16. Mai 1994, er sei arbeitsunfähig bis 17. Mai 1994. Am 18. Mai 1994 erschien der Kläger wieder zur Arbeit, wurde aber von der Beklagten an der Arbeitsaufnahme gehindert. Schon zuvor hatte die Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 17. Februar 1994 mitgeteilt, nach Stellungnahme des Werksarztes könne der Kläger seine arbeitsvertraglich geschuldete Arbeitsleistung auf Dauer nicht mehr erbringen, ein Arbeitsplatz für leichte Arbeiten sei nicht vorhanden und sie werde den Kläger, sofern er an seinem bisherigen Arbeitsplatz erscheinen sollte, umgehend wieder nach Hause schicken. Auch in der sich anschließenden Korrespondenz mit dem Prozeßbevollmächtigten des Klägers lehnte die Beklagte eine Arbeitsaufnahme durch den Kläger aus den genannten Gründen ab. Mit Schreiben vom 28. Februar 1995 kündigte sie dann das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 30. Juni 1995. Der am 17. Februar 1995 angehörte Betriebsrat gab keine Stellungnahme ab.
Der Kläger hält die Kündigung für unwirksam und verlangt von der Beklagten die Zahlung von Verzugslohn ab dem 18. Mai 1994. Er hat behauptet, seit dem 18. Mai 1994 hätte er seine alte Tätigkeit wieder ausüben und ohne jede Mühe Treppenstufen bewältigen können. Lediglich mit Preßlufthammer-Arbeiten, die ohnehin nicht zu seinem eigentlichen Aufgabengebiet gehörten, sei er gesundheitlich überfordert. Selbst wenn bei ihm von einer dauerhaften Unmöglichkeit, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen, ausgegangen werden müsse, so hätte die Beklagte ihm einen leidensgerechten Arbeitsplatz zuweisen bzw. einen solchen durch Ausübung ihres Direktionsrechts freimachen und sich auch um die dazu eventuell erforderliche Zustimmung des Betriebsrats bemühen müssen. Dies habe die Beklagte zu keinem Zeitpunkt getan.
Der Kläger hat, soweit für die Revisionsinstanz noch von Interesse, beantragt,
1.
festzustellen, daß die mit Kündigungsschreiben vom 28. Februar 1995 zum 30. Juni 1995 ausgesprochene Kündigung unwirksam ist,
2.
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 75.919,20 DM brutto (Lohn bis einschließlich April 1996) abzüglich erhaltenen Arbeitslosengeldes in Höhe von 30.651,30 DM netto nebst 4% Zinsen aus dem Differenznettobetrag seit dem 1. Mai 1996 zu zahlen.
Die Beklagte hat zur Stützung ihres Klageabweisungsantrags behauptet, der Kläger sei aus gesundheitlichen Gründen über den 17. Mai 1994 hinaus auf Dauer nicht mehr in der Lage, seine vertraglich geschuldete Tätigkeit zu verrichten. Am 18. Mai 1994 habe er in einem Gespräch mit den Zeugen D und H erklärt, er könne seinen bisherigen Job nicht mehr machen, und nach einer neuen Tätigkeit verlangt. Schon in einem Gespräch mit den beiden Zeugen am 31. Januar 1994 habe der Kläger gesagt, er könne die in den Anlagen vorhandenen Treppen nicht mehr hochsteigen. Die Kündigung habe auch nicht durch eine Weiterbeschäftigung des Klägers im Betrieb auf einem leidensgerechten Arbeitsplatz vermieden werden können. Ein solch gleichwertiger oder jedenfalls zumutbarer Arbeitsplatz mit einer Arbeit, für die der Kläger geeignet sei, sei weder frei gewesen, noch habe er durch Ausübung ihres Direktionsrechts freigemacht werden können. Ihr Betrieb habe in erheblichem Umfang Personal abgebaut. Im Zuge dieses Abbaus seien Leichtarbeitsplätze, auf denen Mitarbeiter in niedrigeren Entgeltgruppen beschäftigt worden seien, weggefallen. So habe sie etwa einem älteren Arbeitnehmer aus der Materialausgabe mit einer längeren Beschäftigungszeit als der des Klägers mit Zustimmung der Hauptfürsorgestelle im Dezember 1994 fristgerecht kündigen müssen.
Das Arbeitsgericht hat der Klage mit den oben zitierten Anträgen stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht die Klage abgewiesen. In beiden Instanzen sind Sachverständigengutachten eingeholt worden, die übereinstimmend zu dem Ergebnis gelangt sind, der Kläger sei ab dem 18. Mai 1994 gesundheitlich nicht mehr in der Lage gewesen, seine vertraglich geschuldete Tätigkeit zu erbringen. Mit der Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
Begründung
Die Revision ist unbegründet.
I. Das Berufungsgericht hat angenommen, die Kündigung der Beklagten sei rechtswirksam. Nach den im Ergebnis übereinstimmenden medizinischen Sachverständigengutachten stehe fest, daß der Kläger wegen seines Rückenleidens auf Dauer nicht mehr in der Lage gewesen sei, seine nach dem Arbeitsvertrag geschuldete Leistung zu erbringen. Damit stünden dem Kläger auch keine weiteren Lohnansprüche ab dem 18. Mai 1994 zu, denn der Annahmeverzug setze das Leistungsvermögen des Schuldners voraus. Dies könne auch bei objektiv bestehendem Leistungsunvermögen des Arbeitnehmers nicht durch dessen ausdrücklichen Wunsch ersetzt werden, die vertraglich geschuldete Arbeit weiter zu verrichten.
II. Dem folgt der Senat im Ergebnis und weitgehend auch in der Begründung. Der Kläger rügt zu Unrecht eine Verletzung der §§ 1 KSchG, 286 ZPO und 615, 297 BGB.
1. Soweit das Berufungsgericht angenommen hat, die Kündigung der Beklagten sei nicht sozial ungerechtfertigt (§ 1 Abs. 1 KSchG), sondern durch Gründe, die in der Person des Klägers liegen, bedingt gewesen (§ 1 Abs. 2 KSchG), ist dies revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Die materiellen Rügen der Revision, das Berufungsgericht habe den Sachverhalt, insbesondere das Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme nur ungenügend gewürdigt und hinsichtlich der Möglichkeit, den Kläger auf einem leidensgerechten Arbeitsplatz weiterzubeschäftigen, die Darlegungs- und Beweislast verkannt, greifen nicht durch.
a) Die Entscheidung des Berufungsgerichts über die Sozialwidrigkeit einer Kündigung ist in der Revisionsinstanz nur beschränkt nachprüfbar. Bei der Frage der Sozialwidrigkeit (§ 1 Abs. 2 KSchG) handelt es sich um die Anwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffs, die vom Revisionsgericht nur darauf geprüft werden kann, ob das Berufungsgericht den Rechtsbegriff selbst verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnorm des § 1 KSchG Denkgesetze und allgemeine Erfahrungssätze verletzt hat, ob es bei der gebotenen Interessenabwägung, bei der dem Tatsachenrichter ein Beurteilungsspielraum zusteht, alle wesentlichen Umstände berücksichtigt hat und ob die Entscheidung in sich widerspruchsfrei ist (ständige Rechtsprechung des BAG, vgl. z. B. Urteil vom 13. Juni 1996 – 2 AZR 483/95 – BAGE 83, 181, 187 = AP Nr. 33 zu § 1 KSchG 1969, zu II 2 a der Gründe; Urteil vom 4. Dezember 1997 – 2 AZR 750/96 – AP Nr. 37 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung). Diesem eingeschränkten Prüfungsmaßstab hält das angefochtene Urteil stand.
b) Zutreffend geht das Berufungsgericht von der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts aus, wonach die dauernde krankheitsbedingte Unfähigkeit des Arbeitnehmers, die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen, als personenbedingter Kündigungsgrund nach § 1 KSchG eine ordentliche Kündigung sozial rechtfertigen und sogar bei einem ordentlich unkündbaren Arbeitnehmer einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung darstellen kann (Senatsurteile vom 21. Februar 1985 – 2 AZR 72/84 – RzK I 5 g Nr. 10; vom 28. Februar 1990 – 2 AZR 401/89 – AP Nr. 25 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit; vom 7. Februar 1991 – 2 AZR 205/90 – BAGE 67, 198 = AP Nr. 1 zu § 1 KSchG 1969 Umschulung; vom 4. Februar 1993 – 2 AZR 469/92 – EzA § 626 n. F. Nr. 144; vom 12. Juli 1995 – 2 AZR 762/94 – AP Nr. 7 zu § 626 BGB Krankheit und vom 29. Januar 1997 – 2 AZR 9/96 – AP Nr. 32 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit, auch zur Veröffentlichung in der amtlichen Sammlung vorgesehen). Die auf Dauer bestehende Leistungsunfähigkeit des Arbeitnehmers führt zu einer erheblichen Störung des nunmehr sinnentleerten Arbeitsverhältnisses.
c) Das Berufungsgericht hat auf der Basis von zwei Sachverständigengutachten rechtsfehlerfrei festgestellt, daß der Kläger schon seit dem 18. Mai 1994 auf Dauer krankheitsbedingt nicht mehr in der Lage war, die geschuldete Tätigkeit als Hilfshandwerker/Reiniger zu verrichten. Die Rüge der Revision, das Berufungsgericht habe bei der Beweiswürdigung gegen § 286 ZPO verstoßen, geht fehl.
Es kann keine Rede davon sein, daß das vom Landesarbeitsgericht eingeholte Sachverständigengutachten, wie die Revision geltend macht, widersprüchlich wäre und die darin getroffenen tatsächlichen Feststellungen das gefundene Ergebnis nicht deckten, ohne daß dem Berufungsgericht diese Widersprüche aufgefallen wären. Das Gutachten ist mit einer beispielhaften Sorgfalt erstellt, es bewertet die vom Kläger zu verrrichtende Tätigkeit nachvollziehbar aufgrund einer Arbeitsplatzbesichtigung als körperlich schwere Arbeit unter erschwerten Umständen (Kälte, Nässe, Zugluft, Zwangshaltung und schweres Heben und Tragen), die der Kläger aufgrund seines ebenso sorgfältig durch die Gutachterin ermittelten Krankheitsbildes (insbesondere Rückenleiden) auf Dauer nicht mehr verrichten kann.
Angesichts der von der Sachverständigen beim Kläger festgestellten irreversiblen Verschleißerscheinungen seiner Wirbelsäule stand dem nicht entgegen, daß sich der Kläger nach einer langen Krankheitszeit ohne die körperlichen Belastungen an seinem Arbeitsplatz subjektiv schmerzfrei fühlte und am 18. Mai 1994 seine Arbeit antreten wollte. Steht die dauernde Leistungsunfähigkeit des Arbeitnehmers objektiv aufgrund nachprüfbarer medizinischer Befunde fest, kann es auf das subjektive Befinden des Arbeitnehmers, er könne nach einer längeren Arbeitspause die bisherige Arbeit wieder verrichten, nicht ankommen.
Das Berufungsgericht hat auch nicht, wie die Revision rügt, die erstinstanzliche Beweisaufnahme und Beweiswürdigung unberücksichtigt gelassen. Auch das erstinstanzlich eingeholte Sachverständigengutachten ist zu dem Ergebnis gelangt, der Kläger sei ab 18. Mai 1994 gesundheitlich nicht mehr in der Lage gewesen, seine vertraglich geschuldete Tätigkeit zu erbringen. Wenn das Berufungsgericht die aus der Sicht des Arbeitsgerichts hinsichtlich dieses Gutachtens noch bestehenden Unklarheiten als durch das zweitinstanzlich eingeholte Sachverständigengutachten ausgeräumt angesehen hat, so ist dies revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
Ebensowenig ist als rechtsfehlerhaft anzusehen, daß das Berufungsgericht die Bescheinigung des den Kläger behandelnden Orthopäden, der Kläger sei nur bis 17. Mai 1994 arbeitsunfähig, nicht als ausschlaggebend angesehen hat. Dieser Mediziner hat in der Bescheinigung vom 16. Mai 1994 nicht medizinisch nachprüfbar bestätigt, der Kläger sei trotz des vorangegangenen langen Krankheitszeitraums auf Dauer in der Lage, seine vertragsgemäße Arbeit zu erbringen. Welche genauen Kenntnisse Herr Dr. V. über die konkreten Bedingungen am bisherigen Arbeitsplatz des Klägers hatte, wird vom Kläger nicht vorgetragen. Außerdem hat Herr Dr. V. während des gesamten Verfahrens in den Tatsacheninstanzen eine Mitwirkung an der Tatsachenfeststellung etwa durch Gestattung der Einsichtnahme in seine Krankenunterlagen gegenüber beiden Sachverständigen nachdrücklich abgelehnt. Soweit die Revision rügt, Herr Dr. V. sei rechtsfehlerhaft nicht als sachverständiger Zeuge vernommen worden, liegt schon keine den Anforderungen des § 554 Abs. 3 Nr. 3 b ZPO entsprechende Verfahrensrüge vor, denn die Revision gibt nicht konkret an, welches Ergebnis eine solche Beweisaufnahme gehabt hätte. Abgesehen davon ist es auch rechtlich nicht zu beanstanden, daß das Berufungsgericht die überaus sorgfältigen, auf nachprüfbaren Tatsachen beruhenden Ausführungen der Sachverständigen über die Krankheitsgeschichte des Klägers für ausreichend hielt.
d) Die dauernde Unmöglichkeit, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen, führt regelmäßig zu einer erheblichen betrieblichen Beeinträchtigung (Senatsurteil vom 28. Februar 1990 – 2 AZR 401/89 – AP Nr. 25 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit; KR-Etzel, 5. Aufl., § 1 KSchG, Rz 399). Eine betriebliche Beeinträchtigung ist ausnahmsweise allenfalls dann zu verneinen, wenn die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers für den Arbeitgeber keinerlei Wert hat. Hierfür hat der für einen solchen Ausnahmetatbestand darlegungspflichtige Kläger nichts vorgetragen. Auch Gründe, die bei der danach „an sich“ personenbedingten Kündigung ausnahmsweise die Interessenabwägung zugunsten des Klägers ausfallen lassen könnten (vgl. dazu BAG Urteil vom 21. Februar 1985 – 2 AZR 72/84 – RzK I 5 g Nr. 10), sind nicht ersichtlich.
e) Mit der in dem Senatsurteil vom 12. Juli 1995 (- 2 AZR 762/94 – AP Nr. 7 zu § 626 BGB Krankheit) angesprochenen Sachverhaltsgestaltung, daß der Arbeitnehmer objektiv noch nicht dauernd leistungsunfähig ist, der Arbeitgeber aber befürchtet, eine Weiterarbeit des Arbeitnehmers werde zu einer Verschlechterung seines Gesundheitszustandes führen, ist der vorliegende Fall nicht vergleichbar. Die Bedenken, ob die dem Arbeitgeber obliegende Fürsorgepflicht es rechtfertigt, den Arbeitnehmer notfalls durch eine Kündigung davor zu bewahren, langfristig seine Gesundheit durch die von ihm gewünschte Weiterarbeit auf seinem bisherigen Arbeitsplatz zu schädigen, greift nicht durch in einem Fall, in dem der Gesundheitszustand des Arbeitnehmers bei Kündigungsausspruch schon derart schlecht ist, daß er objektiv die vertraglich geschuldete Leistung nicht mehr erbringen kann und nach einer längeren Arbeitspause trotzdem erklärt, er wolle weiter arbeiten.
f) Auch die Annahme des Berufungsgerichts, die Kündigung sei nicht durch eine Weiterbeschäftigung des Klägers auf einem leidensgerechten Arbeitsplatz im Betrieb zu vermeiden gewesen, ist rechtlich nicht zu beanstanden. Ist ein Arbeitnehmer auf Dauer krankheitsbedingt nicht mehr in der Lage, die geschuldete Arbeit auf seinem bisherigen Arbeitsplatz zu leisten, so ist er zur Vermeidung einer Kündigung auf einem leidensgerechten Arbeitsplatz im Betrieb oder Unternehmen weiterzubeschäftigen, falls ein solcher gleichwertiger oder jedenfalls zumutbarer Arbeitsplatz frei und der Arbeitnehmer für die dort zu leistende Arbeit geeignet ist. Gegebenenfalls hat der Arbeitgeber einen solchen Arbeitsplatz durch Ausübung seines Direktionsrechts freizumachen und sich auch um die eventuell erforderliche Zustimmung des Betriebsrats zu bemühen (Senatsurteil vom 29. Januar 1997 – 2 AZR 9/96 – AP Nr. 32 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit). Hiervon geht auch das Berufungsgericht aus, ohne daß es auf die von ihm erwogenen Bedenken hinsichtlich des Ausmaßes der Umorganisationspflicht des Arbeitgebers im vorliegenden Fall entscheidend abgestellt hat. Die Revision rügt zu Unrecht, das Berufungsgericht habe bei der Prüfung anderer Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten die Darlegungs- und Beweislast verkannt. Zwar trifft die Darlegungs- und Beweislast dafür, daß die Kündigung des wegen Krankheit dauernd leistungsunfähigen Arbeitnehmers nicht durch dessen Weiterbeschäftigung auf einem leidensgerechten Arbeitsplatz vermieden werden kann, gemäß § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG den Arbeitgeber. Es gilt jedoch insoweit eine abgestufte Darlegungs- und Beweislast. Der Umfang der Darlegungslast des Arbeitgebers hinsichtlich einer möglichen und zumutbaren Weiterarbeit auf einem leidensgerechten Arbeitsplatz hängt im Kündigungsschutzprozeß davon ab, wie sich der gekündigte Arbeitnehmer auf die Kündigung einläßt. Bestreitet der Arbeitnehmer zum Beispiel nur seine dauernde Leistungsunfähigkeit, so genügt der allgemeine Vortrag des Arbeitgebers, eine Weiterbeschäftigung auf einem anderen leidensgerechten Arbeitsplatz sei nicht möglich. Es obliegt dann dem Arbeitnehmer konkret darzustellen, wie er sich eine anderweitige Beschäftigung vorstellt, an welche Art der Beschäftigung er denkt, falls die Weiterarbeit auf seinem bisherigen Arbeitsplatz tatsächlich nicht möglich sein sollte. Erst nach einem solchen konkreten Sachvortrag des Arbeitnehmers hat der Arbeitgeber im Einzelnen darzulegen und zu beweisen, aus welchen wirtschaftlichen, organisatorischen oder technischen Gründen eine solche anderweitige Beschäftigung nicht möglich ist, wobei es genügt, wenn er beweist, daß kein entsprechender Arbeitsplatz frei ist oder durch Ausübung seines Direktionsrechts durch ihn freigemacht werden kann (vgl. BAG Urteil vom 5. August 1976 – 3 AZR 110/75 – AP Nr. 1 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit; BAGE 42, 151, 158 = AP Nr. 12 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung, zu B II 2 a der Gründe; Senatsurteil vom 10. Januar 1994 – 2 AZR 489/93 – AP Nr. 8 zu § 1 KSchG 1969 Konzern).
Das Berufungsgericht hat hier darauf abgestellt, die Beklagte habe von Anfang an das Vorhandensein eines freien, leidensgerechten Arbeitsplatzes für den Kläger bestritten und konkret auf den Wegfall von Leichtarbeitsplätzen im Zuge eines erheblichen Personalabbaus hingewiesen sowie die Möglichkeit bestritten, für den Kläger durch Ausübung ihres Direktionsrechts einen Arbeitsplatz zu schaffen. Demgegenüber habe der Kläger nicht einmal einen Arbeitsbereich genannt, in dem er sich seine Weiterbeschäftigung vorstellen könne. Es ist rechtlich nicht zu beanstanden, wenn das Berufungsgericht bei dieser Sachlage nach den Grundsätzen der abgestuften Darlegungslast davon ausgegangen ist, daß im Zeitpunkt der Kündigung eine anderweitige Beschäftigung des Klägers auf einem freien Arbeitsplatz nicht möglich war und durch die Beklagte auch nicht durch Ausübung ihres Direktionsrechts ermöglicht werden konnte.
2. Auch soweit der Kläger für die Zeit vom 18. Mai 1994 bis zum 30. April 1996 aus dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges Lohnansprüche geltend gemacht hat, hat das Berufungsgericht die Klage zu Recht abgewiesen.
a) Für die Zeit ab 1. Juli 1995 folgt dies bereits daraus, daß die Kündigung der Beklagten nicht sozial ungerechtfertigt war und deshalb das Arbeitsverhältnis zum 30. Juni 1995 beendet hat.
b) Auch für Zeit vom 18. Mai 1994 bis zum 30. Juni 1995 kann der Kläger nach § 615 BGB die Zahlung des vereinbarten Lohns nicht verlangen, da sich die Beklagte mangels Leistungsfähigkeit des Klägers (§ 297 BGB) nicht in Annahmeverzug befand. Der Gläubiger kommt nach § 297 BGB nicht in Verzug, wenn der Schuldner zur Zeit des Angebots außerstande ist, die Leistung zu bewirken. Zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, daß es für die Beurteilung des Leistungsvermögens danach nicht auf die subjektive Einschätzung des Schuldners, sondern nur auf die objektiven Umstände der Leistungsfähigkeit ankommt. Ist ein Arbeitnehmer objektiv aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage, die vereinbarte Leistung zu erbringen, so kann das fehlende Leistungsvermögen nicht allein durch den Willen des Arbeitnehmers ersetzt werden, trotz objektiver Leistungsunfähigkeit einen Arbeitsversuch zu unternehmen.
Das Berufungsgericht hat, wie bereits dargelegt, in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise festgestellt, daß der Kläger ab dem 18. Mai 1994 auf Dauer, d.h. jedenfalls bis zum 30. Juni 1995 gesundheitlich außerstande war, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen. Deshalb konnte er die Beklagte selbst dann nicht in Annahmeverzug versetzen, wenn er – wie er behauptet – am 18. Mai 1994 ohne Einschränkungen seine Arbeitsleistung an seinem bisherigen Arbeitsplatz angeboten hat.
Es ist auch nach dem klaren Gesetzeswortlaut ausgeschlossen, bei einem Arbeitnehmer, der nicht mehr arbeitsunfähig krank geschrieben ist und durch ein Arbeitsangebot seinen Leistungswillen bekundet, allein auf dieses Arbeitsangebot abzustellen und dem leistungswilligen Arbeitnehmer einen Anspruch nach § 615 BGB ohne die Prüfung zu gewähren, ob er zur Erbringung der geschuldeten Arbeitsleistung überhaupt imstande war. Es ist der Revision zwar einzuräumen, was auch das Berufungsgericht nicht verkennt, daß die vorliegende Fallgestaltung einer nachträglichen Feststellung des Leistungsunvermögens des arbeitswilligen Arbeitnehmers durch ein vom Gericht eingeholtes Sachverständigengutachten eher außergewöhnlich ist, weil regelmäßig der Arbeitgeber nicht derart von dem Leistungsunvermögen des Arbeitnehmers überzeugt sein wird, daß er Annahmeverzugsansprüche in erheblicher Höhe riskiert und den Arbeitnehmer trotz seines Arbeitsangebots wieder nach Hause schickt. Gelingt dem Arbeitgeber im Prozeß aber der Beweis, daß der Arbeitnehmer tatsächlich zur Arbeitsleistung außerstande war, so kommt es nach § 297 BGB für die Ansprüche aus § 615 BGB nur auf die objektiven Umstände bei Nichtannahme der Leistung an. Zu Unrecht beruft sich die Revision für ihre gegenteilige Ansicht auf das Urteil des Bundesarbeitsgericht vom 10. Mai 1973 (- 5 AZR 493/72 – AP Nr. 27 zu § 615 BGB). In dem Ausgangsfall dieser Entscheidung war der Arbeitnehmer objektiv arbeitsfähig, die Ablehnung des Arbeitsangebots durch den Arbeitgeber wegen Fehlens der Arbeitsfähigkeit also objektiv unberechtigt.
c) Auch die Rüge der Revision, die Beklagte sei dadurch in Annahmeverzug geraten, daß sie dem Kläger keinen leidensgerechten anderen Arbeitsplatz zur Verfügung gestellt habe, geht fehl. Es ist schon äußerst fraglich, ob die Grundsätze des Senatsurteils vom 29. Januar 1997 (aaO), wonach der Arbeitgeber zur Vermeidung einer Kündigung des dauernd leistungsunfähigen Arbeitnehmers ggf. im Wege des Direktionsrechts eine andere Arbeitsmöglichkeit schaffen muß, sich ohne weiteres auf den Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers während der Dauer der Kündigungsfrist oder gar vor Ausspruch einer Kündigung übertragen lassen. Geht es darum, das Arbeitsverhältnis eines u.U. sozial besonders schutzbedürftigen Arbeitnehmers auf Dauer aufrechtzuerhalten, so sind dem Arbeitgeber regelmäßig einschneidendere Maßnahmen (Umorganisation, Umschulung, Einarbeitung etc.) zuzumuten als während der Dauer der Kündigungsfrist in einem ordnungsgemäß gekündigten Arbeitsverhältnis. Abgesehen davon gelten auch hier die Grundsätze der abgestuften Darlegungslast. Der Kläger hat weder bei seinem Arbeitsangebot noch irgendwann nachher der Beklagten gegenüber auch nur andeutungsweise klargestellt, ob und gegebenenfalls wo für ihn eine vertragsgerechte Weiterbeschäftigung auf einem anderen freien oder durch Ausübung des Direktionsrechts zu schaffenden Arbeitsplatz in Betracht kam.
d) Soweit der Kläger in der Revisionsinstanz geltend macht, die Beklagte könne sich auf seine – vom Berufungsgericht angenommene – Leistungsunfähigkeit nicht berufen, weil diese durch seine langjährige Tätigkeit bei der Beklagten herbeigeführt worden sei, handelt es sich um neues Vorbringen in der Revisionsinstanz, das nach § 561 Abs. 1 ZPO unbeachtlich ist. Abgesehen davon trifft auch die Behauptung des Klägers nicht zu, die Sachverständige habe einen solchen Zusammenhang festgestellt. Das Gutachten gibt in der vom Kläger erwähnten Passage (Seite 28) nur allgemeine arbeitsmedizinische Erfahrungssätze über ein gehäuftes Vorkommen gewisser Krankheiten bei Berufsgruppen mit körperlicher Schwerarbeit wieder.
Etzel Bitter Bröhl
Baerbaum Dr. Bartz
Vorinstanzen:
LAG Köln, Urteil vom 28.08.1997, 6 Sa 1155/96
ArbG Köln, Urteil vom 07.05.1996, 1 Ca 5258/94