BAG – 6 AZR 497/21

ECLI:DE:BAG:2022:250522.U.6AZR497.21.0

Mindestlohn nicht gegen Insolvenzanfechtung gesichert

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 25.05.2022, 6 AZR 497/21

Tenor

  1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts vom 19. Oktober 2021 – 12 Sa 587/21 – teilweise aufgehoben.
  2. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Gießen vom 13. April 2021 – 5 Ca 188/20 – abgeändert und wie folgt gefasst:
    Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 3.280,62 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 29. Dezember 2019 zu zahlen.
  3. Die Anschlussrevision der Beklagten wird zurückgewiesen.
  4. Der Kläger hat die durch die Anrufung des Amtsgerichts Gießen entstandenen Kosten zu tragen. Die übrigen Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

 

Pressemitteilung: 20/22

Bei Insolvenz des Arbeitgebers kann der Insolvenzverwalter nach Maßgabe der §§ 129 ff. InsO vom Arbeitnehmer das zu bestimmten Zeitpunkten ausbezahlte Arbeitsentgelt zu Gunsten der Insolvenzmasse zurückfordern. Dies dient der gemeinschaftlichen Befriedigung der Insolvenzgläubiger nach den insolvenzrechtlichen Verteilungsregeln. Der Rückgewähranspruch umfasst das gesamte Arbeitsentgelt einschließlich des gesetzlichen Mindestlohns. Der Gesetzgeber hat den Mindestlohn nicht anfechtungsfrei gestellt.

Die beklagte Arbeitnehmerin erhielt in den letzten beiden Monaten vor dem Insolvenzantrag – und damit in von § 131 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 InsO erfassten Zeiträumen – unter Angabe des Verwendungszwecks für zwei Monate ihr Arbeitsentgelt von dem Konto der Mutter ihres damals bereits zahlungsunfähigen Arbeitgebers. Am 1. Dezember 2016 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Arbeitgebers eröffnet. Der auf Rückgewähr klagende Insolvenzverwalter hat die Zahlungen wegen sog. Inkongruenz angefochten. Nach Ansicht der Beklagten ist eine Anfechtung in Höhe des Existenzminimums bzw. in Höhe des Mindestlohns unzulässig.

Das Landesarbeitsgericht hat der Klage teilweise stattgegeben. Die Voraussetzungen einer Anfechtung nach § 131 InsO seien zwar erfüllt, der Mindestlohn könne aber nicht zurückgefordert werden. Hiergegen hat sich der Kläger mit seiner Revision gewandt. Die Beklagte hat Anschlussrevision erhoben und die vollständige Abweisung der Klage verlangt.

Nur die Revision des Klägers hatte vor dem Sechsten Senat des Bundesarbeitsgerichts Erfolg. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts und der Beklagten ist die Klage in voller Höhe begründet. Eine grundsätzliche Einschränkung der Insolvenzanfechtung ist verfassungsrechtlich nicht geboten. Der Schutz des Existenzminimums des Arbeitnehmers wird durch die Pfändungsschutzbestimmungen der Zivilprozessordnung und das Sozialrecht gewährleistet. Der insolvenzrechtliche Rückgewähranspruch bezieht sich uneingeschränkt auch auf den gesetzlichen Mindestlohn. Wurde dieser durch Zahlung erfüllt, enden die Rechtswirkungen des Mindestlohngesetzes. Einen Ausschluss der Anfechtbarkeit oder einen besonderen Vollstreckungsschutz hat der Gesetzgeber nicht vorgesehen.

 

 

 

 

 

 

 

 


Papierfundstellen:

Die Kommentarfunktion ist geschlossen.