Rückzahlungsklausel – Weiterbildungskosten – AVR-Caritas
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 17.11.2005, 6 AZR 160/05
Tenor
- Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 11. November 2004 – 6 Sa 260/04 – im Kostenausspruch und insoweit aufgehoben, als es die Klageabweisung in Höhe von 4.446,48 Euro nebst Zinsen bestätigt hat.
- Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 21. Januar 2004 – 4 Ca 2779/03 – im Kostenausspruch aufgehoben und im Übrigen wie folgt teilweise abgeändert:
Die Beklagte wird verurteilt an die Klägerin 4.446,48 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 2. Juli 2003 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. - Die weitergehende Revision wird zurückgewiesen.
- Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu ¼, die Beklagte hat sie zu ¾ zu tragen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Rückzahlung von Weiterbildungskosten.
Die Beklagte war seit dem 1. Mai 1994 bei dem Rechtsvorgänger der Klägerin, dem Verein der B…, der in H… Träger eines Alten- und Pflegeheims war, als Pflegehelferin und seit dem 1. August 1997 als Altenpflegerin beschäftigt. Ausweislich § 2 des Arbeitsvertrags fanden die “Richtlinien für Arbeitsverträge in den Einrichtungen des Deutschen Caritasverbandes” (nachfolgend AVR-Caritas) auf das Arbeitsverhältnis Anwendung. Die AVR-Caritas werden von der Arbeitsrechtlichen Kommission der Caritas, die paritätisch mit je 28 Vertretern der Dienstgeber und Mitarbeiter besetzt ist, mit ¾ der Stimmen beschlossen. Die Beschlüsse bedürfen zu ihrer Wirksamkeit der Inkraftsetzung durch die Diözesanbischöfe. Dabei wirkt die Arbeitsgemeinschaft der Bistümer mit. Wenn sich ein Bischof entschließt, die Beschlüsse der Kommission für seinen Bereich nicht in Kraft zu setzen, entfalten sie für die Mitarbeiter der Diözese keine Wirkung.
Beginnend ab Januar 2000 nahm die Beklagte an einer Weiterbildung Wohnbereichsleitung/Verantwortlichen Pflegefachkraft teil. Die Beklagte und der Rechtsvorgänger der Klägerin schlossen einen “Weiterbildungsvertrag mit Rückzahlungsklausel”, in dessen § 2 es heißt:
“§ 2 Für die Weiterbildung gelten die Richtlinien der AVR § 10a Allgemeiner Teil, die wie folgt lauten:
(1) Wird ein Mitarbeiter auf Veranlassung und im Rahmen des Personalbedarfs des Dienstgebers fort- oder weitergebildet, werden, sofern keine Ansprüche gegen andere Kostenträger bestehen, vom Dienstgeber
a) dem Mitarbeiter, soweit er freigestellt werden muß, für die notwendige Fort- oder Weiterbildungszeit die bisherigen Dienstbezüge (Abschnitt II der Anlage 1 zu den AVR) fortgezahlt und
b) die Kosten der Fort- oder Weiterbildung getragen.
(2) Der Mitarbeiter ist verpflichtet, dem Dienstgeber die Aufwendungen für eine Fort- oder Weiterbildung im Sinne des Absatzes 1 zu ersetzen, wenn das Dienstverhältnis auf Wunsch des Mitarbeiters oder aus einem von ihm zu vertretenden Grund endet.
Für jeden vollen Monat der Beschäftigung nach dem Ende der Fort- oder Weiterbildung werden 1/36 des Aufwendungsbetrages erlassen.
Eine Rückzahlungsverpflichtung besteht nicht, wenn die Mitarbeiterin wegen Schwangerschaft oder wegen Niederkunft in den letzten drei Monaten gekündigt oder einen Auflösungsvertrag geschlossen hat.
In besonders gelagerten Fällen kann von der Rückzahlungsregelung zugunsten des Mitarbeiters abgewichen werden.”
Im Rahmen der Weiterbildung fanden im Zeitraum vom 1. Januar 2000 bis zum 1. Juni 2001 zehn Kursblöcke mit jeweils einer Dauer von einer Arbeitswoche à 38,5 Stunden statt. In den Phasen zwischen den Kursblöcken hatte die Beklagte außerhalb ihrer Arbeitszeit Hausaufgaben anzufertigen, um sich mit dem Erlernten näher zu beschäftigen und eine Nachbereitung vorzunehmen. Nach Abschluss des Blockunterrichts nahm die Beklagte an darauf folgenden acht eintägigen Supervisionstreffen teil, zuletzt am 7. Dezember 2001. Zudem wurde sie bereits ab dem 1. November 2001 kommissarisch als Wohnbereichsleiterin eingesetzt. Die erfolgreiche Teilnahme am Fort- und Weiterbildungskurs wurde der Beklagten am 31. Januar 2002 bestätigt. Der Rechtsvorgänger der Klägerin beschäftigte ab dem 1. November 2002 die Beklagte als Wohnbereichsleiterin. Die Beklagte kündigte am 26. Februar 2003 das Beschäftigungsverhältnis zum 30. Juni 2003 und schied aus. Mit Schreiben vom 25. April 2003 verlangte der Rechtsvorgänger der Klägerin die Rückzahlung von Weiterbildungskosten in Höhe von 5.936,95 Euro. Die Beklagte verweigerte die Zahlung. Die Klägerin hat die Rückforderung wie folgt begründet:
– Lehrgangsgebühren 3.543,25 Euro
– Fahrtkosten 200,07 Euro
– fortentrichtete Dienstbezüge 7.207,12 Euro
– Abschluss (Zeugnisübergabe) 270,52 Euro
fortentrichtete Dienstbezüge
– Fahrkosten 28,00 Euro
– Gesamtaufwendungen 11.248,96 Euro
Im Rahmen der fortentrichteten Dienstbezüge in Höhe von 7.477,64 Euro hat die Klägerin folgende Einzelpositionen geltend gemacht:
– Sozialversicherungsbeiträge (je zu gleichen Teilen Arbeitnehmer- und Arbeitgeberanteile) 2.488,74 Euro
– Steuerabzüge 1.265,98 Euro
– Nettobezüge 3.722,92 Euro
Von dem Gesamtaufwand hat die Klägerin einen Abzug von 17/36 der Gesamtkosten vorgenommen, da nach ihrer Meinung die Beklagte nach Abschluss der Fortbildung noch 17 Monate bei ihr beschäftigt gewesen sei. Die Klägerin fordert die Zahlung von 19/36 der Gesamtkosten von 11.248,96 Euro = 5.936,95 Euro von der Beklagten.
Die Klägerin hat beantragt
die Beklagte zu verurteilen, an sie 5.936,95 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz seit dem 2. Juli 2003 zu zahlen.
Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und die Auffassung vertreten, die Weiterbildung habe nicht erst mit der Zeugnisübergabe, sondern mit Abschluss des letzten Blockunterrichts am 1. Juni 2001 geendet, so dass selbst nach der Berechnung der Klägerin jedenfalls weitere 7/36 der Gesamtkosten in Abzug zu bringen seien. Im Übrigen könne die Klägerin nicht den Bruttoarbeitslohn der Beklagten und die Fahrtkosten, sondern allenfalls die bezogenen Nettobeträge in Rechnung stellen. Der Rückzahlungsanspruch bestehe zudem bereits dem Grunde nach nicht, da der Weiterbildungsvertrag wegen eines Verstoßes gegen § 307 Abs. 1, § 308 Nr. 7 Buchst. b BGB nichtig sei. Die AVR-Caritas seien für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierte Vertragsbedingungen. Es handele sich um allgemeine Geschäftsbedingungen. Das gleiche müsse für den Weiterbildungsvertrag gelten, der § 10a AVR-Caritas wörtlich zitiere. Selbst wenn die im Arbeitsrecht geltenden Besonderheiten zu berücksichtigen seien, verstießen die Rückzahlungsregelungen wegen der zu langen Bindungsdauer gegen § 308 Nr. 7 Buchst. b BGB, da sie die Beklagte entgegen Treu und Glauben unangemessen benachteiligten. Da eine geltungserhaltende Reduktion nach § 307 BGB nicht zulässig sei, seien die Rückzahlungsvereinbarungen insgesamt unwirksam.
Die Klägerin vertritt die Auffassung die §§ 305 ff. BGB seien weder zeitlich noch sachlich anwendbar. Eine Inhaltskontrolle der Rückzahlungsvereinbarung sei nach § 310 Abs. 4 Satz 1 BGB ausgeschlossen. Zwar habe der Gesetzgeber kirchliche Arbeitsvertragsrichtlinien nicht ausdrücklich genannt, im Rahmen einer teleologischen Auslegung sei der Anwendungsbereich der §§ 305 ff. BGB aber auch im Bereich der AVR-Caritas einzuschränken. Dies folge aus der Tatsache, dass die AVR-Caritas Ausdruck des verfassungsrechtlich geschützten Selbstbestimmungsrechts der Kirche und deshalb den im Gesetz genannten Kollektivvereinbarungen gleichzustellen seien. Daher könne lediglich eine eingeschränkte Inhaltskontrolle der AVR-Caritas, ob sie gegen die Verfassung, anderes höherrangiges Recht oder gegen die guten Sitten verstießen, stattfinden. Aber selbst wenn man die AVR-Caritas einer Inhaltskontrolle am Maßstab der §§ 305 ff. BGB unterziehen wolle, würden sie den Anforderungen, die das Bundesarbeitsgericht für Rückzahlungsklauseln aufgestellt hat, genügen.
Das Arbeitsgericht und das Landesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihren Klageanspruch weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist zum Teil begründet. Das angefochtene Urteil des Landesarbeitsgerichts ist teilweise aufzuheben. Auf die Berufung der Klägerin ist das Urteil des Arbeitsgerichts teilweise abzuändern und die Beklagte zur Rückzahlung von Fortbildungskosten bestehend aus Lehrgangsgebühren, Fahrtkosten, Nettobezüge, Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung und Steuerabzügen in Höhe von 4.446,48 Euro nebst Nebenforderungen zu verurteilen. Im Übrigen ist die Klage unbegründet. Die weitergehende Revision ist deshalb zurückzuweisen.
Entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts, das nur eine Bindungsdauer für die Rückzahlungsverpflichtung der Beklagten von höchstens 18 Monaten angenommen hat, ist Rechtsgrundlage für den Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte auf Rückzahlung der anteiligen Kosten der Weiterbildung die Vereinbarung einer Bindungsfrist von 36 Monaten gemäß § 10a Abs. 2 Satz 1 AVR-Caritas. Diese Bestimmung ist auf Grund der Vereinbarungen der Parteien im Arbeitsvertrag und im Weiterbildungsvertrag auf das Arbeitsverhältnis anzuwenden.
1. Das Landesarbeitsgericht hat offengelassen, ob der Anwendungsbereich der §§ 305 ff. BGB eröffnet ist. Dies ist zu bejahen.
a) Die zeitliche Anwendbarkeit der §§ 305 ff. BGB ist gegeben. Zwar wurde der neben den AVR-Caritas maßgebliche Weiterbildungsvertrag mit Rückzahlungsklausel bereits vor dem In-Kraft-Treten der §§ 305 ff. BGB nF am 1. Januar 2002 geschlossen, jedoch finden sie gem. Art. 229 § 5 Satz 2 EGBGB vom 1. Januar 2003 an auf Dauerschuldverhältnisse Anwendung. Weiterbildungsverträge mit Rückzahlungsverpflichtung sind auf Grund der Bindung und ratenweisen Verminderung der Höhe der Rückzahlungsverpflichtung Dauerschuldverhältnisse. Vertrauensschutz hat das Gesetz den Arbeitgebern nur bis zum 31. Dezember 2002 eingeräumt.
b) Bei den AVR-Caritas handelt es sich um Allgemeine Geschäftsbedingungen iSd. §§ 305 ff. BGB. Die AVR-Caritas sind für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierte Vertragsbedingungen, welche die dem Caritasverband angeschlossenen Arbeitgeber ihren Arbeitnehmern stellen.
aa) Eine Inhaltskontrolle von Vertragsbestimmungen nach den §§ 305 ff. BGB unterbleibt gemäß § 310 Abs. 4 Satz 1 BGB nur bei Verträgen auf dem Gebiet des Erb-, Familien- oder Gesellschaftsrechts sowie bei Tarifverträgen, Betriebs- oder Dienstvereinbarungen. Kirchliche Arbeitsvertragsregelungen hat der Gesetzgeber bei der Neuregelung des Rechts Allgemeiner Geschäftsbedingungen in Kenntnis der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Rechtsqualität solcher Richtlinien (vgl. BAG 6. November 1996 – 5 AZR 334/95 – BAGE 84, 282) nicht in die Formulierung des § 310 Abs. 4 Satz 1 BGB aufgenommen. Wenn der Gesetzgeber, anders als zB in § 7 Abs. 4 ArbZG, § 21a Abs. 3 JArbSchG, nur für Tarifverträge, Betriebs- und Dienstvereinbarungen eine besondere Regelung getroffen hat, hat er zu erkennen gegeben, dass kirchliche Arbeitsvertragsregelungen grundsätzlich einer Überprüfung nach den §§ 305 ff. BGB unterliegen.
bb) Teilweise wird in der Literatur die Ansicht vertreten, § 310 Abs. 4 BGB weise eine Regelungslücke im Hinblick auf die AVR-Caritas auf und diese sei durch Erstreckung des § 310 Abs. 4 Satz 1 BGB auf die AVR-Caritas zu schließen (dafür zB Schaub/Linck ArbR-Hdb. 11. Aufl. § 186 Rn. 180a; Thüsing NZA 2002, 306, 310; ders. Anm. EzA BGB § 611 Kirchliche Arbeitnehmer Nr. 48 mwN; ders. ZTR 2005, 507, 510; Richardi Arbeitsrecht in der Kirche 4. Aufl. § 15 Rn. 42 f.). Hiergegen spricht neben dem Wortlaut des § 310 Abs. 4 Satz 1 BGB auch die Beschlussempfehlung des Gesetzgebers vom 25. September 2001, in der das Kirchliche Arbeitsrecht als ein Fall der arbeitsrechtlichen Besonderheiten genannt wurde, die gemäß § 310 Abs. 4 Satz 2 BGB bei der Anwendung der §§ 305 ff. BGB zu berücksichtigen sind (BT-Drucks. 14/7052 S. 189; auch BAG 8. Juni 2005 – 4 AZR 412/04 – ZMV 2006, 96 unter Hinweis auf BAG 26. Januar 2005 – 4 AZR 171/03 – AP AVR Diakonisches Werk Anlage 18 Nr. 1 = EzA BGB 2002 § 611 Kirchliche Arbeitnehmer Nr. 5, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen). Zudem handelt es sich bei kirchlichen Arbeitsvertragsregelungen nicht um Tarifverträge im Sinne des Tarifvertragsgesetzes, weil sie nicht nach dessen Maßgabe zustande gekommen sind (st. Rspr. BAG 26. Januar 2005 – 4 AZR 171/03 – aaO; BAG 8. Juni 2005 – 4 AZR 412/04 – aaO; 19. Februar 2003 – 4 AZR 11/02 – BAGE 105, 148, 157; 20. März 2002 – 4 AZR 101/01 – BAGE 101, 9, 14; 15. November 2001 – 6 AZR 88/01 – EzA BGB § 611 Kirchliche Arbeitnehmer Nr. 48). Kirchliche Arbeitsvertragsregelungen wirken jedenfalls ohne eine entsprechende kirchengesetzliche Regelung und ohne eine staatliche Verweisungsnorm, wie zB § 4 Abs. 1 TVG, anders als Tarifverträge, Betriebs- und Kollektivvereinbarungen nicht normativ, sondern bedürfen für ihre Geltung einer individualrechtlichen Einbeziehung (BAG 8. Juni 2005 – 4 AZR 412/04 – aaO).
cc) Die Ansicht der Revision, die Ausdehnung des § 310 Abs. 4 Satz 1 BGB folge aus dem verfassungsrechtlich garantierten Selbstbestimmungsrecht der Kirche und ohne eine Gleichsetzung der AVR-Caritas zu den genannten Kollektivvereinbarungen drohe eine Beschneidung des Selbstbestimmungsrechts der Kirchen bis hin zu einer inhaltsleeren Worthülse, die den Kirchen das Selbstbestimmungsrecht formell zwar zubillige, bei den entscheidenden materiell-rechtlichen Folgen diesen Schritt aber nicht gehe, zwingt nicht zu einer Gleichsetzung der AVR-Caritas mit den in § 310 Abs. 4 Satz 1 BGB genannten Kollektivvereinbarungen. Vielmehr hat der Gesetzgeber durch die Forderung nach der angemessenen Berücksichtigung der Besonderheiten des Arbeitsrechts gemäß § 310 Abs. 4 Satz 2 BGB eine Möglichkeit eröffnet, das verfassungsrechtlich garantierte Selbstbestimmungsrecht der Kirchen bei der Anwendung der § 305 ff. BGB zu gewährleisten.
2. Die Inhaltskontrolle des § 10a Abs. 2 Sätze 1 und 2 AVR-Caritas ist im Bereich Allgemeiner Geschäftsbedingungen auf Grundlage des § 307 BGB vorzunehmen (ErfK/Preis 5. Aufl. §§ 305-310 BGB Rn. 91). Der Anwendungsbereich der Absätze 1 und 2 des § 307 BGB ist für die Prüfung der AVR-Caritas nicht gemäß § 307 Abs. 3 iVm. § 310 Abs. 4 Satz 3 BGB eingeschränkt, da § 10a AVR-Caritas weder einen Tarifvertrag darstellt noch ausdrücklich auf einen Tarifvertrag Bezug nimmt (aA Thüsing ZTR 2005, 507, 510 f.). Anders als in dem der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 6. November 1996 – 5 AZR 334/95 – (BAGE 84, 282) zugrunde liegenden Sachverhalt, wonach die Arbeitsrechtliche Kommission des Deutschen Caritas-Verbandes die tariflichen Regelungen des BAT hinsichtlich der Fort- und Weiterbildung von Krankenschwestern und -pflegern zu entsprechenden geprüften Fachkräften im Operationsdienst usw. im Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) durch Beschluss übernommen hatte, lehnt § 10a AVR-Caritas sich lediglich an die tarifliche Rückzahlungsklausel an.
3. Die Bestimmung in § 10a Abs. 2 AVR-Caritas hält unter Beachtung der Besonderheiten des Arbeitsrechts (§ 310 Abs. 4 Satz 2 BGB) einer Inhaltskontrolle nach § 307 BGB stand.
a) Bei der Frage der angemessenen Berücksichtigung der Besonderheiten des Arbeitsrechts iSv. § 310 Abs. 4 Satz 2 BGB handelt es sich um die Anwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffs, der vom Revisionsgericht nur darauf überprüft werden kann, ob das angefochtene Urteil den Rechtsbegriff selbst verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnorm des § 310 Abs. 4 Satz 2 BGB Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt hat, ob es alle wesentlichen Umstände berücksichtigt hat und ob es in sich widerspruchsfrei ist.
Das Landesarbeitsgericht hat im Rahmen der Inhaltskontrolle nach §§ 305 ff. BGB zwar die von den Arbeitsgerichten entwickelten Grundsätze der Wirksamkeit individualvertraglicher Rückzahlungsklauseln beachtet, den besonderen Charakter der AVR-Caritas, der aus dem verfassungsrechtlich garantierten Selbstbestimmungsrecht der Kirchen folgt, aber nicht berücksichtigt. Das Bundesarbeitsgericht hat gerade im hier maßgeblichen Bereich der Kontrolle von Rückzahlungsklauseln mehrfach anerkannt, dass in kirchlichen Arbeitsvertragsrichtlinien von den allgemeinen Grundsätzen abweichende Gestaltungen zulässig sind (BAG 6. November 1996 – 5 AZR 334/95 – BAGE 84, 282; 28. Januar 1998 – 4 AZR 491/96 – AP AVR Caritasverband § 12 Nr. 11 = EzA BGB § 611 Kirchliche Arbeitnehmer Nr. 44).
b) Kirchliche Arbeitsvertragsrichtlinien entstehen anders als Tarifverträge auf dem sog. “Dritten Weg”. Für die Caritas beschließt die auf Kirchenverfassungsrecht gegründete Arbeitsrechtliche Kommission Arbeitsvertragsrichtlinien als eigene Regelungswerke. Die Arbeitsrechtliche Kommission ist von der Kirchenleitung unabhängig und paritätisch mit gewählten Repräsentanten der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber besetzt. Die Beschlüsse bedürfen der Mehrheit von drei Viertel der Mitglieder der Arbeitsrechtlichen Kommission. Die Kommissionsmitglieder unterliegen keinen Weisungen und haben eine gleichermaßen unabhängige Stellung wie die Angehörigen der Mitarbeitvertretungen der Kirchen. Das Mittel des Arbeitskampfes steht keiner Seite zur Verfügung.
Diese Unterschiede gegenüber der Entstehung von Tarifverträgen rechtfertigen es aber nicht, kirchliche Arbeitsvertragsrichtlinien einer grundsätzlich anderen Inhaltskontrolle zu unterziehen, als sie bei Tarifverträgen vorzunehmen wäre. Dies gilt jedenfalls insoweit, als sie einschlägige tarifvertragliche Regelungen ganz oder mit im Wesentlichen gleichen Inhalten übernehmen (vgl. BAG 6. November 1996 – 5 AZR 334/95 – BAGE 84, 282). Die materielle Richtigkeitsgewähr tarifvertraglicher Regelungen beruht nicht primär darauf, dass den Tarifvertragsparteien das Mittel des Arbeitskampfs zur Verfügung steht, sondern darauf, dass sie als gleichgewichtig durchsetzungsfähig angesehen werden. Die zuletzt genannte Voraussetzung ist aber innerhalb der Arbeitsrechtlichen Kommissionen bei den Kirchen gleichermaßen gegeben. Deren paritätische Besetzung und die Weisungsunabhängigkeit ihrer Mitglieder gewährleistet, dass keine der beiden Seiten das Übergewicht erreichen kann (vgl. auch Thüsing ZTR 2005, 507 f.). Zudem ergibt sich die Richtigkeitsgewähr der kirchlichen Arbeitsvertragsrichtlinien mittelbar, soweit diese einschlägige tarifvertragliche Regelungen übernehmen (vgl. BAG 6. November 1996 – 5 AZR 334/95 – aaO).
c) Tarifverträge sind allein daraufhin zu untersuchen, ob sie gegen die Verfassung, gegen anderes höherrangiges zwingendes Recht oder gegen die guten Sitten verstoßen (BAG 6. November 1996 – 5 AZR 334/95 – BAGE 84, 282; 6. September 1995 – 5 AZR 174/94 – BAGE 81, 5 mwN). Es ist nicht Sache der Gerichte zu prüfen, ob jeweils die gerechteste oder zweckmäßigste Regelung gefunden wurde.
Dabei sind keine anderen Prüfungsmaßstäbe heranzuziehen, wenn die Tarifnormen nicht kraft Tarifgebundenheit, sondern kraft arbeitsvertraglicher Vereinbarung anzuwenden sind. Auch in solchen Fällen ist zumindest bei der Verweisung auf einen geschlossenen Regelungskomplex von der grundsätzlichen Richtigkeitsgewähr der einbezogenen Tarifvertragsnormen auszugehen (BAG 6. September 1995 – 5 AZR 174/94 – BAGE 81, 5; Preis Grundfragen der Vertragsgestaltung im Arbeitsrecht § 14 III 3e S. 398).
d) Danach ist die vorliegende Rückzahlungsklausel nicht zu beanstanden. Sie entspricht in ihrem Regelungsgehalt den tariflichen Regelungen des BAT hinsichtlich der Sonderregelung für Angestellte in Kranken-, Heil-, Pflege- und Entbindungsanstalten sowie in sonstigen Anstalten und Heimen, in denen die betreuten Personen in ärztlicher Behandlung stehen (Nr. 7 zu Abschnitt VII – Vergütung – des SR 2a BAT). Nach dieser Tarifregelung sind – von hier nicht vorliegenden Sonderfällen abgesehen – die Aufwendungen der Fort- und Weiterbildung bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses auf Wunsch des Angestellten im ersten Jahr nach Beendigung der Fort- oder Weiterbildung voll zurückzuzahlen, im zweiten Jahr zu zwei Dritteln und im dritten Jahr zu einem Drittel zurückzuzahlen. § 10a Abs. 2 AVR-Caritas weicht davon lediglich zugunsten des Arbeitnehmers insoweit ab, als in besonders gelagerten Fällen auf die Kostenerstattung verzichtet werden kann und die Rückzahlungsverpflichtung – anders als gemäß der grob nach Jahren differenzierenden tarifvertraglichen Regelung – monatlich linear sinkt.
§ 10a Abs. 2 AVR-Caritas verstößt nicht gegen zwingendes höherrangiges Recht, obwohl die Regelung zu Lasten der Arbeitnehmer von der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu einzelvertraglichen Klauseln über die Rückzahlung von Fortund Weiterbildungskosten abweicht. Insbesondere liegt kein Verstoß gegen den Grundsatz der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) vor. Sie benachteiligt die Beklagte nicht unangemessen entgegen den Geboten von Treu und Glauben nach § 307 Abs. 1, 2 BGB. Dies gilt auch dann, wenn die Fort- und Weiterbildung nicht kontinuierlich, sondern in zeitlich auseinander liegenden Blöcken stattfindet, wenn dadurch – wie hier – die Bindungsdauer nicht willkürlich und unzumutbar verlängert wird. Die Bestimmung in § 10a Abs. 2 Sätze 1 und 2 AVR-Caritas ist klar, verständlich und ihrem Wortlaut nach eindeutig.
4. Die Voraussetzungen für einen Rückzahlungsanspruch der Klägerin in Höhe von 16/36 der aufgewendeten Weiterbildungskosten gemäß § 10a Abs. 1 AVR-Caritas liegen vor.
a) Die Beklagte ist auf Veranlassung des Rechtsvorgängers der Klägerin im Rahmen dessen Personalbedarfs auf dessen Kosten weitergebildet worden. Die Weiterbildung der Beklagten zur Wohnbereichsleitung/Verantwortlichen Pflegefachkraft war auch vergütungsrelevant. Sie ist Voraussetzung für eine Beschäftigung als Wohnbereichsleiterin und ermöglicht in einigen Einrichtungen auch die Beschäftigung als Pflegedienstleiterin oder stellvertretende Pflegedienstleiterin. Das Dienstverhältnis der Parteien endete nach der Beendigung der Weiterbildung auf eigenen Wunsch der Beklagten. Sie kündigte am 26. Februar 2003 das Dienstverhältnis zum 30. Juni 2003.
b) Der Anspruch der Klägerin gemäß § 10a Abs. 2 AVR-Caritas umfasst die Aufwendungen der Fort- und Weiterbildung iSd. Absatz 1, dh. die Weiterbildungskosten und die für die Zeit der Freistellung für die Weiterbildung fortgezahlten Dienstbezüge. Es sind die von der Klägerin geforderten Lehrgangsgebühren in Höhe von 3.543,25 Euro und die Fahrtkosten in Höhe von insgesamt 228,07 Euro in Ansatz zu bringen, da es sich hierbei um Aufwendungen handelt, welche sie für die Beklagte zur Durchführung der Fortbildung erbracht hat. Dazu kommen die Nettobezüge in Höhe von 3.722,92 Euro, die Steuerabzüge in Höhe von 1.265,98 Euro und die Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung in Höhe von 1.244,37 Euro. Folglich ist dem Grunde nach ein erstattungsfähiger Fort- und Weiterbildungsaufwand in Höhe von 10.004,59 Euro entstanden.
c) Nach § 10a Abs. 2 Satz 2 AVR-Caritas wird der Beklagten für jeden vollen Monat der Beschäftigung nach dem Ende der Fort- und Weiterbildung 1/36 des Aufwendungsbetrages erlassen. Die Fort- und Weiterbildung wurde nicht bereits zum 1. Juni 2001 – dem Abschluss der zehn Kursblöcke – beendet, da nach den der Fortund Weiterbildung zugrundeliegenden Seminarbedingungen die Teilnahme an einer ca. 6 Monate dauernden Supervisionsphase weiterer Bestandteil der Fort- und Weiterbildung war. In dieser Phase wurde das Erlernte in begleitender und gelenkter Form vertieft. Die Teilnahme an den Supervisionen war Voraussetzungen für den erfolgreichen Abschluss der Fortbildung.
Dabei kann jedoch die Tatsache, dass der Rechtsvorgänger der Klägerin die Beklagte bereits ab dem 1. November 2001 als Wohnbereichsleiterin einsetzte, bei der Berechnung des Rückzahlungsanspruchs nicht unberücksichtigt bleiben. Zumindest seit diesem Zeitpunkt, mithin 20 Monate bis zur Beendigung des Dienstverhältnisses, nutzte der Rechtsvorgänger der Klägerin die von der Beklagten im Rahmen der Fort- und Weiterbildung erworbenen Kenntnisse und dokumentierte damit, dass die Beklagte spätestens ab diesem Zeitpunkt über die für eine Beschäftigung als Wohnbereichsleiterin erforderlichen und durch die Fort- und Weiterbildung vermittelten Kenntnisse verfügte. Nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) kann sich die Beklagte nicht darauf berufen, dass die letzte Supervision und die Bestätigung der erfolgreichen Kursteilnahme erst später erfolgten.
Dementsprechend hat die Klägerin von den unter Außer-Acht-Lassung der Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung ermittelten Kosten in Höhe von 10.004,59 Euro einen Abzug in Höhe von 20/36 (= 5.558,11 Euro) vorzunehmen. Der Rückerstattungsanspruch beträgt 4.446,48 Euro. Die Zinsforderungen beruhen auf § 286 Abs. 1 und 2 Nr. 1, § 288 Abs. 1 BGB. Soweit die Klägerin die Rückzahlung weiterer Lehrgangsgebühren, Fahrtkosten, Nettobezüge, Steuerabzüge und Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung verlangt, ist die Klage unbegründet.
d) Soweit die Klägerin darüber hinaus die von ihr geleisteten Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung in Höhe von 1.244,37 Euro in Ansatz bringt, ist die Klage ebenfalls unbegründet. Die Klägerin kann die im Rahmen der fortentrichteten Lohnbezüge abgeführten Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung nicht von der Klägerin fordern; diese sind nicht erstattungsfähig. Eine Vereinbarung, nach der ein Arbeitnehmer dem Arbeitgeber auch die anteiligen Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung zu erstatten hat, ist nach § 32 SGB I wegen Verstoßes gegen die zwingenden Bestimmungen der §§ 20, 22 SGB IV nichtig (BAG 6. November 1996 – 5 AZR 334/95 – BAGE 84, 282, 293; 11. April 1984 – 5 AZR 430/82 – AP BGB § 611 Ausbildungsbeihilfe Nr. 8 = EzA BGB § 611 Ausbildungsbeihilfe Nr. 4).
5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO.
Fischermeier Armbrüster Friedrich
Knauß Oye
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Vorinstanzen:
LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 11.11.2004, 6 Sa 260/04
ArbG Koblenz, Urteil vom 21.01.2004, 4 Ca 2779/03
> BAG, 10.04.2014 – 2 AZR 812/12
> BAG, 22.07.2010 – 6 AZR 847/07