BAG – 2 AZN 698/21

ECLI:DE:BAG:2022:020322.B.2AZN698.21.0

Auflösungsantrag

Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 02.03.2022, 2 AZN 698/21

Tenor

  1. Auf die Beschwerde der Beklagten wird – unter Verwerfung der Beschwerde als unzulässig im Übrigen – das Teilurteil des Landesarbeitsgerichts Hamburg vom 27. September 2021 – 8 Sa 41/19 – hinsichtlich des AufIösungsantrags der Beklagten und der Zahlungsanträge des Klägers für die Zeit von Juni bis November 2017 aufgehoben.
  2. Im Umfang der Aufhebung wird der Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens – an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
  3. Der Wert des Beschwerdegegenstands wird auf 6.118,50 Euro festgesetzt.

 

Gründe

2 AZN 698/21 > Rn 1

Die Beschwerde ist teilweise begründet.

2 AZN 698/21 > Rn 2

I. Zwar hat die Beklagte zu II und III der Beschwerdebegründung nicht gemäß § 72a Abs. 3 Satz 2 ArbGG dargetan, dass die anzufechtende Entscheidung auf der Beantwortung einer klärungsbedürftigen Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung iSv. § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG bzw. einer Divergenz in einem abstrakten Rechtssatz von einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts iSv. § 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG beruht. Auch zeigt die Beklagte zu IV 9 der Beschwerdebegründung keine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG iVm. § 72 Abs. 2 Nr. 3 Alt. 2 ArbGG in Bezug auf die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts über die Kündigungsschutzanträge des Klägers auf. Vielmehr beanstandet sie insofern „nur“ eine fehlerhafte Rechtsanwendung im vorliegenden Einzelfall, die für sich genommen -selbst wenn sie vorläge – die Zulassung der Revision nicht zu rechtfertigen vermöchte. Von einer diesbezüglichen Begründung wird nach § 72a Abs. 5 Satz 5 ArbGG abgesehen.

2 AZN 698/21 > Rn 3

II. Jedoch hat das Landesarbeitsgericht bei seiner Entscheidung über den Auflösungsantrag der Beklagten ihren Anspruch auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG in erheblicher Weise verletzt (§ 72 Abs. 2 Nr. 3 Alt. 2 ArbGG). Das führt im aus dem Tenor ersichtlichen Umfang zur Aufhebung des Teilurteils des Landesarbeitsgerichts und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht (§ 72a Abs. 7 ArbGG).

2 AZN 698/21 > Rn 4

1. Die Beklagte hat ihren Auflösungsantrag gemäß § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG nach den tatbestandlichen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts (S. 7 des amtlichen Umdrucks) ua. darauf gestützt, der Kläger habe im vorliegenden Rechtsstreit wahrheitswidrig behauptet, am Tag seiner Hochzeit (Karfreitag, den 14. April 2017) in einer Apotheke Schmerzmittel erworben und diese auch eingenommen zu haben. Mit diesem zentralen Vorbringen hat sich das Berufungsgericht in den Gründen seines Urteils in keiner Weise – auch nicht durch eine Bezugnahme auf die erstinstanzliche Entscheidung – auseinandergesetzt und es damit übergangen.

2 AZN 698/21 > Rn 5

2. Der darin liegende Gehörsverstoß ist für die Entscheidung über den AufIösungsantrag erheblich. Hierfür genügt es, dass das Landesarbeitsgericht bei Berücksichtigung des übergangenen Vorbringens der Beklagten möglicherweise zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre. Das ist nicht ausgeschlossen. Nach der Senatsrechtsprechung ist bewusst wahrheitswidriger Prozessvortrag eines Arbeitnehmers in einem Kündigungsrechtsstreit, den dieser hält, weil er befürchtet, mit wahrheitsgemäßen Angaben den Prozess zu verlieren, geeignet, eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses zu rechtfertigen. Dabei spielt es keine Rolle, ob der wahrheitswidrige Vortrag letztlich für das Gericht entscheidungserheblich ist. Ausreichend ist, dass er es hätte sein können. Selbst der „untaugliche Versuch“ eines „Prozessbetrugs“ kann das Vertrauen des Arbeitgebers in die Redlichkeit des Arbeitnehmers irreparabel zerstören (vgl. BAG 24. Mai 2018 – 2 AZR 73/18 – Rn. 25f, BAGE 163, 36).

2 AZN 698/21 > Rn 6

3. Die Aufhebung und Zurückverweisung umfasst die Zahlungsanträge des Klägers für die nach dem möglichen Auflösungsdatum liegende Zeit vom 1. Juni bis zum 30. November 2017.

2 AZN 698/21 > Rn 7

III. Die Parteien werden abschließend darauf hingewiesen, dass dem Berufungsgericht die Schriflsätze aus dem Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren nicht vorliegen.

 

Koch       Rachor       Niemann

Grimberg       Wolf

 


Papierfundstellen:

Die Entscheidung BAG – 2 AZN 698/21 wird zitiert in:

  1. > BAG, 12.04.2022 – 2 AZN 169/22 (F)